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Achtes Kapitel.

Auf einem Heckenweg standen zwei Männer und ein junges Mädchen und sahen hinüber zu einem schwarzen Hengst, der ängstlich und scheu an die Seite gedrückt stand und die Menschen vor sich nicht aus den Augen ließ.

Jetzt zuckte er nervös zusammen, eine Reitpeitsche pfiff schneidend durch die Hecke. Damit wollte Henrique Almares seiner Erregung Luft machen. Seine dunklen Augen glühten vor zorniger Aufwallung und sprachen von einem heißen Temperament. Diese Augen ließen ihn jung erscheinen. Er war Ende der vierzig und besaß ein stolzes, hochmütiges Gesicht, das eine große Ähnlichkeit mit dem des kleinen José aufwies. Ein vorgeschobenes Kinn deutete auf einen festen, vielleicht sogar harten Willen hin.

Kostbar war seine Kleidung, der man den reichen Fazendeiro ansah. Ähnlich wie er war auch das neben ihm stehende junge Mädchen gekleidet. Sie trug reich verzierte Tracht, ihre Stiefel waren aus weichem, schönem Leder und ihre Sporen daran bestanden aus Silber mit alten Gravierungen versehen. Ebenso wie bei dem Fazendeiro umschloß ein handgestickter, silberverflochtener Gürtel auch ihre Hüften.

Diese Tracht war aber auch die einzige Ähnlichkeit, die zwischen ihnen bestand, Henrique Almares war der Typ des hübschen Südländers, während das junge Mädchen blondes, gelocktes Haar hatte, das die Sonnenstrahlen goldig aufglänzen ließen. Tiefblaue Augen schauten aus dem weichen, lieblichen Gesicht; zart und fast zerbrechlich erschien ihre schlanke, schmächtige Gestalt.

Jetzt sah sie besorgt in das unwillig erregte Gesicht Almares', der noch einmal seine Peitsche durch die Luft sausen ließ.

»Viell,« sagte er ärgerlich zu dem Manne, der in beinahe demütiger Haltung vor ihm stand, und auf dessen nichtssagenden Zügen man die Angst vor dem Zorn des anderen lesen konnte, »wir haben nun alles versucht. Mit dem Hengst ist nichts anzufangen! – Luiza,« er wandte sich zu dem jungen Mädchen »jetzt geht es Deinem Schützling doch an den Kragen!«

Bittend hob sie die Hände empor.

»Du kannst doch nicht ein so edles Tier töten, Vater!« klagte sie.

»Du bist unvernünftig, Luiza!« antwortete ihr Almares ernst. »Was nützt mir ein noch so edles Pferd, wenn es ein Verbrecher ist! Du weißt, ich habe auf Dein Bitten hin genug Geduld mit ihm gehabt. Es ist das Werk dieses ›edlen Tieres‹,« höhnte er »daß ›Pury‹ mit zwei gebrochenen Beinen da liegt. Dem alten Pferdekenner Franco hat er beinahe das Genick gebrochen, und Du kannst den Abdruck aller Zähne dieses Teufels in seinem Arm finden.

»Als ich versuchte, ihn zu besteigen, habe ich hinterher noch tagelang meine Knochen gefühlt. Hier, Viell ist seine Schulter ausgerenkt worden, und nur mit Mühe und Not hat er sich vor den Hufen dieses Satans retten können.

»Du mußt einsehen – wir können ihn nicht zähmen; also was sollen wir mit dem unnützen Fresser, der nur Schaden anstiftet?«

»Du hast recht, Vater,« mußte Luiza auf seine Anklage erwidern; ihre traurigen Augen hingen an dem Todgeweihten.

»Luiza,« Almares nahm ihre herunterhängende Hand und beugte sich zu ihr; er bemühte sich, so weich wie möglich zu sprechen, »ich würde ihm auch gern das Leben schenken und ihn jedem schenken, der mit diesem Teufel fertig wird.«

Luiza ließ die Achseln hängen; sie grübelte nach, wie dem Wildling noch zu helfen wäre.

Vor vier Wochen hatte ihn Henrique Almares aus Pernambuco mitgebracht. Der Mann, von dem er den Hengst erstanden, hatte ihn mit vielen preisenden Worten geschildert. Aber dieses brauchte er gar nicht; Almares sah trotz des abgemagerten, müden und ungepflegten Eindrucks, den der Hengst damals machte, seine edlen Linien. Gute Nahrung und Pflege würden ihn bald auf seine alte Leistungsfähigkeit bringen, dachte er und freute sich über den vorteilhaften Kauf. Er war stolz, einen so kostbaren Gaul erstanden zu haben.

Man ließ das Pferd die nächsten Tage ausruhen und pflegte es. Als man aber dann später versuchte, es zu zäumen und zu reiten, stellte es sich heraus, warum Almares es so billig hatte kaufen können. Der Hengst war ein Verbrecher. Er duldete keinen Reiter auf sich und gebärdete sich wie toll, wenn sich ihm ein Mann näherte. Mit Lassos hatten sie ihn schließlich einfangen und fesseln müssen, ehe es ihnen gelang, ihm einen Sattel überzuwerfen. Keiner hatte länger als eine Minute auf ihm gesessen! Der Erfolg war, daß niemand mehr Lust verspürte, den Hengst zu besteigen, Almares hatte es als zu gefährlich aufgegeben und darum das Todesurteil über den Hengst gesprochen.

Eben wollte er Luizas Arm nehmen und mit ihr fortgehen, als sie ein rhythmisches Hufgetrappel vernahmen. Es kam aus dem neben dem Hof der Fazenda gelegenen Wäldchen, das aus Rotholzbäumen bestand. Jetzt wurde der Hufschlag lauter und kräftiger. Ein harter, klirrender Laut, der Gaul verließ den Boden des Waldes und überquerte im Galopp den gepflasterten Hof der Fazenda.

»Das ist ›Chola‹!« rief Luiza.

Ein Ruf erschallte, den sie beantwortete.

»José kommt zurück!« wandte sie sich erklärend an Almares, der mit stolzem Augenleuchten den Heckenweg entlang sah, an dessen Biegung jetzt ein Pferd auftauchte.

Plötzlich verkleinerten sich seine Augen, er gewahrte hinter José einen zerlumpten Mann sitzen.

Als José ›Chola‹ verhielt, glitt Pedro gewandt vom Pferde. José folgte ihm und eilte zuerst in Luizas Arme, die zärtlich über sein erhitztes Gesicht strich, während sie den mit José gekommenen Mann musterte.

Ihr fielen sogleich seine blauen Augen auf, die, wie es ihr schien, mit einer seltenen Schärfe des Blicks die Gruppe vor sich musterten. In einer bescheidenen Haltung näherte er sich sodann Almares, in dem er wohl sofort den Herrn dieser Besitzung erkannt hatte. Diese unterwürfige Bescheidenheit schien Luiza in irgendeiner Weise nicht zu dem Manne zu passen; aufmerksam verfolgte sie den Verlauf der nun folgenden Unterredung.

»Senhor,« bittend näherte sich Pedro Almares »der junge Herr José nahm mich mit, ich wollte auf Eurer Fazenda um Arbeit bitten.«

»Hm!« scharf prüfend ging Almares Blick über Pedro hin. Seine Reitpeitsche klopfte herrisch an seinen Stiefelschaft. »Woher kommt Ihr?« Hochmütig klang die Frage.

»Aus Pernambuco, Senhor. Ich war bisher Teesammler, meine Firma machte pleite – ich wurde brotlos. In Pernambuco gab es keine neue Arbeit für mich, so viel ich auch suchte. Es sind jetzt schlechte Zeiten, Herr! – Schließlich machte ich mich auf, um auf einer Fazenda Arbeit zu suchen. Auch da wies man mich bisher überall ab.«

»Seit wann tragen Teesammler einen Revolver?« schnell und scharf fiel die Frage.

Doch Pedro wurde nicht verlegen; ebenso bescheiden wie vordem gab er Antwort: »Von meinem letzten Geld kaufte ich ihn mir. Ich wollte mir auf den Campos Nahrung damit schießen.«

»So – Ihr könnt also mit einem Revolver zum Beispiel ein Kaninchen schießen? – Da wäre wohl mehr eine Flinte am Platze als ...«

»Sie war mir zu teuer, Senhor,« fast demütig klang der Einwurf.

»Schon gut! Was könnt Ihr?«

»Ich war eine Zeitlang Weidereiter.«

»Wo?«

»Im Westen, Senhor.«

»Woher stammt Ihr, und wie heißt Ihr?«

»Mein Name ist Pedro. Ich bin in Montanez geboren. Mein Vater war Nordamerikaner, doch meine Mutter eine Mexikanerin.«

Fragen und Antworten waren bisher rasch nach einander gefallen. Nun entstand eine kleine Pause, in der Almares Pedro aufmerksam betrachtete. Plötzlich blitzte ein jäher Entschluß in seinen Augen auf.

»Ihr wart Weidereiter, Pedro? Könnt Ihr auch mit Pferden umgehen?«

»Gewiß, Senhor; ich lernte es im Westen.«

Bei der letzten Frage Henrique Almares' tastete Luizas kleine Hand unwillkürlich nach ihrem Herzen; sie verspürte plötzlich ein unvernünftig schnelles Herzklopfen. Sie fühlte, sie hatte Angst vor den kommenden Minuten; sie wollte etwas sagen – einwerfen, als Almares ihre Absicht erkannte und sie mit einer herrischen Kopfbewegung zurückhielt, sich hier einzumischen. Luiza ergab sich, sie kannte und fürchtete das hitzige Temperament Almares.

»Pedro,« die folgenden Worte sprach Almares langsam und betont »ich werde Euch nehmen, wenn Ihr eine kleine Prüfung besteht. Hier – seht den Gaul, er ist ein Verbrecher – keiner kann ihn reiten! Könnt Ihr zwei Minuten auf ihm sitzen, dann seid Ihr in meine Dienste genommen. Das ist meine Bedingung.«

Pedros Blick ging zu dem Hengst, der immer noch unverändert dastand. Plötzlich leuchtete es in seinem Gesicht auf; aber ebenso schnell verschwand der frohe Ausdruck wieder. Ruhig wandte er sich an Almares, der ihn lauernd beobachtete.

»Es ist gut, Senhor. Ich nehme die Prüfung an!«

Luiza horchte auf. Sie glaubte bestimmt, daß eben die Stimme des Fremden ganz anders geklungen hätte als vordem. Langsam fast schleppend hatte er gesprochen, was sie in ihrer Heimatsprache eigenartig anmutete. Schon einmal meinte sie so sprechen gehört zu haben. Es war ein Nordamerikaner gewesen, der so seine Worte gesetzt hatte, und merkwürdig fremd hatte der Ton in ihrem Ohr geklungen.

José hatte sich von ihr los gemacht und war an die Seite des Vaters geeilt. Luiza sah, daß sich Pedro mit leisen, vorsichtigen Schritten dem Hengst näherte. Aller Augen hingen an ihm: unschlüssig und angstvoll blieb sie auf der Stelle stehen.

Jetzt hatte er den Zaun erreicht. Nun begann er, leise zu pfeifen, um dann das Tier in amerikanischer Sprache anzurufen.

Noch stand der Hengst auf der gleichen Stelle, nur spielten jetzt seine kleinen Ohren aufmerksam hin und her. Plötzlich stieß Pedro einen gellenden, jubelnd klingenden Ruf aus. Heftig zuckte das Tier zusammen, es wirbelte auf seinen Hufen herum, dann warf es den kleinen Kopf hoch und wieherte laut auf. Es klang fast, als wolle er Pedro Antwort geben.

Wieder pfiff Pedro leise und redete weiter auf ihn ein. Erstaunt verfolgten alle Pedros seltsame Art. Josés strahlende Augen hingen an seinem neuen Freunde.

Die Ohren aufgerichtet – Angst in den Augen – hörte der Hengst den schmeichelnden, leisen Worten zu. Immer noch sprechend trat Pedro an die Tür der Einzäunung; hier hing ein leichtes Zaumzeug, das er mit einer schnellen Bewegung an sich nahm. Dann begann er langsam und vorsichtig die Tür zu öffnen, er ließ den Hengst keine Sekunde aus den Augen und sprach immer mit denselben weichen Lauten weiter.

Die Tür war offen, dem Hengst sanken die Ohren herab, seine Hufe stampften den Boden. Auf einmal erscholl zum zweiten Male derselbe gellende Ruf von Pedros Lippen, und wieder antwortete ihm das Pferd. Sogleich begann Pedro wieder mit ihm zu sprechen. Nun trat er näher und ging Schritt für Schritt auf den Hengst zu. Dieser beobachtete ihn; sanft schimmerten seine dunklen Augen; jetzt wieherte er dem näherkommenden Mann entgegen. Noch sprach Pedro ununterbrochen auf ihn ein, zwei Schritte vor ihm blieb er stehen und streckte seine Hand aus. Flach die Ohren an den Kopf gelegt, näherte der Hengst sein Maul der Hand. Es sah aus, als wolle er bösartig danach schnappen, doch als die Hand ruhig und, ohne zu zittern, ihm entgegengestreckt blieb, beschnupperte er sie scheu und mißtrauisch. Nun hob er den Kopf und sah den Mann erwartungsvoll an, der noch einen Schritt näher kam. Im ersten Augenblick sah es aus, als ob der Hengst sich auf ihn stürzen wolle, um ihn mit seinen Hufen zu zerstampfen oder herumwirbelnd Reißaus zu nehmen.

Allen, die erregt der Szene folgten, stockte der Atem. Doch jetzt ertönte wieder die schmeichelnde, schleppende Stimme Pedros. Den richtigen Augenblick zur Tat schien der Hengst verpaßt zu haben; so blieb er nun abwartend stehen. Schließlich streckte er den Kopf vor und beschnupperte den Mann vor sich, der es sich ruhig, ja beinahe gern gefallen zu lassen schien. Das Spiel gefiel dem Hengst, er wieherte kurz auf und packte mit seinen Zähnen den Ledergurt, an dem Pedro in einem Halfter den Revolver an der Seite trug. Aber nicht bösartig tat es das Tier, eher zärtlich und spielerisch.

Jetzt trat Pedro ganz nahe heran, sanft strich seine Hand über den Hals des edlen Tieres, das bei dieser Liebkosung ruhig still hielt; auch als Pedro die Arme um seinen Hals legte und seinen Kopf in die volle, schwarze Mähne vergrub, blieb es vollkommen ruhig. So blieben sie eine allen endlos dünkende Zeit stehen; weder Mann noch Pferd rührten sich.

Endlich lösten sich Pedros Arme, dabei faßte er leicht in die Mähne des Hengstes und begann vorwärts zu gehen; stolz und frei folgte ihm das Pferd. Er führte es aus der Einzäunung den Heckenweg entlang zum Hof.

Staunenden Auges, immer noch schweigend, folgten die Zuschauenden dem voranschreitenden Mann und dem folgenden Pferd.

Auf dem Hof blieb Pedro stehen; noch einmal fuhr seine Hand liebkosend über den Hals des Pferdes, dann hielt er ihm das Zaumzeug hin, das der Hengst aufmerksam beschnupperte. Als er nicht davor scheute, warf Pedro es ihm über; bereitwillig öffnete er auf Pedros Zureden das Maul und nahm den Zaum zwischen die Zähne. Jetzt legte Pedro seine Hand auf den Pferderücken, der eigenartige Ruf ertönte noch einmal, und im gleichen Augenblick saß er auf. Der Hengst stutzte, dann wieherte er ebenso jubelnd auf und sprang aus dem Stand im Galopp an und trug seinen Reiter fort.

Neben sich hörte Luiza ein Keuchen; es war Almares, der seiner Erregung jetzt Luft machen mußte.

»Fabelhaft! – Ein verflixter Kerl!« rief er.

»Der weiß mit Pferden umzugehen, nicht wahr, Vater?« jubelte José.

»Erstaunlich, ich habe so etwas noch nicht gesehen!« bestätigte Almares. »Was sagt Ihr dazu, Viell?« wandte er sich an seinen Verwalter, der mit neidischen Augen diesem Erfolg des hergelaufenen Vagabunden, wie er Pedro bei sich genannt, zugesehen hatte.

»Wenn der Gaul nur jetzt nicht auf Nimmerwiedersehen davon ist!« knurrte er mürrisch.

Eine Falte zwischen den Brauen und eine zornige Röte im Gesicht zeigte, wie sehr sich Almares über diese Antwort ärgerte, die die eben erlebten Minuten herunter setzen sollte.

Aber er bezwang sich, er wollte sich die Freude an dem Erlebten nicht verderben lassen; mit einer geringschätzigen Bewegung wandte er sich ab und Luiza zu.

»Und wenn der Kerl wirklich mit dem Gaul ausrückt, möchte ich doch nicht dieses Erlebnis missen!« sagte er noch ein wenig ärgerlich. Dann siegte aber sein Temperament.

»Luiza,« rief er begeistert »niemand von uns konnte den Teufel reiten und seiner Herr werden! Und dieser Fremde kommt her und macht das Kunststück mit ein paar Worten! – Ich bin so froh, daß ich den Hengst nicht erschießen lassen brauche!«

Dankbar und auch erregt drückte ihm Luiza die Hand. Viells Besorgnis stellte sich als verfehlt heraus, denn schon nach kürzester Zeit hörten die Wartenden heimkehrende Hufschläge.

In seiner graziösen, stolzen Art wandte sich José plötzlich dem Verwalter zu.

»Ich äußerte nichts zu Ihren Bedenken, Viell,« sagte er. »Ich wußte, ich brauchte meinen Freund nicht zu verteidigen, er ist kein gewöhnlicher Pferdedieb.« Sprach's und drehte sich mit der Würde eines spanischen Granden wieder um.

Stolz leuchtete aus den Augen seines Vaters, als er José freundlich zunickte; Luiza mußte ein wenig über Josés altkluge Art lachen.

In langsamem Trabe näherte sich Pedro der kleinen Gruppe. Man sah, daß der Hengst ihm vorbildlich gehorchte. Vor ihnen verhielt er ihn und glitt von ihm herab.

»Famos habt Ihr das gemacht, Pedro!« lobte ihn Almares aufrichtig. »Sagt, wo lerntet Ihr so gut mit Pferden umgehen?«

»Senhor, ich sah dem Hengst sogleich den früheren wilden Mustang an. Von Mustangjägern lernte ich im Westen, wie man solche Pferde zutraulich macht. Es war nicht allzu schwer für mich,« setzte Pedro bescheiden hinzu »da ich gleich sah, daß der Hengst schon gezähmt war. Sein Herr muß tot sein, einen solchen Gaul, wie es dieser ist, gibt man sonst nicht aus der Hand.«

Gedankenvoll nickte ihm Almares zu.

»Ich nehme Euch also in meine Dienste. – Viell,« der Verwalter eilte an seine Seite »teilt Pedro dem Franco zu.«

Eine unterwürfige Verbeugung war Viells Antwort, von der Almares keine Notiz mehr nahm; er schritt schon gefolgt von Luiza und José, der noch schnell Pedros Hand gedrückt hatte, einem großen, weißen Haus zu. Eine breite Treppe führte zu einem Absatz mit hohen, umrankten Säulen. Die Tür des Hauses stand offen.

Der Verwalter und Pedro sahen den Davonschreitenden nach.

»Kommt!«

Die Aufforderung wurde im mürrischen Tone an Pedro gerichtet. Den Hengst am Halfter folgte er Viell.

*

Im Hause nahm die kleine Familie in einem großen weißen Zimmer, das mit leichten Rohrstühlen ausgestattet war, an einem runden Tisch Platz. Die Fenster weit offen; dichte, feine Drahtgitter davor hinderten die Moskitos einzudringen. Frisch und wohnlich sah der Raum aus, in dem viele Topfgewächse standen.

Das Gesprächsthema beim Mittagessen drehte sich heute natürlich um das soeben Erlebte. José berichtete von seiner Begegnung mit Pedro, was ihm einen besorgten Vorwurf von Luiza einbrachte, weil er sich dem Fremden gegenüber, ohne etwas von ihm zu wissen, zu vertrauensselig gezeigt hatte. Doch José versuchte seine Schwester zu beruhigen, indem er lachend einen kleinen Revolver aus der Tasche zog und meinte, dieser hier wäre sein Beschützer.

Nach dem Essen erhob sich Almares sogleich, doch im Hinausschreiten wandte er sich noch einmal um.

»Luiza,« sagte er »ich habe heute mit Viell zu arbeiten. Wir wollen eine ungefähre Aufstellung vom Vieh machen. Ich habe nämlich Nachricht erhalten, daß wir in nächster Zeit Senhor Ordonez mit Frau zu Besuch erwarten können. Sieh doch einmal nach, ob die Gastzimmer in Ordnung sind.«

Mit diesen gleichgültig gesprochenen Worten ging er hinaus. Er ließ eine betretene Stille hinter sich zurück und sah auch nicht den Schatten, der bei seinen Worten über Luizas Gesicht glitt. Aber José sah ihn, seine kleine Hand legte sich schmeichelnd auf die ihre.

»Ich kann die Frau nicht leiden!« stieß er plötzlich leidenschaftlich aus.

Luiza erschrak. Sie richtete sich auf und schalt sich innerlich, sich so gehen gelassen zu haben, daß das Kind ihre Antipathie erraten haben mußte, und temperamentvoll, wie es war, sofort Partei ergriff.

»José,« wehrte sie ab »so spricht man nicht von einer Lady. Sie und Senhor Ordonez sind Vaters Gäste, und wir werden recht freundlich und höflich zu ihnen sein.«

Sie sah, daß er widersprechen wollte, denn er machte sein eigensinniges Gesicht; schnell lenkte sie ihn darum ab: »José, wo bleiben eigentlich die versprochenen Blumen, die Du für mich pflücken wolltest?«

»Oh, Luiza, über Pedro habe ich sie ganz vergessen!«

»Dann lauf jetzt schnell noch eine Stunde hinaus, aber halte Dich im Schatten. Nachher werde ich Dich rufen, wir wollen dann zusammen lesen.«

José ließ es sich nicht zweimal sagen; wie ein Wirbelwind stürzte er aus dem Zimmer.

Versonnen sah ihm Luiza nach. Mit aller Liebe, der sie fähig war, hing sie an dem kleinen Burschen. Er war ihr Ein und Alles und dankte es ihr mit gleicher Liebe.

Luiza blieb noch ein Weilchen sitzen. Ihr Blick streifte durch das Fenster; von hier aus übersah man den Hof. Sie liebte die Fazenda, die ihr eine zweite Heimat geworden war. Henrique Almares war nicht ihr richtiger Vater sondern ihr Stiefvater und José ihr Halbbruder. Luiza stammte aus der ersten Ehe ihrer Mutter, die gleich ihrem Manne, Nordamerikanerin gewesen und Luizas Vater nach Brasilien gefolgt war, wo er sich eine neue Heimat erobern wollte. Leß Carlton – so hieß ihr Vater – kaufte sich hier an. Doch er war dem Klima und den Anstrengungen nicht gewachsen; als Luiza zwei Jahre alt war, starb er.

Ihre Mutter war nun gezwungen, den kleinen Besitz zu verkaufen. Als Interessent erschien der reiche Henrique Almares. Der Verkauf unterblieb zwar, aber dafür heiratete er die junge Witwe. Nach Jahren, in denen Almares Luiza ein guter Vater geworden, wurde José geboren; doch die Geburt kostete der zarten Mutter das Leben. Neun Jahre war Luiza älter als José. Sie schloß den kleinen, halbverwaisten Bruder in ihr Herz und ersetzte ihm die fehlende Mutter. Diese Liebe für José dankte ihr Almares, der sie nie fühlen ließ, daß sie seine Stieftochter war; auch Luiza hing mit töchterlicher Liebe an ihm.

Niemals gab es eine Mißstimmung zwischen ihnen, immer herrschte ein gegenseitiges, liebevolles Verständnis; wenn Luizas stillere Art auch manchmal erschrak vor dem hitzigen Temperament ihres Stiefvaters. Da sie aber José gut kannte, wurde ihr auch Almares Wesen immer verständlicher.

Doch in den letzten drei Jahren gab es Tage, wo jeder seinen eigenen Weg zu gehen schien. Das war jedesmal der Fall, wenn Ordonez und Frau kamen. Vorher und nachher warf dieser Besuch seine Schatten auf ihr Zusammenleben.

Diese Menschen waren Luiza rätselhaft; sie kamen aus Pernambuco, wie sie erzählten. Ordonez schien Viehhändler zu sein, denn er kaufte Rinder und Pferde von Almares.

Wenn sie hier weilten, meinte Luiza, ihren Vater nicht wiederzuerkennen; so verändert war er. Aufgeregt und nervös gab er sich, und seine Augen hingen an Mercedes Ordonez mit einer Leidenschaft, vor der Luiza erschrak. Sie sah seinen brennenden Blick für diese Frau und bemerkte, wie diese ihr Spiel mit ihm trieb.

Mercedes Ordonez stieß Luiza ab; sie mußte sich manchmal direkt zwingen, höflich und zuvorkommend zu ihr zu sein, doch gab sich Mercedes ihr und José gegenüber stets freundlich. Anders war es schon mit Senhor Ordonez. Er war ihr noch weniger unsympathisch; darum vermied sie es auch mit ihm allein zu sein. Oft, wenn er sich unbeobachtet wähnte, bemerkte sie, wie seine Augen sie verfolgten, aber nichts Beleidigendes in seinem Blick lag, tat Luiza, als sähe sie nichts davon.

In diesen Tagen des Besuches entfernte sich Henrique Almares innerlich von seinen Kindern. Luiza merkte, er lebte dann nur für diese fremde Frau. So sah sie diesem bevorstehenden Besuch wieder ein wenig mit Grauen entgegen.

Doch nahm sie sich vor, sich diesmal besser in der Gewalt zu haben. Josés kindliche Unschuld durfte diesen Fremden gegenüber nicht verloren gehen; sie wußte, er würde leidenschaftlich Partei ergreifen, wenn er merkte, daß ihr diese Menschen unangenehm, ja beinahe unheimlich waren.

In Gedanken hörte sie José sagen, was er ihr oft abends, wenn sie allein waren, leidenschaftlich versichert hatte: ›Wen Du liebst, den liebe auch ich. Was mir gehört, gehört auch Dir. Wir Zwei sind unzertrennlich, nicht wahr, Blondchen?‹

Von Zärtlichkeit für José erfüllt warf Luiza energisch alle grübelnden Gedanken beiseite und stand auf, um den Tisch abzudecken.

Dann begab sie sich zur Küche, die dem Eßzimmer gegenüber lag. Zwei Frauen waren dort beschäftigt, die Luiza bei der Führung des Haushalts zur Hand gingen.

Luiza schlenderte durch die unteren Zimmer des Hauses, aber sie hatte keinen Blick für die Wohnlichkeit der Räume, zu altgewohnt war ihr der Anblick. Außer dem hellen Speisezimmer lagen auf dem gleichen Gang das Arbeitszimmer des Hausherrn, ein Wohnzimmer, dessen größter Schmuck ein Klavier bildete, und eine geschlossene Veranda. Oben lagen die Schlafräume der Familie und zwei Gastzimmer.

Hier und da an den umherstehenden Nippsachen im Wohnzimmer rückend, ging Luiza ein wenig gedankenverloren durch den Raum. Ihre Gedanken weilten jetzt bei dem heute angekommenen Weidereiter Pedro. Er hatte einen merkwürdigen Eindruck auf sie gemacht. Sie vergegenwärtigte sich seine zerlumpte und heruntergekommene Erscheinung; dazu paßte zwar seine bescheidene Haltung dem reichen Fazendero gegenüber. Doch seine Augen wollten ihr nicht dazu passen, und auch nicht sein selbstbewußtes Wesen, das er zeigte, als er es unternahm, das Pferd zu bändigen.

Außer ihren eigenen und denen ihrer Mutter hatte Luiza noch niemals blaue Augen bei einem Menschen gesehen. So kam es ganz von selbst, daß sie sich mit Pedro intensiver beschäftigte, als es ihr selbst bewußt war.

Ein Pfiff riß sie aus ihren Gedanken. Er kam von José, der seinen Hund rief, der ein Nachkomme der ehemals hier so gefürchteten Bluthunde war.

Luiza eilte aus dem Hause, um José zur Schulstunde zu holen. Vorläufig hatte sie es noch übernommen, ihn zu unterrichten. Später sollte er die Schule in Pernambuco besuchen, doch niemand von ihnen sprach darüber; alle schoben die Gedanken daran weit fort.

Zwischen den Truthühnern und einigen zahmen Wachteln fand sie José. Er erklärte gerade seinem aufmerksam zuhörenden Hunde die Vorzüge dieser Tiere. Luizas Kommen unterbrach den Unterricht.

Er lief ihr entgegen, und sie fing ihn in ihren Armen auf. Dann schlug sie einen Wettlauf zum Hause vor, der auch zwischen ihr, José und dem Hunde ausgetragen wurde, und in dem dieser Sieger blieb.

Drinnen ging es nun an die Schulbücher. Luiza war eine gute Lehrmeisterin, denn im Spiel brachte sie José alles bei, was ihn sehr bald gelangweilt hätte, wenn er trocken und schulmäßig hätte lernen müssen. Aber bei Luizas Art merkte er gar nicht, daß er hier wirkliche Arbeit leistete.

Später nach dem Abendbrot standen wie allabendlich die Pferde vor der Tür. Im Schritt ritt Henrique Almares, an seiner rechten Seite Luiza, links von ihm José, in den nahenden Abend hinein. Eine gute Stunde dauerte meistens dieser Ritt, und wenn sie dann nach Hause kamen, mußte José ins Bett.

Nachdem Luiza mit ihm gebetet, ließ sie ihre Tür zu seinem Zimmer halb offen stehen. Meistens las sie dann noch eine Stunde, ehe auch sie sich zur Ruhe begab.

Doch heute wurde nichts daraus, denn José mußte ihr immer wieder von neuem erzählen, was ihm bei der Zähmung des Hengstes alles aufgefallen war. Sein neuer Freund spukte ihm mächtig im Kopf umher.

Er gab nicht eher Ruhe, als bis Luiza schließlich auch ins Bett ging, die Tür anlehnte und ihre Lampe ausblies. Dann herrschte oben Ruhe.

Doch unten saß in dieser Nacht Henrique Almares noch lange in seinem Zimmer auf. Er arbeitete nicht; sein Blick ruhte auf einem kleinen Bild, das er in der Hand hielt.

Es stellte eine unerhört schöne und rassige Frau dar. Niemand ahnte, erst recht nicht Mercedes Ordonez, die das Original dieses Bildes war, daß er es einst heimlich von ihr gemacht hatte. Er wußte, daß sie es auf keinen Fall wünschen würde, und doch hätte er sich niemals von diesem Besitz trennen mögen.


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