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Siebentes Kapitel.

»In Bahia!« Langsam sprach Lefty den Namen der Stadt, in der er seit einem Tage weilte, vor sich hin.

Die Nacht senkte sich hernieder. Er saß vor einem Kaffeehause, wie es hier viele gab, und trank in kleinen Schlucken die Tasse aus, deren Inhalt schwarz wie die Nacht war.

Gestern war er hier angekommen und hatte sich gleich an Land rudern lassen. Am Kai langsam dahinschlendernd, sah er sich von einem der hier zu Dutzenden umherlungernden Strolche verfolgt und schließlich um eine Papyros angebettelt. Als er ihm, angewidert von dessen verwahrlostem Aussehen, schnell zwei, drei davon flüchtig hinwarf, hörte er ihn Dank sagen und nur für ihn hörbar »Arkansas« murmeln.

Trotz aller Geistesgegenwart wäre er beinahe entsetzt zurückgezuckt; sein Blick schärfte sich, kurz musterte er diesen Mann, der sich in nichts von einem der vielen Tagediebe unterschied. Fast unmerklich hatte er ihm zugenickt, worauf dieser unter Danksagungen verschwand.

Planlos war Lefty dann durch die Stadt gebummelt und hatte sich mit ihr bekannt gemacht. Sie war eine der südländischen, größeren Hafenstädte; neben schönen Gebäuden viel Schmutz, hier fiel seine Erscheinung nicht auf. Mancher abenteuerlichen Gestalt begegnete man, und keiner sah länger als unbedingt nötig den anderen an.

Nach einem guten Abendbrot, das er in einem Weinlokal einnahm, war er schließlich aus der Stadt hinausgeschlendert.

Außerhalb der Stadt hatte er Schritte hinter sich gehört; er blieb stehen und ließ den Wanderer in der Nacht an sich herankommen – es war der Strolch vom Morgen. Bescheiden blieb dieser vor Lefty stehen.

»Carlos!« stellte er sich leise vor.

Lefty hatte ihm die Hand gereicht, sein prüfender Blick musterte ihn scharf. Der Mann war bedeutend kleiner und schmaler als er selbst, aber jede seiner Bewegungen verrieten Gewandtheit und Vorsicht.

Ein schmales, gebräuntes Gesicht, daraus ein paar schwarze Augen ihn ehrlich und gerade ansahen. Aus seinen wechselnden Zügen sprach eine lebhafte, wache Intelligenz. Carlos gefiel Lefty auf den ersten Blick. Zusammen setzten sie nun ihren Weg fort, bis Lefty einen Platz gefunden zu haben glaubte, der ihm zum Übernachten geeignet vorkam; denn er verspürte den Wunsch, wieder einmal eine Nacht auf der blanken Erde zu schlafen, noch dazu bei diesem herrlich warmen Wetter.

Hier ließen sie sich nieder, und schnell war ein kleines, prasselndes Lagerfeuer gemacht. Wenn Carlos vielleicht ein eigentümliches Gefühl überfallen mochte, mit diesem ihm so geheimnisvoll geschilderten Reiter zusammen zu sein, so verriet er es doch durch keine Bewegung.

Schlafen taten beide in dieser Nacht nicht. Tief über Karten gebeugt, berichtete ihm Carlos flüsternd von Silvas letzten und auch von den weiter zurückliegenden Taten.

Als Carlos geendet, sah Lefty lange versonnen in die kleinen, flackernden Flammen und überdachte das soeben Gehörte. Dann nahm er die Karten wieder zur Hand; lange sah er nachdenklich darauf nieder. Schließlich wandte er sich an Carlos.

»Sagt mal, Carlos, ist es Euch niemals aufgefallen, daß Silva in den letzten Jahren schon in jedem Landstreifen seines sogenannten Bezirks vorübergehend aufgetaucht ist, nur in einem bestimmten Teile nicht?«

Betroffen sah ihn Carlos an. Nein, das war ihm noch nicht aufgefallen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, was diese Feststellung ausmachen sollte.

»Hier,« Leftys Finger fuhr über einen Teil der Karte »diesen Teil hat er bisher verschont, das bedeutet nach meiner Meinung, daß er dort in allernächster Zeit erscheinen wird, oder ...« Weiter sprach Lefty nicht; er starrte schon wieder gedankenvoll ins Feuer, während Carlos ihn neugierig und gespannt ansah.

»Carlos,« wandte er sich nach längerer Zeit an diesen »zu Füßen der Arcada de Triumpho wird mich zunächst mein Weg führen. Ihr werdet mit mir kommen, denn ich werde Euch gebrauchen können. Verschafft mir bis morgen folgendes ...« Nun bekam Carlos genaue Anordnungen. Einige Male sah er erstaunt auf, aber er äußerte nichts; genau merkte er sich, was ihm aufgetragen wurde. – Am nächsten Abend wollten sie sich dann an der gleichen Stelle wieder treffen. – – –

Lefty hatte seinen Kaffee ausgetrunken. Auf den Tisch neben die Tasse legte er Geld; dann verließ er das Kaffeehaus und ging langsam wie ein Bummelnder die Straße hinunter, um auf Umwegen wieder aus der Stadt zu gelangen.

Vorsichtig spähte er aus, ob er etwa einen Verfolger hinter sich habe. Als er sich vergewissert hatte, daß dies nicht der Fall war, setzte er sich nach dem verabredeten Treffplatz in Marsch.

Hier traf er Carlos schon an, der ihm mit einem selbstgefälligen Grinsen berichtete, daß er alles besorgt habe. Bevor sie nun an ihr gemeinsames Werk gingen, suchten sie sorgsam die Gegend ab. Erst als sie sicher waren, völlig unbeobachtet zu sein, ließen sie sich in der Nähe eines Gebüsches nieder.

Drei Stunden später verließen nicht nur einer sondern zwei Strolche die Lagerstelle. Einer davon trug ein kleines Bündel in der Hand.

Ihr Weg ging zu dem kleinen Bahnhof, der außerhalb der Stadt lag. Hier, nahe den Schienen verbrachten sie die Nacht; abwechselnd hielten sie Wache.

Als gegen Morgen der erste Zug ins Innere des Landes ging, saßen auf der offenen Plattform zwei völlig heruntergekommen aussehende Männer und rauchten unzählige Zigaretten.

*

Nichts als die weiten Campos sah der einsame Wanderer, der müde und langsam seinen Weg in der heißen Sonne ging. Am Horizont sah man sanft aufsteigende Hügelketten, die weiter fort zu dem immer steiler werdenden Gebirge führten.

Der Mann ließ sich schließlich in dem hohen Grase nieder und holte sich eine selbstgedrehte Zigarette unter dem Band seines durchlöcherten, breiten Strohhutes heraus. Eben so alt und verbraucht wie der Hut war auch sein Anzug. Ein graues Hemd stand offen über der Brust, er trug eine schwarze, sicher einmal elegant gewesene Hose, die, nun schon zerrissen, einen kläglichen Anblick bot.

Das Gesicht dieses Mannes war nicht uninteressant, schmal und braun; zwei blaue Augen schauten daraus scharf in die Welt hinaus; nur waren sie meist demütig unter den Augenlidern verborgen, wie es solch einem Bettelvolk zukommt. Tiefschwarze, glänzende Haare hatte der Mann, und in seinem linken Ohr blitzte eine kleine Goldplatte, ein Zeichen, daß er früher wohl einmal zur See gefahren war. Im ganzen machte er einen recht verwahrlosten Eindruck, aber auch den eines Mannes, der sich um nichts zu kümmern braucht. Er erntet nicht, er säet nicht, und der liebe Gott erhält ihn doch.

Lang ausgestreckt lag er im Grase und blinzelte halb verschlafen in die Sonnenstrahlen, plötzlich drückte er horchend sein Ohr an den Boden; er hörte dumpfe Hufschläge. Langsam und träge richtete er sich auf und beschattete mit der einen Hand seine Augen und forschte in die Richtung, aus der der Schall der Hufschläge ertönte.

Über die Campos näherte sich ein Reiter. Der Fremde stutzte, als er den Reiter erkennen konnte, dann ging ein Lachen über sein Gesicht, er richtete sich auf und winkte.

Nun verhielt der Reiter sein Pferd und forschte hinüber, dann ritt er auf ihn zu; kurz vor dem Fremden machte er halt.

»Was wollt Ihr, Cavalheiro?«

Diese Anrede fiel hochmütig aber nicht unfreundlich von den Lippen des Reiters, die in Anbetracht des zerlumpten Strolches merkwürdig klingen mochte, besonders, da sie von einem vielleicht neunjährigen Knaben kam.

Mancher hätte vielleicht gelacht, doch nicht dieser Strolch ernsthaft nahm er seinen durchlöcherten Hut ab, und mit einer Verbeugung sagte er: »Ich wollte Euch um Feuer für meine Papyros bitten, Senhor.«

Ernsthaft nickte der Knabe und holte aus seinem Anzug ein Präriefeuerzeug heraus, das er dem Fremden reichte, der es höflich dankend entgegennahm. Nachdem er sich bedient, streifte ein kurzer Blick den Knaben, dann holte er aus seinem Hut noch eine Zigarette hervor, die er dem jungen Herrn höflich anbot. Mit einer zierlichen Verbeugung und nach einem nochmaligen, prüfenden Blick auf den Fremden nahm dieser an und sprang mit einem leichten Sprung aus dem Sattel und stand vor dem Fremden, dem er kaum bis an die Brust reichte.

Verschiedenere Menschen, als es dieser Mann und dieser Knabe waren, konnte man sich nicht vorstellen; und doch ging eine Welle von Sympathie von einem zum anderen. – Gleich war nur ihr fast blauschwarzes Haar.

Schwarze Augen leuchteten aus dem Gesicht des Knaben, ein kleiner, herzförmiger Mund, eine schmale, leicht vibrierende Nase, und eine gewölbte Stirn machten das Gesicht zu einem feinen, aufgeweckten Knabengesicht. Sonst war der Junge nur mit dem einen Ausdruck ›drahtig‹ zu bezeichnen, besonders da sein Temperament ihm hell aus den Augen leuchtete.

Er zündete sich die Zigarette an, und man konnte merken, daß er nicht zum ersten Male rauchte; an sich nichts besonders Erstaunliches, da der Tabak ja hier zu Hause war. Graziös, mit über einander geschlagenen Beinen, ließ er sich auf den Erdboden nieder, der Mann folgte seinem Beispiel.

»Ich heiße José!« stellt sich der Knabe freimütig vor.

»Und ich Pedro!« sagte der Mann.

Damit war die Bekanntschaft gemacht. Pedro freute sich über den Knaben; er sah, wie dieser darauf brannte, ihn auszufragen; trotzdem unterdrückte er diesen Wunsch und gab sich somit wie ein Mann.

»Ihr befindet Euch auf der Fazenda meines Vaters« begann er ein Gespräch. »Nicht weit von hier weiden Rinderherden von uns. Dort kam ich her« erklärte er.

»Ob ich wohl Arbeit auf der Fazenda Eures Vaters finden werde?« fragte ihn der Fremde, der sich Pedro nannte.

Ein fragender, wohlwollender Blick streifte ihn aus den dunklen Augen. Sicher freute sich der Junge über das achtungsvolle ›Sie‹ Pedros, der ihn, den Knaben, als vollwertig zu betrachten schien.

»Für was haltet Ihr Euch geeignet, Pedro?«

Ein lächelndes Achselzucken war die Antwort; dann begann er langsam und gedehnt zu sprechen.

»Eigentlich ist mein Beruf Teesammler.« Hell leuchteten die Augen des Knaben auf; von diesem schweren und aufreibenden Beruf, der mitten im Urwald ausgeführt wurde, hatte er schon manche abenteuerliche Erzählung gehört.

»Doch« fuhr Pedro fort »hat leider die Firma, für die ich arbeitete, pleite gemacht. Nun bummle ich im Lande umher; ich hatte ein gutes Pferd, einen schönen, gestickten Sattel und alles, was dazu gehört; doch das verdammte Pharao hat mir alles genommen. Denn wißt, Senhor, ich besitze noch den Kinderglauben, daß man Reichtümer beim Spiel gewinnen kann. Ausgeplündert haben sie mich und schließlich hinausgeschmissen. Nun habe ich mich auf die Socken gemacht und suchte Arbeit, die mir erst einmal wieder auf die Beine helfen soll! Ich bin auch ein guter Weidereiter, man muß es nur einmal mit mir probieren.«

»Versucht es nur einmal bei uns, Pedro,« forderte ihn José auf. »Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr ja gleich mit mir kommen und –« er zögerte ein wenig, setzte dann aber doch tapfer fort: »ich will bei meinem Vater ein gutes Wort für Euch einlegen.«

»Ich danke Euch, Senhor!«

»Nennt mich nur José, Pedro!«

Freundlich nickte ihm Pedro zu; dann erhoben sie sich. José schwang sich in den Sattel und Pedro schritt neben dem Pferd her.

»Ihr seid für einen Matésucher ein schlechter Fußgänger, Pedro,« unterbrach der Knabe plötzlich das Schweigen.

Pedros Blick haftete am Boden.

»Meine Füße sind wund von den schweren Stiefeln« erwiderte er kurz.

Josés Blick ging zu den Stiefeln Pedros. Richtig, dessen Füße steckten in zwei schweren, kräftigen Reiterstiefeln mit großen Radsporen. José wußte, daß die Theesammler meistens barfuß oder mit Bastschuhen bekleidet gingen; er konnte sich vorstellen, daß nun dieses Gehen ungewohnt und nicht leicht für Pedro sein müsse. Plötzlich hielt er sein Pferd an.

»Pedro, meine ›Chola‹ kann uns leicht beide tragen. – Wenn Ihr auch groß seid, so seid Ihr doch sehr schlank. Kommt, springt hinter mir auf!«

Einen Augenblick schien Pedro zu zögern, dann aber sprang er, eine Hand leicht auf die Kruppe des Pferdes gestützt, mit einem eleganten Satz hinter José aufs Pferd.

Wohl bäumte sich ›Chola‹ auf, doch gleich hatte José sie wieder in seiner Gewalt, und fromm wie ein Lamm schritt ›Chola‹ mit ihrer doppelten Last vorwärts!

»Fein gemacht!« lobte José anerkennend seinen neuen Freund, über dessen Gesicht ein leichtes Lächeln ging.


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