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Elftes Kapitel.

Sechs kleine Hügel hoben und senkten sich in langsamer Anschwellung. Auf dem Rücken des größten Hügels stand Franco und blickte in die sich nach Osten erstreckende, weite Ebene. »Er kommt!« hörte man ihn auf einmal murmeln.

Für ein durchschnittliches Auge waren nur einige Pünktchen am Horizont erkennbar, doch Francos überscharfes Auge erkannte schon mehrere sich vorwärts bewegende Pferde. Er blieb so lange stehen, bis der kleine Zug, der aus drei Pferden bestand, und die Pedro, auf ›Black Night‹ reitend, vor sich hertrieb, bei ihm anlangte.

»Na –?« Spitz und ergrimmt kam es über Francos Lippen.

Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, sprang Pedro vom Pferde.

»Habt Ihr meinen Zettel gefunden?« fragte er.

Bissig musterte ihn der Alte.

»Euern Wisch habe ich gefunden. Ihr seid mir ein merkwürdiges Bürschchen, mein Lieber! Kaum dreh' ich den Rücken, um auf die Fazenda zu reiten, da passiert hier schon etwas. Wo seid Ihr denn gewesen, als der Hengst mit den beiden Stuten abging, he?! Habt Ihr geschlafen, oder habt Ihr wieder einen Eurer Spazierritte gemacht?

»Ich warne Euch, Pedro: Wenn Ihr meint, hier ein Ding drehen zu können, dann irrt Ihr Euch! Ich werde Euch verdammt auf die Finger sehen.«

»Aber, alter Franco, wenn das meine Absicht wäre, dann hätte ich doch jetzt die beste Gelegenheit dazu gehabt! Doch schimpft Euch nur aus, Ihr habt ja recht. Ich bin ein Träumer, und manchmal leidet es mich nicht in Gesellschaft; dann überfällt mich eine treibende Unruhe, ich achte nicht mehr auf meine Umgebung, und schon ist etwas passiert.«

Nach diesen Worten ging Pedro abseits und sattelte ›Black Night‹ ab. Mit offenem Munde sah ihm Franco nach. Eine solche Antwort hatte er noch von keinem Weidereiter erhalten, wenn er schimpfte. Meistens bekam er patzige, herausfordernde Antworten. Doch die Erklärung, die ihm Pedro eben gegeben, leuchtete ihm ein. Es war ihm, als ob dieser junge Kerl seine eigenen, schon oft gefühlten Gedanken in Worte gekleidet hätte. Der Zorn verrauchte. Still trieb Franco den fortgelaufenen Hengst zu den übrigen Pferden. Er sah nicht das versteckte Lächeln, das geheimnisvoll um Pedros Mund lag; sonst wäre der Alte wohl fuchsteufelswild geworden.

*

Am nächsten Morgen half Pedro Franco einige Pferde von der großen Herde sondern und in einen großen Pferch treiben. Diese wollte Almares heute besichtigen; er hatte sein Kommen angesagt.

Als er am Mittag eintraf, befanden sich Luiza und José in seiner Begleitung. José begrüßte Pedro herzlich; er hatte ihn lange Zeit nicht gesehen.

Pedros Blick ging verstohlen zu Luiza. Er dachte an die Begegnung im Garten. Ob sie wohl jemandem davon Mitteilung gemacht hatte? Umsonst suchte er ein Zeichen des Einverständnisses von ihr. Luiza aber tat, als ob sie seine Anwesenheit gar nicht bemerke. Sie stand bei ihrem Vater und Franco, der Almares Bericht erstattete.

Fünfzehnhundert Pferde nannte Henrique Almares sein eigen. Davon weideten hier dreihundert, das beste Material der Fazenda.

Auf einen Befehl von Almares schwang sich Pedro auf ›Black Night‹; er rollte sein Lasso auf und befestigte das eine Ende davon an seinem Sattelknauf, dann fing er mit Francos Hilfe ein Pferd nach dem anderen ein und führte es Almares vor.

Diese Arbeit war nichts Besonderes, doch weil sie nur von Zweien ausgeführt wurde und zwar so ruhig, ohne lautes Hussa und Halloh, machte sie auf Almares Eindruck.

»Sieh, Luiza, das nenne ich eine saubere Cowboyleistung,« äußerte er zu ihr und wandte sich dann an José. »Junge, schau Dir das an, so mußt Du auch einstmals arbeiten, bevor Du hier Herr spielen kannst.«

Ernsthaft nickte der Kleine, um mit noch größerer Aufmerksamkeit zuzusehen.

Später wurde eine Mittagspause eingelegt. In kleinen Geschirren hatte Luiza Essen mitgebracht. Almares kommandierte Pedro zu ihrer Hilfe ab. Luiza wollte abwehren, doch ihr fiel im Augenblick kein rechter Grund ein, seine Hilfe abzulehnen. So mußte sie es geschehen lassen, daß er Holz herbeischleppte und Feuer anmachte. Dann eilte er an den kleinen Fluß, der einer der vielen kleinen Nebenflüsse des Flores war; hier holte er frisches, kaltes Wasser. Nachdem er das Geschirr auf das Feuer gestellt hatte, war die Arbeit getan.

Nun hätte Pedro ruhig fortgehen können, doch er blieb neben Luiza stehen. Plötzlich faßte er sich ein Herz.

»Senhora Luiza, was denken Sie von mir?« redete er sie verzagt an.

So verlegen und schüchtern klang die Frage, daß Luiza unwillkürlich lächeln mußte.

»Das weiß ich selbst noch nicht, Pedro!« antwortete sie dann ernsthaft. »Wenn José Sie nicht so gern hätte und ich dem Jungen eine Enttäuschung ersparen möchte, dann wären Sie die längste Zeit auf der Fazenda gewesen. Ich weiß nicht, was Sie veranlaßte, um unser Haus zu schleichen; doch möchte ich Ihnen sagen, daß ich jedes Nachspionieren verächtlich finde.«

Luiza sah, daß eine schamvolle Glutwelle in Pedros Gesicht schlug. Im Augenblick tat er ihr leid, doch freute es sie auch wieder, daß ihre Worte solche Wirkung auf ihn haben konnten. Er seufzte auf.

»Senhora, ich kann mich nicht verteidigen, darum sind Ihre Worte wohl berechtigt. Ich muß sie also hinnehmen, denn vorlügen möchte ich Ihnen nichts. Jedenfalls danke ich Ihnen, daß Sie geschwiegen haben – für José natürlich,« setzte er schnell hinzu, als er ihren abweisenden Blick sah.

Luiza ließ sich am Feuer nieder, unwillkürlich schüttelte sie erstaunt ihren Kopf, als Pedro jetzt wie selbstverständlich sich neben sie setzte.

Unauffällig musterte sie ihn. Luiza gestand sich ein: trotz seiner mehr als schlechten Kleidung sah dieser Mann gut aus mit seinen blauen, blitzenden Augen und dem schmal geschnittenen Gesicht. Immer wohlgefälliger ruhte ihr Blick auf ihm. Ihr kamen auf einmal ganz sonderbare Gedanken. Stand sie eigentlich so viel höher als Pedro? Sie war bisher gewohnt gewesen, mit Almares' Augen zu sehen. War ihr eigener Vater nicht auch einst ein einfacher Weidereiter gewesen, ehe er sich das Geld ersparen konnte, um mit ihrer Mutter aus Arkansas auszuziehen und hier sein Glück zu versuchen?

»Pedro,« bat sie plötzlich aus ihren Gedanken heraus »erzählt mir doch wieder von Arkansas. Seitdem Ihr mir davon gesprochen, geht mir Eure Schilderung von diesem Lande nicht mehr aus dem Kopf. Ich glaube, ich sehne mich nach der Heimat meiner Mutter.«

»Eure Mutter stammte aus Arkansas?« fragte wißbegierig Pedro.

»Ja, Pedro, auch mein Vater war Nordamerikaner, ich heiße eigentlich Luiza Carlton. Senhor Almares ist der zweite Mann meiner Mutter, mein Stiefvater.«

Das waren Neuigkeiten, die Pedro da hörte; sie erregten ihn seltsam.

»Gern erzähle ich Euch von Arkansas, Miß Luiza.« Luiza horchte erstaunt der neuen Anrede nach, doch mißfiel sie ihr nicht. »Auch ich sehne mich nach dort,« sagte er, und nun schöpfte Pedro aus dem Quell seiner Heimatliebe und breitete sie vor Luiza aus. Den Kopf tief gesenkt hörte sie ihm zu; irgendetwas in seinem Bericht erschütterte sie; Stunden hätte sie ihm lauschen können.

Als sie fernes Hufgetrappel vernahmen, schwieg Pedro. Luiza reichte ihm ihre Hand.

»Pedro, diese Stunde mit Euch werde ich niemals vergessen.«

Plötzlich errötete sie, denn Pedro hatte ihre kleine Hand an die Lippen gezogen. Auch Carrasco hatte ihr schon die Hand geküßt, doch ihm hatte sie ihre Hand unwillig, ja beinahe unhöflich entzogen. Bei Pedro kam ihr nicht der Gedanke; ruhig überließ sie ihm ihre Hand.

Pedro stand auf; mit dem kurzen, unbeholfenen Schritt des Reiters entfernte er sich und trat zu ›Black Night‹. Er fühlte nicht Luizas Blick, der ihm folgte.

In ihm war ein Sturm der Gefühle erwacht. Er ahnte selbst nicht, was ihn veranlaßt hatte, Luizas Hand an die Lippen zu ziehen. Er wußte, daß er gegen die hier herrschende Sitte verstoßen und sich Luiza damit genähert hatte.

Das durfte nicht sein! Er war nicht frei und gehörte sich nicht selbst. Er versprach sich, von nun ab sich besser in der Hand zu haben, doch eine schmerzliche Müdigkeit überfiel ihn.

Durch Josés Ankunft wurde er aus seinen Gedanken gerissen; dieser wollte jetzt so viel von ihm wissen, daß er seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahm.

Nach der kurzen Mittagsrast begann wieder die Arbeit. Almares trug die von ihm ausgewählten Pferde in ein Buch ein, und diese blieben im Pferch, während die anderen wieder zu ihren Gefährten getrieben wurden.

Plötzlich kam José, der bisher die nicht ausgesuchten Tiere fortgetrieben hatte, auf seinem Pferd angeprescht.

»Vater,« rief er schon von weitem »dort kommen Reiter.« Er deutete mit seiner Hand nach Westen; alle folgten seiner angegebenen Richtung. Richtig, dort tauchten mehrere Reiter auf.

Almares steckte sein Buch ein und schwang sich auf sein Pferd, Luiza folgte seinem Beispiel. So erwarteten sie die Ankommenden. Plötzlich fuhr Almares herum.

»Es ist Ordonez und Carrasco. Was wollen die?«

Luiza zuckte mit den Achseln.

Capitän Carrasco winkte ihnen schon von weitem lebhaft zu. In einer eleganten Pièce sausten sie heran; erst kurz vor Almares parierten sie ihre Pferde durch und grüßten höflich zu Luiza hin. Hinter ihnen hielten sechs Leute.

»Senhor Ordonez, ich bin sehr befremdet, Sie gegen unsere Abmachung jetzt schon hier zu sehen.« Hochmütig fielen die Worte von Almares.

Capitän Carrasco blickte Ordonez erwartungsvoll an; er dachte wohl, daß dieser Almares scharf zurückweisen würde, doch ruhig, ohne daß sich sein Gesicht verzog, antwortete er: »Es tut mir leid, Senhor Almares, daß ich mich nicht an unsere Abmachung halten konnte. Es sind Umstände eingetreten, die mich veranlaßten, von meinem bisherigen Geschäftsprinzip, die von Euch gekauften Tiere mir auf halbem Wege nach Pernambuco entgegenzubringen, abweichen mußte. Ich brauche sofort frische und schnelle Pferde, die Rinder könnt Ihr mir später nach altem Abkommen liefern.«

Almares nickte mit dem Kopf. Jetzt ritt Carrasco heran und begrüßte fast allzu untertänig Luiza.

Ordonez ritt mit Almares auf die Seite; gleich darauf folgte ihnen, nach einigen Komplimenten an Luiza, Carrasco.

Die mitgekommenen Leute stiegen nun von ihren Pferden. Sie gaben sich nicht vertraulich und kameradschaftlich wie andere Cowboys sondern blieben abgesondert von Pedro und Franco halten.

Der alte Franco seinerseits dachte gar nicht daran, die Gesellschaft der fremden Cowboys zu suchen, und Pedro fühlte auch keine Veranlassung dazu. Er hörte nur den Alten etwas murmeln; es klang so ähnlich wie: hochnäsige Gesellschaft.

Auch Luiza blieb in Francos und Pedros Nähe. Sie war vom Pferd gestiegen und lehnte wartend am Sattel.

Pedro beobachtete unbemerkt die Gruppe, die aus Almares, Ordonez und Carrasco bestand. Er sah Ordonez erzählen, worauf sich Almares' Gesicht verfinsterte. Darauf sprach Carrasco längere Zeit; heftige Handbewegungen begleiteten seine lebhafte Rede.

Plötzlich tauchte José neben Franco auf, der jetzt neben Pedro stand, um wohl so den Fremden gegenüber die Zusammengehörigkeit mit ihm zu betonen.

»Franco,« flüsterte der Knabe aufgeregt »kennt Ihr einen ›reitenden Tod‹?«

In diesem Augenblick trat auch Luiza hinzu; so hörte sie, was José fragte.

»Wie kommst Du zu diesem unheimlichen Namen?« fragte sie entsetzt; unwillkürlich sprach sie auch leise. José wurde rot.

»Ich hörte den Namen eben von Ordonez, auch Carrasco sprach von ihm, und beiden schien dieser Name unangenehm.«

»Pfui, José, Du hast gehorcht?« Mit sanftem Vorwurf fragte Luiza.

»Nein!« flammte José auf. »Ich hielt von niemandem zu übersehen drei Pferdelängen vom Vater. Kann ich dafür, wenn ich etwas von dem Gespräch vernahm?«

Luiza strich über Josés erhitztes Gesicht.

»Nein, mein Lieber, es ist gut!«

»Franco, kennt Ihr den Namen?« drängte der Knabe den Alten.

»Der ›reitende Tod‹ ...?« sann der Alte. Er fuhr sich gedankenschwer über seine Stirn. »Wart' mal, José; es ist mir, als ob ich schon irgendwo diesen Namen hörte.« Langsam und zögernd sprach er; man merkte, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten begann. »Auf einer meiner vielen Reisen, José,« begann er langsam »habe ich diesen Namen gehört; jetzt fallen mir auch die Einzelheiten wieder ein. Es war in Nordamerika, als ich von ihm hörte; Jahre sind es her. Damals spukte dieser Name in vieler Leute Köpfe. Ein verwegener Reiter soll es sein, ein Töter. José,« plötzlich packte der Alte José heftig an den Schultern »sprich, was hörtest Du?«

»Nichts Genaues, Franco!« fast ängstlich und erschrocken antwortete der Knabe. »Ich glaube nur vernommen zu haben, daß er hier aufgetaucht sein soll.«

»José, mein guter Junge!« Francos Hand strich streichelnd über Josés Haar, und plötzlich zitterte die sonst noch so rüstige Hand; sein besorgter Blick streifte seinen Herrn Henrique Almares. »Schweig über das, was Du hörtest. Laß diesen Namen niemals wieder über Deine Lippen kommen. Vergiß ihn! Es ist besser für uns alle,« stieß er aus.

Befremdet über das ungewöhnliche Wesen des Alten schaute Luiza Franco an. Sie kannte ihn schon so lange, doch noch niemals hatte sie ihn so gesehen. Trotz der Nachmittagssonne durchschauerte es sie plötzlich. Sie zog José heftig an sich.

»José,« flüsterte sie dicht an seinem Ohr »frage nicht weiter; doch tue, was Dir Franco geheißen.«

Aufmerksam, aber sich zurückhaltend, war Pedro der Szene gefolgt; nun sah er plötzlich Josés Augen fragend auf sich gerichtet. Er trat an ihn heran und nahm seine Hand.

»José, folge immer Deiner Schwester, sie meint es am besten mit Dir!« Wie ihm diese Worte gekommen, und warum er sich hier einmischte, darüber gab sich Pedro keine Rechenschaft. Er sah des Knaben Augen aufleuchten. Stolz richtete sich dieser auf.

»Luiza, Du kannst Dich auf mich verlassen!«

Erstaunt sah Luiza die Macht, die Pedro über José besaß. So schnell José das eben Erlebte vergessen mochte, Luiza würde es nicht wieder vergessen. Sie bemerkte nicht mehr die leuchtende, wärmespendende Sonne am Himmel; sie fühlte schwere Wolken sich am Horizont zusammenballen. Ihr Herz wurde ihr auch nicht leichter, als bald darauf Almares mit Ordonez und Carrasco zu ihr zurückkehrten. Sie beobachtete jetzt mit verschärften Blicken und sah eine scharfe Falte zwischen Almares Augen stehen. Am liebsten wäre sie zu ihm geeilt und hätte ihn nach seinen Sorgen gefragt, doch die Scheu, nicht verstanden zu werden, hielt sie davon ab, ihrem Herzen zu folgen. Der einzige, der ihren Kampf bemerkte, war Pedro, und auch zwischen seinen Brauen stand eine steile Falte.

Das Geschäft wickelte sich nun schnell ab. Die von Almares vorher ausgesuchten Tiere wurden den fremden Boys übergeben, dann ritten alle gemeinsam fort. Doch erst verabschiedeten sich Luiza und José von Franco und Pedro und reichten beiden freundlich die Hand.

Pedro übersah nicht das hochmütige Gesicht, das Carrasco beim Anblick dieses Abschieds aufzustecken beliebte.

Franco und Pedro blieben allein zurück. Der Alte war heute und in den nächsten Tagen womöglich noch schweigsamer als sonst; doch Pedro störte es nicht.


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