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Fünfzehntes Kapitel.

Wochen waren seitdem vergangen; es schien, als ob alles im alten Gleise ging. Nur Luiza war verändert, wie José mürrisch feststellte. Sie tollte jetzt gar nicht mehr so unbekümmert mit ihm; viel stiller war sie geworden. Manchmal ertappte José sie dabei, daß sie, ohne auf ihre Umgebung zu achten, vor sich hinträumte. Das war aber auch ihre einzige Veränderung; sonst widmete sie sich José mehr noch als sonst. Er durfte aber zu seinem größten Leidwesen nicht mehr allein ausreiten; und auch Luiza hielt sich stets in der Nähe des Hofes auf.

Pedro begegnete sie fast nie; sie meinte sogar bemerkt zu haben, daß er ihr auswich. Es erstaunte sie zwar, doch dachte sie nicht weiter darüber nach und vermied nun auch ihrerseits jede Begegnung mit ihm.

Weit wies Pedro von sich, was er als Lefty Coolper getan. Und doch weilten seine Gedanken immer wieder bei Luiza ... Aber noch etwas anderes beschäftigte ihn seit kurzem sehr.

Auf einem seiner letzten Ritte stieß Carlos auf Carrascos neuen Offizier Paulo de Viera. In ihm erkannte er einen alten Schulkameraden wieder. Da dieser sich gerade allein befunden, hatte er sich ihm zu nähern gewagt.

Paulo de Vieras Freude, Carlos wiederzusehen, schien aufrichtig zu sein. Sie kamen ins Plaudern, und de Viera klagte, daß er sich auf seinem neuen Posten nicht wohl fühle.

Carlos versuchte daraufhin, ihn auszuhorchen. Auf seine Fragen stellte sich heraus, daß Vieras Unzufriedenheit mit seiner Stellung, die ihm Capitän Carrasco, sein Vorgesetzter, gab, zusammenhing. Er klagte, daß er Carrascos Vertrauen nicht besäße, und daß es darum ein schweres Arbeiten für ihn hier wäre. Carlos war immer nachdenklicher geworden; er wußte ja, was für ein Mann Carrasco war. Schließlich fiel Viera seine Schweigsamkeit auf, plötzlich platzte er heraus: »Nun sag mir aber einmal, Carlos, was machst Du hier eigentlich in unserer Gegend?! So viel ich weiß, bist Du doch im Geheimdienst der Staatspolizei ein ziemlich hohes Tier ...?«

Darauf hatte Carlos ihm ernst die Hand auf die Schulter gelegt.

»Paulo,« hatte er zu ihm gesagt »Du wirst gegen jedermann schweigen, daß Du mich hier getroffen hast. Das wird Dir wohl um so leichter fallen, da mich in Floresta niemand kennt. Aber in vier Tagen wirst Du um dieselbe Zeit hier wieder erscheinen. Kommst du nicht als mein Freund, so gebe ich Dir den Befehl dazu. – Junge,« hatte er noch in freundschaftlichem Ton hinzugesetzt »ich weiß, Du bist ehrgeizig, und ich sichere Dir zu, daß Du Dein Glück machen kannst, wenn Du jetzt ein bißchen geschickt bist.«

Dies hatte Carlos beim letzten Zusammensein Lefty erzählt; heute war nun der vereinbarte Tag.

Wieder sah der grauende Morgen Pedro dem Gebirge zueilen, doch heute kam ihm schon Carlos entgegen. Schnell geschah die Umwandlung, was nicht immer leicht war, da Lefty sich stets der unangenehmen und zwei Stunden dauernden Prozedur des Haarfärbens unterziehen mußte. Aber für seine Sicherheit war es unumgänglich nötig.

Fertig eilten sie der verabredeten Stelle zu.

Schon von weitem sahen sie Paulo de Viera, der im Flores sein Pferd tränkte; die Ufer des Flusses umrahmten hier hohes Weidengebüsch und vereinzelte Pappeln. Als er die Reiter bemerkte, stieg er das Ufer empor.

Carlos sah, daß Paulo de Viera erblaßte und Lefty mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Als sie bei ihm angekommen von ihren Pferden sprangen, murmelte er entsetzt: »Der ›reitende Tod‹ –!« Verwirrt fuhr er sich dabei mit der Hand über die Stirn.

Auch er hatte schon von dem schwarzen Reiter gehört, der hier in dieser Gegend sein Wesen trieb. Die Kunde von ihm war von Mund zu Mund geeilt. Die Rettung eines Ortes durch ihn war nicht unbekannt geblieben, und schon bemächtigte sich seiner die Volkslegende.

Aufmunternd und ein wenig beruhigend nickte Carlos seinem Freund zu.

Mit seinen kurzen, ein wenig unbeholfenen Schritten ging Lefty auf Paulo de Viera zu, der unwillkürlich einen Schritt zurückwich; darauf blieb Lefty stehen.

»Paulo de Viera,« redete er ihn an, und schleppend klang seine Stimme, »Senhor Carlos teilte mir mit, daß Ihr ein früherer Freund von ihm seid und er Euch für einen zuverlässigen Mann hält. Ihr seid erst seit kurzem hier; als Ihr eintraft, brachtet Ihr eine geheime Order für Euren Capitän mit. Kennt Ihr ihren Inhalt?«

»Jawohl, Senhor. Alle Offiziere mußten damit bekannt gemacht werden!« heiser klang Vieras Stimme.

»Nun gut, dann seht Euch diese Papiere einmal an.«

Lefty reichte ihm eine kleine Ledertasche, die Viera ehrfurchtsvoll entgegennahm, um sich in die darin befindlichen Papiere zu vertiefen. Mit einer Verbeugung reichte er sie Lefty zurück; salutierend sagte er dann:

»Ich stehe zu Eurer Verfügung!«

»Ich danke!«

Lefty ließ sich nieder. Auf seine Aufforderung hin nahmen Carlos und Viera neben ihm Platz.

Paulo de Viera war schlau; er äußerte nichts über sein Erstaunen, daß dieser Mann da sich an ihn, den untergebenen Offizier und nicht an seinen Vorgesetzten Capitän Carrasco wandte.

Wie der Blitz kam auf einmal die Frage von Lefty: »Warum seid Ihr hier mit Eurem Posten unzufrieden, Viera?«

Bevor er antwortete, überlegte sich Viera seine Worte, das mißfiel Lefty nicht.

»Es hat mehrere Gründe, Senhor: Ich fühle, Capitän Carrasco schenkt mir nicht sein Vertrauen; deshalb gibt es kein gutes Zusammenarbeiten, wie es wohl auf einem so vorgeschobenen Posten im Lande sein müßte. Er hat Geheimnisse vor mir, das ist der eine Grund. Der andere ist: Pambu! Silvas Bande hat Pambu angegriffen und fürchterlich darin gehaust. Anstatt, daß nun die Nachforschungen eifrig betrieben werden, wird die Angelegenheit von Carrasco nur sehr lax behandelt. Als ich daraufhin eine Andeutung zu machen wagte, wurde ich ironisch mit den Worten abgewiesen: ich solle mir hier erst einmal meine Sporen verdienen, ehe ich ihm ungefragt Rat erteilen wolle. Seit diesem Tage ist unser Verhältnis ein gespanntes geworden. Ich merke deutlich, wie er mich kaltzustellen versucht; ich kann mich nicht dagegen wehren, denn er ist mein Vorgesetzter. Jetzt zum Beispiel wieder –« Paulo de Viera unterbrach sich, er schaute nachdenklich vor sich hin.

»Nun –?« forderte ihn Lefty zum Weitersprechen auf.

»Ach, es hat nichts damit zu tun, Senhor,« wehrte Viera ab. »Nur – manchmal sind mir Capitän Carrascos Handlungen unverständlich, da er es nicht für nötig hält, sie mir zu erklären oder mich in seine Pläne einzuweihen.«

»Sprechen Sie, nichts ist ohne Bedeutung.«

Nach minutenlangem Zögern richtete sich Paulo de Viera entschlossen auf.

»Vor kurzer Zeit hat Capitän Carrasco von der Regierung in Pernambuco neue Munition angefordert, darunter diesmal sogar mehrere Maschinengewehre. An sich ist das ja nichts Erstaunliches, nur – ich weiß, wieviel Munition wir noch haben, für unsere Truppe, die hier liegt, ist noch für Monate genug vorhanden. Also, wenn wir nicht Verstärkung erhalten und einen großen Schlag gegen die Bande führen wollen, dessen Pläne vorläufig vielleicht nur Carrasco kennt, wozu dann die viele Munition? Ich habe Carrasco gegenüber keine Äußerung von meinem Erstaunen gemacht, denn ich hatte an der ersten Lehre genug, die er mir gab, als ich mich ungefragt in etwas zu mischen wagte.«

Erstaunt sahen sich Lefty und Carlos bei dieser Nachricht an. Was sollte das heißen? Daß Carrasco nicht unbegründet Munition anforderte, war ihnen sofort klar.

Leftys Kopf sank herunter; er versank in grübelndes Nachdenken. So erinnerte sich Carlos, ihn schon einmal gesehen zu haben: damals am Lagerfeuer in Bahia, bevor Lefty seine Absicht kund gegeben hatte, hierher zu reiten. Als Paulo de Viera die Stille unterbrechen wollte, winkte ihm Carlos mit den Augen zu, zu schweigen.

Eine endlose Zeit verstrich, ehe Lefty plötzlich seinen Kopf hob. Er hatte noch den grübelnden Schein in den Augen, als er sich zu Carlos wandte.

»Carlos,« langsam und schwer fielen die Worte von seinen Lippen »ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen und bin gewillt, meinem Gedankengang zu folgen, vielleicht stellt es sich wieder als richtig heraus –!

»Seid Ihr in Pernambuco bei maßgebenden Persönlichkeiten bekannt und habt Ihr dort Einfluß auf sie, Carlos?«

»Ja, Senhor. Besonders, wenn ich sage, daß ich auf Euren Befehl komme.«

»Gut; dann hört zu! Ihr brecht sofort dorthin auf und wendet Euch durch diese Leute an das Militärkommando. Capitän Carrascos Forderungen müssen unter allen Umständen bewilligt werden.«

»Paulo de Viera,« unterbrach sich Lefty plötzlich »unter welchen Sicherheitsmaßnahmen wird ein so wichtiger Transport erwartet?«

»Wir bekommen geheime Nachricht nach Floresta, wenn der Transport von Pernambuco abgeht. Der Weg, den dieser nimmt, wird uns genau angegeben, und auch wieviel Leute ihn begleiten.

»Da so ein Transport die größeren Orte möglichst umgeht, um nicht Aufsehen zu erregen, und da er nur nachts weitergeht, kommt er nur langsam vorwärts, weil er einige Umwege machen muß. An einem bestimmten Tage muß er dann bei uns eintreffen.«

Lefty nickte bestätigend mit dem Kopfe zu Vieras Worten.

»Daß es so gehandhabt wird, habe ich mir gedacht, es bestärkt mich in meinem Verdacht,« setzte er leise wie für sich hinzu. »Also Carlos,« wandte er sich wieder an diesen, der ihm jetzt aufmerksam zuhörte, »genau so einen Bericht, wie ihn Capitän Carrasco erhält, muß ich auch bekommen, Ihr müßt ihn mir bringen. Macht alles genau dort ab. Laßt aber zehn Leute mehr, als Carrasco gegenüber angegeben wird, den Zug begleiten. Macht mit ihnen ab, wo wir – das heißt Ihr, Carlos, und ich – mit dem Transport zusammentreffen werden. Doch muß es geschehen, bevor er Carrascos Gebiet betritt.«

Carlos Augen blitzten auf, jetzt glaubte er Leftys Gedanken zu erraten. Impulsiv streckte er seine Hand aus und drückte heftig die Leftys.

»Nun kommt das Schwierigste!« Lefty machte ein saures Gesicht und rieb sich verlegen das Ohr. »Gebt mir Papier und Feder, ich möchte einen schriftlichen Bericht über meine Absichten aufsetzen. Carlos, Ihr nehmt ihn mit nach Pernambuco und schickt ihn von dort ab.«

Carlos fühlte sich in eine so freudige, tatenlustige Laune versetzt wie lange nicht. Lachend reichte er Lefty das Gewünschte.

Nur langsam ging diese ungewohnte Arbeit des Schreibens vonstatten, man sah, wie schwer sie Lefty fiel. Endlich war auch sie erledigt, mit erwärmtem Harz wurde das Schreiben versiegelt; dann bekam es Carlos. Die Anschrift war an Senhor Orfila in Rio de Janeiro gerichtet.

Nun erhob sich Lefty.

»Lebt wohl, Carlos, und beeilt Euch! Ich reise nun allein in unser Tal zurück. Und Ihr, Viera, schweigt über das, was Ihr hier hörtet. Solltet Ihr aber Neues erfahren, dann kommt auf die Fazenda von Almares, und setzt Euch heimlich mit dem Weidereiter Pedro in Verbindung. Er wird Euch zu mir führen.«

Wie vor einem hohen Vorgesetzten stand Viera stramm, seine Augen strahlten vor Begeisterung, als der schwarze Reiter ihm freundschaftlich die Hand reichte.

Dann trennten sie sich; Paulo begleitete Carlos noch ein Stück Weg; ihr Gesprächsthema bildete der geheimnisvolle Reiter. Paulo erzählte, was für Gerüchte schon von ihm umgingen. Carlos widersprach dem nicht, mit einem feinen Lächeln sah er vor sich hin. Als er sich von Paulo verabschiedete, legte er ihm nochmals in seinem eigenen Interesse unbedingtes Schweigen auf.


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