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Sechzehntes Kapitel.

Tage waren seit Carlos Abreise vergangen. Pedro tat, was er wollte. Dieses war Viell, dem Verwalter, schon lange ein Dorn im Auge. Doch mit Almares war darüber nicht zu reden. Er winkte ab, wenn Viell auf Pedro zu sprechen kommen wollte, und als er einmal dieserhalb beim alten Franco antippte, kam er auch nicht gut an.

So kam Viell schließlich dazu, sich nicht mehr um Pedros Tun und Lassen zu kümmern. Dieser unnütze Esser, wie er ihn bei sich nannte, konnte nun seinetwegen machen, was er wollte.

Lefty hatte es sich anders eingerichtet; sein Pferd und seine schwarze Ausrüstung hielt er in einem der Fazenda näher gelegenen Seitental des Gebirges versteckt. Wenn er auch befürchten mußte, daß sein Pferd dort leichter entdeckt werden könnte, so mußte er es doch darauf ankommen lassen, der Weg zu dem alten Tal war ihm zu weit geworden, er nahm ihm zu viel von seiner Zeit. So viel er auch in der Gegend umherstreifte, dabei immer vorsichtig jede Begegnung mit Weidereitern vermeidend, war es ihm doch nicht gelungen, irgendjemanden von der Bande zu Gesicht zu bekommen. Auch keine Spur, so viel er auch suchte, zeigte ihm, wo das Versteck der Silva-Bande liegen könnte. Er wäre an seiner Aufgabe verzweifelt, wenn er sich nicht von dem Munitionstransport viel versprochen hätte.

Seine Nachforschungen litten darunter, daß er letzten Endes kein freier Mann war. Er mußte immer wieder als Pedro auf die Fazenda zurückkehren und verlor dadurch viel Zeit.

Er hätte ja seinen Posten aufgeben und eines Tages einfach nicht wieder auf die Fazenda zurückkehren brauchen, doch liefen hier alle Fäden zusammen und dann – Luiza! Sprach er auch tagelang kein Wort mit ihr und wenn schon, so nur gleichgültige Sachen; aber er bekam sie doch jeden Tag zu Gesicht, und das mußte ihm vorläufig genügen. Auch hatte er sie so unter seinen Augen und konnte ihr Schutz gewähren.

*

Bald war es Mittag. Pedro kam vom Korral den Heckenweg entlang, als er klirrenden Hufschlag vernahm. Er trat auf den Hof und sah vor dem Hause einen staubbedeckten, fremden Reiter vom Pferde springen. Bei seinem Anblick stutzte Pedro. Mehrere Gedanken zugleich jagten durch sein Gehirn. Als nun der Fremde die Stufen des Hauses ohne weiteres hinaufeilte, folgte ihm Pedro. Irgendwie würde er seine Anwesenheit im Hause schon erklären, dachte er.

Als der Mann mit schweren, lauten Schritten in das Haus trat, öffnete sich plötzlich eine Tür: Almares sah aus seinem Zimmer. Pedro versteckte sich schnell hinter einer der Säulen vor der Tür. Doch hätte ihn Almares auch wohl so nicht bemerkt, denn seine Augen hingen an dem Fremden, der so ungeniert auftrat, als hätte er hier Heimatrecht.

Eine herrische Kopfbewegung forderte ihn auf, in sein Zimmer zu treten. Die Tür schloß sich. Pedro stand ausgeschlossen davor, plötzlich huschte er mit lautlosen Schritten näher und preßte sein Ohr an die Tür.

Drinnen hörte er ein Rascheln von Papier, dann vernahm er nach einer Pause Almares Stimme.

»Bestellt Senhora Mercedes, daß ich ihren Abgesandten morgen auf halbem Wege an der Waldecke, wo sich der Flores mit der Bella vereinigt, erwarten werde.«

»Ich danke, Senhor!« antwortete darauf eine tiefe Stimme.

Pedro hatte genug gehört, er eilte ebenso schnell, wie er gekommen, davon. Draußen im Hof begab er sich in die Nähe der hier liegenden Gebäude, um nichtstuend und gelangweilt umherzulungern. Niemand hatte die kleine Episode bemerkt.

Der fremde Reiter verließ das Haus wieder; ein scharfer Blick streifte Pedro. Dieser winkte ihm freundlich zu; doch hochmütig übersah ihn der Fremde.

Pedros Plan war fertig. Er glaubte bestimmt zu wissen, daß Almares ihn nicht auffordern würde, ihn morgen zu begleiten. Doch wollte er auch ohne dem dort sein, allerdings – als ›reitender Tod‹!

Wenn die Unterhaltung zwischen dem Abgesandten und Almares beendet war, wollte er dann dem Manne folgen. Dieser würde ihn sicher zum Versteck der Bande führen. So nahe seines Zieles sich wähnend, packte ihn nun doch eine ungeheure Unruhe.

Er nahm sich vor, so interessant es auch für ihn sein würde, das Gespräch zwischen Almares und dem Abgesandten Mercedes' nicht zu belauschen, um sich keiner Entdeckung auszusetzen, viel wichtiger erschien ihm sein Vorhaben.

*

Bevor noch die Sonne das graue Dämmerlicht des aufsteigenden Tages zerteilte, ritt Lefty an langen Strecken von Tabakfeldern vorüber, bis er endlich die weite Campos erreichte, hier ließ er sein Pferd ausgreifen; es war nicht ›Black Night‹, der ihn trug.

Wo der kleine Fluß sich nach dem Walde zu krümmte, verließ er die offene Savanne und ritt in den Wald hinein, hier sprang er vom Pferde. Dicht am Fluß an der Waldecke ließ er sich nieder; ab und zu legte er horchend sein Ohr an den Boden.

Er betrachtete versonnen die seltsamen Linien, die der Fluß zog. Am Ufer entlang zogen sich sandige Vorsprünge und kleine, von Grün umgebene Buchten. Freudig ruhte sein Blick auf diesem Bild.

Plötzlich erhob er sich und zog sich vorsichtig zurück, er hatte Hufgetrappel vernommen.

*

Henrique Almares traf als erster an der verabredeten Stelle ein. Auf seinem männlichen, immer noch schönen Gesicht lagen heute tiefe Schatten; ein herber Zug hatte sich um seinen Mund gegraben. Er war fest gewillt, heute der Bande seine Freundschaft aufzukündigen und damit Franco sein Versprechen zu halten.

Wenn Franco auch ein einfacher Mann und sein Untergebener war, so nahm er sein Wort ihm gegenüber ebenso ernst, als ob er es einem seinesgleichen gegeben hätte, nein, vielleicht sogar noch ernster, da er Franco hoch achtete.

Almares stieg vom Pferde und ließ sich an der Waldkante nieder. Er ahnte nicht, daß er außer einem Beobachter, noch einen Verfolger hatte!

Der eine war der ›reitende Tod‹ und der andere – José!

Von Luiza in letzter Zeit streng an die Fazenda gefesselt, hatte José heute morgen seinen Vater fortreiten sehen. Wie der Blitz eilte der kleine Mann in den Hof; sein Pferd war schnell gesattelt; dann rief er einem Cowboy zu, der Senhora zu bestellen, er wäre mit Senhor Almares aufs Feld geritten.

Sollte Luiza einmal allein ihr Frühstück einnehmen, dachte er trotzig sich seiner Freiheit freuend.

Es hätte nichts im Wege gestanden, daß er sich seinem Vater gleich genähert hätte, doch José spielte für sich sein Lieblingsspiel; er war ein Indianer, der eine Spur verfolgte. daß es die Spur seines Vaters war, tat Josés kindlicher Phantasie keinen Abbruch.

Er wandte dabei alle Tricks an, die ihm aus seinen Indianerbüchern bekannt waren, und die er von den Meldereitern gelernt hatte, um seinem Vater unbemerkt zu folgen und seine Spur nicht zu verlieren. Er wollte ihn überraschen.

Im Walde angekommen, verließ José sein Pferd, er begann zu rekognoszieren; dieses gehörte auch zu dem Programm seines Spiels.

Trotzdem er keinen Feind vor sich hatte, huschte José, jede kleinste Deckung ausnützend, vorwärts. Seine Wangen brannten ihm vor Eifer, so vertieft war er in sein Spiel. Ein Beobachter hätte sicher mit Wohlgefallen die leichten, fast elegant wirkenden Bewegungen Josés wahrgenommen.

Mit einemmal stockte der Fuß des Knaben; er vernahm Stimmen vor sich. Nicht wissend wen er vor sich hatte, wurde ihm sein Spiel plötzlich ernst. Er ließ sich auf den Bauch nieder; genau so, wie er es gelernt hatte. Wie eine Schlange schlängelte sich die schlanke Knabengestalt am Boden vorwärts.

Immer mehr näherte er sich den Stimmen, und plötzlich verstand er auch die Worte. Sein Gesicht vergrub er in den Waldboden; so blieb er regungslos liegen.

»Senhor Almares!« José zuckte bei der Nennung des Namens zusammen; er überlegte, was er nun tun solle: sich sofort zurückzuziehen oder seine Anwesenheit seinem Vater zu erkennen geben; als plötzlich ein anderer Name an sein Ohr schlug, da blieb er still liegen. »Bedenkt, Senhora Mercedes bittet Euch!«

»Tut mir leid!« fremd klang José die Stimme seines Vaters. »Ich kann Euch nie wieder Vieh liefern. Ihr müßt ohne mich auskommen. Bitte, bestellt dieses Senhora Mercedes, Senhor Affonso.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr Eure freundschaftlichen Beziehungen mit uns löst, Senhor Henrique?«

Von dem harten Ton dieser Stimme flog José zusammen; klopfenden Herzens verharrte er.

»Ja!« fest und ruhig antwortete Almares.

»Senhor Henrique,« erklang wieder die harte Stimme, »wißt Ihr, was Miguel de Silva dazu sagen wird? Wer unser war und sich von uns abwendet, ist – ein Verräter!«

»Nach diesen Worten ist sowieso zwischen uns alles aus!« hörte José seinen Vater sagen.

»So –?«

Trotzdem vielleicht nur ein Zehntel einer Sekunde zwischen diesem Wort und dem Schuß, der darauf folgte, lag, dünkte es José eine Ewigkeit.

Als der Schuß verklungen, lag der Knabe noch erstarrt am Boden; dann schnellte er auf; der Gefahr nicht achtend lief er vorwärts.

Affonso fuhr herum, als er hastende Schritte hinter sich vernahm. Sein Revolver zuckte hoch – doch er ließ ihn betroffen sinken; ein Knabe stand vor ihm!

José schrie nicht auf, als er seinen Vater am Boden in einer Blutlache liegen sah. Nur wurde sein sonst braunes Gesicht totenblaß. Seine Hand tastete nach seinem Gürtel, in dem sein kleiner Revolver steckte.

»Mörder!« schrillte seine Stimme auf.

»Kräh' nur weiter so, Du junger Hahn!« verhöhnte Affonso den Knaben. »Keine Bewegung, sonst blase ich auch Dir den Atem aus!« setzte er roh hinzu.

Doch Josés Hand fuhr tapfer in seinen Gürtel. Als Affonso den Knaben nun aufs Korn nehmen wollte, sah er plötzlich hinter diesem einen völlig schwarz gekleideten Mann auftauchen, dessen Gesicht eine Maske verdeckte. Der Schreck lähmte ihn.

Als der Knabe seinen kleinen Revolver herausriß, blitzte schon ein Schuß hinter ihm auf.

Affonso wankte; alles begann sich um ihn zu drehen; im Todeskampf drückte er noch ab; doch da seine Hand schon heruntergesunken war, schlug die Kugel in den Boden ein. Er brach in die Knie, ein Zucken durchlief seine Gestalt, dann streckte sich sein Körper.

Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen war José Affonsos Todeskampf gefolgt; es war das erstemal, daß die Härte des Lebens hier an ihn herantrat.

Sein kleiner Körper bebte bei dem Anblick; er taumelte vorwärts; bei seinem Vater angelangt, stürzte er nieder, heiße Tränen rannen ihm über das Gesicht. Die Hand seines Vaters fassend, murmelte er immer wieder den geliebten Namen, als könne seine Kindesliebe den Toten erwecken.

José wußte nicht, daß nicht weit von ihm entfernt ein Mann stand, der seine Hand fest auf seine Augen preßte, um dieses Bild nicht länger sehen zu brauchen. Er ehrte die Trauer des Kindes, indem er nicht störend dazwischen trat.

Plötzlich erhob sich der Knabe; bei dem Geräusch dieser Bewegung ließ der Mann seine Hand sinken. Er sah, wie José seinen Hut abgezogen hatte und sein Blick der Sonne folgte. Was mochte in dieser Kinderseele jetzt vorgehen?

Lange blieb José so stehen; keine Tränen kamen ihm mehr.

Plötzlich bückte er sich und versuchte, den schweren Körper Almares hochzuheben.

Er sah nicht einmal auf, als zwei Hände mit anfaßten und Henrique Almares auf sein Pferd hoben. Blind schien José für seine Umgebung zu sein.

Er faßte die Zügel und schritt den Toten stützend langsam neben dem Pferde her. Ein endlos trauriger Blick folgte dem Knaben; der Zurückbleibende wußte, daß er niemals wieder diesen erschütternden Anblick vergessen würde.


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