Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wissenschaften und Künste.

Wieviel Wissenschaften und Künste zur moralischen Bildung einer Nation, zu Beförderung wahrer menschlicher Geselligkeit, zu Erweckung wohlwollender Gesinnungen und überhaupt zu Gründung der bürgerlichen Glückseligkeit beytragen, davon liefert die Geschichte aller Zeitalter die Beweise; und es kann keinem Zweifel unterworfen seyn, ob es zu den Pflichten einer weisen und sorgsamen Regierung gehöre, Wissenschaften und Künste zu befördern und wahre Gelehrte zu unterstützen. Allein wir machen billiger Weise, ohne einem einzigen Studium seinen Werth benehmen zu wollen, einen Unterschied unter den verschiednen gelehrten und andern Kenntnissen und Talenten. Wir halten diejenigen hauptsächlich unsrer Aufmerksamkeit und Unterstützung würdig, die einen unmittelbar vortheilhaften Einfluß auf das Wohl des Staats und überhaupt der menschlichen Gesellschaft haben. An den Fortschritten der bloß speculativen Wissenschaften hingegen und solcher Künste, die nur zur angenehmen Unterhaltung oder Beschäftigung der Phantasie dienen, nehmen wir weniger thätigen Antheil.

Es ist vorhin gesagt worden, daß wir den Stand eines Gelehrten nicht eigentlich für einen besondern Stand im Staate anerkennen, sondern dafür halten, daß der, welcher sich den Wissenschaften widmet, schuldig sey und auch Muße genug übrigbehalte, nebenbey seine Pflichten im geselligen und bürgerlichen Leben zu erfüllen und irgendein Geschäft zu treiben, das ihn in die Reihe der arbeitenden Mitbürger classificiert. Wenn indessen ein Mann von großen Gaben, Fähigkeiten und Kenntnissen durch seine Schriften oder durch Unterricht der Jugend eine lange Reihe von Jahren hindurch vortheilhaft auf sein Zeitalter gewirkt oder eine Wissenschaft mit neuen Entdeckungen bereichert, darneben aber auch treulich seine Pflichten als Mitbürger erfüllt hat, so hält es die Regierung für gerecht, einem solchen ein ruhiges Alter zuzubereiten. Zu diesem Endzwecke sind in drey der größten Städte des Reichs geräumige Häuser erbauet, die theils auf Kosten des Staats, theils von den freywilligen Beyträgen unterhalten werden, welche man an dem jährlichen, zur allgemeinen Gottes-Verehrung bestimmten Tage unter allen Classen des Volks einsammelt.

In diese Gebäude werden zuerst überhaupt alle Greise, die durch Alter und Schwachheit außer Stand gesetzt sind, ihr Gewerbe ferner zu treiben, nebst ihren Weibern aufgenommen. Doch wird ein großer Theil dieser Veteranen auch zu Aufsehern in den öffentlichen Arbeitshäusern, Fabriken und Manufacturen angestellt. Sodann nimmt man darin diejenigen auf, die im Kriege verstümmelt worden. (Die wirklich Kranken finden in den Hospitälern ihre Verpflegung.) Endlich werden jene Häuser, wie gesagt worden, von Gelehrten bewohnt, denen man in ihrem Alter, zum Preise ihrer Verdienste um das Menschengeschlecht, eine glückliche Muße verschaffen will. Sie werden an großen Tafeln gespeiset, haben in den angrenzenden Gärten Gelegenheit, frische Luft einzuathmen und sich eine gelinde Bewegung zu machen, und werden überhaupt, bey einem kleinen Jahrgelde, das sie erhalten, in Wohnung, Kleidung und allem, was zu einem von Sorgen freyen, angenehmen, doch philosophisch mäßigen Leben gehört, so gepflegt, daß sie Zufriedenheit und Ruhe genießen können. Hat Einer von ihnen bares Vermögen, so muß er bey seinem Eintritte eine Summe, die sehr geringe angesetzt ist, welche aber zu erhöhen seiner Großmuth überlassen bleibt, zu dem Fonds dieser wohlthätigen Anstalt zuschießen.

Ein Theil der Einkünfte dieser Häuser wird verwendet, Bücher-Sammlungen, Naturalien-Cabinette, Maschinen, Modelle und dergleichen anzuschaffen.

Eine gewisse Anzahl junger Leute, die sich den Wissenschaften widmen, die Bibliotheken und den Umgang erfahrner Männer nützen wollen und denen es ein Ernst ist, in ihrem Fache groß zu werden, erhalten die Erlaubnis, wenn sie Zeugnisse ihres bisherigen Fleißes beybringen können, gegen Erlegung eines gewissen Kostgeldes drey Jahre lang in diesen Häusern zu wohnen. Die Greise sind nicht verbunden, ihnen Unterricht zu geben; es müssen aber die Jünglinge, durch bescheidne Bitten und Fragen, durch Proben von Lehrbegierde und durch edle Aufführung, zu erlangen suchen, daß ihnen die Wohlthat eines guten Raths und einer belehrenden Zurechtweisung nicht versagt werde.

Es ist erwähnt worden, daß bey uns alle junge Leute bis in ihr fünfzehntes Jahr in den öffentlichen Schulen eine gleiche Art des Unterrichts genießen, folglich alle gleich vorbereitet sind, neben dem Gewerbe, dem sie sich alsdann widmen, auch die gelehrte Laufbahn zu betreten. Zu Fortsetzung der Studien nun für diejenigen, welche sich den Wissenschaften ergeben wollen, ist das zweckmäßigste Mittel, daß sie einen Gelehrten, zu dessen Kenntnissen in dem Fache, das sie gewählt, sie das größte Zutrauen haben, bewegen, sie als Schüler anzunehmen; denn wir haben keine Universitäten, und sowenig, als wir Handwerks-Zünfte haben, sowenig gibt es bey uns Gelehrten-Zünfte oder Facultäten.

Die Ursache, weswegen wir keine Facultäten haben können, ist sehr begreiflich. Die Theologie ist in Abyssinien keine positive, autorisierte Wissenschaft; die Rechtsgelehrsamkeit ist gleichfalls bey uns kein besondres Studium, da jeder Mitbürger verbunden ist, sich mit den sehr einfachen Landesgesetzen bekanntzumachen, wozu er schon in der Schule die erste Anweisung erhält. Eine philosophische Facultät oder Zunft ist vollends eine Albernheit, da Philosophie auf freyem Nachdenken beruht und jeder verständige, nachdenkende Mann sich sein eignes besondres philosophische System, wie es für seinen Kopf und sein Herz paßt, bauen wird. Mathematische, physicalische und alle dahin einschlagende Wissenschaften werden täglich durch neue Entdeckungen bereichert und werden am besten aus den ältern und neuern Schriften, verbunden mit eignen Versuchen, erlernt. Es bliebe also noch die Arzeneykunst übrig, von der nachher geredet werden soll.

Was nun die Universitäten betrifft, so lehrt uns die Erfahrung, daß dort die Jünglinge mit einer Menge unnützer Dinge geplagt werden, die sie nachher wieder vergessen müssen; daß der dort herrschende Systemgeist, Schlendrian, Autoritätszwang, Pedantismus und dergleichen manchen guten Kopf verschraubt und vom Selbstdenken ableitet.

Es fehlt aber darum dem jungen Gelehrten bey uns nicht an Gelegenheit, sich in seinem Fache zu vervollkommnen. Männer, die in einer Wissenschaft groß sind, pflegen Freude daran zu finden, von dem zu reden, womit sie sich immer und gern beschäftigen, pflegen mit Vergnügen ihre Kenntnisse mitzutheilen. Ein junger Mensch also, dem es ein Ernst ist, mehr zu lernen und dies gründlich zu lernen, wird leicht einen Gelehrten bereit finden, ihn als Schüler, vielleicht auch als Kostgänger, auf gewisse Jahre anzunehmen. Er wird dann gewiß von einem solchen practischen Gelehrten, mit geringerm Aufwande, in kürzerer Zeit weiter geführt werden, als ihn auf einer Universität die Stuben-Gelehrten mit ihren unnützen Spitzfindigkeiten und ihrem critisch-historischen Wort-Krame leiten können. Jener wird dies alles linker Hand liegenlassen und dem Schüler überlassen, einst, wenn er erst in dem Wesentlichen seines Faches fest ist, durch Lectüre sich auch damit bekannt zu machen und ihn indes immer auf die einfachen Grundsätze und das Practische der gewählten Wissenschaften lenken.

Dies ist besonders von der Arzeneykunst wahr, und ein geschickter Arzt und Wundarzt, welcher seinen Zögling mit zu seinen Kranken führt und ihm dann, bey den wirklichen Fällen, die Natur dieser und der damit verwandten Krankheiten und die Wirkung der Arzneymittel erklärt, ihm auch darneben zu Hause einigen theoretischen Unterricht gibt und ihm die besten Bücher empfiehlt, wird einen geschicktern Mann aus ihm bilden als die Universität.

Durch Schriftstellerey kann unendlich viel Gutes bewirkt werden; wir ehren also diejenigen Männer unter uns, die durch ihre literarischen Producte, welche nützliche, der menschlichen und bürgerlichen Gesellschaft interessante Gegenstände behandeln, auf ihr Zeitalter vortheilhaft gewirkt oder große, bis jetzt versteckt oder verdunkelt gewesene Wahrheiten in Cours gebracht und in ein helleres Licht gesetzt haben. Wir ehren sie; aber wir verderben sie nicht durch Schmeicheley, durch übertriebne Lobeserhebungen, und setzen nicht den Mann, welchen die Natur mit hinreißender Beredsamkeit, lebhafter Einbildungskraft und einem hellen Blicke ausgerüstet hat, so daß er Sätze, die in manches Biedermanns Kopfe und Herzen ruhen, klar, lichtvoll und rührend vorträgt, diesen setzen wir nicht in unsrer Achtung weit über den hinaus, der ein langes Menschenleben hindurch in der Stille und unbemerkt, ohne Bücher geschrieben zu haben, immer gleich edel, verständig, consequent und fest gehandelt und durch Rath, That und Beyspiel viel Gutes um sich her verbreitet hat. Endlich, da wir allen Prunk, alle Spielerey hassen und uns der Gedanke empört, daß man wahre Tugend und wahres Verdienst belohnen und krönen könne, so ist bey uns an keine Preise für literarische Verdienste und an keine Bildsäulen und dergleichen Thorheiten zu denken. Unsre Jünglinge ermuntern wir durch Preise, sich in körperlichen Übungen geschickt zu machen; aber Tugend und Weisheit lassen sich nicht taxieren noch bezahlen. Das mittelmäßige Genie wird dadurch nicht groß, und das erhabene bedarf solcher Ermunterungen nicht, sondern arbeitet sich sogar durch Schwierigkeiten und Hindernisse empor.

Über die Grenzen der Preßfreyheit und Publicität ist im Vorhergehenden schon genug gesagt worden.

Dem Buchhandel gestattet die Regierung alle mögliche Freyheit; allein aus Ursachen, die hier zu weitläufig zu entwickeln wären, kann sie den Nachdruck nicht durch ein bestimmtes Gesetz verbiethen. Sie hält ihn für eine moralische Unthat und alle Nachdrucker für Schelme; als bürgerliche Verbrecher aber kann sie diese Schleichhändler nicht betrachten.

Eine vernünftige Critik stiftet gewiß für die Gelehrsamkeit großen Nutzen, und eine unvernünftige richtet gar keinen Schaden an. Da nun überhaupt jedermann freysteht, über alles seine Meinung zu sagen, so muß es auch Jedem erlaubt seyn, fremde, öffentlich gedruckte Geistes-Producte öffentlich zu beurtheilen. Freylich wäre zu wünschen, daß dies immer in einem bescheidnen, höflichen Tone geschähe; allein auch das läßt sich nicht von Obrigkeits wegen befehlen. Dafür aber sorgt die Policey, daß erstlich keine Critik oder Recension erscheinen dürfe, ohne daß der Beurtheiler seinen Namen nenne, und zweytens, daß in diese Critiken auf keine Weise der geringste Angriff auf den persönlichen Character eines Schriftstellers mit eingemischt werde. Beydes wird, wenn es auskömmt, strenge bestraft.

Wir wünschten, daß die Herren Gelehrten das Publicum mit ihren oft in Grobheit ausartenden, für den dritten Mann sehr uninteressanten Streitigkeiten verschonen möchten. Jedoch läßt sich auch das durch kein Gesetz bewirken; die Regierung wird aber bey Unterstützung und Versorgung der Gelehrten vorzüglich auf diejenigen Rücksicht nehmen, die sich zugleich als bescheidene, sanftmüthige und weltkluge Männer bekanntgemacht haben.

Die schönen Künste verfeinern den Geschmack, mildern die Sitten, rühren das Herz, machen es zum Wohlwollen geneigt und stimmen es zu allerley sanften und edeln Empfindungen; allein die Freuden, welche sie gewähren, müssen keusch und vorsichtig genossen werden. Ihr Mißbrauch macht weich, weibisch, wollüstig, erhitzt die Phantasie, bringt die Sinnlichkeit in Aufruhr und lenkt von ernsthafter Anstrengung ab. Deswegen nun machen wir es nicht eben zu einer Staats-Angelegenheit, den Flor der schönen Künste thätig zu befördern, sondern überlassen dies der Zeit und der zunehmenden Cultur. Dafür aber sucht doch die Regierung zu sorgen, daß ein edler, einfacher Geschmack herrschend werde und weder das Kleinliche, Spielende, Witzelnde, noch das Wilde, Unregelmäßige, Ungestüme, noch das Luxuriöse, die gröbere Sinnlichkeit Reizende die Oberhand gewinne. Was für Anstalten in Ansehung der Baukunst getroffen sind, das ist vorhin erwähnt worden. Für Musik und Poesie ist insofern gesorgt, daß man die Verfertigung der Hymnen, welche an großen feyerlichen Tagen abgesungen werden, solchen Dichtern und Tonkünstlern aufträgt, von deren reinem Geschmacke man überzeugt ist; sie werden für ihre Bemühung belohnt; in den Schulen werden, wie schon ist gesagt worden, die jungen Leute auch in der Tonkunst unterrichtet; und auch auf diesen Unterricht hat die Regierung ein wachsames Auge. Über die Meisterstücke unsrer besten Dichter werden gleichfalls in den Schulen Vorlesungen gehalten, um den Geschmack der Jugend zu bilden! Endlich werden auch die besten Werke von der Art auf Kosten des Staats gedruckt und eine große Anzahl Exemplare in allen Gegenden des Reichs unter den Mitbürgern ausgetheilt.

Schauspiele werden bey uns nicht geduldet. Wir können uns von ihrem überwiegenden Nutzen nicht überzeugen, sind aber sehr gewiß von dem nachtheiligen Einflüsse, den ein mittelmäßiges Schauspiel und ein solches, dessen Inhalt nicht mit so viel Strenge gesäubert ist, als es fast nicht möglich scheint, ohne ihm das Interesse zu benehmen, wir sind gewiß von dem nachtheiligen Einflüsse, den ein solches Schauspiel auf die Jugend haben kann. Was die großen National-Schauspiele betrifft, zu deren Vertheidigung man uns so viel von den Wirkungen der alten griechischen Schauspiele erzählt, so verlangen wir gar nicht, so gar gewaltsame Eindrücke auf die Herzen und die Phantasie unsrer Mitbürger zu machen. Sie sollen zu keinen Handlungen angefeuert werden, die eine Art von Berauschung erfordern, sondern wir wünschen Alle, immer recht nüchtern, in der ruhigsten Gemüthsstimmung und nach Vernunft handeln zu können, und unser Enthusiasmus soll nie von kochendem Blute und erhitzter Phantasie, sondern von unwiderstehlicher Bewunderung und fester Überzeugung von der Schönheit der Tugend und Weisheit herrühren.

Dies, meine lieben Mitbürger! wäre dann die Skizze meines Plans zu einer neuen Verfassung von Abyssinien. Wie manches kleine Detail ich übergangen bin; wie oft meine Einrichtungen sich in unbedeutenden Nebenstücken zu durchkreuzen, zu widersprechen scheinen; wie Manches wohl vorerst noch ganz unausführbar ist; das wird Euch freylich leicht in die Augen fallen. Allein lasset Euch dadurch nicht abschrecken, den Haupt-Inhalt meiner Vorschläge zu prüfen! Verwerfet, verbessert, sichtet; aber wenn Ihr denn doch gestehen müßt, daß die Hauptsätze meines Systems aus der graden, natürlichen, gesunden Vernunft entlehnt sind, so lasset Euch nicht durch Vorurtheile und Schwierigkeiten davon abhalten, das Übel bey der Wurzel anzugreifen und auszurotten! Jetzt ist der Zeitpunct da – so vortheilhaft kömmt er gewiß nie wieder; begnügt Ihr Euch aber jetzt mit halben Verbesserungen, so habt Ihr ewiges Flickwerk.


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