Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Zweyundzwanzigstes Kapitel

Fortsetzung: Religion; Justiz; Strafen und Belohnungen; Policey.

Die Religion kann eigentlich gar kein Gegenstand der Gesetzgebung seyn. Die innere Gottes-Verehrung und die Begriffe, die man sich von dem göttlichen Wesen und seinen Verhältnissen gegen dasselbe macht, richten sich nach den Fähigkeiten und Empfindungen jedes Einzelnen, und es kann vom Staate nichts darüber bestimmt werden, weil dieser nur über Handlungen, nicht aber über Gedanken und Meinungen Richter ist. Die moralischen Vorschriften, zu denen man die Gründe aus religiösen Sätzen herleitet, müssen gleichfalls der innern Überzeugung eines Jeden überlassen bleiben; der Staat soll nur dafür sorgen, daß keine Handlungen geduldet werden, die solchen moralischen Regeln zuwider sind, auf welchen die Gesetzgebung beruht. Ebensowenig darf die Regierung den Mitbürgern verbiethen, laut und öffentlich ihre Meinung über diese ihnen wichtige Dinge zu sagen und zu schreiben, weil überhaupt Worte keinem Zwange unterworfen sind. Was endlich die religiösen und gottesdienstlichen Gebräuche betrifft, so darf sich der Staat nur insofern darein mischen, als sie die befohlnen Handlungen hindern und die verbothnen befördern könnten, zum Beyspiel, wenn sie anstößig, unsittlich wären oder die Bürger von nützlicher Thätigkeit abhielten. Übrigens also ist die speculative, theoretische und practische Religion keinem Zwange unterworfen; wir wissen nichts von einer Landes-Religion; jedermann kann glauben, was er will, und seinen Gott verehren und ihm dienen, wie es ihm beliebt. Wollen mehrere Familien zusammentreten und nach ihrer Weise gottesdienstliche Versammlung halten, auch aus ihrem Vermögen Leute besolden, die sie Priester oder Prediger nennen, so steht ihnen auch das frey; nur mit der Einschränkung, daß zu diesen Zusammenkünften niemand der Zutritt versagt werden darf, weil überhaupt in einem Lande, wo alles Gute und Gleichgültige öffentlich geschehen kann, jede geheime Versammlung, jede heimliche Unternehmung unerlaubt ist. Auch ist es jeder Secte verstattet, auf nicht ungestüme, aber auf öffentliche Weise Proselyten zu machen, soviel sie will.

Es erkennt aber der Staat die Priester und Prediger, die sich übrigens kleiden mögen, wie es ihnen beliebt, für gar keinen besondern Stand, nimmt keine Wissenschaft von ihrem geistlichen Berufe, sondern behandelt sie nach der Rücksicht auf das bürgerliche Gewerbe, zu welchem sie sich als Jünglinge haben einschreiben lassen, befreyet sie von keinen Abgaben und Diensten, weiset ihnen keine besondre Einkünfte an und entscheidet nie in sogenannten geistlichen Dingen. Die Lehren einer echten göttlichen Religion müssen durch ihre innere Kraft über Irrthümer siegen, und deswegen muß es erlaubt seyn, diese wie jene laut zu predigen, sie der freyen Prüfung zu unterwerfen; der Stifter des erhabnen Christenthums legte es nie darauf an, seine Religion zu einer Staatssache zu machen, und die ersten Prediger derselben verlangten weder Exemtionen noch Besoldungen, noch Titel, noch Pfründen, noch die Freyheit, müßige Mitglieder im gemeinen Wesen zu seyn.

Um aber das Volk zuweilen zu gemeinschaftlicher Gottesverehrung zu ermuntern und durch edle, religiöse Empfindungen die Herzen zur Liebe, Dankbarkeit, zum Wohlwollen und zur brüderlichen Eintracht zu stimmen, wird jährlich einmal an einem festgesetzten Tage in der schönsten Gegend jeder Provinz ein großes Volks-Fest veranstaltet, woran Jeder ungezwungen mit seiner Familie Theil nehmen darf. Unter freyem Himmel werden dann herzerhebende, schöne Hymnen, welche die Kinder in den Schulen vollstimmig aufführen lernen, mit Begleitung musicalischer Instrumente gesungen. Gute Redner, denen die Obrigkeit dies Geschäft aufträgt, halten kurze, rührende Anreden an das Volk und ermahnen es zu Erfüllung seiner Pflichten; die andre Hälfte des Tages verstreicht unter geselligen, gastfreundschaftlichen und gesitteten Freuden. Die Obrigkeit sorgt dabey für Beobachtung des Anstandes und der Ordnung.

Die Justiz wird in Abyssinien unentgeltlich verwaltet; wie die Land- und Stadt-Obrigkeiten erwählt werden, das ist in einem der vorigen Abschnitte gesagt worden; sie bekommen keinen Gehalt und dürfen keine Sporteln nehmen. Nebst denen ihnen obliegenden gewöhnlichen Amts-Verrichtungen sind sie auch verbunden, jeden Vormittag gewisse Stunden hindurch jedermann vorzulassen, der Klage zu erheben hat. Da wir nicht eine Menge dunkler, sich durchkreuzender Gesetze haben und unsre Staats-Verfassung nicht Gelegenheit zu mannigfaltigen, verwickelten Streit-Fragen und Händeln gibt, die Haupt-Fälle aber sehr klar in den Gesetzen bestimmt sind, so kömmt weniger darauf an, daß unsre Richter sehr gelehrte Leute, als daß sie verständige, hellsehende, erfahrne und unverführbar rechtschaffne Leute seyen.

Alle Rechtshändel werden mündlich verhandelt, worüber jedoch Protocolle geführt werden. Die Parteyen müssen ihre Nothdurft, nebst den Gründen, selbst einfach vortragen, und kein Advocat noch Vorsprecher wird geduldet.

Jeder Proceß muß wenigstens nach Ablauf eines Jahrs beendigt seyn.

Wenn zwey Personen miteinander in Streit gerathen, so muß jeder von ihnen, bevor sie sich bey der Obrigkeit melden dürfen, sich einen Schiedsrichter wählen. Diese beiden Schiedsrichter treten zusammen und suchen einen Vergleich zu Stande zu bringen. Gelingt dieser Vergleich nicht, so stellen sich die Parteyen, begleitet von ihren Schiedsrichtern, vor die Obrigkeit. Diese hört ihre Klagen und Vertheidigungen, hört, wenn es nöthig ist, die Zeugen ab, auf welche man sich beruft, und entscheidet dann nach Gesetz, Billigkeit und gesunder Vernunft und mit Rücksicht auf Umstände und Menschenkenntnis. In diesem Gerichte haben die beiden Schiedsmänner sowohl wie die obrigkeitlichen Personen Sitz und Stimme.

Nur in wenig Fällen, die bestimmt werden müssen, findet eine Appellation Platz. Diese geht an den Statthalter und in äußerst wichtigen, gleichfalls zu bestimmenden Fällen noch von da an den König und den National-Rath.

Alle Eide sind als unnütz abgeschafft. Wie falsche Zeugnisse bestraft werden, das wird in der Folge vorkommen.

Es ist oben gesagt worden, daß es nicht erlaubt sey, Geld auf Zinsen auszuleihen. Jedoch findet davon folgende Ausnahme statt: Wenn jemand zu einer nützlichen Unternehmung, wobey etwas zu gewinnen ist, mehr Geld braucht, als er vorräthig hat, und ein Andrer zeigt sich geneigt, ihm das Geld vorzuschießen, so kann nicht verlangt werden, daß dieser dies umsonst thue, indem er ja selbst durch Handel oder auf andre Weise mit seiner Barschaft sich erlaubte Vortheile verschaffen könnte. In diesem Falle nun melden sich beide Theile bey der Obrigkeit und werden über die Bedingungen einig, welche der Richter bestätigt.

Nur solche mit Bewilligung der Obrigkeit ausgeliehene Gelder, ferner die bedungne Summe für erhandelte Ware und dergleichen, Erbschaftsgelder und endlich alle Arten von Arbeits-Tagelohn etc. dürfen gerichtlich eingetrieben werden; wegen aller übrigen Schulden wird keine Klage angenommen.

Strafen können nur dreyerley Zweck haben: entweder das verübte Unrecht wieder gutzumachen und den dadurch erlittnen Verlust zu ersetzen oder die Verbrecher zu bessern, oder endlich böse Menschen außer Stand zu setzen, die bürgerliche Ruhe ferner zu stören (jedoch nur durch ein solches Mittel, das Gegenstände trifft, über welche sich der Staat ein Recht anmaßen kann). Aus diesen Voraussetzungen und aus dem, was in der Einleitung über die Grenzen der gesetzgebenden Macht ist gesagt worden, folgt natürlich, daß weder Tod noch Verstümmlung der Gliedmaßen eine bürgerliche Strafe seyn kann, selbst nicht zur Ahndung eines begangnen Mordes. Und dies auch schon darum nicht, weil hierdurch das vollbrachte Unglück nicht ungeschehen gemacht, nicht gehoben, der Verlust nicht ersetzt wird; weil der Staat nichts nehmen darf, was er weder geben noch zusichern kann; weil es andre Mittel gibt, einen Verbrecher außer Stand zu setzen, ferner zu schaden; endlich weil Strafe nie Rache werden soll; alle übrige Arten der Strafen sind für rechtmäßig zu halten, insofern sie mit den Verbrechen in richtigem Verhältnisse stehen.

Wo Ersatz möglich ist, da ist Ersatz des Schadens und der Unkosten, nebst billiger Vergütung für Versäumnis, Verdruß, Schmerz u. d. gl., die natürlichste Strafe.

Selbstvertheidigung und erwiesene unvermeidliche Nothwehr werden nicht geahndet, wohl aber Rache und thätige Erwiderung des Übels.

Thätige Rache für wörtliche Beleidigung wird bestraft.

Bloße Worte, selbst wenn es Gottes-Lästerungen wären, können, unsern Haupt-Grundsätzen gemäß, nicht bestraft werden. Nur um Handlungen kann sich der Staat bekümmern. Es ist ein elendes Vorurtheil zu glauben, daß Schimpfwörter und Verleumdungen einem wirklich unschuldigen, ehrlichen, festen Manne je Schaden thun, ihn kränken oder erniedrigen könnten. Übrigens steht es in jedermanns Macht, ein von ihm ausgesprengtes nachtheiliges Gerücht öffentlich zu widerlegen, und wird dann offenbar, daß der, welcher ihm eine Schandthat Schuld gegeben, aus Bosheit gelogen hat, und der Beleidigte beweiset dies und verlangt gerichtlich seine Genugthuung, so wird der Verleumder dadurch bestraft, daß er in den öffentlichen Blättern, die unter Aufsicht der Regierung herauskommen, dem Publicum als ein Lügner bekanntgemacht wird. Diese Strafe ist unter einem Volke, das nach den Grundsätzen der wahren Ehre und Redlichkeit erzogen wird, an sich schon sehr hart; sie hat aber auch noch schlimme Folgen im bürgerlichen Leben; denn ein solcher kann kein öffentliches Amt im Staate verwalten, kein Zeugnis vor Gericht ablegen, kein Geld leihen etc.

Dies ist dann auch die Strafe, womit erwiesenes falsches Zeugnis geahndet wird.

Wir sehen aber dieselbe für so hart an, daß sie immer nur auf gewisse Jahre verhängt wird, und zwar auf mehr oder weniger Jahre, je nachdem die Verleumdung oder das falsche Zeugnis boshaft oder der Gegenstand von Wichtigkeit war. Nach Verlauf dieser Zeit wird der Bestrafte öffentlich wieder in die Rechte eines glaubwürdigen Mannes eingesetzt.

Ein Mensch, der zum drittenmal diese Strafe verdient, wird, als ein unnützes Mitglied in einem Staate, dessen Wohlfahrt auf Treue und Glauben beruht, des Landes verwiesen.

Wer den Andern mit Schlägen mißhandelt, der muß ihm nicht nur, für erlittnen Schmerz und Schimpf, eine Summe Geldes bezahlen oder, wenn er das nicht kann, auf gewisse Zeit im Gefängnisse büßen, sondern es wird auch, insofern der gekränkte Theil es verlangt, der Thäter, durch einen Gerichtsdiener, grade ebenso öffentlich, als er jene Handlung verübt hat, wiederum mit Schlägen bestraft.

Menschen, die gar zu oft die bürgerliche Ruhe stören und die Gesetze des Staats höhnen, in welchem sie dennoch immer fortleben, obgleich sie auswandern könnten, werden denn endlich, entweder auf viel Jahre oder auf immer, eingesperrt.

Ein Landes-Verwiesener, der sich wieder im abyssinischen Reiche blicken läßt, wird, wenn man seiner habhaft geworden, auf seine Lebenszeit eingekerkert.

Wer sich unberufen thätig in fremde häusliche oder andre Geschäfte mischt, wird, wenn Klage darüber entsteht, von der Obrigkeit bestraft.

Da bey Kauf und Verkauf beide Theile ihren freyen Willen haben und man von einem verständigen Manne billiger Weise fordern kann, daß er sich in keinen Handel einlasse, wenn er nichts von dem Werthe der Waren und ihren Preisen versteht, so werden keine Klagen wegen Übervortheilung im Handel angenommen. Es steht indessen dem Betrognen frey, den Betrug, zur Warnung Andrer, öffentlich bekanntzumachen. Wird aber gerichtlich erwiesen, daß der Verkäufer seine Ware selbst für etwas ausgegeben, was sie nicht ist, oder, auf Treue und Glauben, ein falsches Maß oder Gewicht angegeben, welches der Käufer auf sein Wort also angenommen, dann wird vorausgesetzt, daß dieser mehr auf jenes Redlichkeit als auf seine eigne Einsicht und Vorsicht gebauet habe, und der Betrüger muß dem Betrognen nicht nur den Schaden ersetzen, sondern noch den hundertfältigen Werth obendrein in die öffentliche Casse bezahlen.

Totschlag wird mit lebenslänglichem Gefängnisse von der schwersten Art bestraft; ein mißlungner Angriff auf das Leben eines Menschen nicht weniger mit lebenslänglichem, doch gelinderm Gefängnisse. In sehr seltnen Fällen kann der Umstand, daß der Angriff in der Blindheit des Zorns geschehen, einige Milderung bewirken. Wer seine Leidenschaften sowenig im Zügel zu halten vermag, der muß dafür büßen.

Diebstahl wird nach den Umständen strenger oder gelinder bestraft. Strenger ein Haus-Diebstahl, ein Raub, den man an dem Eigenthume seines Freundes begeht, eine Vergreifung an anvertrauetem Gute, die Beraubung eines Armen, ein Diebstahl aus bloßem Geize, ohne den Antrieb der dringenden Noth, ein solcher, wobey Gewalt angewendet worden u. s. f.

Da bey uns überhaupt kein Unterschied der Stände statthat, so ist es fast überflüssig zu sagen, daß auf die Härte und Milde der Strafen der Stand des Verbrechers gar keinen Einfluß haben kann; es darf also bey uns der, welcher einst das höchste Amt im Staate bekleidet hat, zu der schimpflichsten Strafe verurtheilt werden, wenn er ein schimpfliches Verbrechen begeht. Soll man Rücksicht auf sein feineres Ehrgefühl nehmen, so zeige er dies feinere Ehrgefühl durch bessere Handlungen! Übrigens aber bringt eine weise Obrigkeit bey Bestrafung der Verbrechen Alter, Temperament, cörperliche Constitution u. d. gl. mit in Anschlag.

Der Klugheit unsrer Richter bleiben die Arten der zu verhängenden Strafen sowie ihre Stufen und Dauer, nach Maßgabe der Größe der Verbrechen und der damit verbunden gewesenen Umstände, überlassen.

Alle Gefängnisse sind zugleich Werkhäuser; keiner der Gefangnen ist müßig; sie arbeiten theils im Kerker, theils werden sie, geschlossen und bewacht, auf die öffentlichen Arbeitsplätze geführt. Nach Verhältnis der Größe ihrer Vergehungen werden ihnen leichtre oder schwerere, angenehmere oder unangenehmere Arbeiten auferlegt, und nach ebendiesem Verhältnisse werden sie auch nachsichtiger oder strenger, bequemer oder weniger gemächlich gehalten, besser oder schlechter gespeiset und wird ihnen mehr oder weniger Freyheit gestattet, zum Beyspiel: in den Erholungsstunden ihre Verwandten zu sehen oder sich andre unschuldige Vergnügungen zu machen. Aber dafür wird bey Allen gleich gewissenhaft gesorgt, daß Reinlichkeit und gesunde Luft in den Kerkern herrschen und daß, wenn die Gefangnen erkranken, es ihnen nicht an Pflege fehle.

Keine Strafe beschimpft, wenn sie überstanden ist.

Soviel von Strafen! Belohnungen für gute Handlungen kann der Staat eigentlich gar nicht austheilen, und am wenigsten möchten wir unsre Mitbürger daran gewöhnen, eitles Lob, äußere Ehrenzeichen, Ordensbänder, Monumente oder andre Narrheiten von der Art für Belohnungen zu halten. Jede gute Handlung belohnt sich selber durch das innere Bewußtseyn, seine Pflicht erfüllt zu haben, durch die Freude an dem Guten, das man gestiftet hat, durch den lauten oder stillen Dank, den man einerntet, durch den guten Ruf und durch die Achtung und Liebe edler Menschen, die sich ein redlicher, nützlicher, wohlthätiger Mann sicher erwirbt. – Ein Abyssinier bedarf weiter keiner andern Belohnungen; allein dafür muß doch die Regierung sorgen, daß große, schöne Thaten nicht unbekannt, nicht unbemerkt bleiben und daß nicht dem, welcher sie ausübt, ein Theil jener natürlichen Belohnungen entzogen werde. Desfalls nun werden solche Handlungen in den Staats-Zeitungs-Blättern öffentlich bekanntgemacht. Diese Blätter dienen überhaupt im ganzen Lande zu allgemeiner Verbreitung und Bekanntmachung dessen, was in den einzelnen Provinzen vorgeht und alle Mitbürger interessieren kann. Was sich in unserm Lande zuträgt, das ist uns wichtiger, als was auswärts geschieht. Wir nehmen wenig Theil an fremden politischen Händeln; es kümmert uns sehr wenig, in welchem Lustschlosse ein müßiger europäischer Fürst nebst seinem elenden Hofgesindel seinen Wanst gefüllt hat; aber ob Bevölkerung, Fleiß, Tugend, Einfalt der Sitten bey uns zu- oder abgenommen haben, das liegt uns sehr am Herzen zu erfahren, und das ist der Inhalt unsrer Landes-Zeitung. Sie kömmt in der Residenz heraus, und die Materialien dazu liefern, von unten hinauf, alle Obrigkeiten durch monatliche Berichte; die Zeitung ist gleichsam der Haupt-Bericht an das Volk.

In dieser Zeitung werden auch alle Haupt-Urtheilsprüche und verhängte Strafen bekanntgemacht. Auch werden darin nützliche Bemerkungen und neue Entdeckungen zu Verbesserung des Landbaues, zu Erhaltung der Gesundheit etc. der Nation mitgetheilt. – Dies alles so kurz und deutlich als möglich.

Die Policey, in den Städten wie in den Dörfern, sorgt, soviel sie kann, für die Sicherheit, Freyheit, Ruhe, Gesundheit und Gemächlichkeit der Mitbürger. Zur Reinhaltung, Sicherheit und Erleuchtung der Straßen, Hinwegschaffung der Unreinigkeiten durch Canäle, Austrocknung stehender Sümpfe, Ausbesserung der Wege, Nachtwachen, Vorkehrungen gegen Feuers-Gefahr, Löschungs-Anstalten, und was dahin gehört, werden die besten Vorkehrungen getroffen.

In unserm Staate wird niemand geduldet, der nicht irgendein bürgerliches Geschäft treibt und zu treiben versteht, womit sich Unterhalt erwerben läßt; eine bloß verzehrende Classe kennen wir nicht. Ob er übrigens in diesem Berufe sehr fleißig sey oder ob er nicht mehr Zeit auf Nebendinge, mit denen er sich lieber beschäftigt, verwendet, darum kann sich die Regierung nicht genau bekümmern; auch hieße das zu sehr die natürliche Freyheit einschränken. Nur davon wollen wir gewiß seyn, daß, wenn ein solcher einmal durch seine Faulheit verarmt und nun von dem Staate Hilfe fordert, dieser ihn nicht umsonst zu füttern brauche, sondern ihn bey irgendeiner Arbeit, die er versteht, anstellen könne. Leute also, die, ohne andre Geschäfte, bloß von ihren Renten leben, werden bey uns nicht geduldet, und wollten fremde Müßiggänger von der Art mit großen Schätzen nach Abyssinien ziehen, so würden wir sie nicht aufnehmen; es ist uns weniger daran gelegen, sehr reiche, als fleißige, thätige Mitbürger zu haben. Auch bloß speculierende Gelehrte dulden wir nicht; wir wissen recht gut, daß die höchste Geistes-Anstrengung und das emsigste Studium sich vortrefflich mit einiger nützlicher Thätigkeit im bürgerlichen Leben vereinigen läßt. Derselbe Fall ist mit Menschen, die sich mit schönen Künsten beschäftigen; ein Maler, ein Tonkünstler, ein Dichter zu seyn, das gilt bey uns für keinen Stand. Wir glauben nicht daran, daß die Begeisterung, welche den Künstler beleben muß, durch die Aufmerksamkeit auf die kleinen Details, die bey bürgerlichen Geschäften vorfallen, verscheucht werde.

Wir leiden nicht, daß Gaukler, Springer und überhaupt Menschen, die eine Kunst üben, welche weder der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist, noch wohlthätigen Einfluß auf Kopf oder Herz hat, bey uns ihr Wesen treiben; sie werden sogleich des Landes verwiesen. Daß kein einziger Bettler in einem Reiche sich blicken lassen dürfe, wo jeder arbeitsame Mensch bequem Unterhalt finden kann, das versteht sich wohl von selber.

Es sind bey uns alle Zünfte abgeschafft; Jedermann kann frey eine Hantierung, ein Gewerbe treiben, welches er will und worin er sich geschickt glaubt, und kann seine Arbeit so hoch taxieren, als ihm beliebt. Es wird sich bald ausweisen, ob er sein Handwerk versteht oder nicht, und der Pfuscher wird gewiß nicht lange dem geschickten Arbeiter das Brot vor dem Munde wegnehmen. Fordert aber jemand, zu Betreibung seines Handwerks oder seiner Kunst, Unterstützung vom Staate, dann muß er freylich erst Beweise seiner Geschicklichkeit geben.

Der Lohn für Gesinde, für Arbeitsleute, Tagelöhner etc. ist im ganzen abyssinischen Reiche bestimmt; wer mehr nimmt oder mehr bezahlt, wird bestraft.

Aller Aufwand bey Begräbnissen ist verbothen. Sobald ein Abyssinier stirbt, sind seine Verwandte oder Freunde verbunden, es dem vom Staate angesetzten Arzte anzuzeigen. Dieser begibt sich in das Sterbehaus, besichtigt den Körper und stellt, wenn er ihn wirklich tot findet, darüber ein Zeugnis aus. Dies Zeugnis wird der Obrigkeit vorgezeigt, die den Befehl zur Beerdigung nach Verlauf einer bestimmten Anzahl Tage ausfertigt. Länger darf dann auch der Leichnam nicht liegenbleiben. Die allgemeinen Begräbnisplätze sind weit genug von den Wohnungen der Lebendigen entfernt. Der Tote wird unbekleidet in einen Kasten von gemeinem Holze, ohne alle Zierathen, gelegt. Bevor der Kasten vernagelt wird, öffnet man dem Verstorbnen eine Pulsader; der Tote wird in der Stille fortgebracht. Es ist bestimmt, wie tief der Kasten in die Erde eingegraben werden muß; vor fünfzig Jahren darf kein altes Grab umgegraben werden. Die Begräbnisplätze sind daher in Quartiere eingetheilt, deren jedes die Toten aus einem Jahrzehnt umfaßt. Monumente und dergleichen Spielwerke der Eitelkeit werden nicht geduldet. Das Andenken unsrer edeln Männer verewigt sich in der Wirkung ihrer guten Handlungen, und kein großer Name geht verloren, wenn er auch nicht in Marmor oder Erz eingegraben steht.

Jedermann hat bey uns die Freyheit, seine Lebensart, seine Kleidung und dergleichen nach seinem Geschmacke und seiner Phantasie einzurichten; es findet darin durchaus kein Zwang Statt. Wäre es möglich, so wünschten wir, daß unsre ganze Nation darüber einig würde, alles, was Mode und Convention heißt, abzuschaffen, und daß Jeder, ohne sich um den Andern zu bekümmern, thäte und trüge, was er wollte. Mancher kann vielleicht seiner Gesundheit und seinem Körperbau eine lange türkische oder eine armenische Kleidung angemessen finden; er kleide sich also türkisch oder armenisch! Einem Andern behagt mehr eine kurze spanische oder irgendeine andre von den albernen europäischen Trachten; auch dieser folge seiner Phantasie! Gesetze gegen den Luxus haben wir gar nicht. Unsre Mitbürger werden so erzogen, daß sie über zwecklose Thorheiten und über Flitterprunk hinaus seyn werden; und da wir Alle gleich sind, so fällt die Haupt-Ursache eines glänzenden Aufwandes, nämlich die Absicht, für einen vornehmen Mann angesehen zu werden, weg; wir haben ja unter uns keine vornehme Männer.

So wie Jeder die Freyheit hat, sich zu kleiden, wie er will, und soviel Aufwand zu machen, als ihm beliebt, so bleibt es auch seiner Willkür überlassen, sein Haus so zu bauen und auszuzieren, wie es ihn am besten und zierlichsten dünkt. Weil doch aber wirklich der Geschmack in Verzierungen und dergleichen sehr viel mehr Einfluß auf die Denkungsart der Menschen hat, als man glauben sollte, so ist die Obrigkeit jedes Orts bereit, jedem Mitbürger, der sich an sie wendet, Risse und Zeichnungen nach den edelsten und einfachsten Plänen und Formen zu Gebäuden aller Gattung sowie zu aller Art Hausrath unentgeltlich mitzutheilen. Auch werden solche Aufrisse von Zeit zu Zeit in Kupfer gestochen und öffentlich angeschlagen. Die Baumeister, welche der Staat besoldet und die über die öffentlichen Gebäude die Aufsicht haben, sind angewiesen, den Mitbürgern mit Rath und That beyzustehen, und in den öffentlichen Fabriken wird dafür gesorgt, daß nur nach den einfachsten und edelsten Mustern und Formen gearbeitet werde.

Da uns daran gelegen ist, daß unsre Sitten nicht durch Ausländer verderbt werden, daß man uns nicht fremde Thorheiten und Laster von außen herein spediere und daß nicht eine Menge vorwitziger, müßiger, neugieriger Reisender, welche die lange Weile aus ihrem Vaterlande jagt, unter uns herumrenne, so sehen wir uns gezwungen, zu fordern, daß jeder Fremde, der unsre Grenze betritt, sich sogleich erkläre, was für ein Geschäft er bey uns habe, auch wie lange und in welchen Gegenden er sich aufzuhalten gedenke. Werden seine Verrichtungen erlaubt und wichtig genug befunden, so erhält er von der Obrigkeit einen Paß, der nach diesen Umständen eingerichtet ist. Diesen muß er aller Orten in Abyssinien, wohin er kömmt, vorzeigen. Ertappt man ihn auf einem Nebenwege oder in einem Geschäfte, das er nicht angezeigt hat, oder bleibt er über die bestimmte Zeit, so wird er sogleich über die Grenze gebracht.

Der Policey liegt auch ob, ein wachsames Auge auf die Buchdruckereyen zu halten, das heißt, dafür zu sorgen, daß die Preß-Freyheit nicht gemißbraucht werde. Es ist nämlich im Vorhergehenden gesagt worden, daß jedermann frey und offen über alle Gegenstände und über alle Personen seine Meinung sagen und schreiben dürfe und daß er von der Regierung in dem Besitze dieser Freyheit geschützt werde, daß ihm deswegen von niemand ein Haar gekrümmt werden dürfe, insofern er die Wahrheit gesagt habe und nicht vom beleidigten Theile dargethan würde, daß er ein Verleumder sey. – Doch dies alles unter der Bedingung, daß der Name des Schreibers nicht verschwiegen sey. Die Policey nun wacht darüber, daß durchaus keine anonyme Schriftsteller auftreten dürfen, und forscht, wenn dergleichen Blätter dennoch zum Vorschein kommen, genau nach dem Urheber, um denselben zu bestrafen. Doch ist ein Fall ausgenommen, wo der Name des Schreibers nicht erfordert wird, nämlich, wenn jemand Facta bekanntmacht, die auf öffentlichen Documenten beruhen oder von deren Grund oder Ungrunde sich jedermann durch den Augenschein oder bey der geringsten Erkundigung überzeugen kann; zum Beyspiel, wenn er den ungerechten Gang eines Processes öffentlich rügte, da dann, wenn die Angabe falsch wäre, ein von den Richtern, Schiedsrichtern und Zeugen unterschriebner Auszug aus den Acten das Publicum sogleich von der wahren Lage der Sachen unterrichten könnte.

Wirthshäuser, in welchen müßige Leute sich bloß zum Trinken versammeln, werden bey uns gar nicht geduldet; den Gastwirthen, die Fremde beherbergen, sind genaue Taxen vorgeschrieben.


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