Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Elftes Kapitel

Fortsetzung des Vorigen.

Ich habe eben gesagt, daß der alte Negus täglich toleranter und aufgeklärter geworden wäre; doch darf ich nicht behaupten, diese Vervollkommnung sey das Werk eines tiefen, reiflichen Nachdenkens über dergleichen Gegenstände gewesen; vielmehr riß ihn der allgemeine Strom des Lichts unmerklich mit sich fort. Wir haben gehört, daß er eine Bücher-Censur errichtet hatte; diese wurde freylich nicht aufgehoben; aber das konnte er doch nicht ändern, daß die Censoren selbst allmählich anfingen, die Grundsätze ihres Zeitalters anzunehmen. Nach und nach starben denn auch die alten, ungeschmeidigen Männer, und junge, freyer denkende kamen in diesem Departement an das Ruder. Man wird immer weniger empört durch kühne Sätze, je öfter man sie hört, und zuletzt kommen sie in allgemeinen Cours und erhalten durch vieljährigen Besitz die Rechte der Wahrheit. Dies haben diejenigen wohl gewußt, welche den Menschen Thorheiten und Irrthümer aufheften wollten. Sie haben so lange dieselben Fratzen gepredigt, gesungen, geschrieben, gemalt, bis zuletzt kein Mensch mehr das Herz hatte, sich selber zu fragen, ob auch wohl ein gesunder Begriff in dem allen liege; und beobachten wir mit philosophischem Auge, auf welche Weise, mitten in aufgeklärten Zeiten, gewisse Betrüger sich großen Anhang zu verschaffen wissen, so werden wir finden, worauf die Kunst dieser Leute beruht; sie wissen, daß, wenn sie nur nicht müde werden, den Unsinn zu behaupten, der Anfangs verlacht, nachher übersehen, dann geduldet, hierauf vertheidigt wird und endlich Märtyrer findet, sie doch zuletzt ihren Zweck erreichen; und daß, wenn es erst so weit ist, dann wenig Leute den Muth haben, sich allgemeinen Meinungen zu widersetzen. Diese Bemerkung könnten sich, wie ich glaube, diejenigen zu Nutzen machen, welchen es darum zu thun ist, edle, große und nützliche Wahrheiten auszubreiten. Noch einmal! Das ganze Geheimnis, um alles in der Welt durchzusetzen, beruht in diesen vier Worten: nicht müde zu werden.

Bey dieser kleinen Ausschweifung habe ich nur die Absicht gehabt, begreiflich zu machen, wie es zuging, daß die Aufklärung in Abyssinien so schnelle Fortschritte machte. In der That brachte man kurz vor dem Tode des alten Negus in öffentlichen gemischten Gesellschaften, an Tafel und sonst gesprächsweise Sätze vor, die man zehn Jahre früher kaum würde zu denken gewagt haben; und die Großen des Hofs, ja! der Monarch selbst, glaubten jetzt schon den Ruf vorurtheilfreyer Beförderer der Aufklärung auf das Spiel zu setzen, wenn sie, so ungern sie auch manches hörten, die natürliche Befugnis der Leute, über alles ihre Meinung zu sagen, einschränkten. Es schlich sich also unvermerkt eine gänzliche Denk- und Preß-Freyheit ein, von welcher denn auch, wie von allen guten Dingen in der Welt, vielfältig Mißbrauch gemacht und weder die häusliche Ruhe der Bürger noch die wohlthätigen Vorurtheile der Schwächern, noch der Ruf der Edlern, noch das Vertrauen der Freundschaft, noch das Familien-Geheimnis – kurz, nichts geschont, sondern alles an das Tageslicht gezogen, beurtheilt, verdächtig gemacht, angegriffen, verspottet und ohne Ersatz vertilgt wurde.

Unmittelbar aber traf diese Folge auch den ersten Beförderer der Aufklärung, den König selber. Das Licht, welches er angezündet hatte, leuchtete weiter, als seine Absicht gewesen war. Nachdem man lange genug frey und kühn über Moral, Religion und Privat-Verhältnisse geredet und geschrieben hatte, fing man auch an, ebenso ungezwungen über Menschen- und Völker-Rechte, über Fürsten-Ansprüche und -Befugnisse, über Sclaverey und Freyheit zu raisonnieren.

So standen die Sachen, als meine deutschen Philosophen und Pädagogen nach Abyssinien kamen. Diese, besonders die letztern, hätten nun viel dazu beytragen können, alles in ein vernünftiges Geleise zu bringen. Unglücklicher Weise aber thaten sie das Gegentheil. Ich habe immer geglaubt, daß sich über Erziehung keine allgemeine Regeln geben ließen, sondern daß sich diese nach Zeit und Umständen richten müßten, weil doch ihr Hauptzweck ist, Menschen zu bilden, die in ihr Zeitalter passen und als nützliche Bürger zu ihrer und ihrer Mitbürger Vervollkommnung und Glückseligkeit alles mögliche beytragen sollen. In einer Periode also, in welcher die Abyssinier ausschweifende Begriffe von Freyheit und Zwanglosigkeit hatten, jede ernsthafte Anstrengung scheueten, sehr vorlaut und egoistisch waren, alle Conventionen und alle Rücksichten auf Stand, Alter und Erfahrung verachteten und, über ihren Gesichtskreis hinaus, über alles im Himmel und auf Erden raisonnierten, schien es der Klugheit gemäß, die Jugend an mehr Ordnung, Pünctlichkeit, Gehorsam, Bescheidenheit, Mißtrauen in eigne Fähigkeiten, emsigen Fleiß, Überwindung von Schwierigkeiten und Aufopferung zum allgemeinen Besten zu gewöhnen; allein daran dachten leider! meine Pädagogen nicht. Sie ermunterten vielmehr in den Knaben den übel verstandnen Freyheitssinn, declamierten gegen Pedanterie, Autorität, Sclaverey und Despotismus und erzogen die jungen Leute so, daß sie sich hernach durchaus nicht in den Zwang des bürgerlichen Lebens fügen wollten und die frohen, im Spielen hingetändelten Stunden, welche sie in den Erziehungsinstituten genossen, nachher durch manche unbehagliche, bittre büßen mußten, folglich die Summe der unzufriednen, unruhigen Bürger vermehrten.

Noch etwas verstärkte diese allgemeine Gärung, und das waren die geheimen Verbindungen, wovon ich doch auch noch ein Wort sagen muß. Nachdem die Abyssinier in allen Gebiethen wissenschaftlicher Kenntnisse herumgeirrt waren und über alles nachgedacht zu haben glaubten, was den Menschen wichtig seyn kann, fanden sie, was man auf der letzten Seite jedes Systems findet, daß unser Wissen und Wollen und Wirken Stückwerk, unvollkommen und dunkel bleibt. In diesen Grenzen irdischer Weisheit und Thätigkeit aber sich einpfählen zu lassen, das dünkte Menschen von so reizbaren Nerven, schwärmender Phantasie und unruhigem Thätigkeitstriebe zu gemein; weil indessen ihre Begriffe nicht gehörig geordnet, sondern verwirrt und schwankend waren, so nährten sie unaufhörlich heimliche Wünsche und dunkle Ahndungen. Hie und da theilten sich Menschen, in denen dies kochte und wurmte, solche Empfindungen mit und freueten sich, wenn sie sahen, daß sie einander verstanden oder zu verstehen glauben durften, obgleich sie nicht im Stande waren, mit Worten deutlich zu machen, was sie eigentlich wollten und suchten. Sie wurden aber über gewissen Hieroglyphen, Zeichen und Phrasen einig, wodurch sie ineinander ihre dunkle Ideen wieder erwecken konnten, und der Gedanke, daß dies nun eine Sprache war, die nicht Jeder verstand, hatte etwas Angenehmes, Kitzelndes. Bald hielten sie diese neue Typen für wirkliche neue Sachen, für neu erfundene Wahrheiten, täuschten sich selbst, sprachen von ihren geheimen Kenntnissen, nahmen andre in diesen Bund auf, welche auch diese Bilder lernten, einen Sinn damit zu verbinden glaubten, aber eigentlich nichts Bestimmtes darüber zu sagen wußten, als daß sich so etwas mit gemeinen Worten gar nicht ausdrücken ließe. Der gemeinschaftliche Besitz eines Geheimnisses bindet die Bewahrer desselben enge zusammen, und in einem Zeitalter, wo alle natürliche Bande locker geworden sind und den Menschen zu alltäglich und langweilig vorkommen, erweckt eine neue Art von Verhältnis, das gar nicht auf den gewöhnlichen Conventionen beruht, den doch zur Geselligkeit geschaffenen Menschen zu neuer Wärme für seine Nebenmenschen. Er vergißt dann, daß er dies Glück auf eine viel natürlichere Weise finden könnte, schimpft auf die Mängel der bürgerlichen Einrichtungen, ohne Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu thun, und schafft sich neue Verbindungen, die noch größere Mängel, aber den Reiz der Neuheit und das Verdienst haben, daß er selbst ihr Schöpfer ist. Dies alles wohl überlegt, so darf man sich darüber nicht wundern, daß in kurzer Zeit die Wuth zu geheimen Bündnissen in Abyssinien sehr hoch stieg und daß deren eine Menge von allerley Art errichtet wurde.

Solange die ersten Stifter noch lebten, verband man doch einigen dunkeln Sinn mit der Bilder-Sprache und den mystischen Gebräuchen dieser Gesellschaften; nachher fing man an, sich nicht viel um die Deutung zu bekümmern, sondern hielt sich an die geselligen Zwecke; als aber die Gärung in den Köpfen und Gemüthern der Abyssinier unter allen Ständen so allgemein wurde und Aufklärer, Reformatoren und Aufrührer von vielfacher Art im Volke hervortraten und sich Parteyen zu machen suchten, da nützten diese Menschen, zu guten und bösen Zwecken, den Schleyer und das Vehiculum geheimer Verbindungen, und weil die Hieroglyphen und Gebräuche alle mögliche Auslegungen litten, so war dies ein herrliches Mittel, jedes System darauf zu bauen. Noch konnten solche Verbindungen an Ehrwürdigkeit viel gewinnen, wenn man ihnen ein hohes Alterthum andichtete; zum Glück war auch dazu Rath zu schaffen. Man untersuchte die Pyramiden und Obelisken in Ägypten (die, im Vorbeygehen zu sagen, der übrigens gelehrte Herr Professor Witte kürzlich für vulcanische Producte und die innere Einrichtung der Zimmer etc. für Arbeiten gewisser Schnecken erklärt hat) und fand mit Freuden, daß darauf, so wie auf den Ruinen der Stadt Axum, Figuren eingegraben waren, die mit den Hieroglyphen der geheimen Verbindungen sehr viel Ähnlichkeiten hatten; und da war denn bald eine zusammenhängende Geschichte der verborgnen Weisheit herausbuchstabiert, die jede Partey zum Vortheile ihrer Lehre auslegte und die übrigen Practicanten verketzerte. Schwärmer und Betrüger aller Art, Geisterseher, Goldmacher, Diebe, politische Reformatoren, Stifter neuer Religions-Secten – alle hingen dies Gewand um und setzten phantastische Menschen, schwache Denker und unruhige Köpfe in Bewegung, lockten sie von nützlicher Thätigkeit ab und erfüllten sie mit Reformations-Geiste. – Doch, ich habe schon zuviel von diesen Armseligkeiten gesagt; wir werden bald hören, was am Ende aus dieser allgemeinen Gärung entstand.


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