Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Sechstes Kapitel

Fortsetzung der Reise-Nachrichten.

Sobald wir über den oberrheinischen Kreis hinauskamen, beschloß ich, meinen Prinzen an die zahlreichen großen und kleinen Höfe in dortiger Gegend zu führen. Sie sind wirklich, jeder in seiner Art, sehr merkwürdig zu sehen; dennoch aber übergehe ich, um nicht zu weitläufig zu werden, die Schilderung derselben mit Stillschweigen. Nur so viel muß ich aus Dankbarkeit erwähnen, daß man uns aller Orten äußerst höflich und artig behandelte, sobald man erfuhr, daß Se. Hoheit ein Königssohn, wir Andern abyssinische echte Edelleute und dabey überflüssig mit Gelde versehen wären. Übrigens mußten wir immer gewaltig viel von Afrika erzählen und wurden, besonders von den Prinzessinnen und Hof-Damen, reichlicher gefragt als gespeiset.

In Mannheim konnte Soban der Versuchung nicht widerstehen, sich einen Geheimenraths-Titel zu kaufen. Er wurde um neunhundert Gulden einig, konnte aber nicht die Erlaubnis erlangen, diesen Titel auf seinen siebenjährigen Sohn, der in Gondar geblieben war, vererben zu dürfen, indem in der Pfalz nur die wirklichen Bedienungen, nicht aber die Titel auch Kindern versichert und gegeben werden.

In derselben Stadt warb ich auch zwey Maler, einen Bildhauer, einen Baumeister und noch einen Tonkünstler für Abyssinien an. Mit Vergnügen sahe ich, in welchem blühenden Zustande hier die schönen Künste waren. Vor zwanzig Jahren schien man in Deutschland so sorglos über diesen Punct und überlegte nicht, welchen Einfluß der beständige Anblick von falschen Schnörkeln, überladnen Zierrathen, zwecklosen Kleinigkeiten und die Gewohnheit, Mißtöne zu hören und verzeichnete Caricaturen und bunten Popanz zu sehen, auf den Geschmack, auf die Denkungsart und auf die Einfalt des Characters haben, schöne Formen und allgemein herrschende Harmonie hingegen Kopf, Herz und Sinn veredeln. Die Entdeckung der Monumente des schönern Alterthums in Italien hat einigen wohlthätigen Einfluß auf den Geschmack und das Gefühl der Deutschen gehabt. Leider! aber reißt jetzt, da ich dies schreibe, wieder die elende Augenlust an bunten Arabesquen und kindischem Firlefanz bey uns ein; und so werden wir denn wohl bald wieder in die Zeiten der gothischen Barbarey zurücksinken.

Die Menge der Bettler, die uns in manchen Städten, besonders in solchen, wo catholische geistliche Fürsten regierten, haufenweise anfielen und auf allen Spaziergängen das unschuldige Vergnügen des Genusses der schönen Natur durch den Anblick des Elendes verbitterten, gaben meinen Reisegefährten sehr üble Begriffe von der Policey in Deutschland und von der Menschenliebe der Regierungen. Niemand ging in seinem Tadel unbilliger Weise weiter als der Geheimerath, Ritter, Doctor und Hofnarr Soban. Einst sah ich ein Heft von seinem Reise-Journale liegen, blätterte darin und fand folgende bittre Stelle:

»Die Schauspiele und andre öffentliche Vergnügungen sind in manchen deutschen Städten sehr prächtig; die Hospitäler, Waisen- und Findelhäuser hingegen elend und jämmerlich. In großen Residenzen geht man unentgeltlich in die Oper, muß aber seinen Platz in der Kirche und alle gottesdienstlichen Handlungen, Trauung, Taufe, Beichte etc. bezahlen. Ein Tänzer oder ein verschnittner welscher Sänger bekömmt jährlich fünfzigmal mehr Gehalt als ein Volkslehrer und Kinder-Erzieher. Jener wird bey den Großen des Reichs zur Tafel gebeten, wenn sie sich selber ehren, für Kenner der Kunst gelten wollen; diesen hingegen bittet höchstens dann ein Minister einmal zum Essen, pflanzt ihn neben der Thür hin und redet kein Wort mit ihm, wenn er, außer seinen Kindern und dem Informator, grade niemand an der Tafel hat als etwa seinen Advocaten und den Gerichtshalter von seinem Gute. Sammle in einer Gesellschaft von reichen Leuten zu einer Summe, wofür Philadelphia oder irgendein andrer Gaukler seine unnütze Künste zeigen soll – und es wird Ducaten in Deinen Hut regnen; sammle ein Almosen für eine fleißige, in Dürftigkeit gerathne Familie – und man wird mit Verdruß Groschen hineinwerfen. Die müßigen Hofschranzen fahren in vergoldeten Kutschen; der nützliche Handwerker und Künstler muß zu Fuße umherschleichen, um vergebens die Rechnungen in die Paläste zu tragen, die ihm jene Windbeutel zu bezahlen schuldig sind. Er wird von groben Lakayen zurückgewiesen, die in Kleidern stecken, welche bey ihm auf Credit ausgenommen sind. Die Fürsten lassen in die Zeitungen und Journale einrücken, wie sehr sie einländische Fabriken und Manufacturen unterstützen, und tragen nichts an ihrem Leibe, was nicht außer Landes gekauft und verfertigt ist. Die Noth des armen Landmannes rührt nicht die hartherzigen Minister; sie lesen französische Romane und werfen die Suppliken der jammernden Unterthanen in die Ecke. Es bekümmert sie wenig, ob das Volk sie segne oder ihnen fluche; aber ein erkauftes oder erbetteltes Ordensband von einem fremden Könige, der nie ihren Namen gehört hat, halten sie für den wahren Stempel ihres Verdienstes; und wenn sie ihr kaltes Herz mit einem silbernen Stern beklebt haben, so sehen sie voll Zuversicht und Unverschämtheit auf bessre Menschen herab. Willst Du, daß der Präsident, wenn er um zehn Uhr des Morgens sich aus dem Bette erhebt, beym Frühstücke, unter der Menge von Briefen, die unerbrochen daliegen, Deiner Klage einige Aufmerksamkeit widmen soll, so fange Deine Bittschrift mit den Worten an: durch den Fuhrmann N. N. schicke Ew. etc. ein Fäßchen mit Austern; und Du wirst sehen, wie sich sein Gesicht erheitert. Schwätzer, Windbeutel und unverschämte Ignoranten machen ihr Glück; das bescheidne Verdienst wird übersehen. Verwandtschaft, niedrige Schmeicheley und gewissenlose Gefälligkeit sind die Mittel, sich emporzuschwingen. Wenn der ohne seine Schuld Arme einige Thaler stiehlt, so wird er gesetzmäßig aufgeknüpft; wer aber im Handel und Wandel überfordert, schlechte Ware für theures Geld liefert, den nennt man einen schlauen Mann. Der Richter, der Sachwalter und der Deputierte dürfen ihre Geschäfte unnützer Weise in die Länge ziehen, um desto mehr Gebühren und Diäten zu bekommen; der Tagelöhner darf faulenzen, sobald der Aufseher die Augen wegwendet; verdungne Arbeit darf liederlich von der Hand geschlagen werden; der Schneider darf doppelt soviel Zeug zum Kleide berechnen, als er gebraucht hat; zu seiner Rechtfertigung ist es genug, daß es alle übrige Schneider auch so machen.«

»Nein! das ist zu arg!« rief ich aus, als ich dies las, »gibt es nicht edle Fürsten, sorgsame Landesväter, wohlthätige, aufmerksame Regierungen in Deutschland?«

Soban: Nun ja! diese sind also Ausnahme; aber ist darum jenes weniger wahr? Soll man darum von den Gebrechen schweigen, weil sie nicht ganz durchaus allgemein sind?

Ich: Allein das sind ja Gebrechen, die man in allen Staaten, in allen bürgerlichen Einrichtungen des Erdbodens antrifft.

Soban: Vielleicht! doch sind sie darum nicht nothwendig, nicht unvermeidlich. Man rede um desto öfter und lauter davon, um zu bewirken, daß endlich zu ihrer Abstellung Anstalten getroffen werden!

Ich: Was hat Dir denn das arme Deutschland gethan, daß Du das Original zu diesem abscheulichen Gemälde grade daher entlehnst?

Soban: Närrischer Kerl! ich schreibe ja ein Journal von meiner Reise durch Deutschland und nicht durch Spanien oder Marokko. Bist Du doch wie die mehrsten Menschen, die es übelnehmen, wenn man die Wahrheit sagt, und, wenn sie die Thatsachen nicht leugnen können, mit der elenden Ausflucht gegen uns zu Felde ziehen, daß es andrer Orten nicht besser hergeht.

Ich sah wohl, daß Soban nicht zu bekehren war und daß man Ritter, Doctor und Rath seyn und dennoch übereilt und unbillig von den Sitten, die in Ländern und Städten herrschen, urtheilen kann.

Da ich immer fortfuhr, zu dem zweyten Transporte der Gelehrten und Künstler, welche ich nach Abyssinien schicken sollte, Subjecte aufzusuchen und anzuwerben, so hatte ich auch in Regensburg einen Mann bewogen, diese weite Reise zu machen, der mir als ein großer Chymiker gerühmt wurde. Er trieb hauptsächlich den pharmaceutischen Theil der Scheidekunst und bewies mir durch Zeugnisse und Documente, daß er mit gewissen Wundertropfen alle Krankheiten zu heilen im Stande wäre. So sehr auch der Vorfall, den mein Vater mit dem Grafen St. Germain erlebt hatte und dessen sich die Leser noch aus dem ersten Theile dieses Buchs erinnern werden, mich hätte von meinem Glauben an Universal-Arzeneyen ablenken können, so gestehe ich doch, daß ich nicht im Stande war, der einleuchtenden und überzeugenden Beredsamkeit dieses Mannes zu widerstehen. Ich hielt es vielmehr für ein großes Glück, ihn mit nach Abyssinien spedieren zu können, wo es doch wirklich noch in dem Fache der höhern geheimen Natur-Wissenschaften sehr dunkel aussah. Wir nahmen diesen Mann mit uns, da wir grade noch einen Platz in der dritten Kutsche übrig hatten; allein der arme Schelm war so schwächlich, daß wir ihn in München zurücklassen mußten, wo er auch vier Wochen nachher starb.


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