Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Achtes Kapitel

Etwas über den Prinzen.
Rückkunft nach Gondar.

Der letzte Theil von meines Herrn Vetters Briefe, nämlich was den Kronprinzen und meinen Einfluß auf denselben betraf, machte mir in der That unruhige Nächte, und meine Beklemmung nahm zu, je mehr ich ihn, nachdem er die Nachricht von des Königs gefährlichen Gesundheits-Umständen erhalten hatte, auf der Reise beobachtete. Der Minister erwartete, wie ich aus seinen Äußerungen sah, nun bald einen durch meine Sorgfalt und durch eigne Erfahrungen gebildeten würdigen Fürsten auf Abyssiniens Thron zu sehen – und ach! wie wenig Ursache hatte ich, seinen Hoffnungen einen guten Erfolg zu versprechen!

Ich habe schon im fünfzehnten Kapitel des ersten Theils dieses Buchs, als ich den Character der beiden königlich abyssinischen Prinzen schilderte, ein Bild von diesem ältesten entworfen, das leider! zu erkennen gab, welche schlimme Anlagen dieser Königs-Sohn schon in seiner frühen Jugend verrieth, und was ich von seiner Aufführung in Kassel und überhaupt auf der Reise erzählt habe, paßt vollkommen zu jenen Zügen. Daß ich es an Eifer, Fleiß und Ermahnungen nicht mangeln ließ, um bessere Gesinnungen und Gefühle in ihm zu erwecken, das kann ich auf meine Ehre versichern; aber ich muß es gestehen, als ich sah, daß alle meine Vorstellungen vergebens waren, daß die Schmeicheleyen der Hofschranzen, die man uns mitgegeben hatte, nebst den bösen Beyspielen, die er an den Höfen und in den Städten, welche wir besuchten, sahe, mächtiger auf ihn wirkten als meine Lehren und oft in Einer Stunde alles vereitelten, was ich durch wochenlange Predigten bewirkt zu haben glaubte; da verlor ich den Muth und wurde, um mich ihm zuletzt nicht durchaus verhaßt zu machen, nachsichtiger gegen ihn und – wenn man glaubt, daß es Pflicht sey, auch da zu arbeiten, wo man gewiß weiß, daß alle Arbeit verloren ist – nachlässiger in Erfüllung meiner Pflichten.

Die kalte, untheilnehmende Seele des Prinzen war schlechterdings durch nichts, was gute Menschen interessiert, zu rühren. Glaubte ich zuweilen wohlwollende Aufwallungen in ihm zu bemerken, so erfuhr ich doch bald nachher, daß diese entweder nur von schwachen Nerven herrührten, die manchen unwillkürlichen Eindrücken nicht zu widerstehen vermochten, oder daß er, wie das bey sanguinischen Temperamenten nicht ungewöhnlich ist, sich hingab, wo diese Hingebung ihm eignen Genuß gewährte, auch keine Art von Aufopferung kostete, und daß er aus langer Weile Freundschaften schloß, wobey sein Herz nicht war.

Eitel im höchsten Grade und nur dann herablassend, gefällig und höflich, wenn er Schmeicheley und niedrige Gefälligkeit dafür einzuernten hoffen durfte, hatte er keinen Sinn für fremdes Verdienst, schätzte niemand, betrachtete alle Menschen als geborne Sclaven und sich von der Natur bestimmt, hoch über sie alle dazustehen und sie zu Werkzeugen seiner thörichten Unternehmungen zu machen. Er hielt jedermann für eigennützig, glaubte so wenig Andre fähig, aus Liebe zum Guten, ohne Nebenabsichten zu handeln, als er selbst in sich fühlte, wie wenig er im Stande war, etwas aus edlern Trieben zu unternehmen. Der Gedanke, daß jedermann Pläne auf seine Schätze machte, trieb ihn zu dem schmutzigsten Geize; wo es aber Befriedigung seiner Lüste oder seiner kindischen Eitelkeit galt, da warf er große Summen weg.

Sein Hang zu Ausschweifungen und sinnlichen Vergnügungen aller Art nahm mit jedem Jahre zu, und bald wurde ihm eine ununterbrochne Reihe von wollüstigen und betäubenden Freuden zum Bedürfnisse.

Nicht eine Spur von wahrhafter Festigkeit war in seinem Character; momentane Eindrücke, Launen und Grillen bestimmten ihn; aber in dem Augenblicke, daß er etwas wollte, durfte nichts der Erfüllung seiner Wünsche im Wege stehen; allein er hob die Schwierigkeiten nicht, sondern ertrotzte es von Andern, daß diese sie aus dem Wege schaffen mußten.

Ich sah bald, daß dieser Jünglings-Character einen Mann ankündigte, der einst als kalter Tyrann und schwacher Wollüstling vieltausend Menschen elend machen würde, und mit traurigem Herzen wurde ich gewahr, daß er aus jeder fremden Stadt, die wir besuchten, neue Laster, verstärkte Eindrücke zu Ausbildung seiner unglücklichen Gemüthsart mit sich nahm. Wo Verderbnis der Sitten herrschte und die Gelegenheit zu Ausschweifungen häufig war, da ergab er sich blindlings seinem Hange zur Wollust und Völlerey. Wo der Despotismus am höchsten getrieben wurde, da bestärkte er sich in seinen Grundsätzen von unbedingtem Gehorsame, den er forderte. Statt in den preußischen Staaten die unermüdete Wachsamkeit und Thätigkeit des großen, unsterblichen Friedrichs zum Wohl seiner glücklichen Unterthanen anzustaunen und zum höchsten Ideale eines Vorbilds für ihn zu machen, freuete er sich nur, wenn er hörte, daß der weise Monarch nicht litte, daß man ihm widerspräche, und nahm die Idee aus Berlin mit, daß ein König nie irren könne. Er ahmte nicht die Einfalt, Gradheit, Prunklosigkeit und Popularität des edeln, für die gute Sache so warmen Josephs nach; aber er legte die Art zu handeln des Kaisers nach seiner Weise aus und bildete sich daraus übel verstandne Grundsätze zu Unterdrückung und Demüthigung aller höhern Stände und zu willkürlicher Anwendung einer unumschränkten Gewalt, die keine Gesetze, keine Meinungen, kein Eigenthum respectiert; und statt von Carl Theodor zu lernen, wie ein Fürst Talente, Wissenschaften und Künste ermuntern und belohnen soll, nährte er in Mannheim und in München seinen Hang zur Unkeuschheit, zur Unmäßigkeit und zur Pracht.

Kurz! er kam an Leib und Seele sehr viel verderbter zurück, als er ausgereiset war; dennoch aber war es mir gelungen, ihm eine gewisse Furcht vor meinen strengen Grundsätzen einzuflößen, insoweit nämlich, daß er sich doch scheuete, in meiner Gegenwart sich ganz so zu zeigen, wie er war, ganz so zu handeln, wie er gern gehandelt hätte. Allein auch dieser Überrest von Scham verschwand, als er den Brief gelesen hatte, den ich aus Abyssinien erhielt. Nun sahe er sich schon in Gedanken auf dem Throne eines großen Reichs, über jede Einschränkung, jede Rücksicht hinaus; von diesem Augenblicke an veränderte sich sein Gesicht gegen mich, und er behandelte mich, als wenn ich der geringste seiner Sclaven gewesen wäre.

Wie wenig er sich nun noch um meinen Beyfall und meine Achtung bekümmerte, davon gab er mir, als wir uns in Venedig einschifften (denn wir nahmen den Weg durch Tirol dahin), eine auffallende Probe. Er hatte nämlich in Kassel Bekanntschaft mit einer verbuhlten und ränkevollen französischen Schauspielerin gemacht und diese während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in dieser Stadt unterhalten. Ich habe oben erzählt, daß seine Hofleute, sobald sie merkten, daß er sich dergleichen Ausschweifungen ergäbe, ihm allen Vorschub dazu leisteten; unter diesen Kupplern und Gelegenheitsmachern war aber keiner so geschäftig als der erste Cammerjunker Sr. Hoheit, welcher Stilky hieß. Dieser Mensch machte mir unerhört viel Kummer; er war unerschöpflich an Ränken und Niederträchtigkeiten und der Einzige, der sich durch schändliche Gefälligkeit dem Prinzen nothwendig zu machen verstand.

Als wir Kassel verließen, hatte Stilky die Veranstaltung getroffen, daß die französische Schauspielerin uns nachreisen mußte. Es befremdete mich ein wenig, in Frankfurt am Main und nachher in Mannheim im Schauspiele und an andern öffentlichen Ortern ein Frauenzimmer-Gesicht wahrzunehmen, das ich schon öfter gesehen zu haben glaubte; allein ich dachte nicht weiter daran, bis ich dieselbe Person wiederum in München, in der Oper, und zwar mit Sr. Hoheit im Gespräch begriffen, fand. Da merkte ich nun wohl, daß dies Zusammentreffen nicht von ungefähr kam. Der Prinz schlich oft gegen Abend, allein von Stilky begleitet, aus und kam erst gegen die Morgen-Dämmerung wieder zu Hause. Es wurden mir von den Ortern her, durch welche wir gereiset waren, Wechsel, die der Prinz ausgestellt hatte, zur Zahlung vorgelegt, ohne daß ich deutlich sah, wozu er diese Summen angewendet haben konnte. – Das alles war mir sehr unangenehm; aber was sollte ich thun? Vorstellungen halfen nicht; er war kein Knabe mehr, gegen den ich heftigre Mittel hätte anwenden, ihn etwa einsperren können; am Ende war es auch wohl für seine Gesundheit wenigstens besser, wenn er doch nun einmal ausschweifen wollte und mußte, daß er sich an ein einziges Frauenzimmer hing, als wenn er aus einem berüchtigten Hause in das andere gelaufen wäre. Wenn wir Europa verlassen, dachte ich, so wird doch die Dame zurückbleiben müssen, und habe ich den Prinzen erst in Gondar abgeliefert, dann mögen Andre die Sorge übernehmen, auf seine Schritte Acht zu geben!

Allein, wie soll ich mein Erstaunen schildern, als er in Venedig in mein Zimmer trat und mit einem hohen, befehlenden Ton und Blicke mir ankündigte, daß ich dafür sorgen müßte, eine Dame, welche ihn nach Abyssinien begleiten würde, nebst ihren Domestiken mit an Bord zu nehmen und ihnen alle Gemächlichkeiten zu verschaffen? Jetzt glaubte ich reden zu müssen, und ich that das mit Nachdruck. Von ernsten Vorstellungen und männlichen Weigerungen ließ ich mich zu den dringendsten, flehentlichsten Bitten herab – alles umsonst! Ich mischte Spott und Satyre hinein, suchte seine Eitelkeit rege zu machen, ihm vorzumalen, wie schimpflich es für einen Fürsten sey, sich in den Fesseln einer feilen Dirne zu schmiegen – alles vergebens! Endlich erklärte er mir mit dem frechsten Ungestüm, daß die Zeiten vorüber wären, wo ich ihn hätte als ein Kind behandeln dürfen, und daß, wenn Einer von uns beiden, die Französin oder ich, in Europa bleiben müßte, die Reihe mich treffen würde.

Nun schwieg ich, aber ich warf einen Blick auf ihn, der ihn hätte erröthen machen müssen, wenn afrikanische Fürsten erröthen könnten. – Die Buhlerin wurde, nebst zwey Kammermädchen und zwey Livree-Bedienten, eingeschifft, und wir segelten mit günstigem Winde aus dem Golfo di Venezia ab.

Nie ist mir eine Reise unangenehmer, langweiliger gewesen als diese Seereise von Venedig bis Alexandrien. Unser Schiff glich einem schwimmenden Bordelle. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht wurden Bacchanale gefeyert, und die zügelloseste Frechheit herrschte in Reden und Handlungen. Sobans und Manims Gesellschaft waren mein einziger Trost. Wir saßen, sooft wir konnten, in einer kleinen Cajüte oder auf dem Verdecke zusammen, suchten zu vergessen, von was für Menschen wir umgeben waren, unterredeten uns miteinander oder lasen und hatten die Ehre, spottweise von der ausgelassenen Bande die Philosophen genannt zu werden.

In Alexandrien fanden wir alles zu der Landreise durch Ägypten und Nubien in Bereitschaft. Mein Herr Vetter hatte dafür gesorgt; Kamele und Elephanten nebst allen Lebensbedürfnissen und einer zahlreichen Bedeckung hatten schon seit zwey Monathen auf uns gewartet; bey Abreise des Zugs hatte der alte Negus noch gelebt.

Hier nun theilte ich mit des Kronprinzen Erlaubnis die Caravane in zwey Theile. Die Wahrheit zu gestehen, so schämte ich mich, mit dem Gefolge dem Könige und dem Minister unter die Augen zu treten; ich wollte also vorausreisen und sie erst vorbereiten zu dem, was sie sehen würden. Mit mir reisete Soban, der ein herzliches Verlangen hatte, Weib und Kind wiederzusehen. Wir nahmen nur wenig Leute mit; Manim blieb, mit dem Reste der Suite, bey dem Prinzen und führte den zweyten Zug. Wir kamen zu Anfange des Februars im Jahre 1778 in Gondar an; der Kronprinz hielt zehn Tage später seinen Einzug in der Residenz.


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