Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Viertes Kapitel

Benjamin Noldmanns Abreise von Goslar am Harz, um nach Gondar in Abyssinien zu gehen, nebst den Nachrichten von seiner Audienz bey dem Kaiser von Marokko.

Auf meiner Reise zu Lande bis Stade begegnete mir nichts Merkwürdiges, als daß in den Städten und Dörfern zwischen Goslar und jener Stadt Kinder und erwachsene Leute hinter uns herliefen, weil die schwarzen und braunen Gesichter meiner Begleiter ihnen sehr auffallend waren. Von da mußten wir zu Wasser nach Plymouth gehen, weil ich dort verschiedne englische Waren einzukaufen hatte. Dort wurden wir bald nachher wieder eingeschifft und erreichten, ohne widrige Vorfälle, die Kanarischen Inseln.

Mein Herr Vetter war so sorgsam gewesen, mir einen geschickten Sprachmeister zu senden, und ich wendete die ganze Zeit, die wir auf der Nordsee, auf dem Atlantischen und nachher auf dem Mittelländischen Meere zubringen mußten, dazu an, mir die gehörigen Kenntnisse zu erwerben, um wenigstens nicht ganz unwissend in den Sprachen der Länder zu seyn, in denen ich nun künftig leben sollte.

In Madeira fand ich das Schiff, welches mich nach Marokko führen sollte. Daß wir dazu mit den nöthigen Pässen versehen waren, versteht sich von selber; ich hatte aber einen wirklichen Auftrag an dem marokkanischen Hofe von dem Könige in Abyssinien auszurichten. Mein Herr Vetter wollte, daß ich hier die erste Probe ablegen sollte, ob ich zum Staatsmanne taugte, und der Zweck meiner Gesandtschaft war, Sr. kaiserlichen Majestät ein Bündnis anzubiethen und zugleich mit dem braunen Monarchen einen Handlungs-Tractat zu schließen.

In dem Schiffe fand ich eine vollständige afrikanische Garderobe für mich, und sobald wir die Kanarischen Inseln aus den Augen verloren hatten, vertauschte ich meinen braunen Rock und die blaue Weste mit einer prächtigen abyssinischen Kleidung. Mein Herr Vetter hatte von mir verlangt, daß ich meiner Bierbrauers-Genealogie nicht Erwähnung thun, sondern mich für einen deutschen Cavalier von altem Adel ausgeben sollte. Es that mir weh, daß ich mir eine solche Lüge erlauben mußte, und ich seufzte darüber, daß auch in Abyssinien die Abstammung eines Menschen, die doch weder persönlichen Werth gibt noch persönliche Unvollkommenheit tilgt, für etwas Wesentliches gelten sollte; weil es nun aber einmal erfordert wurde und ich so wohlfeil dazu kommen konnte, ohne die gewöhnlichen Gebühren zu bezahlen, so reisete ich als ein Edelmann von Madeira ab.

Unter den Büchern, deren ich im vorigen Kapitel Erwähnung gethan habe und die ich mit nach Gondar bringen sollte, hatte mir der Minister von Wurmbrand auch den Titel des sehr interessanten, großen Werks aufgeschrieben, welches der Freyherr von Moser in Quarto herausgegeben hat und das die Beantwortung der wichtigen Frage enthält: ob die Gesandten vom zweyten Range den Titel Excellenz fordern dürfen oder nicht? Dies schätzbare Buch war, so wie noch ähnliche andre, welche Gegenstände des Staatsrechts abhandeln, die einen beträchtlichen Einfluß auf die Wohlfahrt des Heiligen Römischen Reichs haben, eigentlich zu meinem Gebrauche mitgenommen worden, indem ich daraus den nöthigen Unterricht erhalten sollte, wie ich es anzufangen hätte, meiner eignen und des allergnädigsten Königs Ehre an dem marokkanischen Hofe nichts zu vergeben. Sobald ich daher im Hafen Mazagan angekommen war, schickte ich meinen Dolmetscher voraus nach Marokko, um vorläufig jeden kleinen Punct des Ceremoniells bey meiner feyerlichen Audienz ins Reine bringen zu lassen. Nun gingen fast täglich Couriere hin und her, zwischen Mazagan und Marokko; die dortigen Zeitungsschreiber urtheilten, es müßten am Hofe äußerst wichtige Dinge verhandelt werden, umso mehr, da binnen den sechs Wochen, die ich im Hafen zubrachte, um über jene Puncte bestimmte Erklärung zu erhalten, alle, auch die wichtigsten einländischen Geschäfte im marokkanischen Ministerio liegenblieben. Anfangs begnügten sich die öffentlichen Blätter, nur oft wiederholt zu erzählen, es sey schon wieder ein Courier durchpassiert, von dessen Ausrichtung – man nichts wisse. Als aber dem Publico die Zeit zu lange dauerte und ich die strengste Verschwiegenheit beobachtete, erfanden die Zeitungsschreiber allerley zuverlässige Nachrichten von bevorstehenden Kriegen und Ländertausch, bis endlich die ganze Sache klar wurde. Man erlaubte sich nämlich am Hofe des Kaisers von Marokko die unerhörte Anmaßung, zu fordern, der abyssinische Gesandte sollte in des Kaisers Gegenwart durchaus sich nicht unterstehen zu niesen. Nun hatte ich aber nicht nur, durch Verkältung auf der Reise, einen ungeheuern Schnupfen bekommen, sondern es stand auch bestimmt in meiner Instruction, daß ich auf diesem höchst wichtigen Punct, weswegen schon einmal ein zehnjähriger Krieg war geführt worden, mit aller Beharrlichkeit bestehen sollte. Es glückte mir endlich, durch ernstliche Bedrohung, daß man wieder zu den Waffen greifen würde, nicht nur die Freyheit zu erlangen, bey Hofe ungehindert zu niesen, sondern auch, daß man mich von dem ärgerlichen Ceremoniell befreyete, während der Audienz eine Pomeranze im Munde zu führen. Da indessen mein Catharr vorübergegangen war und ich mich doch in den Besitz des Rechts zu niesen setzen wollte, so versah ich mich mit dem grünen Schneeberger Schnupftobacke, der auch solche Wirkung hervorbrachte, daß darüber ein großer Theil der schönen Reden verlorenging, die bey dieser Gelegenheit gehalten und verdolmetscht wurden.

Ich verschone die Leser mit Beschreibungen meines feyerlichen Einzugs und schweige über den übrigens sehr glücklichen Erfolg meiner Verhandlungen am marokkanischen Hofe, als welche, wie billig, ein Geheimnis bleiben müssen; dagegen aber will ich einiges von der Person des Kaisers, von dem Lande selber und von einem sehr interessanten Gespräche, das ich mit seiner Majestät führte, hier erzählen.

Der damalige Kaiser von Marokko war ein stattlicher, corpulenter Herr, der einen vortrefflichen Appetit bey Tafel hatte und die Frauenzimmer ungemein liebte. Die Zeit, welche er diesen beiden Gegenständen widmete, erlaubte ihm nicht, sich sehr viel um Regierungsgeschäfte zu bekümmern. Diese waren deswegen gänzlich den Händen seines Premierministers überlassen, der ein Jude und ein wenig schmutzig in seinem Äußerlichen war. Der Kaiser schien, wenn ich die wenigen Stunden zwischen dem Frühstücke und der Mittagsmahlzeit ausnehme, fast immer schläfrig und abgespannt zu seyn, und dann begegnete es ihm wohl, Gespräche zu führen, die man bey einem Privatmanne äußerst albern finden würde, welches aber bey einem großen Herrn der Fall nie seyn kann. Mitunter kam indessen auch wohl einmal etwas in seinen Reden vor, das nicht ohne Vernunft war, und dann pflegte er dies einigemal zu wiederholen und zu erwarten, daß man ihm darüber eine Schmeicheley sagte. Eines Morgens war ich nebst meinem Dolmetscher und dem Ober-Ceremonienmeister bey dem Kaiser allein, und da fiel folgendes Gespräch unter uns vor:

Kaiser: Das Europa, wo Du zu Hause bist, mein lieber Gesandter! mag ein ganz hübsches Ländchen seyn; es ist Schade, daß es nicht einem einzigen Herrn gehört.

Ob. Cer. Mstr.: Und einem so weisen Monarchen, als Ew. Majestät sind.

Kaiser: Halte jetzt Dein Maul! Ich rede mit dem Gesandten. Wenn ich einmal des Nachmittags auf dem Ruhebette liege, so sollst Du mir dergleichen vorsprechen. Also, was ich sagen wollte! Fürchten sich Eure Könige und Fürsten nicht, daß ich sie einmal absetze?

Ich: Man kennt die edle Denkungsart Ew. Majestät, rechnet auf die Verträge und Friedensschlüsse und dann auch ein wenig auf die weite Entfernung.

Kaiser: Laß sehen! Was sagtest Du? Es war viel auf einmal: aber ich kann es noch alles zusammenbringen. Man rechnet auf die Entfernung? Ja! man kennt mich noch nicht; wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, so muß das gehen, und wenn es auch noch soviel Schwierigkeiten hat. Meine edle Denkungsart? – Nun! das ist etwas. Ja! wenn man mich nicht in Zorn bringt, so geht alles gut. Aber was die Verträge betrifft, Herr Gesandter! so lasse ich mich darauf mit den europäischen Fürsten nicht ein, weil sie unter sich selber auch nicht Wort halten. Wenn meine Schiffe fremden Fahrzeugen begegnen, und sie haben Lust dazu, so nehmen sie sie weg, und damit Punctum!

Ich: Aber, allergnädigster Kaiser! doch nicht, wenn diese fremden Fahrzeuge solchen Mächten gehören, mit denen Ew. Majestät Frieden haben?

Kaiser: Gesandter! Du hast den Sinn meiner Worte nicht begriffen. Ich schließe mit keinem europäischen Könige Frieden, weil sie ihn doch nicht halten, sobald sie glauben, daß sie ungestraft nehmen können. Plündern sie sich doch selber Einer den Andern und nehmen sich Länder weg, die ihnen sowenig zugehören als mir Deine Nase!

Ich: Ew. Majestät halten zu Gnaden! Wenn einer unsrer Könige in die Nothwendigkeit versetzt wird, seinem Nachbar den Krieg anzukündigen –

Kaiser: Dein Wort in Ehren! aber ich sehe es nicht ein, wie dabey eine Nothwendigkeit eintreten kann – doch nur weiter!

Ich: Dann läßt er, durch einen geschickten Rechtsgelehrten, eine Deduction verfertigen –

Kaiser: Was ist das für ein Ding?

Ich: Das ist eine Schrift, darin bewiesen wird, daß dieser König ein Recht auf diese oder jene Provinz habe.

Kaiser: Ich möchte, bey meiner Seele! wohl einmal sehen, wie man es anfängt, wenn man beweisen will, daß irgendein Mensch oder irgendein Volk auf irgendein Stück der Welt ein andres Recht habe als das, was ihm die Stärke gibt. Aber laß hören! Wird nun der Andre dadurch überzeugt? Und wenn er es nicht wird, wer entscheidet dann? Wer ist Richter?

Ich: Der Gegentheil schreibt gleichfalls eine Deduction, und dann greifen sie zu den Waffen.

Kaiser: Das ist eine dumme Einrichtung. Was kann die unnütze Schmiererey helfen, wenn man sich einmal vorgenommen hat, seinem Kopfe zu folgen? Ist es nicht viel ehrlicher gehandelt, wenn man grade zugreift und hinnimmt, ohne den Andern mit Heucheleyen zu betrügen? Ist es nicht ehrlicher gehandelt, gar keinen Frieden zu versprechen, wenn man voraus weiß, daß einmal das, was Du Nothwendigkeit nennst, uns bewegen kann, über den Nachbar herzufallen? Wer hält da mehr Treue und Glauben, Ihr oder Wir? Aber ohne alle diese unnützen Versicherungen lassen wir unsre Nachbarn in Ruhe, und nur die falschen Europäer glauben wir nicht schonen zu dürfen, weil sie Unsrer nicht schonen. Wenn wir uns auf ihre Bündnisse und beschwornen Frieden einließen, so würden sie auch bald gegen uns mit ihren Deductionen, oder wie die Dinger heißen, angezogen kommen. Jetzt hält die Furcht sie beständig im Zaume, weil sie wissen, daß mit uns nicht zu scherzen ist.

Ich sahe wohl, daß ich den mohrischen Kaiser nicht überzeugen konnte, und schwieg also, da ich ohnehin in Marokko nicht als ein Europäer, sondern als abyssinischer Abgesandter erschien. Übrigens gefiel es mir sehr gut an diesem Hofe, und ich kann nicht sagen, daß ich während meines zweymonathlichen Aufenthalts die geringste Ungerechtigkeit ausüben gesehen hätte, sowenig gegen mich als gegen andre. Wenn die Seeräuber die Sache mit dem wahren Namen nennen und kein anders Recht als das des Stärkern respectieren, so erkennen sie doch zugleich die Pflicht des Mächtigern, den Schwächern zu schützen, und da sie wohl einsehen, welche Verwirrung daraus entstehen würde, wenn kein Privatmann sicher seyn könnte, die Früchte seines Fleißes einzuernten, so ist das wahre, selbst erworbne Eigenthum, ohne geschriebne Gesetze, durch Herkommen heilig und gesichert, außer unter den herumziehenden Horden.

Die Königreiche Fes und Marokko haben einen Überfluß an allem, was zur Annehmlichkeit des Lebens dienen kann; sie bestehen aus den schönsten, reizendsten Gegenden, in einem milden, gemäßigten Himmelsstriche gelegen. Die Einwohner haben Verstand, Witz und Liebe zu den Wissenschaften. – Mit Einem Worte! ich bin überzeugt, daß, wenn unsre europäischen Majestäten hoffen dürften, mit einigem Erfolge die Sache betreiben zu können, man schon längst einem Professor aufgetragen haben würde, in einer gründlichen Deduction das Recht zu beweisen, sich in Sr. Marokkanischen Majestät Provinzen zu theilen.

Ich genoß ausgezeichnete Achtung an dem Hofe dieses Kaisers und wurde reichlich beschenkt. Um dafür meine Dankbarkeit zu zeigen und die Ehre des königlich abyssinischen Gesandten zu behaupten, kam ich auf den Gedanken, Sr. Majestät eine vollständige europäische Kleidung zu Füßen zu legen. Ich suchte also meinen leberfarbnen Rock mit der blauen Weste, sodann Beinkleider, Hut, Schuhe, Hemd, Schnallen, Strümpfe, kurz alles, was zu einem zierlichen Anzüge nach unsrer Weise gehört, hervor und ließ mir dies aufs Schloß nachtragen. Der Kaiser hatte eine unbeschreibliche Freude bey dem Anblicke aller dieser Stücke und lachte überlaut über die Menge von Kleinigkeiten, mit allen Knöpfen, Lappen, Ecken, Nähten und dergleichen, woraus diese Kleidung bestand, von welcher er behauptete, daß sie dem menschlichen Körper ein solches verschobnes, unförmliches Ansehen gäbe, daß, wer das zum ersten Male sähe, kaum wissen würde, was für eine Creatur in diesem Flickwerke steckte. Er lachte so überlaut, daß er fast erstickt wäre, und statt, daß ich erwartet hatte, er würde den europäischen Geschmack bewundern, erlebte ich die Demüthigung, zu sehen, daß Se. Majestät es gar nicht für möglich hielten, daß ein Mensch im Ernst also gekleidet seyn könnte. Ja! er befahl seinem Hofnarren, diesen leberfarbnen Rock, nebst Zubehör, jeden Mittag nach Tafel anzuziehen und also vor ihm zu erscheinen, damit er ihn aufs Neue in lustige Laune versetzen und dadurch seine Verdauung befördern möchte. Indessen schien er doch großen Werth auf dies Geschenk zu setzen. Ich beurlaubte mich, stieg nebst meinem Gefolge in Mazagan in ein Schiff, das ausdrücklich für mich und zwar aufs prächtigste ausgerüstet war. Eine Fregatte diente zu unsrer Bedeckung. Wir fuhren vor Gibraltar vorbey, hielten uns immer nahe an der barbarischen Küste und stiegen in Tolomita, einem Hafen im Königreiche Barkan, an das Land.


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