Gottfried Keller
Züricher Novellen
Gottfried Keller

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»Das weiß ich alles!« erwiderte Hediger; »aber das Jahr ist lang, und wenn es vorbei ist, kommt wieder ein anderes. Ich kann euch versichern, ich erschrecke jedesmal, wenn einer mit einer feineren Zigarre mir ins Haus kommt! Wird er nicht dem Luxus und der Genußsucht anheimfallen? denke ich. Sehe ich eine der jungen Frauen mit einem neuen Kleid einherziehen, so fürchte ich, sie stürze den Mann in üble Umstände und Schulden; spricht einer auf der Straße mit einem verschuldeten Menschen, so ruft es in mir: Wird der ihn nicht zu einer Unbesonnenheit verführen? Kurz, ihr seht, daß ich mich demütig und abhängig genug fühle und weit entfernt bin, mich noch einem reichen Gegenschwäher gegenüber in Dienstbarkeit zu versetzen und aus einem Freunde einen Herren und Gönner zu schaffen! Und warum soll ich wünschen, daß mein junger Schnaufer von Sohn sich reich und geborgen fühle und mir mit dem Hochmut eines solchen vor der Nase herumlaufe, er, der noch nichts erfahren? Sollte ich helfen, ihm die Schule des Lebens zu verschließen, daß er schon bei jungen Jahren ein Hartherziger, ein Flegel und ein Lümmel wird, der nicht weiß, wie das Brot wächst, und noch wunder meint, was er für Verdienste besitze! Nein, sei ruhig, mein Freund! hier meine Hand darauf! Nichts von Schwäherschaft, fort mit dem Gegenschwäher!«

Die beiden Alten schüttelten sich die Hand, die übrigen lachten und Bürgi sagte: »Wer würde nun glauben, daß ihr zwei, die in der Vaterlandssache erst so weise Worte geredet und uns die Köpfe gewaschen habt, nun im Umsehen so törichtes Zeug beginnen würdet! Gott sei Dank! So habe ich also doch noch Aussicht, meine zweischläfige Bettstelle an den Mann zu bringen, und ich schlage vor, daß wir sie dem jungen Pärchen zum Hochzeitsgeschenk machen!«

»Angenommen!« riefen die andern vier, und Pfister, der Wirt, fügte hinzu: »Und ich verlange, daß mein Faß Schweizerblut an der Hochzeit getrunken werde, der wir alle beiwohnen!«

»Und ich werde es bezahlen, wenn sie stattfindet,« schrie Frymann zornig, »aber wenn nichts daraus wird, wie ich sicher weiß, so bezahlt ihr das Faß, und wir trinken es in unsern Sitzungen, bis wir fertig sind!« – »Die Wette ist angenommen!« hieß es; doch Frymann und Hediger schlugen mit den Fäusten auf den Tisch und wiederholten in einem fort: »Nichts von Schwäherschaft! Wir wollen keine Gegenschwäher sein, sondern unabhängige gute Freunde!«

Mit diesem Ausruf war die inhaltsreiche Sitzung endlich geschlossen und die Freiheitsliebenden wandelten fest und aufrecht nach Hause.

*

Beim nächsten Mittagessen eröffnete Hediger, als die Gesellen fort waren, seinem Sohne und seiner Frau den feierlichen Beschluß von gestern, daß zwischen Karl und des Zimmermanns Tochter fortan kein Verhältnis mehr geduldet würde. Frau Hediger, die Büchsenschmiedin, wurde durch diesen Gewaltspruch so zum Lachen gereizt, daß ihr das Restchen Wein, welches sie eben austrinken wollte, in die Luftröhre geriet und ein gewaltiges Husten verursachte.

»Was ist da zu lachen?« sprach ärgerlich der Meister; seine Frau erwiderte: »Ach, ich muß nur lachen, daß das Sprichwort: Schuster bleib beim Leist! auch auf euern Verein anzuwenden ist! Was bleibt ihr nicht bei der Politik, statt euch in Liebeshändel zu mischen?«

»Du lachst wie ein Weib und sprichst wie ein Weib!« versetzte Hediger mit großem Ernst, »eben in der Familie beginnt die wahre Politik; freilich sind wir politische Freunde; aber um es zu bleiben, wollen wir nicht die Familien durcheinander werfen und Kommunismus treiben mit dem Reichtum der einen. Ich bin arm und Frymann ist reich, und so soll es bleiben; um so mehr gereicht uns die innere Gleichheit zur Freude. Soll ich nun durch eine Heirat meine Hand in sein Haus und in seine Angelegenheiten stecken und den Eifer und die Befangenheit wachrufen? Das sei ferne!«

»Ei ei ei! das sind doch wunderbare Grundsätze!« antwortete Frau Hediger; »schöne Freundschaft, wenn ein Freund dem Sohne des andern seine Tochter nicht geben mag! Und seit wann heißt es denn Kommunismus, wenn durch Heirat Wohlhabenheit in eine Familie gebracht wird? Ist das eine verwerfliche Politik, wenn ein glücklicher Sohn ein schönes und reiches Mädchen zu gewinnen weiß, daß er dadurch zu Besitz und Ansehen gelangt, seinen betagten Eltern und seinen Brüdern zur Hand sein und ihnen helfen kann, daß sie auch auf einen grünen Zweig kommen? Denn wo einmal das Glück eingekehrt ist, da greift es leicht um sich, und ohne daß dem einen Abbruch geschieht, können die andern in seinem Schatten mit Geschick ihre Angel auswerfen. Nicht, daß ich es auf ein Schlaraffenleben absehe! Aber es gibt gar viele Fälle, wo mit Anstand und Recht ein reich gewordener Mann von seinen unbemittelten Verwandten mag zu Rat gezogen werden. Wir Alten werden nichts mehr bedürfen; dagegen könnte vielleicht die Zeit kommen, wo dieser oder jener von Karls Brüdern eine gute Unternehmung, eine glückliche Veränderung wagen möchte, wenn ihm jemand die Mittel anvertraute. Auch wird der ein' und andere einen begabten Sohn haben, der sich in die Höhe schwingen würde, wenn das Vermögen da wäre, ihn studieren zu lassen. Der würde vielleicht ein beliebter Arzt werden, der ein angesehener Advokat oder gar ein Richter, der ein Ingenieur oder ein Künstler, und allen diesen würde es dann, einmal so weit gekommen, wiederum ein leichtes sein, sich gut zu verheiraten und so zuletzt eine angesehene, zahlreiche und glückliche Familie zu bilden. Was wäre nun menschlicher, als daß ein begüterter Oheim da wäre, der, ohne sich Schaden zu tun, seinen rührigen, aber armen Verwandten die Welt auftäte? Denn wie oft kommt es nicht vor, daß um eines Glücklichen willen, der in einem Hause ist, auch alle andern etwas von der Welt erschnappen und klug werden? Und alledem willst du den Zapfen vorstecken und das Glück an der Quelle verstopfen?«

Hediger lachte voll Verdruß und rief: »Luftschlösser! Du sprichst wie die Bäuerin mit dem Milchtopf! Ich sehe ein anderes Bild von dem reich Gewordenen unter armen Verwandten! Der läßt sich allerdings nichts abgehen und hat immer tausend Einfälle und Begierden, die ihn zu tausend Ausgaben veranlassen und die er befriedigt. Kommen aber seine Eltern und seine Brüder zu ihm, geschwind setzt er sich wichtig und verdrießlich über sein Zinsbuch, die Feder quer im Munde, seufzt und spricht: ›Danket Gott, daß ihr nicht den Verdruß und die Last einer solchen Vermögensverwaltung habt! Lieber wollt' ich eine Herde Ziegen bewachen, als ein Rudel böswilliger und saumseliger Schuldner! Nirgends geht Geld ein, überall suchen sie auszubrechen und durchzuschlüpfen, Tag und Nacht muß man in Sorgen sein, daß man nicht gröblich betrogen wird! Und kriegt man einen Schuft beim Kragen, so hebt er ein solches Gewinsel an, daß man ihn nur schnell wieder muß laufen lassen, wenn man nicht als ein Wucherer und Unmensch will verschrien werden. Alle Amtsblätter, alle Tagfahrten, alle Ausschreibungen, alle Inserate muß man lesen und wieder lesen, um nicht eine Eingabe zu versäumen und einen Termin zu übersehen. Und nie ist Geld in der Kasse! Zahlt einer ein Darlehen zurück, so stellt er sein Geldsäckchen in allen Schenken auf den Tisch und tut dick mit seiner Abzahlung, und eh' er aus dem Hause ist, stehen drei da, die das Geld haben wollen, einer davon sogar ohne Unterpfand! Und dann die Ansprüche der Gemeinde, der Wohltätigkeitsanstalten, der öffentlichen Unternehmungen, der Subskriptionslisten aller Art – man kann nicht ausweichen, die Stellung erfordert es; aber ich sage euch, man weiß oft nicht, wo einem der Kopf steht! Dies Jahr bin ich gar in der Klemme, ich habe meinen Garten verschönern lassen und einen Balkon gebaut, die Frau hat es schon lange gewünscht, nun sind die Rechnungen da! Mir ein Reitpferd zu halten, wie der Arzt schon hundertmal geraten, daran darf ich gar nicht denken, denn immer kommen neue Ausgaben dazwischen. Seht, da hab' ich nur auch eine kleine Kelter bauen lassen von neuester Konstruktion, um den Muskateller zu pressen, den ich an den Spalieren ziehe – hol mich der Teufel, wenn ich sie dies Jahr bezahlen kann! Nun, ich habe gottlob noch Kredit!‹ So spricht er und schüchtert, indem er noch eine grausame Prahlerei damit zu verbinden weiß, seine armen Brüder, seinen alten Vater ein, daß sie ihr Anliegen verschweigen und sich nur wieder fortmachen, nachdem sie seinen Garten und seinen Balkon und seine sinnreiche Kelter bewundert. Und sie gehen zu fremden Leuten, um Hilfe zu suchen, und bezahlen gern höhere Zinsen, um nur nicht so viel Geschwätz hören zu müssen. Seine Kinder sind fein und köstlich gekleidet und gehen elastisch über die Straßen; sie bringen den armen Vetterchen und Bäschen kleine Geschenke und holen sie alljährlich zweimal zum Essen, und es ist dies den reichen Kindern ein großer Jux; aber wenn die Gäste ihre Schüchternheit verlieren und auch laut werden, so füllt man ihre Taschen mit Äpfeln und schickt sie nach Hause. Dort erzählen sie alles, was sie gesehen und was sie zu essen bekommen haben, und alles wird getadelt; denn Groll und Neid erfüllt die armen Schwägerinnen, welche nichtsdestoweniger der wohlhabenden Person schmeicheln und deren Staat rühmen mit beredten Zungen. Endlich kommt ein Unglück über den Vater oder über die Brüder, und der reiche Mann muß nun wohl oder übel, des Gerüchtes wegen, vor den Riß stehen. Er tut es auch, ohne sich lange bitten zu lassen; aber nun ist das Band brüderlicher Gleichheit und Liebe ganz zerrissen! Die Brüder und ihre Kinder sind nun die Knechte und Untertanenkinder des Herren; jahraus und -ein werden sie geschulmeistert und zurechtgewiesen, in grobes Tuch müssen sie sich kleiden und schwarzes Brot essen, um einen kleinen Teil des Schadens wieder einzubringen, und die Kinder werden in Waisenhäuser und Armenschulen gesteckt, und wenn sie stark genug sind, müssen sie arbeiten im Hause des Herren und unten an seinem Tische sitzen, ohne zu sprechen.«

»Hu!« rief die Frau, »was sind das für Geschichten! Und willst du wirklich deinen eigenen Sohn hier für einen solchen Schubiak halten? Und ist es denn geschrieben, daß gerade seine Brüder ein solches Unglück treffen sollte, das sie zu seinen Knechten machte? Sie, die sich schon selbst zu helfen wußten bis jetzt? Nein, da glaube ich doch zur Ehre unseres eigenen Blutes, daß wir durch eine reiche Heirat nicht dergestalt aus dem Häuschen gerieten, vielmehr sich meine bessere Ansicht bestätigen würde!«

»Ich will nicht behaupten,« erwiderte Hediger, »daß es gerade bei uns so zuginge; aber auch bei uns würde die äußere und endlich auch die innere Ungleicheit eingeführt; wer nach Reichtum trachtet, der strebt seinesgleichen ungleich zu werden –«

»Larifari!« unterbrach ihn die Frau, indem sie das Tischtuch zusammennahm und zum Fenster hinausschüttelte; »ist denn Frymann, der das Gut in Händen hat, um das wir uns streiten, euch andern ungleich geworden? Seid ihr nicht ein Herz und eine Seele und steckt immer die Köpfe zusammen?«

»Das ist was anderes!« rief der Mann, »was ganz anderes! Der hat sein Gut nicht erschlichen oder in der Lotterie gewonnen, sondern Taler um Taler durch seine Mühe erworben während vierzig Jahren. Und dann sind wir nicht Brüder, ich und er, und gehen einander nichts an und wollen es ferner so halten, das ist der Punkt! Und endlich ist der nicht wie andere Leute, der ist noch ein Fester und Aufrechter! Wir wollen aber nicht immer nur diese kleinen Privatverhältnisse betrachten! Glücklicherweise gibt es bei uns keine ungeheuer reichen Leute, der Wohlstand ist ziemlich verteilt; laß aber einmal Kerle mit vielen Millionen entstehen, die politische Herrschsucht besitzen, und du wirst sehen, was die für einen Unfug treiben! Da ist der bekannte Spinnerkönig, der hat wirklich schon viele Millionen und man wirft ihm vor, daß er ein schlechter Bürger und ein Geizhals sei, weil er sich nichts ums Allgemeine kümmere. Im Gegenteil, ein guter Bürger ist er, der nach wie vor die andern gehen läßt, sich selbst regiert und lebt wie ein anderer Mann. Laß diesen Kauz ein politisches herrschsüchtiges Genie sein, gib ihm einige Liebenswürdigkeit, Freude an Aufwand und Sinn für allerhand theatralischen Pomp, laß ihn Paläste und gemeinnützige Häuser bauen und dann schau, was er für einen Schaden anrichtet im gemeinen Wesen und wie er den Charakter des Volkes verdirbt. Es wird eine Zeit kommen, wo in unserem Lande, wie anderwärts, sich große Massen Geldes zusammenhängen, ohne auf tüchtige Weise erarbeitet und erspart worden zu sein; dann wird es gelten, dem Teufel die Zähne zu weisen; dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch! Kurz und gut! ich sehe nicht ein, warum einer meiner Söhne nach fremdem Gute die Hand ausstrecken soll, ohne einen Streich darum gearbeitet zu haben. Das ist ein Schwindel wie ein anderer!«

»Es ist ein Schwindel, der da ist, solange die Welt steht,« sagte die Frau mit Lachen, »daß zwei sich heiraten wollen, die sich gefallen! Hieran werdet ihr mit all euren großen und steifen Worten nichts ändern. Du bist übrigens allein der Narr im Spiele; denn Meister Frymann sucht weislich zu verhüten, daß deine Kinder den seinigen gleich werden. Aber die Kinder werden auch ihre eigene Politik haben und sie durchführen, wenn etwas an dem Handel ist, was ich nicht weiß.«

»Mögen sie«, sagte der Meister, »das ist ihre Sache; die meinige ist, nichts zu begünstigen und solange Karl minderjährig ist, jedenfalls meine Einwilligung zu versagen.«

Mit dieser diplomatischen Erklärung und der neuesten Nummer des »Republikaners« zog er sich in sein Studierzimmer zurück. Frau Hediger dagegen wollte sich nun hinter den Sohn machen und ihn neugierig zur Rede stellen; doch bemerkte sie erst jetzt, daß er sich aus dem Staube gemacht habe, da ihm die ganze Verhandlung durchaus überflüssig und unzweckmäßig erschien und er sich überhaupt scheute, seine Liebeshändel vor den Eltern auszukramen.


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