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Vor der Katastrophe

Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr!« denkt Lindemanns Karl und hält Umschau in Stube und Küche. Gestern hatte er den Rechen, aber der wird heute beim Heumachen draußen auf der Wiese gebraucht. Was nimmt man nun? Ein Gewehr muß lang sein, man muß es schultern können und präsentieren, wenn der Herr Leutnant vorbeigeht, – so hat's der Karl bei der Einquartierung gesehen, die acht Tage lang im Städtchen lag.

Ei, das war eine lustige Zeit für alle Buben! Die Helme blitzten, die Pferde wieherten, die Kanonen ratterten und rumpelten über das Steinpflaster und: »Tschingtarattata! Tschingtarattata! – Bumm – bumm – bumm!« ging's den ganzen Tag. Seitdem ist Lindemanns Karl nur noch für das Soldatenspiel zu haben. Natürlich ist er nicht gern gemeiner Soldat dabei, er muß gleich General sein und das Kommando führen. Wenn's nur nicht so schwer hielte, ein Heer Soldaten anzuwerben! Fritzle, sein bester Freund, hat gar keine Neigung für den Kriegerstand, – schade! Denn mit dem spielt sich's allemal am besten. Aber Fritzle spricht: »Dös mag i net! Alleweil tun müssen, was so ein General befiehlt, – geh! So dumm bin i net!«

Und die Mädeles, mit denen unser Karl früher so gern spielte, kann man doch zu Soldaten nicht gebrauchen. Schwester Lorle und das Bäschen werden jetzt sogar sehr überlegen abgefertigt, wenn sie zum Fangball oder Paradieshüpfen Karls Beteiligung wünschen. Und es ist doch noch gar nicht lange her, – es war am Tage, ehe die Einquartierung ins Städtlein rückte, – da hat der Herr General, ohne besondere Herablassung zu zeigen, einträchtig mit ihnen eine Puppenhochzeit gefeiert. Damit ist's freilich nun vorbei, und an diese unkriegerische Vergangenheit erinnert er sich am liebsten nicht mehr.

Halt, da ist auch ein Gewehr: Mutters großer Besen! Wollen einmal probieren! »Gewehr auf! – Gewehr ab! – Präsentiert das Gewehr!« gibt der Herr General sich selber das Kommando. Es geht ausgezeichnet. Nun läuft er in den Hof hinab und vervollständigt seine militärische Ausrüstung. Die unterste Stufe der steinernen Hoftreppe ist Kaserne und Zeughaus zugleich: da stehen Holz- und Bleisoldaten, Pferd und Kanone. Unser Karl setzt sich den Generalshut auf mit dem wallenden Federbusch, nimmt den Degen in die Hand und hängt ein klapperndes, rasselndes Etwas am Lederriemen um die Schulter, – es kann eine Patronentasche sein oder eine Trommel, je nachdem! Dann läßt der Herr General seine Truppen Aufstellung nehmen und hält große Musterung. Doch mit der stummen Kompanie allein ist das Spiel auf die Dauer nicht unterhaltend genug, er späht umher nach einem wirklichen, lebendigen Kriegskameraden. Fritzle spielt drüben mit den Nachbarskindern Haschen, – aber da steht ja Fiedlers Gustel an der Hausecke und blickt mit runden, blanken Augen zu dem Bewaffneten herüber. – Bah, solch Knirps von drei Jahren! – Der ist sonst dem Sechsjährigen zu klein und zu dumm als Spielgefährte: als Untergebener freilich, der immer gehorchen soll, wäre er am Ende gut zu gebrauchen.

»Magst mit mir spielen, Gustel?« fragt der Herr Befehlshaber leutselig.

Verlegenes Lachen. »Na. dann komm!« Zwei dicke Beinchen setzen sich eilig in Bewegung; trab, trab, steht der neue Rekrut vor dem Kommandierenden. Wie er ihn anschaut, so ehrerbietig, – hm! – das gefällt unserm Karl gar nicht übel. Solche Gesichter machten die wirklichen Soldaten auch immer, wenn sie vor dem Herrn Leutnant standen. Aber nun muß der Gustel auch eingekleidet werden; der Herr General denkt nach. Ein Helm ist durchaus notwendig. Da kommt ihm ein großartiger Einfall. Spornstreichs läuft er in die Küche, nimmt den großen, blanken Blechtrichter vom Haken an der Wand und stülpt ihn seinem Rekruten auf den dunklen Krauskopf. Ein Gewehr kann er nicht bekommen, dafür aber kriegt er Karls großes Tuthorn, denn Musik muß auch sein beim Militär. Dann nimmt der Herr General in voller Paradeuniform auf der Treppenstufe Platz, und sein Hornist darf sich neben ihn setzen. Die dicken Fäustchen umklammern das große Horn, in dessen Mundstück er mit vollen Backen hineinbläst.

Hu, wie schaurig das klingt!

Klein-Gustel ist sehr zufrieden mit der eigenen Leistung und blickt fragend auf seinen Vorgesetzten. Ist der etwa nicht damit zufrieden? Der Herr General sitzt so nachdenklich da. Ja, so lustig klingt Gustels Blasen nicht, wie das der Trompeter klang, die durch die Stadt gezogen sind!

Die schauerlichen Töne aber, die Gustel dem Horn entlockt, ziehen hinaus auf die Straße. Fast klingen sie wie Feuerlärm. Die Kinder, welche draußen spielen, stehen still und lauschen.

»Ach, du liebe Zeit!» ruft's Bäschen auf einmal, »ich weiß, was es ist. Das ist dem Karl sein dummes Horn!«

»Wollen mal hinlaufen und sehen, was los ist!« sagt's Lorle.

Und Nachbars Peterle läuft auch mit, und sie schleichen die Treppe hinunter. »Pst! Da sind sie!« – »Leise, leise!« Auf dem Treppenabsatz steht ein Kübel mit Wasser zum Waschen, Mutter hat Röckchen und Strümpfe daneben gelegt, sie will sich nachher an die Arbeit machen.

Des Bäschens Augen blitzen. Das wäre ein Spaß! denkt das lustige Ding und zeigt mit dem Finger erst auf das Gefäß und dann auf die beiden stattlichen Krieger drunten. Lorle und Peter begreifen schnell und nicken verständnisvoll. Mit vereinten Kräften wird das Wasserfaß bis zur Steinbrüstung emporgehoben.

Wehe dir, stolze, bewaffnete Macht, deine ganze Herrlichkeit ist bedroht.

Da, wer schleicht die Treppe herab? Will Fritzle auch helfen bei dem Überfall? Nein, er ist Karls Freund, und wenn er auch dessen dummes Soldatenspiel nicht leiden kann, die Mädels sollen ihn doch nicht ausspotten dürfen. So läuft er hastig an ihnen vorbei, öffnet das Türlein, das in den Hof führt, und ruft mit lauter Stimme: »Achtung, Feinde im Rücken!«

Ei, der Schreck!

Bild: Hermann Kaulbach

Vor der Katastrophe.


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