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Nach der Schulstunde

Eins, zwei, drei, – die Schule ist vorbei« trällert der Blondkopf vor sich hin und springt eilig heimwärts. Da warten vor dem Hause schon die beiden Kleinen, Mini und Tini, auf den großen Bruder; der aber stürmt an ihnen vorbei und läuft durch den Hausflur in die Küche, wo ein riesiges Butterbrot auf dem Tisch liegt. O, ist das groß und dick! Das hat die liebe Mutter selbst zurecht gemacht für ihren Ältesten, dessen hungrigen Magen sie kennt. So hat er's gern, da braucht man die gehörige Zeit zum Aufessen und ist nicht so schnell damit fertig, wie mit den Butterbroten, welche die Großmutter streicht. Die sagt immer: »Der Bub darf sich den Magen nicht so ausweiten, sonst wird er im Leben nimmer satt!« oder: »Du denkst wohl, dein Magen ist eine Scheune, in die man ein paar Fuder einfahren kann!« – Ach, was weiß die Großmutter vom rechtschaffenen Hunger eines wilden Buben! Solche Brotschnitte mit brauner Kruste und frischer Butter, die Mutter selbst geschlagen hat, – ei, das schmeckt! Da vergißt er den Schulranzen abzulegen und duldet's, daß die Kleinen auf den Stuhl klettern und darin herumwühlen. Die ganze Weisheit auf dem Rücken ist ihm im Augenblick höchst gleichgültig. Mag Tini noch ein paar Eselsohren mehr in Schreib- und Rechenbücher machen. Mini ihre Künste auf der Schiefertafel versuchen, ihm ist's einerlei. Jetzt wirft Tini ein Buch nach dem andern auf die Erde, – laß sie fallen! – und Mini sagt: «Mach, daß du mit dem Butterbrot fertig wirst, du mußt Schularbeiten machen!« Laß sie reden, die dumme Kleine! – Noch ein Bissen, – so, nun hat die liebe Seele Ruh'; auch das dickste Butterbrot nimmt unter scharfen Zähnen bald ein Ende. Jetzt ist Friedl satt. Wirklich? Was nun zuerst vornehmen? Gleich die Schularbeiten machen oder sich zuvor noch ein paar Zwetschen vom Baum schütteln? Schnell wirft er den Ranzen ab, der ist so leicht. Er dreht sich um, da liegt der ganze Inhalt wie Kraut und Rüben an der Erde. »Na wartet, ihr unnütziges Volk!« ruft er drohend und hascht nach den Röckchen der beiden Kleinen, die schnell davonlaufen. Er jagt hinter ihnen her; warum soll er nicht auch erst noch ein Weilchen in den Garten? – Nach einer Stunde etwa kommt unser Friedl wieder ins Haus zurück. Er hat sich heiß getollt mit den Schwestern und noch ein gut Teil gegessen von den reifen, süßen Zwetschen; jetzt sollen aber auch die Schularbeiten recht sauber und gut gemacht werden, damit ihn der Lehrer einmal wieder loben kann. Sein Gewissen ist nämlich nicht ganz leicht, wenn er an die Zensur für das Sommerhalbjahr denkt. Aber was ist das? Die Katzenfamilie hat sich über seine Bücher gemacht, die noch an der Erde liegen; Mutter Miez kratzt grade am Schreibheft herum, und eins ihrer Kleinen leckt mit spitzem Zünglein die Ziffern von der Schiefertafel fort, während das andere mit dem Schwamm Ball spielt. – Friedl, Friedl, was wird morgen der Herr Lehrer sagen?

Bild: Hermann Kaulbach

Nach der Schulstunde.


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