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Großes Malheur

Ja, wenn die Resi nicht wär'! Die gute Resi, die der Mutter zur Hand geht in der Wirtschaft, von früh bis spät fleißig und unverdrossen, und an der alle Kinder hängen um ihres frohherzigen, hilfsbereiten Wesens willen. Sie war eigentlich nur als Dienstmagd ins Haus gekommen, als jemand, der heute eintritt und morgen wieder gehen kann, wenn's der Herrschaft oder ihm selbst beliebt, aber in kurzem war's, als gehörte die Resi untrennbar zur Familie. Wer mochte sich das Haus noch ohne sie denken?

»Ich geh' zur Resi!« war auch diesmal Gustls erster Gedanke bei dem großen Malheur gewesen, als die lange ersehnten Ringelstrümpfe, die ihm die Mutter erst aus der Stadt mitgebracht, ein großes Loch bekamen. Zwar waren Löcher in den verschiedensten Kleidungsstücken nichts Ungewöhnliches bei unserm Gustl, auch Strafe dafür zu tragen war ihm nichts Neues, aber dieser Riß ging tiefer als die übrigen, es war, als ob er nicht durch den Strumpf allein, sondern durch die eigene Haut gegangen wäre.

Die Lust, mit dem neuen Besitz in der Schule zu prunken, hatte ihn heut, am Montag, die Strümpfe ohne Erlaubnis wieder anziehen lassen, und die im Sonntagsstaat steckenden graugrünen Untertanen waren dem Mutterauge auch glücklich entschlüpft. Sie hatten den Neid der Mitschüler erregt und sogar der Bürgermeistersohn meinte: »Grad so a Paar wie dem Herrn Forstgehilfen seins!«

Da war er stolz nach Haus gegangen. Aber auf dem Weg sah er in des Buschmüllers Garten hoch oben am Raum, von dem Tags zuvor die roten Glaskirschen abgenommen wurden, noch ein vergessenes Pärchen hängen. Besinnt sich da wohl ein kletterfester Bub erst lange? Die Kirschen bekam er zwar, aber das Loch auch, wie es geschah, wer kann's sagen? Hecken sind eben unberechenbar.

Da gab's nur eine Hilfe, die Resi. Leise schlich er ins Haus, sie war in der Küche, Leni, das Schwesterchen, wurde eingeweiht, sie rief ihm die Resi heraus. Der fiel er um den Hals, bettelte und schmeichelte, bis sie ihr Nähkörbchen aus der Kammer holte und auf dem Treppchen im Hof ihre Künste am Bein des wilden Buben versuchte. Leicht war's nicht, die entschlüpfenden Maschen einzufangen, aber Resi hatte schon größere Kunststücke vollbracht. Staunend sahen die Kinder zu, bis das Stopfwerk beendet war. Wirklich, niemand konnte jetzt den Schaden mehr entdecken. Gustl aber gelobte der Resi ewige Dankbarkeit. »Verlang von mir, was du magst,« sagte er, sich selbstbewußt aufrichtend, daß die Gockelhahnfeder auf seinem grünen Filzhütl hin und her schwankte, »ich tu' dir alles!« »Schön,« meinte Resi lachend und zupfte den kleinen Prahler am Ohr, »so tu schon halt ein andermal a bissl mehr Obacht geben auf dein Gwandl, wenn du durchaus klettern mußt! Hab' eh' schon noch deine zerrissene Sonntagshos zu flicken!«

Bild: Hermann Kaulbach

Großes Malheur


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