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Wo ist der Fisch?

Wo war der Fisch heute früh? Da plätscherte er noch lustig im klaren Bach herum, sein Schuppenkleid glänzte und die roten Flossen leuchteten in der Sonne. Er haschte nach den Gefährten, versteckte sich zwischen den Steinen und schoß dann wieder eilig mit der Strömung vorwärts. Gewiß hätte er gelacht und ein fröhliches Lied gesungen, wenn er nicht als Fisch stumm auf die Welt gekommen wäre. Als er von der Bewegung Hunger bekam, suchte er sich Würmchen auf dem Grund oder hob den Kopf aus dem Wasser und schnappte nach tanzenden Mücken; aber nur selten erwischte er eine. Plötzlich tanzte ihm ein auserlesener Leckerbissen vor den Augen, ein dicker, rötlich schimmernder Regenwurm. Er stutzte. Wo kam der her? Aber schon schossen die Fischlein von allen Seiten drauf los, da besann er sich nicht länger und schnappte zu. O weh! Ein Ruck und er zappelte in der Luft, zwei Knabenhände ergriffen ihn und warfen ihn in einen engen, dunklen Raum, wo er schon mehrere seinesgleichen vorfand. Wohl war das ein Trost, aber wie sie auch alle mit den Schwänzen um sich schlagen mochten, sie konnten sich nicht befreien. Endlich aber öffnete sich die Tür doch einmal wieder; alle Gefangenen wurden herausgenommen und in einen großen Topf geworfen. Helle Kinderstimmen begrüßten jeden einzeln, besonders unsern schlanken Freund im Silberröckchen; aber die Mutter der Kleinen, die zusah, wie ihr Ältester die Fische auspackte, sagte: »Den Katzenfisch könnt ihr behalten!« Da griffen die Kinderhände hastig nach ihm, und als er sich wehrte und fortschnellte auf den Boden, wurde er eingefangen und in einen Kübel mit klarem Wasser geworfen, der im Hof stand. Patsch! lag das Fischlein wieder in seinem Element. Begierig sog's das Naß ein, denn es war furchtbar durstig geworden, auch machte es gleich Schwimmversuche. Gradaus war die Strecke zu kurz, da stieß es sofort mit dem Kopf an die Wand, so schwamm es im Kreise herum und fand, daß es auch auf diese Weise ging. Eine Weile freuten sich die drei Kinder an seinen Bewegungen, dann berieten sie, wie sie sich eine Angelrute verschaffen konnten um »Fischen« zu spielen, und liefen davon.

Kaum waren sie fort und unser Fisch merkte eben, daß ihm von der ungewohnten Bewegung in die Runde anfing ganz schwindlig zu werden, da fühlte er, wie das Wasser schwankte und, aufblickend, gewahrte er ein graues Ungetüm an der Wand des Behälters, das ihn mit grünlich schimmernden Augen starr betrachtete. Hu, wie er sich fürchtete! »Miau!« klang es langgezogen. Die grünen Augen folgten jeder Bewegung, dem armen Fisch wurde immer schwindliger, hilflos trieb er gegen die Holzwand. Da, – ein leises Fauchen, das Ungetüm schnappte zu und lief mit dem Fischlein im Maul davon. Fünf Minuten später aber umstanden die Kinder mit der Angelrute staunend das Holzgefäß. »Wo ist der Fisch?« – Ja, wo?

Bild: Hermann Kaulbach

Wo ist der Fisch?


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