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Der Jäger

Michail Iwanowitsch Galkin stammte aus irgendeinem der nordrussischen Gouvernements. Wie er eigentlich in diese südlich gelegene Gegend verschlagen worden war, wußte niemand – jedenfalls fragte ihn niemand danach, und er selbst sprach auch nicht davon.

Galkin war überhaupt ein komischer Kauz. Im Sommer verschwand er gewöhnlich – Gott weiß, wohin. Die Leute behaupteten, dann sei er Fischer – irgendwo an der Kama, im Permschen. Mit jedem Herbst aber, wenn die Winde rauh wehten und die Blätter gefallen waren, erschien er wieder – immer eisgrauer als das vorige Mal, aber stets noch rüstig.

Er war furchtbar grob gegen jedermann, den braven Uradnik Maxim Fedorowitsch Besborodow nicht ausgenommen, einsilbig und verschlossen – er war fast stets allein und suchte auch die Landesbewohner nur dann auf, wenn er etwas einkaufen wollte. Höflich war er auch dann nicht – nur, wenn er Kinder sah, lächelte sein gefurchtes Gesicht. Dann ging er wohl herzu, sah zu, wie die Kinder spielten, schenkte ihnen Zuckerwerk und ging wieder fort. Er lebte in einer kleinen Hütte, dort, wo der Wald anfängt, und wo auch die Goldsucher in der warmen Jahreszeit ihr Wesen treiben. Gingen die Goldgräber, erschien Galkin. Das war bekannt seit vielen Jahren.

Es waren aber doch Männer in der Gegend, die ungefähr wußten, was der alte Jäger Galkin in jedem Winter hier in dieser Gegend suchte. Das war nicht Gold, nicht edeles Gestein – das waren Füchse und Wölfe. Denn so wenig es Hasen, Birkhühner, Schnepfen und anderes eßbares Wild in dieser karstigen und waldarmen Gegend gab – desto mehr gab es Füchse und Wölfe – immer abwechselnd; denn der Wolf frißt nichts so gern wie Hund und Fuchs, seine Verwandten. Die Füchse leben zwar auch gern in der Steppe und in den Niederungen der Salzsümpfe – kommen aber die Wölfe, was meist im Herbst, wenn es kalt wird, geschieht, so ziehen sie sich ins Gebirge und in die Randwälder zurück. Im Frühling, wenn die Wölfe sich nach den Wäldern ziehen, dann geht der Fuchs wieder in die Steppen. So wechselt sich jedwedes Getier ab.

Galkin aber war ein Meister im Fuchsfang und verstand es auch – jedenfalls von seiner nordischen Heimat her – Wölfe bei Neuschnee einzukreisen und sie auf die Schützen zu treiben. Damit verdiente er sich ein schönes Stück Geld. Denn der Friedensrichter in der Stadt war ein gar großer Jäger, auch der Apotheker, der Doktor, der Untersuchungsrichter, der Staatsanwalt und der deutsche Fabrikant.

Die Kosaken hatten nichts gegen diesen alten »Kazapen« – denn er machte ihnen keine Konkurrenz. Sie, die Kosaken, jagten auf Füchse, Wölfe und Hasen mit Windhunden in der Steppe und schossen die Trappen vom Ochsenwagen aus. In den Wald und ins Gebirge kamen sie fast niemals, und Galkin erschien nie in der Steppe – er war ja auch nicht beritten. Nicht einmal Hunde hatte er.

Als einmal ein Wolf – es war im Mittwinter – sich einen Hammel aus dem Pferch des alten Kosaken Kusma Jegoritsch geholt hatte, schickte dieser seinen Knecht zu Galkin und bat ihn, er möchte doch zusehen, ob er ihm nicht diesen Wolf vom Halse schaffen könnte? Er sei viel zu faul dazu, ins Bergland einem einzelnen Wolf nachzureiten und sich tagelang dort in Gestrüpp und Felsen herumzutreiben.

Galkin nahm sofort die frische Spur auf und fand, daß der Wolf keineswegs ein Einzelgänger war, sondern daß – nur wenige hundert Schritt vom Dorfe – sich mehrere andere hinzugefunden hatten.

Er verfolgte die Spuren, nahm sich sein buntes Lappenzeug aus der Hütte und kesselte die Wölfe – fünf an der Zahl – in den Hügeln der Vorberge ein – in einem kleinen Gehölz, das aus Birkenanflug, schütteren Föhren und allerhand Strauchwerk bestand. Hier waren die Spuren hinein und nicht mehr heraus.

Sorgfältig jedes unnötige Geräusch vermeidend, befestigte Galkin seine roten, blauen, gelben und bunten Lappen an Büschen und Zweigen von Bäumchen rings um das Holz. Er schnitt auch wohl mal einen Ast ab, steckte den in den Schnee, wo kein passender Busch war, hing die dünne, leichte Schnur, an der die Lappen befestigt waren – je einer auf drei Schritt – darüber und marschierte weiter, bis er gegen Abend das Gehölz ringsum mit buntem Zeug umgeben hatte. Auch hatte er eine kleine Kanne mit Petroleum bei sich, aus der er hin und wieder einige Tropfen an die Stämmchen der Büsche schmierte; denn alte Erfahrung lehrt, daß der eingelappte Wolf die bunten Lappen scheut und das Jagen nicht verläßt, ehe ihn grimmiger Hunger dazu treibt. Auch vor fremden Gerüchen fürchtet sich der Wolf. Da aber Mondschein war und im hellen Mondlicht die Lappen wohl sichtbar blieben, dazu aber rings um das Gehölz Petroleumgeruch – konnte Galkin wohl hoffen, die Wölfe bis zum nächsten Vormittage im Jagen zu halten.

Nachdem dies alles bestens besorgt war, ging der alte Jäger ins nächste Dorf, bestimmte einen Bauern, sein Pferdchen anzuspannen, und fuhr nach der alten Staniza und – zum Friedensrichter.

Der war hocherfreut, schickte sofort Boten an seine Freunde – ein kleiner Imbiß wurde eingenommen, der Speisekorb von der sorgsamen Hausfrau eingepackt und – heidi! – ging es gegen Morgen in die Schneelandschaft hinein. Kaum graute der Tag, als die Jäger schon an Ort und Stelle waren.

Galkin wies jedem seinen Platz an – lautlos wurden die Stände eingenommen. Die Gewehre waren mit Postenschüssen geladen, mancher der Schützen hatte ein Schneehemd über dem warmen Jagdanzuge an. Alle aber nahmen hinter kleinen Büschen Deckung; denn der Wolf ist vorsichtig und schlau.

Um das Gehölz im leichten Schlitten herumfahrend, hatte Galkin bald gesehen, daß die Wölfe noch im Treiben waren. Sie waren zwar hier und da bis dicht an die bunten, im Winde flatternden Lappen herangeschlichen, hatten aber wohl dann die Tuchfetzen bemerkt oder das Petroleum gerochen und waren schleunigst in das Gehölz zurückgelaufen.

Galkin schmunzelte: wenn die Herren nicht vorbeischossen, war der Erfolg der Jagd gewiß.

Die Wölfe hatten sich am Vormittage, leidlich satt von Kusmas Hammel und einem Hunde, den sie im Tatarendorf gerissen hatten, in das kleine Gehölz gesteckt, um zu ruhen und zu verdauen.

Sie hatten zwar nach ein paar Stunden ein etwas verdächtiges Geräusch gehört, hatten wohl auch die Köpfe erhoben, um zu lauschen – waren aber dann, als alles still blieb und sie nur das Rauschen des Windes hörten, ruhig wieder eingeschlafen.

Aber schon am Abend erwachte in ihnen der Trieb, auf Beutefahrt zu ziehen. Sie krochen – einer nach dem anderen – aus dem Schlaflager, gähnten, reckten sich, lösten sich und trotteten gemächlich im Gänsemarsch der Steppe zu.

Plötzlich stutzte Schleichsohle, die Alte: vor ihrem Paß bewegte sich irgend etwas im Winde …

Die Wölfe blieben stehen, verhofften. Dann schlichen sie weiter.

Gelbe, blaue, rote Dinger wehten im Winde – ein fremder, unheimlicher Gestank kam in die Nasen …

Kehrt! und – nach der anderen Seite. Dasselbe! Wieder dies rote, gelbe, bunte Flattern, dieser scharfe Geruch …

Überall – überall, ringsum dasselbe Flattern, dasselbe Rascheln im Winde, die fürchterlichen bunten Dinger, der Geruch!

Stundenlang suchen die Wölfe einen Ausweg – sie finden keinen.

Als der Morgen graut, hocken sie ängstlich im Lager zusammen.

Der alte Jäger geht ins Treiben hinein – langsam, bedächtig. Er kennt sich aus: je langsamer, desto besser. Kreuz und quer – dabei aber nie die Hauptrichtung aus dem Auge gelassen. Als er das Treiben beginnt, nimmt er die hohlen Hände an den Mund und ruft langgezogen: » Po-schol

Die Wolfsspuren führen kreuz und quer. Welche sind frischer, welche älter? Ah – hier haben die Bestien im Lager gelegen – sie sind hoch, die Wölfe! Wieder nimmt der Jäger seine Hände an den Mund, wieder ruft er langgezogen – dumpf: » Wol – ki – na – cho – dú …!« Dann, eine Weile später, als er sieht, daß die Spuren direkt auf die Schützenlinie führen: » Be – re – gis!« Langsam – jetzt lautlos – weiter …

Die Wölfe hören den Ruf. Sie traben los – kommen an den Rand des Gehölzes. Wieder flattert es rot, gelb, blau! Zurück!

An einer anderen Stelle scheint die Bahn frei zu sein. Hier – durch!

Voran die alte Schleichsohle – hinterher Heulkehle, dann Schnappefang. Blutzunge und Zangenbiß machen den Schluß.

Da kracht irgend etwas – kurz, trocken …

Schleichsohle rollt in den Schnee, schlägt mit der Rute, zuckt …

Wieder ein trockenes, kurzes Krachen – Heulkehle rutscht aus, fällt, bleibt mit gelähmten Hintergliedmaßen im Schnee sitzen, sperrt den Rachen auf, schnappt nach Luft …

In rasender Angst brechen Zangenbiß, Blutzunge und Schnappefang durch die Schützenlinie. Rechts und links knallt es – sirr, sirr, sirr – fliegt irgend etwas an ihren Köpfen vorbei …

Jetzt sind sie im Felsgewirr – im Tal – über die nächste Hügelreihe.

Sie setzen ihre wahnsinnige Flucht fort, bis der Abend sinkt.

Tief drinnen im Berglande schieben sie sich in einen Felsenkessel ein, in Gewirr von Buschwerk und Geröll. Hier zittern sie und lauschen sie die ganze, lange Nacht …


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