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Heiitsch Gabara hat mich freudig in die Arme geschlossen …

Und mich wie einen Bruder oder auch höheren Stammesangehörigen in sein Zelt geführt.

Eigenhändig bereitet er mir aus den Fellen seiner Liegestatt ein Lager und nötigt mich zum Niederlegen. – Ich wundere mich über den alten Wüstenfuchs, denn ich habe ihn noch nie so fürsorglich gesehen.

»Du wirst müde sein, Mr. Abelsen. Lege dich hin und ruhe dich aus. Die Gallas werden über deinen Schlaf wachen!«

Trotzdem mein Blut vor lauter Verwunderung rascher durch meine Adern pulst als gewöhnlich, schlafe ich bald darauf ein. – Denn mein Weg in dieses Lager ist weit gewesen, und ich habe ihn zu Fuß zurückgelegt. Über vierundzwanzig Stunden hat diese Reise gedauert und wenn man bedenkt, daß ich dabei mein Gepäck selbst durch den Busch geschleppt habe, dann wird man meine Müdigkeit begreifen können.

Ich habe die Oase der Toten still und heimlich verlassen. – Niemand, so hoffe ich, wird mein Scheiden bemerkt haben. – Es ist sonst bestimmt nicht meine Art, Freunde so ohne Abschied zu verlassen, aber in diesem Falle ging es nicht anders. – Ich konnte es nicht mehr mit ansehen.

Was …?

Ja – was!

Ich mag nicht darüber sprechen. – Es sei genug, wenn ich sage, daß ich froh war, als ich den Boden der Pflanzung verlassen hatte. – Ich habe Lizzie nicht mehr gesehen. – Sie war nicht in ihrem Zimmer.

Percy heißt der Glückliche, dem jetzt ihre Gunst gehört.

Percy –!

Ich habe es geahnt, daß es so kommen würde, aber ich habe es nie wahrhaben wollen.

Laß diese dummen Gedanken, Olaf. – Sei froh, daß es so gekommen ist. – Was hättest du wohl mit der jungen Frau anfangen wollen?

Glaubst du, daß sie auf ewig mit dir ein Leben abseits vom Alltagswege gelebt hätte? – Nein, bestimmt nicht. – Der Rausch der ersten Liebe wäre in ihr nach wenigen Wochen verflogen und dann …?

Aus!

Nichts weiter. – Einfach aus. – Du selbst hättest auf der Pflanzung nicht bleiben können, denn der bewußte Steckbrief, der noch immer in allen Fahndungsblättern enthalten ist, gestattet es dir nicht, seßhaft zu werden. Überhaupt hier nicht, so dicht an der Grenze der sogenannten Kultur. – Und dann …?

Besser war es so. – Sei ehrlich, Olaf!

Während ich mich auf dem Lager in Gabaras Zelt in einem leichten Schlaf unruhig hin und her wälze, taucht noch einmal das liebliche Gesicht der kleinen Lizzie in meinen Träumen vor mir auf.

Doch dann versinkt es und macht anderen Bildern Platz.

Es ist genau wie im Leben!

Das eine kommt – das andere geht. – Erinnerung reiht sich an Erinnerung, wie Perle an Perle. – Einer Perlenkette gleicht unser Leben.

Einer Kette ungeschliffener Perlen, ja – es sind auch manche taube darunter, denn man kann von unserem Schicksal nicht verlangen, daß es uns nur wohlgeformte geschliffene Perlen beschert.

Zum Glück ist es so, daß wir die stumpfen rauhen Perlen selbst meist gar nicht als solche empfinden. – Erst wenn wir in späteren Zeiten, wenn unser Leben ruhiger geworden, einmal die Zeit finden, einen Blick auf diese Kette zu werfen, entdecken wir die stumpfen Stellen. – Meist zu spät, um sie noch glänzend reiben zu können.

Aus meinem leichten Schlaf erwache ich durch das Geklirr von Kaffeetassen. – Gleichzeitig legt sich der würzige Geruch von Kaffee auf meine Sinne. – Als ich die Augen öffne, ist es finster im Zelt. – Auch draußen scheint es Nacht geworden zu sein. – Ich vernehme nur das leise, ewig gleichbleibende Geräusch des Windes, der durch die Blätter der Bäume streicht.

Es dauert eine Zeitlang, bis ich mich an das Zwielicht im Zelt gewöhnt habe. – Ich setze mich auf.

In der hintersten Ecke des großen Zeltes brennt ein kleines Feuer. – Davor steht ein Sklave Gabaras. Er rührt in einem großen Topf, aus dem der belebende Geruch aufsteigt und sich im Zelt verbreitet.

Ich stehe auf und nähere mich der Kochstelle.

Ich bin noch nicht weit gekommen, als mich aus dem Dunkel des Zeltes eine wohlbekannte Stimme anruft.

Es ist Lizzie. – Vor Schreck und Freude bleibe ich wie erstarrt stehen. Ich glaube an ein Wunder.

Doch es ist Wirklichkeit. – Aus dem Dunkel lösen sich die Umrisse einer weiblichen Person und nähern sich mir.

Dann hängt sie an meinem Hals und weint und lacht gleichzeitig. – So laut und so glücklich, daß sogar Mukki, der Langschläfer, erwacht und leise keckernd von seinem Lager springt und aufgeregt um uns hertanzt.

Ich glaube, daß er der einzige ist, der sich nicht darüber freut, daß Lizzie hier ist.

Eng schmiegt sich der zarte Körper des jungen Mädchens an mich. – Ihre Lippen suchen die meinen und küssen sie immer wieder.

Aber … ich weiß nicht, wie es kommt. – Ich kann mich nicht so hingeben, wie ich es möchte. – Etwas ist da, das sich zwischen Lizzie und mich drängt.

Je öfter sie mich küßt und je zärtlicher sie in meinen Haaren herumstreichelt, desto nüchterner werde ich.

Dann endlich kann ich mich aus ihren Armen befreien. – Ich halte sie weit von mir weg und versuche ihr Gesicht zu erkennen. Nur manchmal gelingt es mir, wenn der flackernde Schein des Feuers das Innere des Zeltes matt erleuchtet.

Ich sehe dann zwei große dunkel leuchtende Augen, die mich fragend ansehen.

»Weiß Lady Jane, daß du hier bist?«

Sie schüttelt stumm den Kopf.

Ich ziehe sie etwas dichter an mich heran, so daß ich undeutlich ihr Gesicht erkennen kann.

»Dann mußt du zurück, Lizzie!«

Eigenwillig schüttelt sie wieder den Kopf.

Was soll ich nur machen?

Soll ich meinen eigenen Wünschen nachgeben und das liebe Mädchen in meine Arme schließen? – Einen kurzen Augenblick nur überlege ich diese Möglichkeit, dann hat die Vernunft endgültig über mich gesiegt.

Vielleicht ist Mukki nicht ganz unschuldig daran, daß ich mit meinen Gedanken so schnell ins reine komme. – Denn gerade in diesem Moment gebärdet er sich wie ein Wahnsinniger.

Spürt er, daß ich dabei war, mir selbst und auch ihm untreu zu werden? – Wer weiß es.

Ich ziehe Lizzie in die Dunkelheit des Zeltes zurück. – Auf meinem Lager nötige ich sie zum Niedersitzen. – Ich selbst nehme neben ihr Platz. Meine Hand umschließt die ihre. – Lange haben wir stumm und nur in unsere Gedanken versunken so gesessen. – Dann fing ich an zu sprechen.

Was ich alles gesagt habe, weiß ich nicht. – Auf jeden Fall habe ich davon gesprochen, daß es unmöglich für mich sei, sie für mein weiteres Leben mit mir zu nehmen. – Sie wollte es mir nicht glauben. Immer wieder schüttelte sie ihren Kopf. Sie weinte sogar, still und lautlos. Ich merkte es nur an den Tränen, die meine Handfläche benetzten.

Es werden Stunden vergangen sein, bis ich sie endlich davon überzeugt hatte, daß sie ihren Platz auf der Pflanzung ihrer Eltern hatte und … daß sie nichts Besseres tun könne, als Percy, ihren Jugendfreund und den bisherigen Verwalter ihres Vermögens, zu heiraten.

Glaubt mir, Freunde, die ihr dereinst einmal meine Aufzeichnungen lest – diese Stunden gehörten zu den schwersten meines Lebens. – Ich weiß zwar nicht, was mir noch alles bevorsteht, aber ich glaube, daß die größte Marter und der schlimmste Tod, den ein Mensch erleiden kann, kaum schwerer sein können als dieser Abschied.

Spät in der Nacht hat sie mich verlassen. – Ich habe ihr Begleitung angeboten. – Sie hat abgelehnt. – Allein ist sie in die Nacht hinausgeritten. – Ein kleines Mädel, das in diesen Stunden zur Frau wurde.

Ich weiß, daß ich sie nie wiedersehen werde.

Noch eine Überraschung stand mir in dieser Nacht bevor.

Ich hatte mich gerade wieder auf meinem Lager niedergelassen und saß, den Kopf in meine Hände gestützt, in tiefes Nachdenken versunken, als sich eine Hand leicht auf meine Schultern legte.

Erschreckt sehe ich auf.

Vor mir steht … Gabara!

Sein von vielen Falten durchzogenes Gesicht sieht ernst zu mir herunter. – Der Druck seiner Hand verstärkt sich. – Fragend sehe ich ihn an.

»Verzeih mir, Mr. Olaf, ich habe alles mit angehört. – Du hast gut daran getan, die Frau zurückzuschicken!«

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. – Ich bin so erstaunt über die Anwesenheit dieses Mannes, daß ich einfach sprachlos bin.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, setzt er sich zu mir. – Und jetzt ist er es, der mich damit zu trösten versucht, daß er meine Hand umklammert hält.

Dann steht er wieder auf. Geht zu dem Ofen, auf dem noch immer der Kaffeetopf steht, den der Sklave ab und zu umrührt. – Er nimmt einige Tassen, die aus dickwandigem Porzellan gefertigt sind, schenkt die dunkle Brühe ein und kommt wieder zurück. – Eine Tasse reicht er mir, aus der anderen trinkt er selbst in kleinen schlürfenden Schlucken.

Mit wenigen, in der Ursprache des Landes gezischelten Worten verscheucht er den Sklaven aus dem Zelt. – Dann sind wir allein.

Nur das Kaffeewasser auf dem kleinen Feuer summt melodisch.

Geräuschlos züngeln die kleinen Flammen aus den schwarzen Steinen und vergehen in der Luft.

Auch ich schlürfe in kleinen Schlucken das belebende Getränk.

Meine Gedanken sind noch bei Lizzie. – Wo mag sie jetzt sein?

Ich habe plötzlich eine unheimliche Angst um sie. – Ich weiß, daß dieses dumm von mir ist, denn Lizzie ist eine Frau, die sich hier draußen zurechtfindet. Sie ist keine von denen, die bei dem kleinsten Geräusch erschrecken oder in Ohnmacht fallen. Sie wird so ziemlich mit allem fertig. – Schießen kann sie auch.

Vielleicht hat Gabara meine Gedanken erraten. – Zwischen zwei Schlucken beginnt er zu reden:

»Zwei meiner Krieger begleiten die Frau bis an den Rand der Sümpfe. – Die Nacht ist finster, sie wird sie nicht bemerken!«

Er weiß nicht, wie sehr ich mich über diese Worte freue. – Oder doch, denn ich erfasse seine Hand und drücke sie kräftig.

Wie liegt die Stille der Nacht zwischen uns! – Jeder von uns beschäftigt sich wohl in diesen Minuten mit seinen Gedanken, die, angelockt von der Nacht, uns umkreisen.

Man kann sie nicht verscheuchen.

Und dann ist es wieder Gabara, der anfängt zu reden.

Und ich wundere mich. – Erstens über die Stimme des Wüstenfürsten, die so sanft klingt wie das Säuseln des Abendwindes in den Zweigen der riesigen Bäume, und zweitens über die Worte, die am Anfang seiner Rede langsam wie Tropfen aus seinen Lippen quellen …

Doch bald bin ich ganz versunken und lausche den Worten, die durch die Nacht den Weg in mein Ohr finden.

»Ich glaube deine Gedanken zu kennen, Mr. Olaf« – so begann er dann eine Geschichte zu erzählen, wie ich sie seltener noch nie gehört habe.

»Auch wir, die Söhne dieses Landes, haben viel Leid zu ertragen. – Wir lassen es uns nur nicht so anmerken. – Ich werde dir einmal eine Geschichte aus meinem Leben erzählen.«

Er unterbrach seine Rede für kurze Zeit, weil er noch einmal an das Feuer ging und Kaffee nachschenkte.

Erst als er wieder Platz genommen hatte und eine Zigarette in seiner Hand glimmte, begann er wieder:

»Es ist schon eine Reihe von Jahren her. – Es war zu der Zeit, als die ersten Weißen in unser Land kamen und versuchten, uns zu unterdrücken. Mein Vater lebte damals noch. – Auch er war ein Fürst der Galla wie ich. – Sein stolzes Wesen litt unter der Macht der Weißen und er begann seine Krieger zu sammeln und organisierte große Feldzüge, um die Weißen zu bekämpfen. – Da sie auf Grund ihrer Ortskenntnis und ihres Mutes die Überlegenen waren, fügten sie den Eindringlingen große Verluste zu. – Eines Tages war es sogar so weit, daß die Kämpfer meines Vaters den Oberkommandierenden der Weißen eingezingelt hatten. – Er schlug sich tapfer, aber bald mußte er einsehen, daß es für ihn keinen anderen Ausweg mehr gab als den der Übergabe. – Mein Vater war trotz seiner Grausamkeit ein edler Mann, der den besiegten Feind ehrte und achtete. – Er versprach den weißen Parlamentären, daß alle Soldaten frei abziehen könnten, wenn man einen Frieden geschlossen habe.

Die Führer der Weißen trafen sich im Zelt meines Vaters, wo sich auch die Unterhäuptlinge unseres Stammes versammelt hatten. – Den Feinden wurde Gastfreundschaft angeboten und dann begann das große Palaver.

Und – man wurde sich einig. – Die weißen Soldaten zogen als freie Männer von dannen und die Krieger meines Vaters zogen auf ihren Kamelen reitend durch die Steppe und verkündeten überall, daß die Weideplätze nun wieder frei seien und daß jeder Galla wieder in Ruhe und Frieden leben könnte.

Mein Vater selbst blieb mit einigen seiner Unterführer noch als Gast bei dem großen weißen Führer. – Die Bande der Freundschaft wurden immer enger geknüpft. – Es schien, als ob alles gut werden würde und als ob es nie wieder zu Kämpfen zwischen den Weißen und uns kommen sollte.

Auf dem Rückritt zum Lager unseres Stammes wurde die Gruppe meines Vaters plötzlich aus dem Hinterhalt überfallen. – Es war nur ein kurzer Kampf, aber einer der treuesten Freunde meines Vaters mußte sein Leben dabei lassen. – Er starb in seinen Armen. – Auch die Angreifer hatten Tote zu beklagen, als man sie untersuchte, stellte man fest, daß es sich um Eingeborene handelte, die auf Seiten der Weißen kämpften.

Als die Leute meines Vaters noch mit den Toten beschäftigt waren, meldete einer seiner Freunde ihm, daß die Angreifer zurückkämen.

In großer Entfernung versuchten sie das Wadi zu überschreiten und die Leute meines Vaters zu umgehen. – Sofort machte mein Vater seine Leute wieder kampfbereit. An einer geschützten Stelle erwarteten sie die Angreifer.

Die Angreifer verteilten sich und versuchten von zwei Seiten anzugreifen. – Die Überraschung aber gelang ihnen nicht. – Mein Vater und seine Freunde waren zu sehr auf dem Posten. – Was sich nun in der Wüste abspielte, war wohl einer der grausamsten Kämpfe jener Zeit. In den Lagern der Gallas spricht man noch heute davon.

Die Angreifer waren in der Mehrzahl. – Aber trotzdem gelang es ihnen nicht, die Leute meines Vaters zu überrennen. – Ihr erster Angriff wurde abgeschlagen; wieder blieb eine Reihe Verwundeter auf der Kampfstätte zurück. – Wie früher, als man bei uns noch nicht die Segnungen der Medizin so gut kannte wie heute allgemein üblich, wurden diese armen Kerle, wenn es sich um ernstliche Verletzungen handelte, durch einen Kopfschuß von ihren Leiden erlöst. – Selbstverständlich wurden sie im Anschluß daran ausgeraubt, wie ihr Weißen zu behaupten pflegt.

Die Verluste der Angreifer mußten beträchtlich gewesen sein, denn eine ganze Zeitlang blieb es ruhig. – Die Freunde meines Vaters drängten zum Aufbruch, sie wollten sich nicht in ungewisse Kämpfe mit einer Übermacht einlassen, die sie nicht kannten. – So schnell es ging, ritten sie davon. – Nach wenigen Stunden entdeckten sie, als sich einer von ihnen zufällig einmal umdrehte, daß sie verfolgt wurden. – Die Gruppe meines Vaters befand sich in diesem Augenblick mitten in der Steppe. – Ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, stellte mein Vater sich zum Kampf.

Es sollte sein Ende sein.

Zu groß war die Übermacht. – Die Leute um meinen Vater starben tapfer, nachdem sie den Angreifern große Verluste beigebracht hatten.

Als die Abenddämmerung kam, lagen die Freunde meines Vaters bis auf wenige stumm und steif auf dem Boden der Steppe. – Die, die noch lebten, waren schwer verwundet. – Mein Vater ebenfalls. – Man zählte später an seinem Körper viele Einschüsse. – Allein in der Brust saßen drei Kugeln fest.

Mühsam richtete mein Vater sich auf und humpelte, auf seinen Karabiner gestützt, in die Runde. – Die noch Lebenden verband und pflegte er. Die Toten begrub er unter Steinen.

Im Morgengrauen hatten sie sich so weit wieder erholt, daß sie ihren Weg fortsetzen konnten. – Es war ein trauriger Zug. – Mein Vater, obwohl selbst schwerverletzt, stützte noch einen seiner Getreuen.

Vier Tage lang sind sie unter unheimlichen Strapazen durch die Steppe geritten. – Einer von ihnen starb noch unterwegs. – Die anderen aber haben alle das Lager unseres Stammes erreicht.

Als die aufgestellten Wachen die Gruppe kommen sahen und die Schreckensbotschaft im Lager die Runde machte, erhob sich ein großes Wehgeschrei, welches sich von Zelt zu Zelt fortpflanzte.

Hilfreiche Hände wollten meinen Vater aus dem Sattel heben, aber stolz lehnte er jede Hilfe ab und stieg mit eigener Kraft herunter. – Mühsam die Schmerzen verbeißend, humpelte er mit lächelndem Gesicht in das Zelt seines Vaters, wo dieser ihn erwartete.

Die guten Sitten verboten es ihm, daß er seinem Sohn entgegenging.

Mit den Worten ›Ich bringe den Frieden!‹ trat er vor seinen Vater. Dann erst sank er zusammen. – Die Priester, die damals wie auch heute noch bei uns das Amt des Arztes versehen, bemühten sich sofort um ihn. – Endlich gelang es ihnen, den Schwerverletzten aus seiner Bewußtlosigkeit zu erwecken.

Nur mein Großvater befand sich bei ihm im Zelt, als er erwachte. Die anderen unseres Stammes standen draußen herum und waren schweigsam. Sogar die Hunde, die doch sonst immer bei uns ein ziemliches Treiben veranstalteten, liefen mit hängenden Ohren und eingeklemmtem Schwanz herum.

Dann rief mein Vater die Ältesten des Stammes zusammen, um ihnen Bericht zu erstatten. – Diese Versammlung hat fast den ganzen Nachmittag gedauert und mein Vater nahm an ihr teil, obwohl ihm das Blut aus seinem Überhang tropfte. – Sein Gesicht war zu dieser Zeit schon vom Tod gezeichnet.

Als die Versammlung sich auflöste, drängte sich seine Mutter in das Zelt und fiel am Lager ihres Sohnes zusammen. – Wehklagend wollte sie ihn umarmen, doch mein Vater rief mit stolzer Stimme:

»Wer ist diese Frau – schafft sie hinweg!«

Da faßten die Ältesten des Stammes die Frau am Arm und führten sie wieder hinaus.

Mein Vater wollte allein sterben. Er hatte nur den einen Wunsch, vor seinem Tode noch mit seiner Braut vermählt zu werden. – Diese war aber nicht in unserem Lager, sondern von einem Nachbarstamm. – Schnell wurden Boten ausgeschickt. – Wenige Stunden später tauchte auf dem Hügel vor unserem Lager eine einzelne Reiterin auf, die in schnellem Galopp näherkam. – Es war die Braut. – Mein Großvater empfing sie am Eingang des Zeltes. – Aus seinen ernsten Zügen erriet sie alles.

›Gestalte seine letzten Stunden fröhlich, meine Tochter‹, sagte er zu ihr, bevor er sie einließ.

Gefaßt und stolz, wie es sich für die Tochter eines Häuptlings gehört, trat sie an das Lager meines Vaters. Sie umarmte ihn und küßte ihn, sie bemerkte es nicht, daß das Blut meines Vaters ihre Lippen verfärbte.

In der Zwischenzeit wurden die Ältesten des Stammes als Zeugen für die Hochzeit zusammengerufen. – Alle hatten sich festlich gekleidet. – Nun betraten sie das Zelt. – Sie begrüßten die Braut und nach einer kurzen Feier schon war die eigentliche Hochzeit beendet.

Die Zeugen dieser Handlung standen auf und verließen das Zelt. Das Brautpaar blieb für sich allein. – Was sie sich in diesen Stunden erzählt haben, wird wohl nie jemand erfahren. – Meine Mutter sprach nie mit mir darüber.

Als die Nacht sich über die Steppe verbreitete, zog meine Mutter, die bis dahin im Frauengemach des Zeltes gewartet hatte, mit eigener Hand den mittleren Zeltpfosten aus der Erde. – Die Wand des Daches bauschte sich tief herunter und berührte fast das Lager meines Vaters. – Nur die Seitenstützen hielten das Zelt noch über der Erde fest.

Die Vorübergehenden sahen an diesem Zeichen, daß die Braut nun zu ihrem Geliebten gegangen war.

Mein Vater ist in jener Nacht gestorben. – Als die Männer des Stammes am anderen Morgen das Zelt betraten, war er schon kalt. – Meine Mutter aber lag bewußtlos an seiner Seite. – Ihre damals noch runden festen Arme hatte sie so fest um den Hals meines Vaters geschlungen, daß es unmöglich war, sie von ihm zu lösen. – Man mußte damit warten, bis sie nach Stunden wieder zu sich kam.

Wochenlang lag sie in einem bösen Fieber. – Man bereitete schon alles auf ihren Tod vor. Da wurde sie plötzlich wieder gesund. Und was niemand gehofft oder erwartet hatte, trat ein. – Bald schon war es zu sehen, daß sie die Frucht der Liebe unter ihrem Herzen trug. – Genau nach der festgelegten Zeit gebar sie mich.

An Stelle meines Vaters bin ich dann schon in jungen Jahren zum Häuptling des Stammes gewählt worden!«

Ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, hatte ich zugehört. Die Pause, die er nach diesen Worten machte, war schmerzhaft. – Ich wagte nicht, ihn anzusehen. Den Kopf auf den Boden gesenkt, saß ich und dachte über das soeben Gehörte nach.

Bald fing er wieder an zu erzählen:

»Du wirst dich jetzt fragen, wie es dazu kommen konnte, daß mein Vater überfallen wurde. – Die Ältesten unseres Stammes fragten sich dieses auch. – Sie schickten ihre Kundschafter aus, aber diese kamen zurück. – Der weiße Sahib war nicht zu finden. – Einige Wochen später aber wurde unser Lager in der Nacht angegriffen. – Es waren, wie man am Ende des Kampfes unschwer feststellen konnte, dieselben Stämme, die damals meinen Vater in der Steppe überfallen hatten. – Mein Großvater zog damals in die Residenz der weißen Männer und verlangte persönlich den Häuptling der Weißen zu sprechen. – Er wurde auch empfangen – aber wie.

Man glaubte ihm nichts. Man beschuldigte unseren Stamm sogar, daß er selbst den Angriff vorbereitet hätte. – Man drehte hier alles um. – Mein Großvater schwor bei seiner Ehre, daß es nicht an dem sei. – Er wurde verlacht. – Wütend verließ er mit seinen Getreuen den Palast des Residenten. – Wenige Tage später war er wieder da mit seiner Streitmacht und belagerte die Stadt. – Es ist ihm schlecht bekommen. – In wenigen Stunden wurde er überrumpelt. Viele seiner Krieger wurden getötet, er selbst wurde gefangengenommen und lange eingesperrt. – Durch die Gnade einer Königin, die damals drüben in England regierte, wurde er aber wieder freigelassen. – Die Verbitterung gegen die Engländer aber ist ihm geblieben. – Unser Stamm ging damals auf Wanderschaft und suchte sich neue Weideplätze für sein Vieh. – Hier in dieser Gegend haben wir sie dann endlich gefunden. – Ich selbst bin also hier aufgewachsen unter der Obhut meines Großvaters und meiner Mutter.

Ich war schon ein stattlicher junger Mann, als auch hier die Engländer auftauchten. – Was dann passiert ist, hast du selbst auf der Pflanzung gehört.

Du kannst es mir glauben – ich selbst möchte keinen Kampf mit den Weißen – aber was bleibt uns denn anderes, wenn wir überall von unseren Gründen vertrieben werden.

Ich habe von diesem König, der jetzt das Land regiert, einen Orden bekommen. – Unter euch gilt er viel. – Für mich ist er nichts wert, deshalb hing ich ihn meinem Lieblingskamel um.

Die Engländer sind noch immer, jedenfalls für mich, die Mörder meines Vaters!

Vielleicht kannst du jetzt vieles verstehen, was dir bisher unerklärlich war. – Vielleicht begreifst du jetzt auch, weshalb ich mich immer wieder gegen Lady Jane auflehne. – Auch sie ist für mich eine Fremde und hat in unserem Land nichts zu sagen. – Sie ist eine Engländerin und soll dahin gehen, wo sie hingehört. – Wir sind stark genug, unser Land selbst zu regieren. – Und – wenn ihr es auch nicht glauben wollt – schlechter als die Engländer sind wir anderen auch nicht. – Wenn ihr hier in der Steppe und Wüste leben müßtet wie wir, wäret ihr sehr wahrscheinlich grausamer als wir.«

Ruckartig stand er auf. – Die Arme tief in den weiten Taschen seines Umhanges verborgen, stand er vor mir. – Ich war gespannt, was nun kommen würde. – Denn – ehrlich, so spannend die ganze Erzählung auch war – ich wußte nicht, weshalb er sie mir erzählt hatte.

Vielleicht kam ich noch drauf. – Wer weiß es. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß Gabara mir aus Langeweile die Geschichte seiner Familie erzählt hat.

Auch ich war aufgestanden. – Zusammen mit Gabara verließ ich das Zelt.

Der Morgen dämmerte schon in fahlem Grau durch die dichten Zweige des Waldes. – Langsam ging ich aus dem Lager. Die Wachen beachteten mich nicht. – Ich war ganz allein. –

Ich war …

Unter der Erzählung Gabaras hatte ich vergessen, daß es einen Mukki gab. – Jetzt erinnerte mich dieser an seine Existenz dadurch, daß er wütend keckernd zwischen meine Beine hindurchsprang. Ich stolperte und fiel der Länge nach hin.

Erst wollte ich schimpfen – dann aber mußte ich doch lachen, als ich in seine Augen sah, die wie zwei kleine schwarze Perlen aus seinem ockerfarbenen Kopf glänzten.

Mit einem Satz hatte ich ihn am Nacken und hob ihn hoch.

Freundlich, spaßeshalber schimpfte ich mit ihm. Er machte ein ganz betrübtes Gesicht, aber bestimmt nicht wegen meiner Worte, sondern, weil er doch viel lieber auf dem Boden des Waldes umhergetollt wäre.

Ich ließ ihn wieder runter. Wie ein Blitz verschwand er hinter den Büschen. – Nur seine schwarze Schnauze lugte verwegen um die Ecke.

Nein, mein lieber Mukki – spielen mag ich heute nicht mir dir. Dazu sind meine Gedanken zu ernst. – Du aber tobe dich richtig aus, denn wenn ich gestern die Galla richtig verstanden habe, gehen wir heute noch auf eine Reise, die mehrere Tage dauern soll. – Tob dich also aus, denn die nächsten Tage wirst du im Beutel des Sattels verbringen müssen.

Ich lasse die Ruhe des Morgens auf meine Nerven wirken.

Der Wald liegt so still, daß er mich fast an meine Heimat erinnert. – Allerdings, bei uns stehen andere Bäume in den Wäldern.

Gedankenversunken setze ich Schritt vor Schritt. – Ich achte auf nichts. – Und …

Das wütende Keckern Mukkis reißt mich aus meinen Träumen. – Er ist zwar noch nicht lange mein Gefährte, aber soviel weiß ich schon, – wenn er so keckert, dann ist Gefahr im Anzug.

Blitzschnell greife ich an die Seite, wo meine Pistolentasche hängt – hängen müßte, muß ich in diesem Fall sagen, denn sie ist nicht da. – Sie ruht auf meinem Lager in Gabaras Zelt.

Und ich stehe, als ich die Augen hebe …

Vor einem ausgewachsenen Tiger, der mich nicht gerade freundlich ansieht.

Mukki ist zurückgeblieben. – Nur sein Keckern feuert mich von hinten an.

Sei ruhig, fluche ich in Gedanken. Laut kann ich es nicht, denn ich bringe die Zähne einfach nicht auseinander. – Es ist, als ob ich einen Krampf in den Kinnbacken habe.

Ich fühle, wie mir der Schweiß auf die Stirn tritt.

Ich schmecke das salzige Wasser auf meinen Lippen und möchte es wegwischen. – Kann es aber nicht, weil ich einfach kein Glied rühren kann.

Ich bin wie hypnotisiert.

Doch meine Gedanken arbeiten auf Hochtouren. – Sie beschäftigen sich mit ganz realen Dingen. – Nämlich damit – daß dieses Untier in der nächsten Minute oder sogar in der nächsten Sekunde losspringen wird und dann …

Ich habe dann wohl ausgesorgt. – Alles, was mich bis dahin bedrückt hat, wird dann für mich nicht mehr existieren.

Meine spärliche Wäsche klebt mir am Leibe fest.

Was soll ich machen?

Der Tiger duckt sich zum Absprung zusammen.

Sein Schweif peitscht in wütenden Bewegungen auf dem Boden des Waldes.

Ich versuche mich aus der Erstarrung zu lösen.

Vor meinen Augen flimmert es.

Dann … als alles schon zu spät sein muß, fühle ich plötzlich, daß sich meine Verkrampfung lockert.

Die Kraft kehrt zurück. – Und trotzdem wage ich es nicht, die Hände zu heben, denn was soll ich mit zwei leeren Händen schon gegen ein wildes Tier ausrichten.

In letzter Sekunde, ohne daß ich weiß, was ich mache, beginne ich zu schreien. – Ich weiß heute nicht mehr, wie ich dazu gekommen bin.

Jedenfalls schreie ich so gräßlich, daß ich selbst davor erschrecke. – Es ist ein rauhes Krächzen, das sich da aus meiner Kehle hervordrängt.

Verwundert sehe ich auf den Tiger. – Nicht in das Gesicht, sondern auf die Hinterseite. – Warum …?

Diese Bestie ist von meinem Geschrei so erschüttert, daß sie fluchtartig kehrtgemacht hat und nun mit langen Sätzen im Wald verschwindet.

Ich glaube es selbst nicht. – Aber – es ist wahr.

Es muß wahr sein, denn einige Sekunden später ist vor mir bereits wieder alles leer.

Nur Mukki reibt verlegen seinen Kopf an meinen Schäften. – Er versucht mich zu trösten.

Sollte ich mich getäuscht haben?

Sollte das Bild des Tieres eine Halluzination gewesen sein?!

Das ist unmöglich, denn ich brauche bloß Mukkis Haare anzusehen, die immer noch wie eine Bürste in die Luft stehen.

Die Knie werden mir weich.

Ich beginne zu zittern.

Und ich lasse mich der Länge nach auf den Boden fallen.

Wie lange ich so gelegen habe, weiß ich nicht.

Ich weiß bloß, daß ich nach einiger Zeit wieder aufgestanden bin und mit nachdenklichem Gesicht in das Lager zurückgegangen bin.

Ich habe Gabara von diesem Erlebnis erzählt und mich darüber gewundert, daß er mich nicht einmal ausgelacht hat.

Er meinte, daß so etwas schon öfter vorgekommen sei.

Und dann erzählte er mir noch eine Geschichte, die ich hier aber nicht mehr niederschreiben will.

Sie führt in eine ganz andere Gegend dieses Landes.

Es ist die Geschichte einer rätselhaften Frau.

Wir werden sie aufsuchen.

Vielleicht finde ich wieder neue Gefährten, die für kurze Zeit meine Wege begleiten.

Vielleicht finde ich auch anderes.

Wer wagt es, dieses vorauszusagen?

Schnell packe ich meine Kiste wieder zusammen, die ich gestern erst ausgepackt habe.

Das Wichtigste ist das Papier. – Was heißt hier das Wichtigste? – Ich besitze ja gar nichts anderes.

Draußen werden schrille Rufe laut.

Ich verstehe den Dialekt der Galla noch nicht so gut, um die Worte verstehen zu können.

Neugierig trete ich vor mein Zelt …

Die Zelte werden schon abgebrochen, die Sonne scheint, und ich schreibe die letzten Zeilen auf einem der großen Ameisenhügel …

Dort nach Südwest sehe ich mit dem Fernglas dünne Rauchsäulen aufwirbeln … Dort wird man mich jetzt wohl vermissen, den Zettel finden, und Reginald wird empört sein über meine … Flucht.

Lizzie wird mich verstehen …

Ein Schnäuzchen reibt sich an meinem Bein. Freund Fennek bringt sich in Erinnerung.

… Du hast recht, kleiner lieber Kerl – ich habe dich, und wenn du dich an meinen Hals schmiegst, werde ich nie ganz einsam sein …

Gabara steht vor mir.

»Mr. Abelsen, wir werden nach den hohen Bergen reiten – ich werde dir etwas mitteilen, und dein Auge wird wieder leuchten …«

Er nennt mich Mr. Abelsen und du, aber das schadet nichts … Er wird Olaf sagen, und dann habe ich wieder einen Gefährten – – wie lange?!

Die Geschichte, die der Heiitsch mir erzählte, klang mir zu abenteuerlich. Immerhin, man könnte den Dingen auf den Grund gehen …

Fennek blickt mich starr an. In seinen großen Augen ist der klare Glanz der Treue des Tieres. Ich hebe ihn empor und zeige ihm die fernen Rauchsäulen …

»Dort, Fennek-Freund – dort lebt Lizzie, die du nicht recht leiden mochtest … Dort wird Lizzie dem anderen gehören … Jetzt hast du mich ganz allein … ganz allein für dich, kleiner Kerl!«

– Wir werden sofort aufbrechen. Gabara winkt …

* * *

 


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