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… Seine Hoheit Gabara, Heiitsch der Räuber-Galla vom Guasasso, hat soeben die Liebenswürdigkeit gehabt, mir in meinem Gemach einen Besuch abzustatten. Der Oberbandit und tadellose Gastgeber interessiert sich außerordentlich für meine Schreiberei. Ob dieses Interesse nicht auch anderen Dingen gilt, weiß ich nicht recht. Mitunter stellt er in seinem keineswegs einwandfreien Englisch keineswegs einwandfreie Fragen. Vieles ist hier in dem großen Nomadenlager nicht einwandfrei. Ich habe mitunter das unklare Gefühl, daß Gabara und seine Helden uns dauernd aufs schärfste beobachten. Reiten wir einmal in die Steppe hinaus, gibt er besonders Lizzie und mir stets eine Ehrenwache, die uns recht überflüssig dünkt, denn – – wir sind aus dem »Onkelstadium« so langsam in das weit verfänglichere einer gewissen zärtlichen Neckerei geraten, und Mukki hat allen Grund zur Eifersucht, Mukki ist auch eifersüchtig, und es kommt vor, daß er Lizzie böse anfaucht und nach ein paar tadellos geformten Waden schnappt …

Gabara sitzt neben mir, und sein heutiger weißer Tropenanzug sowie Hemd mit weichem Kragen, dazu freilich plumpe Gazellensandalen machen aus ihm einen älteren Gentleman von überlegener Verschlagenheit – die Verschlagenheit bleibt, das Kostüm wechselt.

Seine Hoheit raucht nur erstklassige Zigarren – Herkunft, Erwerb unbekannt.

»Mr. Abelsen«, sagt er nach höflichen Fragen nach dem Fortschritt meines Tagebuchs, »meine Leute haben mir heute früh eine Nachricht gebracht, die mich beunruhigt …«

Wie verkehrt ist es doch, diese Nomadenfürsten von heute sich etwa so vorzustellen, wie dies vielleicht Karl-May-Erinnerungen als trügerisches Gemälde vortäuschen. – Gabara war ein Wüstenbandit, seine Raubzüge galten hauptsächlich seinen Todfeinden, den Abessiniern – stehlen tat er, wo und was er konnte. Wenn er von »Beunruhigung« redete, konnte das nur Ironie sein, denn seine dreitausend Krieger stellten eine Heeresmacht dar, die er binnen zwölf Stunden an jedem beliebigen Punkte zusammenziehen konnte.

Das wußte ich von ihm selbst, und er renommierte nie. – Kamen mal englische Beamte in sein Lager, um höflichst anzufragen, ob die Guasasso-Galla vielleicht aus Versehen eine englische Proviantkolonne überfallen hätten, so war er die personifizierte tiefgekränkte Unschuld. Dann waren aus den Lagerzelten alle die Dinge spurlos verschwunden, die vielleicht … und so weiter. Dann bewirtete Gabara die Herren aufs allerbeste, dann erklärte er unter tausend Eiden (dein Eid ist Mein Eid – und so!!), daß die Galla-Völker sich leider so ähnlich sähen wie eine Gazelle der anderen … Und wenn dann noch nach Stunden im Lager einige hundert Krieger »zufällig« eintrafen, hatten die Herren samt ihren vielleicht dreißig Mann Bedeckung jegliche Lust zu weiteren Fragen verloren und … zogen ab, sicherlich heilfroh, daß sie mit dem Leben davonkamen. – Ich habe solch eine »Strafexpedition« einmal miterlebt, und ich habe nachher Tränen gelacht …

Gabara war für Englands Ansehen unter den farbigen Völkern das schädlichste Insekt, schlimmer als die Tsetse-Fiege, schlimmer als ein Malariamoskito. Wenn dieser Räuberhauptmann je auf den Gedanken gekommen wäre, so einen kleinen Aufstand anzuzetteln, was dann geschehen wäre – nicht auszudenken.

Übrigens hatte damals der Führer der »Untersuchungsblamage« mit Sir Reginald eine längere Unterredung, deren Inhalt darauf hinauslief, daß der Herr Kommissar seinem Landsmann Reginald Forrester durch die Blume zu verstehen gab, daß es höchst überflüssig gewesen sei, dem Heiitsch Gabara das Leben zu retten …

Dabei deutete der Herr auf das mit dem Orden dekorierte Lieblingsdromedar.

Worauf Sir Reginald, der mit allerhöchsten Herrschaften in London eng verwandt war, schrecklich grob wurde …

Das alles so nebenbei. Das alles hat auch Reginald sicherlich in seinem Tagebuch viel eingehender geschildert – oder auch nicht … Die Engländer halten nun mal zusammen wie Pech und Schwefel, und die »größeren« Gesichtspunkte mögen Forresters Feder etwas gelähmt haben …

»Sie – – beunruhigt?!« – und ich feixte den Heiitsch sehr zwanglos an. »Was könnte Sie wohl beunruhigen, Gabara?!«

Seine Augen schlossen sich halb … »Meine Krieger haben eine fremde Karawane beobachtet, Mr. Abelsen, die von einer Europäerin geführt wurde. Es waren sechzig Männer, alle mit Repetierbüchsen bewaffnet, alle mit demselben Haarschmuck, wie ihn Ihr Freund Sussik trägt … also … Bischarin!«

Ich hatte mich zum Glück sehr gut in der Gewalt …

»Bischarin – hier?! Sechzig?! Das muß wohl ein Irrtum sein …«

Gabara ließ sich täuschen. »Ich glaubte schon, Sie hätten sich mit diesen Bischarin hier irgendwo verabredet, Mr. Abelsen …«

Das war eine Dummheit von ihm. Er zeigte mir seine bisher verdeckten Karten ziemlich offen. Ich hatte ihn ja wiederholt sehr vorsichtig nach der bewußten Farm ausgehorcht – sehr vorsichtig. Sie mußte hier irgendwo in der Nähe liegen … Und seine »Ehrengarde«, die er uns so regelmäßig mitgab, waren nur Aufpasser.

Ich deckte meine Karten nicht auf.

»Verabredungen über ein Viertel Erdteil hinweg dürften denn doch allzu aussichtslos sein – wenigstens hier in Ostafrika«, und ich lachte vergnügt. »Wer weiß, was Ihre Krieger da gesehen haben, Gabara …!«

Er rauchte eine Weile und schwieg hartnäckig. Er betrachtete Freund Fennek, der wieder halb auf meinen Stiefelspitzen zusammengeringelt lag.

Nach etwa fünf Minuten, die ich zu eingehender Durchsicht der letzten Manuskriptseiten benutzte, stand er unvermittelt auf und legte mir seine braune Hand schwer auf die Schulter.

»Mr. Abelsen«, sprach er mit allem Nachdruck, »Sie sind meine Gastfreunde, wir Guasasso-Galla halten die Gastfreundschaft heilig, aber … ein Gastfreund, der zu lügen versucht, zerstört die heiligen Fäden, Mr. Abelsen! – Auf Wiedersehen …«

Als ich allein war, hatte ich das deutliche Empfinden, daß wir hier mehr Gefangene seien als Ehrengäste. Ich mußte mich unbedingt schleunigst mit meinen Gefährten verständigen, die seit dem Morgen unterwegs waren – – auf vielleicht zweckloser Suche.

Wie ich dann zum Lager hoch zu Dromedar hinaustrabte, neben mir Freund Mukki, fehlte die übliche Begleitung … Auch das war kein günstiges Zeichen, denn mein Glas verriet mir sehr bald, daß Gabara rechts und links von mir in weiter Entfernung einen Trupp Krieger beordert hatte.

Ich traf die Gefährten, ich warnte sie, wir hatten eine sehr erregte, sehr leise Aussprache, und nur Lizzie ritt arglos mit einem der Galla weit voran, einem sehr hellhäutigen, hübschen Burschen.

Es war Gabaras ältester Sohn und der … Thronfolger.

Nun sitze ich wieder mit der Füllfeder zwischen den Fingern da und will den vorhin unterbrochenen Gang der Ereignisse wieder aufnehmen. Es fehlt mir zwar die Stimmung, denn hinter mir steht Mutter Sorge in Gestalt Gabaras und seines Herrn Sohnes, dem meine Lizzie allzu gut gefällt …

– Es sollte noch schlimmer kommen …

Einen Tag drauf um die Mittagszeit wühlten wir nach endlosem Marsch bei drückender Hitze den Sand eines anderen Flußbettes auf …

Und fanden wieder nur Bitterwasser.

Unsere Träger waren völlig erschöpft, unsere Fleischvorräte verbraucht, kein Stück Wild zu sehen, nur auf den armseligen Bäumen der Talwand horsteten einige Dutzend Geierperlhühner, jene seltsamen Vögel, die leider ungenießbar sind, weil ihr Fleisch wie Leder ist.

Safari-Leute verlangen unbedingt reichliche Fleischkost. Es mußte also das jüngste der Ponys daran glauben. Sussik erschoß es, das Fleisch wurde sofort verteilt und angeräuchert, die Stimmung der Träger hob sich wieder, die doppelte Portion Tabak förderte ihre Laune, und als wir gegen Sonnenuntergang aufbrachen, als wir dann nach vier Stunden ein bewaldetes Plateau, eine Quelle, zahlreiche Wildfährten und Löwenspuren antrafen, herrschte im neuen Lager glänzende Stimmung.

Reginald hatte ein Zebra geschossen, unsere beiden Ponys mußten den halb ausgeweideten Kadaver bis zur Quelle schleppen, im Mondlicht bauten wir dort in aller Eile eine feste Boma aus Pfählen und Dornen, Reginald und ich stellten die Kameras auf und blieben in der Hütte. Lizzie verzichtete auf die Nachtwache in der Boma, sie meinte, wir würden doch wieder kein Glück haben. – Das Lager befand sich tausend Meter nordwärts in einem Dornendickicht.

Keiner von uns ahnte, was der Rest dieser Nacht uns bringen würde.

Wir beide hatten kaum eine Viertelstunde in der Boma arglos auf den Decken und den jedes Geräusch dämpfenden Graspolstern gelegen, als von Westen her, wo der Schneegipfel des Konia jetzt bei klarer Sicht regelmäßig zu sehen war, ein Gewitter aufzog. Es wurde stockdunkel, der Sturm heulte durch die enge Schlucht – zum Glück hatten wir die Stative der beiden Kameras tief in das feine Geröll gedrückt –, Blitze lohten auf, aber der Regenkern des Unwetters zog nordwärts vorüber und ersparte es uns, die Apparate zu bergen. Im grellen Licht der gewaltigen elektrischen Entladungen, deren Getöse Steine von der Böschung löste und jegliches Getier in seine Schlupfwinkel scheuchte, sahen wir lediglich ein Nashorn mit zwei starkentwickelten Hörnern, das in aller Ruhe am Quellfluß seinen Durst stillte und sich nachher noch im Wasser umherwälzte.

Das Gewitter verzog sich, aber der Himmel blieb bewölkt, die Finsternis nahm eher noch zu, gegen zwei Uhr morgens hörten wir von allen Seiten das Brüllen von Löwen, die offenbar eine große Treibjagd auf Zebras veranstalteten … Wir sahen neben dem Kadaver, unserem Köder, auch huschende Gestalten – zu erkennen war nichts. Es konnten Hyänen sein, vielleicht auch Löwen, obwohl diese sich gegenseitig anzuknurren pflegen …

Reginald wurde ungeduldig. Er wollte durchaus wenigstens einmal den einen Kontakt lösen. Ich flüsterte ihm zu, daß dies verfrüht sei, zumal das dumpfe dröhnende Brüllen sich immer mehr näherte.

Dann hörten wir gleichzeitig das harte Aufschlagen eilender Hufe – ein Gepolter, einen heiseren Ruf, ein paar schrille Angstschreie …

Beide Magnesiumpatronen gingen hoch, die Schlucht war in blendendes Licht getaucht – Sekunden nur … Es genügte – wir drückten nochmals die Kontakte, wieder dieselben Explosionen, dasselbe unnatürliche Licht …

Wir sahen ein Dromedar am Boden, halb unter ihm zwei Männer – – dicht dabei fünf prächtige Löwen, die vollkommen geblendet waren.

Ich richtete den Strahl der großen Karbidlampe auf die Gruppe, Reginald feuerte, ich feuerte – die Löwen gingen flüchtig ab, wir stürmten hinaus, wir zogen einen noch Lebenden unter dem gestürzten Dromedar hervor – der zweite Mann war tot, ein Prankenschlag hatte ihm das Genick gebrochen …

Der Lebende war der Heiitsch Gabara.

In solchen Momenten fragt man nicht viel – nur in Romanbeilagen liest man verblüffend tiefsinnige Unterhaltungen zwischen Retter und Gerettetem –, wir trugen den lendenlahmen Fremden schleunigst in die Boma, das Dromedar erhielt, da sein Maul stark blutete, einen Gnadenschuß – dann verrammelten wir den Eingang der Boma abermals, und im Nu hatte ich die 10,4 an der Schulter – vier Nashörner sausten wie Rammböcke, durch den Lichtschein gereizt und auch wohl durch die Löwen und den Blutgeruch beunruhigt, gerade auf uns zu … Das einzige Hindernis waren das tote Zebra und das Dromedar und der tote Galla – mein Schuß krachte – Reginald feuerte sofort hinterher – – dann brach auch schon die Boma zusammen, wurde einfach zur Seite gepreßt, und die Dickhäuter, durch die plötzliche Dunkelheit verwirrt, trollten sich schnaubend von dannen.

Diesmal war auch an uns der Tod haarscharf vorübergegangen – einen halben Meter weiter seitwärts, und die Nashörner hätten uns zertrampelt.

Wir lagen zunächst noch ganz still unter der Last der Pfähle und Dornen, wir wagten kaum zu atmen, jeden Augenblick konnten die Ungetüme zurückkehren.

Nichts geschah mehr.

Dann krabbelten wir ins Freie, zerstochen, zerquetscht, blutend – und standen kaum minutenlang ängstlich lauschend da, als wir bei rasch zunehmender Entwölkung vom Lager her Schüsse hörten, deren rasche Aufeinanderfolge zweifellos auf einen Angriff durch eine größere Anzahl menschlicher oder vierbeiniger Feinde schließen ließ.

Der Gerettete, der sich ein wenig erholt hatte, mußte den Dauerlauf bis zum Lager mitmachen – ganz außer Atem langten wir dort an, in dem Dornendickicht brannten zwei helle Feuer, neben dem einen lag der treue Afra, drei Speere noch in der Brust, nicht weit davon Lizzie, durch einen Keulenhieb betäubt – die Safari-Leute, die beiden Ponys und Sussik waren verschwunden.

Aber mehr außerhalb des Lichtscheins sah ich dann vier von unseren Trägern – halb in den Dornen hängend, tot … ein fünfter lebte noch – er hatte die Verräterei der anderen nicht mitmachen wollen …

Unsere Safari-Leute waren mit dem Dauerproviant und den Waffen, die sie irgend hatten mitnehmen können, entflohen.

Der Sterbende beichtete: Die bisher so braven Kerle hatten bereits nach dem Zusammenstoß mit den Mullah-Anhängern Angst bekommen – sie fürchteten ein weiteres Vordringen nach Nordost, sie fürchteten die Büffel, die Guasasso-Galla und die Rache des Mullah.

Verrat also …!

Und Sussik?!

Beim ersten Morgengrauen kehrte er mit Freund Fennek und einem Pony zurück …

Er redete stundenlang von dieser Verfolgung, er war kein Prahlhans, es war nun einmal seine Art, recht breit alles zu schildern und sich dabei immer von neuem zu wiederholen.

So wurden wir die Safari-Leute los – so fand Afra den Tod, so lernten wir Gabara kennen.

Gabara, Heiitsch der Guasasso-Galla, der von Süden her in dieser Nacht zufällig in die Schlucht geraten war, dessen zehn Krieger durch einen Nashornangriff zerstreut worden waren, der uns als seinen Rettern würdevoll dankte …

Am Morgen fanden wird auch Mehmed Said in der Steppe unter einem schrägen Felsen noch lebend auf. Sein Schulterschuß war ungefährlich. Trotzdem wurde unser Lager ein großes Lazarett, da auch drei von Gabaras Kriegern sehr übel zugerichtet worden waren.

Sechs Tage schwebte Lizzie Neworld in Lebensgefahr, sechs Tage wich ich nicht von ihrer Seite, sie hatte hohes Fieber, und in ihren zügellosen Fieberdelirien zerrann mein Glaube an meine … Onkelschaft.

An dem Tage, als sie mich wieder mit klarem Blick anschaute, legte sie mir matt die Arme um den Hals … und lächelte glücklich.

Freund Fennek keckerte wütend.

Seit dem Tage war es mit der Freundschaft zwischen Lizzie und ihm aus, und wenn er mich mit seinen großen Augen anblickte, lag in diesem Blick stets ein klarer Ausdruck des Vorwurfs – – wenn Lizzie dabei war. –

Gabara erklärte uns ganz offen, daß er eine Zusammenkunft mit dem Mullah gehabt hätte, daß er jedoch eine Beteiligung an dem Aufstand abgelehnt habe …

»Ich würde mich niemals gegen die Engländer empören«, sagte er mit einer Art Verneigung zu Reginald, die vielleicht reinster Hohn war. »Ich kenne England, und ich bin ein treuer Untertan des großen Königs auf der fernen Insel.«

Den Orden dieses großen Königs aber hatte er seinem Lieblingsdromedar um den Hals gehängt.

Eine Woche drauf trafen wir als seine Gäste in dem großen Nomadenlager ein.

Afra, der Treue, ruht in dem Dornendickicht unter Steinen und Felsplatten, damit die Hyänen nicht an ihn herankönnen. Die übrigen Toten, bis auf zwei Guasasso-Galla, werden die Abdecker der Steppe herausgescharrt haben.

* * *

 


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