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Es war ein jüngerer Krieger, ein Prachtkerl, nur die Beule an der Stirn verunzierte ihn jetzt. Eine Elefantenbüchse ist halt kein Staubwedel.

Der Mann wollte zunächst natürlich nichts aussagen. Daß er das Englische leidlich beherrschte, war mit Sicherheit anzunehmen. Zu Kundschaftern benutzen diese farbigen Rebellenführer nur sprachkundige Leute.

In solchem Falle löste man eine widersetzliche Zunge am leichtesten durch einen zarten Wink mit einem Pistolenlauf. Ich konnte hier nicht lange friedfertige Überredungskünste anwenden. Meine Freunde waren sicherlich diesen braunen Fanatikern in die Finger geraten, und meine Angst um Lizzie machte mich hart.

Der Somal, Hochmut, Haß, Verachtung in Miene und Blick, fühlte die Mündung an der Stirn, und er sah wohl aus meinem drohenden Gesicht, daß mit mir nicht recht zu spaßen sei.

»Herr«, erklärte er finster, »wir sind zu Hunderten in der Steppe, und deine Leute sind in unserer Gewalt. Tötest du mich, so töten wir euch alle …«

Daß er übertrieb und log, merkte ich schon seinem durchaus nicht allzu zuversichtlichen Tone an.

Nach einigen Minuten, die ihn sehr eindrucksvoll davon überzeugten, daß ein an einem Riemen festgebundener und über dem Steilabhang mit dem Kopf nach unten hängender Mann unweigerlich von irgendeiner Bestie, entweder Löwe oder Leopard, zerfleischt werden würde, rief er mir zu:

»Herr, wir sind nur eine durch die Engländer versprengte Abteilung … Deine Freunde haben sich drüben im Walde auf die hohen Bäume geflüchtet.«

»Wieviel seid ihr im ganzen?«

»Etwa siebzig, Herr …«

Jetzt log er nicht.

Kurz vor unserer Ankunft war in Nairobi ein englisches Expeditionskorps gegen den verrückten Mullah in Marsch gesetzt worden.

Ich zog den Somal wieder empor und fesselte ihn an einen Stein.

Zunächst konnte ich mich mit ihm nicht länger beschäftigen. Ich mußte den Wall verstärken, mußte Feuer anzünden, Waffen bereitlegen, Mukki am Eingang festbinden, damit er mich rechtzeitig warnte, und unsere wertvollste Habe verbergen.

Ich hatte dem Somal deshalb auch eine Decke über den Kopf geworfen, er sollte nicht sehen, wohin ich Kisten und Büchsen und Säcke schleppte. – Die Terrasse, ein spitzwinkliges Dreieck, maß von dem Dornenverhau (der Grundlinie) bis zur Spitze etwa hundertfünfzig Meter. Die Seitenwände fielen senkrecht ab, der Fels war glatt und unmöglich zu erklimmen, die Steilwandhöhe betrug durchschnittlich zwölf Meter. Der einzige gefährdete Punkt war eben die Grundlinie, die Barrikade. Die Oberfläche der Terrasse zeigte Büsche, Gräser, Felsen, Geröll, Sandflecken und – das wichtigste – die glitzernde Bahn einer Quelle, die als Gießbach nach Norden zu über den Abhang strömte. Inmitten einer Felsgruppe hatte Afra schon gestern früh eine schräge Vertiefung entdeckt, deren kühler Innenraum uns als Kühlkammer diente. Afra hatte eine Steinplatte darübergelegt.

Ich entfernte das Fleisch, stapelte alles Wertvolle in dieser Grotte auf und häufte nachher über die Steinplatte noch Geröll. Um jedes Anzeichen, daß hier ein Versteck vorhanden, gänzlich zu tilgen, brannte ich auf dem Geröll ein Feuer an. Holz gab es genug. Unsere Safari-Leute hatten ein paar Stöße Vorrat aufschichten müssen. Ich behielt für mich nur die Großkaliberbüchse und meine Remington und zwei Pistolen mit je fünfzig Patronen. Alle anderen Waffen und Patronenkästen hatte ich gleichfalls versteckt.

Inzwischen war das Gewitter weit nördlich vorübergezogen, ich hörte den Donner, sah die Blitze, aber kein Tropfen Regen fiel, nur … Nebel kam, dicker, grauer, kalter Nebel, von dem jeder Ostafrikaner ein Liedlein zu singen weiß.

Nein – dies hier war nicht Nubien, dies war ein Land mit kalten Nächten, Morgennebeln, unheimlichen Gewittern und unheimlichem Viehzeug.

Es wurde finster wie im Sack. Meine vier Wachtfeuer schmolzen zu kläglichen Lichtfunzeln zusammen.

Und drauf lauerten die Mullah-Kerle!

Das zeigte Freund Fennek mir an …

Er keckerte immer erregter … Dann überstürzten sich seine Warnungsrufe …

Zweimal hörte ich es im Dornverhau rascheln und feuerte auf gut Glück. Als Antwort flog ein Dutzend Speere über den Wall.

Ich sah ein, daß ich hier in kurzem überrannt werden würde. Die Dornbüsche würden sehr leicht Feuer fangen, dann war ich erledigt. Es wurde mir nicht leicht, die Ponys preiszugeben. Es mußte sein. In aller Eile packte ich ein Bündel, befestigte es mir auf dem Rücken, nahm mehrere Riemen und ließ zunächst Mukki an der Dreieckspitze in die Tiefe hinab. Ich horchte. Er blieb still. Dann kletterte ich hinterdrein. Es war auch die höchste Zeit. Die Somali griffen an, brennende Reisigbündel flogen wie verschwommene Leuchtkugeln über die Barrikade, die Dornenwand knisterte und prasselte bereits – aber der Nebel, den ich vorher verwünscht hatte, ward mir jetzt zur Tarnkappe. Ich hatte den kleinen Freund am Riemen, ich ließ mich von ihm führen, seine feinen Sinne brachten uns aus der Gefahrenzone hinaus. Zuerst waren wir lautlos Schritt für Schritt vorwärtsgetappt, dann gaben wir Fersengeld, ich wußte ungefähr die Richtung, wo wellige, kurzgrasige Steppe sich bis zum nächsten Tropenwald hinzog, wo wir ungehindert laufen konnten.

Der Nebel hüllte alles, alles in ein gleichmäßiges Grau. Er war so dicht, daß ich von Mukki nichts sah. Der straffgespannte Riemen in meiner Linken war die Verbindung zwischen uns. Lizzie hatte ihn mit Sussiks Hilfe – der Bischarin konnte als kleiner Künstler in Lederarbeiten gelten – ein Halsband hergestellt, das reich mit Glasperlen verziert war, außerdem hatte es aber auch spitzgefeilte Nägel als Stacheln, und ein schwarzer Leopard, der vor Tagen Freund Fennek von einem Baumast überraschend auf den Rücken sprang, mußte mit blutigem Maule und einem Speer im Rücken diese Frechheit büßen. – Ich sagte: Schwarzer Leopard! Das mag widerspruchsvoll erscheinen, da Leoparden doch gelb und gefleckt sind. Es gibt schwarze Leoparden, wobei freilich unter »schwarz« nicht etwa ein glänzend schwarzes gleichmäßiges Fell wie das der Panther zu verstehen ist, sondern nur eine ganz dunkle Haarfärbung, auf der die Flecken nicht mehr auffallen. Diese Spielart der Leoparden ist sehr selten. Ich besinne mich nicht, in irgendeinem Zoologischen Garten ein solches Tier hinter Gittern angetroffen zu haben.

Nach diesem Dauerlauf, bei dem Mukki ausschließlich die Richtung angab, verlangsamte ich das Tempo, band mir des Fenneks Riemen vorn an den Patronengurt, um beide Hände frei zu haben, und schritt ganz gemächlich dahin. Verfolger hatte ich nicht mehr zu fürchten, mir lag jetzt alles daran, die Freunde zu finden.

Einem so alterfahrenen Savannenläufer wie mir mußte es notwendig auffällig erscheinen, daß Mukki nicht etwa aufs Geratewohl vorwärtsstrebte, sondern häufig zur Seite abbog, mitunter auch stehenblieb, das Gras beschnüffelte und dann weitertrabte. Meine Vermutung, daß er die Spur unserer Freunde gefunden haben könnte, ward zur Gewißheit, als wir nach etwa zwei Stunden die Nebelwolken passiert und die mondhelle Steppe vor uns hatten.

Ich sah die Fährte nun ganz deutlich im Grase. Sie lief als breiter Strich vor mir hin – drüben ragte ein langes Waldstück als dunklere Wand empor, es war derselbe Wald, in dem wir die Bienenkörbe der Neger in den Zweigen gefunden hatten – – und geplündert.

Der Reichtum an Insekten ist in diesen Gegenden erstaunlich, Bienen gibt es in Unmengen, Moskitos nur in der Nähe von Sümpfen mit Papyrusstauden, aber Tsetse-Fliegen kommen leider überall vor, und was deren Stich für die Rinder und Büffel bedeutet, ist bekannt genug.

Lizzie hatte diesen Wald sehr poetisch Honighain getauft. Mit dieser Poesie war es nun leider aus: dicht vor dem Walde stieß ich auf die erste Leiche eines erschossenen Somal mit weißem Viereck … Zwei Hyänen hatten sich bereits an den Toten herangewagt und flohen nun in plumpen Sprüngen in das Buschwerk.

Der Tote warnte mich. Ich beschrieb einen Bogen, umging den Wald und stieß auf der Ostseite wieder auf die klare Fährte, hier war es jedoch eine Doppelspur – die Freunde hatten denselben Rückweg gewählt, steckten also in dem Honighain.

Ich wartete, bis der Mond hinter den Wolken verschwunden war, und überließ mich dann abermals beim Vordringen in den Wald den feineren Instinkten meines Mukkis. Die Spur mieden wir, ebenso buschreiche Stellen, machten immer wieder halt und horchten.

Von nächtlicher Stille konnte hier keine Rede sein. Nashörner schnaubten im Gestrüpp, rechts dröhnte das dumpfe Knurren eines Löwen, Kleinwild ging flüchtend, vor uns, hoch auf einer Lichtung, standen fünf Giraffen, verschwanden wie langgereckte Gespenster. Die Anwesenheit der Tiere in diesem Waldteil gab mir die Gewißheit, daß die Somali, falls sie die auf Bäume Geflüchteten belagerten, nicht in der Nähe sein konnten.

Es blieb ein gefährliches Unternehmen, dieses Suchen unter breitästigen Stämmen, die jeden Lichtstrahl der Himmelslampen absperrten, es hätte ergebnislos enden müssen, wenn nicht so ein kleines hellgelbes vierbeiniges Bürschlein neben mir gewesen wäre mit einem winzigen Schnäuzchen und Riesenohren und Riesenaugen und sogenannten »Instinkten«, auch eine jener »Erfindungen« aus verstaubten Gelehrtenstuben, in denen unbedingt die scharfe Trennlinie zwischen Mensch und Tier aufrechterhalten werden sollte.

Der tropische Wald lebt nachts. Die Steppe aber schläft. In der Steppe bewegt sich das Getier selbst im hohen Grase fast lautlos. Nur das Zebra macht eine Ausnahme. An Wasserlöchern trockener Flußbetten hört man sie von weitem.

Im Walde verraten knackende Zweige, rauschende Büsche, Knistern des Humusbodens das schleichende Wild. Aber man sieht wenig, man ahnt nur alles, man erspäht vielleicht glühende Lichtpunkte, hellere schattenhafte Umrisse – dann ein paar Geräusche, der Spuk verschwindet …

Das kostet Nerven.

Man hebt unzählige Male die Büchse mit dem mit Leuchtfarbe gekennzeichneten Visier, man spannt alle Muskeln, wartet – wartet …

Und nichts geschieht …

Ein ewiges Spiel von Anspannen und Entspannen der Kräfte und Sinne.

Dabei duften Bäume und Büsche doppelt kräftig, der Wald ist erfüllt von fast betäubendem Aroma – – oder man spürt den ekelhaft süßlichen Gestank eines Kadavers, den vielleicht ein Löwe, ein Leopard nach kurzer Mahlzeit liegenließ und an den sich die Hyänen, diese Allesfresser, Feiglinge, diese Abdecker der Steppe, erst nach Tagen heranwagen …

Hyänen …

Kapitel für sich. Schon ihr scheues Schleichen, die Zeichnung ihres hinterlistigen Gaunergesichtes, ihre ewige Angst, ihre grenzenlose Feigheit zeichnen sie genügend. Jeder Frosch erschreckt sie. Jene winzigen Kröten, die sich an den Wasserstellen in den Sand einwühlen und dann nach einem Insekt emporschnellen, treiben sie in die Flucht. Jedes Geschöpf meidet sie. Höchstens der Schakal, auch Leichenfresser, hält einmal mit ihnen trügerische Gemeinschaft. Überall in der Steppe stößt man auf seltsame, innige Tierfreundschaften. Die Gazelle und der Pavian halten oft innig zusammen, warnen einander vor Gefahr. Hartebeeste und Zebras weiden friedlich nebeneinander, und der Augenblick der Gefahr vereint sie zu einem Rudel. Das Nashorn hat seinen Madenfresser, das Flußpferd seinen gleichen Insektentöter und Warner. Nur die gefleckte Hyäne ist verfemt. Daß sie den Negern hier die Arbeit der Begräbnisse »teurer Verwandter« abnimmt – der Schwarze liebt sie trotzdem nicht, trägt aber seine Schmorbraten abseits in den Busch, und … das Dorf ist um eine Person ärmer. – Auch Tatsache …

Mein Fennek-Freund hat soeben wieder haltgemacht und windet scharf. Seit einer Viertelstunde sah ich kein Tier mehr. Ich bin daher doppelt vorsichtig. Ich schaue durch die dunklen Baumsäulen hindurch auf eine silberweiße, geisterhafte Lichtung, in der sich ein Dutzend Sykomoren dem Sternenhimmel entgegenrecken. Auf dieser Lichtung mit prächtigem Gras, das von Wildfährten durchkreuzt ist, ebenfalls nicht ein lebendes Wesen …

Nur drüben am anderen Rande schnattert und schimpft eine Pavianherde.

Freund Fennek hebt die feinen Pfötchen und tut acht Schritte vorwärts, geht wie auf Eiern …

Dann sehe ich vor mir hinter einem Busch eine glatte dünne Stange: ein Lanzenschaft …

Im selben Moment blitzt es in den Kronen der Sykomoren auf, Knall und Klatschen des Geschosses sind eins – ein Schrei … Der Lanzenschaft sinkt, ein Körper fährt hoch und kracht zur Seite.

Nun weiß ich, wo Freund und Feind stecken.

Sussik hätte gar nicht zu brüllen brauchen:

»Gut so, Sir Forrester …!!«

* * *

 


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