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Nein – nicht gut so! – Gerade das, was ich hatte vermeiden wollen, nämlich blutigen Zusammenstoß mit den Anhängern des verrückten Mullah – gerade das, was mich bewogen hatte, unser Lager kampflos preiszugeben, das war nun doch besorgniserregende Tatsache geworden. Ich hätte die Terrasse verteidigen können – mit vier Repetierbüchsen, fünf Pistolen hätte ich hinter einem Steinverhau hervor jeden Angreifer wegputzen können. Ich wollte es nicht. Rebellionen, mit Glaubensfanatismus verquickt, haben in Afrika schon wiederholt ungeheure Opfer gefordert. Die Mahdistenkriege stehen da obenan, nicht viel ungefährlicher waren die Kämpfe der Italiener gegen die Scharen des Cyreneika-Propheten, und wie sich dieser Aufstand hier in Ostafrika entwickeln würde, konnte niemand voraussehen. Damals nicht. Damals begann dieser Aufruhr der Farbigen erst – daß Englands unerschöpfliche Machtmittel ihn nachher so schnell dämpften, daß Englands uralte bewährte Politik, durch Geld Zwietracht zu säen und das Gold mehr als das Pulver zu benutzen, sich wiederum bewähren würde, dies ergab sich erst später.

Wir hier außerhalb der Zivilisation, fünf Männer, ein Mädel, achtzehn Safari-Leute, mußten unsere eigene Politik treiben, und – die war von vornherein verpfuscht durch die Umstände, durch vielleicht voreiliges Abdrücken einer Büchse. Es hatte Tote gegeben, sicherlich auch Verwundete, und damit war eine friedliche Verständigung unmöglich gemacht. Nicht etwa, daß ich den Freunden, die sich dort oben in den Wipfeln eingenistet hatten, irgendwie Vorwürfe machen wollte. Das lag mir fern. Ohne Not hätte schon Reginald niemals auf die Somali gefeuert, ohne Not hätte auch Afra, der doch selbst ein Somal war, diese Schüsse nicht geduldet, denn seine gewichtige Persönlichkeit hätte in solchem Falle kaum Widerspruch geduldet. Selbst Sussik ordnete sich dem Riesen stillschweigend unter, und Doktor Forrester ging ihm am liebsten aus dem Wege, nur Lizzie hatte Einfluß auf Afra, und mir gehorchte er aufs Wort. Ob jetzt auch noch, das blieb dahingestellt. Wie Afra sich seinen Landsleuten gegenüber verhalten würde, war eine peinliche Frage. Und genau so unklar war es mit unseren Safari-Leuten …

Ich betrachtete die ganze Situation als recht verfahren – das unbekannte Ziel, das ich mir gesteckt hatte, trat nun völlig in den Hintergrund vor diesen bedrohlichen Gegenwartsfragen, die mehr als nur Abenteuer bedeuteten.

Blitzschnell arbeiten die Gedanken in so ernster Minute, blitzschnell huschen sie durch das Hirn, losgelöst von allem, was sich für den Augenblick an äußerlichen Eindrücken dem vor wichtige Entscheidungen Gestellten aufdrängt. Um mich her war wieder nur der jetzt schweigende Urwald – in seinem Dunkel lauern das Verderben, Haß, Rachgier, jener alte Haß zwischen Weiß und Farbig, der nie schwinden wird, bis eines Tages die überlegene Anzahl der dunklen Völker die Herrschaft an sich reißen wird …

Was also tun?! Wo war hier der richtige Weg, das richtige Mittel, noch Ärgeres zu verhüten?!

Freund Mukki reibt sein Schnäuzchen an meiner Ledergamasche, und ich, der ich in diesen Sekunden des Überprüfens unserer Lage niemals die Umgebung unbeobachtet gelassen habe, erblickte gleichfalls drüben unter den Sykomoren, zwischen Dornengestrüpp und trockenen Schilfstengeln, die hier stets feuchten Boden verraten, eine gigantische Gestalt in hellem Überwurf mit einem hellen, enggeschlungenen Turban.

Afra!

Afras Stimme dröhnt in einer mir fremden Sprache durch die Stille der Mondnacht, Afra tritt ins Freie hinaus, und wie durch Zauberspruch beleben sich die Ränder der Lichtung, Gestalten wachsen empor, den Speer, die Büchse in der Hand, stehen still und lauschen, und Freund Afra spricht.

Ich zähle flüchtig die Zahl der Feinde – ich stehe im Schatten, noch hat mich niemand bemerkt –, ich zähle und gebe es auf … Es sind bestimmt an die hundert Gegner.

Unser Somal redet zu denen, die das weiße Zeichen der heiligen Kaaba an der Stirn tragen. Er redet nicht als einer, der sich abwendet von den bisherigen Gefährten, er redet als Unterhändler, seine Worte sollen versöhnen, wo der Tod bereits geerntet hat.

Ich beobachte die Gegner, ich wittere Verrat, ich ahne das Kommende voraus.

Links von mir, keine zwanzig Schritt entfernt, bemerke ich vier Leute – ein fünfter halb hinter einem Busch, in den Händen eine moderne, irgendwo erbeutete Büchse. Der Kerl trägt den Khakianzug eines englischen Kolonialtommys, dazu eine jener merkwürdigen Ledermützen, die sich einzelne Völker hier aus einem Nashornmagen herstellen.

Der Kerl hebt ganz allmählich die Büchse – für ein kundiges Auge verrät er schon durch diese ruhige Bewegung den geübten Schützen.

Blitzschnell arbeiten die Gedanken in so ernster Minute, blitzschnell werde ich vor einen harten Entschluß gestellt.

Der Kerl wird schießen …

Afra wird fallen …

Das ist Heimtücke, das ist niederträchtiger Mord …!

Knallte ich den Burschen nieder, dann habe ich die ganze Bande auf dem Hals, dann sind Mukki und ich in Sekunden ausgelöscht …

Ich bückte mich, die tastende Hand findet das Gesuchte, und ein faustgroßer Stein fliegt dem Meuchler gegen die Lende – der Knall des Schusses, der die Worte Afras übertönt, die Verwirrung der Schwarzen über den jähen Knall geben mir Gelegenheit zu raschem Durchbruch …

Ich stürme vorwärts und reiße Freund Fennek hinter mir her, ich höre die Speere sausen, die bleiernen Bienen summen und das schwirrende Geräusch fliegender Wurfkeulen …

Die eine trifft, aber dort, wo sie aufschlägt, hat das Ende des Rückens sein feistes Sitzpolster.

Eine Hand zerrt mich hinter die erste Sykomore, es ist Afras Hand, und aus den Ästen über uns blitzt und knallt es – – dann wird es wieder still, und nur das heisere Schreien einer über den Kampfeslärm empörten Waldeule begleitet Afras hastige Worte:

»Herr, wir waren deinetwegen in Sorge …«

Ein Baststrick baumelt mir vor dem Gesicht, ein zierlicher Fuß trifft im Herabgleiten meine Nase und Lizzie Neworlds Arme umklammern mich …

»Du – die Angst, die Angst … um dich!!«

Die Stimme versagt ihr, und wie einst dort droben im Norden Afrikas in den Sanddünen Nubiens, aber tief unter der Erde fühle ich Lizzies Lippen und vergesse alles ringsum … Der Onkel Olaf vergißt auch seine Onkelrolle, und erst Afras warnendes Rütteln und seine allzu kurze, unklare Bemerkung: »Herr – später dies!!« trennt ein doppeltes Lippenpaar.

Es ist hier sehr dunkel im Baumschatten, und das ist gut, denn ich glaube, Lizzie ist sehr rot geworden, und ihre wirren Reden über die Baumfestung droben klingen mehr wie verlegenes, ablenkendes Stammeln.

Baumfestung …

Mehmed Saids ruhige Würde spricht mit einigem Stolz von dieser seiner Idee. Zunächst freilich vermag ich kaum zu prüfen, ob diese Idee so überaus glänzend ist. Der Mond hat sich leider verkrochen, und ich finde die Freunde und die Safari-Leute vollzählig auf einer Art Plattform in den oberen Zweigen versammelt. Zu dieser Plattform lieferte die durch einen Sturm kurz abgeknickte Spitze einer Sykomore das Fundament … Man hatte Äste darübergelegt, man hat Taue aus Baststreifen geflochten und hängende Brücken zu den anderen Stämmen hergestellt. In jedem Baume sitzen zwei Wachtposten, und wenn sie auch zumeist nur Vorderladerflinten haben, die mehr durch ihr Getöse als durch ihre Rehposten wirken: ein überraschender Angriff war bisher unmöglich.

Bisher …

Nun hat sich der Mond versteckt, nun lagert das Dunkel über der Lichtung, und selbst Reginalds erhabene Gleichgültigkeit schmilzt dahin, als in unser Baumnest von unten her die erste Kugel hineinfährt und ausgerechnet Sir Forresters Stiefelsohle lädiert. Zwei Zentimeter weiter links, und die große Zehe wäre glatt amputiert gewesen.

Zwischen uns fünf Hauptpersonen und Lizzie besteht eine wundervolle Ergänzung der Gedanken. Was dem einen entgeht, bemerkt der andere, was der eine vorschlägt, wird nutzbringend ergänzt. Wir sind ganz aufeinander abgestimmt, und diese drei Wochen seit dem Aufbruch von Nairobi haben die seelischen Fäden noch enger geknotet.

Die zweite Kugel der im Schutze der Finsternis in den kleinen Sykomorenhain eingedrungenen Somali zersplittert lediglich einen Ast.

Sussik, Bischarin mit Bubifrisur und Hammelfettduft, hat nach kurzer Beratung zwei Bündel entzündet, zwei riesige Nester von Kranichen, trocken wie Zunder, ausgepolstert mit Gräsern … Zwei Feuerbälle fliegen abwärts in die Schilfstengel – und wie leicht diese auflohen, haben wir schon einmal erfahren, als Reginalds Blitzlichteinrichtung allzu feurige Funken sprühte und dann im Augenblick ein ganzes Flußtal eine einzige Feuerwand bildete.

Auch hier war es so. Alles, was unter den Sykomoren irgendwie brennbar war, flammte auf, und die Somali mußten schleunigst den Platz wieder räumen – wir hätten bequem mehrere abschießen können, wir unterließen es und waren zufrieden, daß die Kranichkolonie übergenug Brennstoff lieferte, das Gelände zu beleuchten. Der Qualm belästigte uns kaum, der Wind wehte gen Ost, und daß die Lichtung mit in Flammen aufging, daß der Brand sich sogar im Walde fortsetzte, war uns nur angenehm.

Für die Nacht waren wir in Sicherheit. Wie der Tag sich dann für uns gestalten würde – – spätere Sorgen haben mich nie gequält. Es würde schon irgendwie Rat werden.

Reginald saß im Lichte der überall zuckenden Flammen sehr mißvergnügt auf einem Ast und betrachtete seine Stiefelsohle, ein Stück Oberleder war ebenfalls flötengegangen … Reginald hörte höchst gleichgültig meinen Bericht mit an. Neben mir saß eine weit interessierte Partnerin, und in deren Schoß hatte sich Mukki ganz eng zusammengerollt – beneidenswert! –, und eine braune Mädchenhand streichelte sein seidiges Fell … – beneidenswert.

Mehmed, wie stets verkörperte Würde und Abgeklärtheit, rauchte seine Pfeife, Sussik und Afra holten Kranichnester, und die Safari-Leute hockten in großartiger Gemütsruhe da und schmauchten gleichfalls.

»Die Ponys sehen wir niemals wieder«, sagte Reginald mißmutig. »Nur gut, daß Sie meine entwickelten Filme so sorgfältig versteckt haben – – Frechheit!!«

Letzteres galt einer Kugel, die über uns hinwegfegte …

»Haben Sie auch meinen Rasierapparat in Ihrem Bündel, lieber Abelsen …? Der Gedanke, tagelang wieder mit den Anfängen eines Vollbartes umherlaufen zu müssen, ist mir unerträglich …«

Sein Blick streifte dabei Lizzie – was häufiger geschah …

»Vielleicht«, sagte ich rücksichtslos, »vielleicht brauchen Sie ab morgen nie wieder eine Rasierklinge … Hyänen würden an Ihrem Stoppelbart keinerlei Anstoß nehmen.«

Lizzie lachte leise und sorglos. »Er will Sie nur foppen, Sir Forrester … Die Hyänen können warten … Aber ich« – und sie wurde sehr ernst – »ich warte nun nicht länger. Ich wünsche den Inhalt des Briefes zu erfahren, Onkel Olaf … Man kann nie voraussehen, was geschieht …«

»Das stimmt, mein Kind … Zuvörderst möchte ich dann aber wissen, was dir Major Mac Oldyn damals auf dem Plateau mitgeteilt hat … bitte!«

Eine Rauchwolke strich über uns hinweg, Lizzie hustete, dann erwiderte sie sehr ablehnend:

»Darüber spreche ich nicht!«

Ich war verletzt. In ihrem Ton hatte etwas geradezu Herausfordernd-Scharfes mitgeklungen.

Reginald gähnte diskret. »Laßt das doch jetzt. Es wäre vernünftiger, wir würden uns niederlegen. Sobald es hell wird, können die verrückten Mullah-Kerle uns drüben aus den Baumkronen beschießen, dann gibt es keine Minute Ruhe, fürchte ich.«

Sussik kam schwerbeladen die eine Strickleiter hinab. Er warf das Brennholz nieder, drückte seine Patentfrisur zurecht und sagte mit der ihm eigenen Bestimmtheit:

»In einer Stunde wird es regnen und gewittern, Olaf … Dann fliehen wir, wir werden die Somali über die Richtung, die wir wählen, schon täuschen können …«

Als Wetterprophet war Sussik unerreicht. In diesem Falle konnte uns ein Gewitter nur schaden.

»Sussik, sie werden uns einkreisen, sobald die ersten Tropfen fallen und unsere Beleuchtung erlischt«, meinte ich achselzuckend. »Denke dir etwas Besseres aus … Flucht wäre nur möglich durch die Luft, und da wir weder einen Ballon noch ein Flugzeug oder etwas Ähnliches haben, werden wir gut tun, unser Hirn nach einer anderen Richtung hin anzustrengen …«

»Ich wünsche den Brief zu lesen!« warf Lizzie noch gereizter ein …

Sussik, der diesen milden Zankapfel schon kannte, sagte zu unserer kleinen Tyrannin, indem er gen Himmel deutete:

»Miß, es ist zu dunkel, als daß Olaf die Ledertasche öffnen könnte … Da – es regnet schon!«

Regnen?!

Nein – es war wie immer hier bei nächtlichen Gewittern: es goß, es goß so urplötzlich aus Eimern, daß wir im Moment völlig durchweicht waren – nicht nur das: Blitze fuhren herab wie lohende Schlangen, das Krachen schien das Firmament spalten zu wollen – wir sahen nicht mehr die Hand vor Augen.

Es war das dritte derartige Gewitter, das wir erlebten, aber auch das schwerste – da halfen keine imprägnierten Decken, der Sturm schlug uns die Zipfel in die nassen Gesichter, der Wald stöhnte und ächzte, unsere Sykomoren pendelten wie trunken hin und her, unsere sogenannte Festung, doch nur eine durch Zufall festgeklemmte Baumkrone, kam plötzlich ins Rutschen, sie hatte den Halt verloren, wir fielen abwärts, wir purzelten übereinander, wir landeten in einem neuentstandenen Tümpel, ich konnte gerade noch Lizzie in die Arme nehmen und blindlings davonstürmen – – hinter uns gellte schon das tierische Brüllen der Feinde, knallten Schüsse …

Zwei Stunden drauf, als der Morgen graute, saß ich müde und zerschlagen, frierend und zitternd vor dem Felsloch, in dem Lizzie neben dem Fennek-Freund auf einem Graslager schlief.

Ich sah nichts von dem heraufziehenden Tage – ich sah nur wirre, formlose Gestalten …

Meine Zähne schlugen wie Kastagnetten aneinander.

Auch mich hatte die Malaria gepackt.

Zum ersten Male …

In einer Pause des lähmenden Schüttelfrostes kroch ich in das Tal hinab, wühlte den Sand auf, grub tiefer und tiefer, bis das Loch sich mit trübem Wasser füllte, schöpfte es mit der hohlen Hand und spülte die große Chinintablette hinunter.

Zum Emporklettern der Talwand reichten die Kräfte nicht mehr. Ich kollerte wieder zurück, ich rollte in ein Gestrüpp hinein, und mir schwanden die Sinne.

* * *

 


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