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Reginald besaß drei Kameras, eine für Fernaufnahmen, ein Riesenapparat, zwei kleinere für Nah- und Blitzlichtphotographien. – Über diese Art unserer Tätigkeit Näheres zu berichten wäre Tintenvergeudung. Es gibt meines Wissens fünf Spezialwerke über »Jagden mit der Kamera«. Des Deutschen Schillings »Mit Blitzlicht und Büchse«, des Engländers Warton ähnliches Buch, Dugmores vorzügliche Photographien und des Italieners Raspalli abessinische Nachtaufnahmen sind so ziemlich gleichwertig. – Reginalds Apparate, das Beste vom Besten, liefern noch schärfere Bilder. – Nur – wir sind auf die Sache noch nicht genügend gedrillt, wir haben bisher bei Magnesiumlicht nur Hyänen, Schakale, Zebras, Hartebeeste und Gazellen auf den Film bekommen, obwohl wir uns nicht damit abzuplagen brauchen, die Patronen zu ergänzen oder die Kassetten zu wechseln. – Das besorgt alles der elektrische Auslöser, der nächste unbeachtete Film rollt automatisch vor, die nächste Magnesiumpatrone ist zündbereit – man braucht nur auf den Kontakt zu drücken …

Reginald hatte sich mit mir wieder ausgesöhnt, und als es dunkelte, krochen wir beide und Lizzie in die »Boma« hinein.

Hier war die Boma das löwensichere Versteck für den Photographen, die Höhle an der Talwand, deren Dornenverhau wir noch verstärkt hatten. Unten neben den Kadavern des Zebras und der Warzensau standen, durch Büsche maskiert, die beiden Apparate.

Da wir am Spätnachmittag in der Steppe nicht weniger als fünf Löwen beobachtet hatten, mußten wir diesmal wohl Erfolg haben.

Wir hatten Decken, Büchsen, Taschenlampen und Hartzwieback und kalten Tee mitgenommen. Es war vereinbart worden, daß Lizzie nach der ersten gelungenen Aufnahme den Löwen schießen dürfe.

Die Nacht war mondhell, klar und kühl. Schon nach einer Stunde erschien lautlos wie ein Gespenst eine gefleckte Hyäne, sicherte lange und trabte ab. Irgend etwas kam ihr hier nicht ganz geheuer vor.

Lizzie murmelte verächtlich: »Feigling!«

Reginald stimmte ihr bei, und ich machte mir so meine besonderen Gedanken, als kurz nach der Hyäne zwei Schakale auftauchten und gleichfalls schleunigst verdufteten.

Der Wind kam von der anderen Talwand herüber durch eine tiefe Schlucht, die vollständig zugewachsen war.

Es wurde Mitternacht. Wir hörten Löwen brüllen, wir sahen auch Schatten, die drüben im Dunkeln entlangglitten, und plötzlich – es kam selbst mir überraschend, was die Tollkühnheit dieses Vorgehens betraf – brachen aus der Schlucht an die achtzig Somali hervor, jeder mit einem unförmigen Schild, einer Steinplatte sich deckend … Sie rasten auf unsere Höhle zu – wir hatten die Büchsen zwar neben uns, wären jedoch nie zum Schuß gekommen, so schnell ging alles.

In diesem kritischen Moment drückte ich auf beide Kontakte – zwei Magnesiumpatronen knallten dumpf –, ich drückte nochmals – blendende Blitze beleuchteten die Angreifer, die augenblicklich stockten, zauderten … und ausrissen!

Ohne Frage war den Mullah-Kerlen das Blitzlicht neu. Ich habe noch nie ein so panikartiges Flüchten beobachtet – die Leute fielen hin, rafften sich auf, kollerten übereinander, sausten drüben den Abhang empor – – weg waren sie.

Trotzdem gab ich, wie mit Sussik verabredet, drei Signalschüsse für das Lager ab, um dort die Safari zu warnen – wir packten schnell unsere Apparate ein, marschierten schleunigst zum Lagerplatz und wachten bis zum Morgen. Aber die Kerle – es waren natürlich die entwaffneten Somali, denen der englische Offizier nur drei Lanzen und eine Flinte gegen Raubwild belassen hatte – griffen nicht an, ließen sich auch nicht sehen.

Reginald war durchaus meiner Ansicht, daß wir unter diesen Umständen klüger täten, diese Gegend zu verlassen. Wir wollten es auf keinen Fall verderben, da wir nunmehr in Gebiete vorzudringen gedachten, die sich nach den in Nairobi umgehenden, freilich ziemlich unkontrollierbaren Gerüchten in vollem Aufstande befinden sollten. Auch der Offizier hatte uns vor dieser Marschroute gewarnt, wußte jedoch nichts Sicheres. Das Wagnis war anderseits nicht so groß, wie es nach alledem scheinen mochte, denn die Besiedlung dieser Steppen ist so dünn, daß man bei einiger Vorsicht den Galla-Dörfern leicht ausweichen kann. Reginald besaß eine Spezialkarte, die von der Regierung herausgegeben war – jede noch so kleine Siedlung war vermerkt, jede Wasserstelle, jeder Bach mit genauen Angaben versehen, wann man dort bestimmt Trinkwasser vorfände. Wir entschieden uns für eine direkt östliche Richtung, die uns allerdings tagelang durch baumlose Wüsteneien führen würde, aber auch auf Hunderte von Kilometern keinerlei Negerkral aufwies.

Den versäumten Nachtschlaf holten wir am Tage nach. Am Spätnachmittag brachen wir auf, Afra und Sussik wieder wie stets als Vorhut voran, Mehmed und Reginald hoch zu Pony als Seitendeckung fünfzig Meter von den Safari ab zu beiden Seiten, Lizzie und ich vor den Trägern, auch zu Pferde. Das fast mannshohe Gras und sehr willkommene Täler ließen uns hoffen, daß wir bei der rasch zunehmenden Dunkelheit den Spähern der Somali aus den Augen kommen würden. Die kritischste Zeit war die Stunde zwischen Dämmerung und Mondaufgang. Vorhut und Seitendeckung rückten näher auf, jeder hielt die Waffe bereit, jeder spannte alle Sinne an und beobachtete und lauschte. Zeigte sich irgend etwas Verdächtiges, so zum Beispiel eine auffällige Unruhe von Wildrudeln, machten wir stets halt, und Fennek und ich suchten das Gelände erst einmal gründlich ab. Mein vierbeiniger Freund, den ich dann an langem Riemen führte, hatte sich allmählich in diese spezielle Aufgabe vollständig eingewöhnt, er wußte ganz genau, was ich von seinen feinen Sinnen verlangte – trotzdem blieb ein solcher Kundschafterritt stets eine überaus kitzlige Geschichte. In niederem Grase war die Gefahr gering, in den hohen dürren Halmen, die an sich schon das Vordringen erschwerten, oder in Buschland und felsigen Strecken mußte ich jeden Moment mit einem unerwarteten Angriff rechnen, da Mukkis Patentnase hier versagte, wo so zahlreiche frische Wildfährten sich kreuzten und vielleicht vor Minuten erst irgendein Großwild vorübergewechselt war. Am bösesten sind ja stets die Nashörner als unerwartete Angreifer – sie sind faul und dumm, aber jede Kleinigkeit kann sie in blinde Wut versetzen –, und ist ein solcher Fleischklumpen mit seinen kurzen Beinen erst einmal in Fahrt, entwickelt er auch eine verblüffende Geschwindigkeit. Flucht oder Schießen im Halbdunkel ist unmöglich, das einzige Mittel, dem Koloß zu entgehen, ist ein Sprung zur Seite – – falls man sich auf seinen Gaul, oder wenn man zu Fuß ist, auf seine eigenen Nerven verlassen kann. Der Löwe ist – immer wieder betont – weit harmloser. Er wird zumeist schleunigst davonrennen, brüllt zwar wütend über die Störung, aber ist durchaus nicht die kühne Bestie, als die er vielfach der Sensation wegen hingestellt wird. Wir haben es später erlebt, daß ein Löwenpaar sogar ein halberwachsenes, angeschossenes Junges einfach im Stiche ließ. Wir haben freilich auch recht peinliche Augenblicke kennengelernt, in denen unser Leben lediglich von der sicheren Hand und dem Nichtversagen der Büchse abhing.

All diese Unterbrechungen des Marsches stellten sich als unnötig heraus. Wir waren nervös geworden, unsere Träger, sonst brave Kerle, hatten seit der etwas bedenklichen Nacht im Honighain das Herz wohl mehr in den Leinenbuxen als auf dem rechten Fleck. Diese Hosen mißfielen ihnen übrigens gründlich, aber wir hatten nun mal eine junge Dame bei uns, und die Lendenschurze, die jeder Windstoß hob, genügten nicht recht den gemäßigsten Anforderungen des Anstandes.

Der Mond erschien, wir kletterten bergan, und vor uns lag nun eine Grassteppe, die der Karte nach nur fünf Wasserlöcher auf eine Entfernung von 230 Kilometer aufwies. Das Gras war kaum kniehoch, weite kahle Sandflächen wechselten mit dunklen Felspartien und Buschstreifen ab, hin und wieder ein einzelner Baum – eine trostlose Gegend. Ein kalter Wind fuhr über die Savanne, die Safari-Leute hüllten sich in ihre Decken, wir Reiter zogen gleichfalls die sehr praktischen ärmellosen Wollmäntel über, Vorhut und Seitendeckung waren unnötig, da wir nur eine Richtung wählten, die jeden Felsen und Busch, also jede Möglichkeit zum Hinterhalt vermied.

Um Mitternacht trafen wir auf die erste Wasserstelle, ein tiefes trockenes Flußbett mit hellem Sand und hellen Kieseln. Bisher waren wir nicht einem einzigen Stück Wild begegnet – ausgerechnet hier trafen wir in dem Tale etwa zwanzig Büffel an. Wir machten sofort halt, die Safari-Leute warfen die Lasten ab und waren blitzartig auf zwei verkrüppelten Bäumen verschwunden.

… Was verständlich war …

Es gibt kein Tier in Ostafrika, das so gefürchtet wird wie der wilde Büffel. Es ist ein Märchen, daß der Löwe sich an eine Büffelherde heranwagt, nicht einmal Einsiedler wird er anfallen, er zieht dabei stets den kürzeren. Sir Forrester hat einmal mit der Fernkamera eine solche Attacke gefilmt, wir beobachteten sie durch die Gläser – der Löwe hatte eine Büffelkuh angesprungen, die sich schützend vor ihr Kalb gestellt hatte. Im selben Moment, als der Löwe der Kuh im Nacken saß und das Genick zerbeißen wollte, hatte die Büffelmama den Schädel geneigt und schlug einen regelrechten Purzelbaum. Als sie sich wieder erhob, lag der Löwe halb zerquetscht im Grase, die Kuh nahm ihn auf die Hörner und schleuderte ihn mehrere Male hoch in die Luft, zertrampelte ihn, und das, was wir nachher von dem Leu noch vorfanden, waren … Fetzen …

Kein Wunder, daß die Eingeborenen den Büffel wie den leibhaftigen Satan fürchteten. Seine Augen sind scharf, sein Gehör tadellos, seine Nase noch besser, seine Beweglichkeit einfach verwirrend. Einem anstürmenden Büffel entgeht kein Mensch durch einen Seitensprung, das Tier wirft sich im Moment herum – – und selbst eine Kugel vor die Stirn ist nicht immer letzter erfolgversprechender Rettungsversuch.

Die Büffel sollten durch die Rinderpest sehr dezimiert sein – hatte man in Nairobi erzählt. Das stimmte für diese Steppe keineswegs. Hier stießen wir auf die erste Herde, es sollte leider nicht die letzte sein. Ganz abgesehen davon, daß wir diese zwanzig Tiere nicht sämtlich niederknallen konnten, um an das Trinkwasser zu gelangen – ganz abgesehen davon, daß diese Schießerei für uns sehr üble Folgen hätte haben können, da die Büffel sofort angegriffen hätten –, Afra als Landeskundiger erklärte uns, die Wasserlöcher seien durch die Tiere nun für Tage so verschmutzt, daß es zwecklos sei, hier zu rasten.

Also – weiter!

Die Safari-Leute von den Bäumen herunterzubekommen war nicht leicht. Die Büffel hatten uns gewittert, der Leitbulle kam bis an die Talböschung und sicherte und schnaubte. Wir gaben regelrecht Fersengeld. Noch nie haben unsere Träger so flott den Weg unter die Beine genommen wie damals. Eine Stunde drauf erreichten wir ein kleineres Tal, hinter einer Felsgruppe schlugen wir das Lager auf, die Leute gruben metertiefe Löcher – was sich darin an Wasser sammelte, war ungenießbar, schmeckte gallenbitter. Reginald hatte diese Wasserart, soweit er es konnte, später (wir fanden sie leider häufiger) analysiert und behauptete, sie enthielte Bittersalz und Schwefel. Der »Duft« schien ihm recht zu geben. Ich selbst bin kein Chemiker.

Unsere letzten Wasserschläuche wurden also entleert, sie reichten zur Not für die Ponys und zum Teekochen. Ich verteilte die Wachen, wir hatten auch wieder einen Dornenverhau angelegt, alles schien in bester Ordnung – schien!!

Daß in den Felsklüften der Talwand über uns eine Horde kleiner Teufel hauste, ahnten wir nicht. Wodurch wir die Herren Paviane gereizt hatten, blieb unerfindlich. Ich hatte mich gerade niedergelegt, als das Steinbombardement begann. So urplötzlich, daß wir erst an einen Angriff der Mullah-Leute dachten.

Man sollte es nicht für möglich halten, daß diese doch nur mittelgroße Affenart so ungeheure Kräfte besitzt und so tadellos Steine zu schleudern weiß. Unsere Ponys brachen aus. Reginald sank bewußtlos um, die Safari-Leute brüllten, es entstand eine heillose Verwirrung.

Leider war Lizzie so töricht, vier oder fünf Schuß abzugeben … Was tat dies gegenüber etwa siebzig Pavianen?!

Und dann das ärgste Pech: Plötzlich tauchten im Mondlicht hinter einer Krümmung mindestens dreißig Büffel auf, nicht etwa im Schritt, sondern in flottem Trab, vorne drei riesige Bullen mit ganz hellen, mächtigen Hörnern …

Arme Ponys!! Sie rannten den Büffeln gerade in den Weg – – wir rannten auch, aber nach oben in die Felslöcher, wir mußten Reginald und drei Leute mit emporziehen, wir, Lizzie und ich, gerieten ausgerechnet in eine Pavianbehausung, einer der bissigen kleinen Kerle flog mir ins Gesicht, Lizzie feuerte mit der Pistole, der Erfolg waren lediglich Verletzungen durch Bleispritzer an unseren eigenen Gesichtern.

In diesem grenzenlosen Wirrwarr benahm sich der stolze, hochgewachsene Afra wie ein antiker Held. Hätte ich nicht Lizzies wegen diese beschämende Flucht mitmachen müssen, wäre ich niemals in diesen Affenstall eingedrungen, dessen Gestank schlimmer war als der Verwesungsgeruch irgendeines Kadavers. Afra war als einziger im Lager geblieben, hatte das brennende Reisig des einen Feuers in den Dornenverhau geschleudert, die stets trockenen Dornen lohten auf, die Büffelherde stutzte, zumal eine schmale Grasfläche gleichzeitig Feuer fing und der Wind den Tieren die Flammen entgegentrieb …

Im Nu verschwanden die Kolosse wieder um die Ecke, auf dem Schlachtfeld aber lagen unsere Ponys – nur drei konnten wir noch leidlich zusammenflicken, die anderen erlöste eine gnädige Kugel.

Es war ein übler Beginn unseres Marsches durch diese Einöde.

Es sollte noch schlimmer kommen.

* * *

 


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