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Es war eine jener unsagbar schönen Nächte, die uns nur die freie Natur schenken kann. Über uns der sternenklare Himmel und um uns herum eine weihevolle Stille, die nun durch einen dumpfen Schrei zerrissen wurde.

Mit Sussik, meinem Diener und meinem Hund Wrangel hatte ich den südöstlichen Teil der Lybischen Wüste erreicht. Unser Lagerplatz befand sich in einem steinigen Flußbett, das nur zur Zeit der gewaltigen Regengüsse im fernen Abessinien lehmige Fluten kannte. Jetzt war es nichts als ein Teil der Sandwildnis, die sich ringsum in Dürre und Trostlosigkeit bis zu dem fruchtbaren Landstreifen am Nilufer hinzog.

Der dumpfe Schrei aus Sussiks Munde hatte die heilige Stille der Nacht zerrissen und mich von meinem Lager hochgescheucht.

Ich war aufgesprungen, die Hand hatte in selbstverständlicher Bewegung nach der Büchse gegriffen, und nur das glatt anliegende braune Rückenhaar Wrangels und seine Teilnahmlosigkeit beruhigten mich ein wenig. Der Hund, Abkömmling polarer und südlicher Arten, besaß einen so sicheren Instinkt für drohende Gefahr, daß ich gemächlich dahinschlenderte …

Sussik würde ein Tier in der Schlinge gefangen haben, sagte ich mir. Die Schußwaffen konnten wir aus bestimmten Gründen nicht benutzen.

Es herrschten seit gestern mittag, wo wir die sauber getilgte Elefantenfährte mühsam unendliche Meilen weit bis hierher verfolgt hatten, bei uns Fleischknappheit und Durst. Die Nacht hatte uns gezwungen, die Verfolgung derer, die hier nur in unlauterer Absicht wieder erschienen waren, vorläufig aufzugeben. Zwei unserer Schläuche waren undicht geworden, und das Lastdromedar hatte die Dusche, die ihm über die Rippen rieselte, wohl nur als angenehm empfunden und nicht weiter durch irgendwelche Anzeichen erhöhter Lebendigkeit verraten.

Sussik hatte dann im Südteil des Tales die Spuren von Hasen entdeckt und vor den Sandlöchern Schlingen aufgestellt. Die Hasen waren fett und gut im Pelz, ihre geringe Intelligenz führte sie leicht in die verderblichen Hanfschnüre.

Möglich, daß ich damals nicht so ganz auf der Höhe war, weder geistig noch körperlich. Gewiß, die Trennung von all den lieben Freunden, mit denen ich in der Oase zwischen den Dünenbergen so freudige und traurige Stunden verlebt hatte, lag viele Wochen hinter mir. All das, was mit James Cordy und seiner Gattin an buntem Erleben zusammenhing, all das, was Gussy Gollans zierliche Schönheit an mein Herz gerührt hatte, war vergessen, verschmerzt. Aber ein stumpfes Grübeln war dennoch geblieben. Mochten auch Gold und Reichtümer, die noch von den Pharaonenzeiten aufgespeichert sein konnten – damals, als die alten Ägypter das Goldland Nub noch nach Edelmetall durchwühlten, mir genau so gleichgültig sein wie die ganze fadenscheinige Zivilisation der Neuzeit – kein Mensch geht an einem ungeklärten Geheimnis mit geschlossenen Augen vorüber, wenigstens keiner meines Schlages, dem das Abenteuer fernab den Pfaden des Alltags Bedürfnis geworden, Lebenselixier und Kraftquelle. Vielleicht hatten in meinem Unterbewußtsein diese spürenden Gedanken ärger an mir genagt, als ich es selbst empfand. Ich befand mich in einem Zustande der Unausgeglichenheit, und als Sussik, der Bischarin, mir die Patronenhülse gebracht und mir von dem sorgsam bedeckten Elefantenunrat berichtet hatte, als wir dann in Erinnerung an die Rüsselträger der trügerischen Filmexpedition schleunigst aufgebrochen waren, da die Herren Howard Houston und Owen Darss sich doch eines Schlechteren besonnen haben konnten und die vermuteten Schätze der Oase die Angst vor einigen bitteren Bleipillen abgeschwächt haben konnten – als wir mit unseren drei prächtigen Bischarin, diesen Elitetieren einer glänzenden Dromedarzucht, das verborgene grüne Paradies verlassen und die eindeutige Elefantenfährte aufgespürt hatten, da war ich doch nicht in jener glutvoll-beseelten Abenteurerstimmung gewesen, die die Sinne bis zum äußersten schärft und aus dem friedlichen einstigen Ingenieur den Halbwilden mit den Instinkten der Wilden formte.

Wrangel, der Hund, lief mit halbgesenkter Rute drei Schritt vor mir her.

Armer Kerl …

Wenn der Wind von Süd gekommen wäre, lebtest du noch. Deine feine Nase hätte trotz des Aasgeruches, der uns zwischen den weißen Klippen der Kalksteine entgegenquoll, die Schurken gewittert.

Der doppelte harte Peitschenschlag zweier Büchsenschüsse, das kurze Aufheulen Wrangels und der schmerzhafte Ruck in den meine Remington umklammernden Fingern machten mir die drohende Gegenwart bewußt.

Wrangel war zu meinen Füßen zusammengebrochen, meine Waffe war mir weggeschleudert, meine Augen starrten stier auf den zuckenden Körper des treuen Begleiters so mancher pfadlosen Wanderung.

Schmerz, Wut, Kampfgier – – 'raus mit der Pistole – – Sprung zur Seite – – zwei neue Kugeln dort aus den Klippen gehen fehl – – Deckung nehmen, angeschmiegt an spitzes Geröll, vorwärts wie die giftige Kobra, die nachts aus ihrem Loche schlüpft und sich dahinwindet wie graugrünes schleifendes Tau mit dickem Kopfknoten – – dann freier Blick über den südlichen Talwinkel – ein trabender Koloß, ein Elefant, auf dem Halse zwei feige Jämmerlinge, und … Dromedare.

So verlor ich Wrangel, so stahlen die Schurken mir die Dromedare, narrten mich, lockten mich eine Strecke hinter sich her …

Die Mondsichel schien höhnisch zu grinsen.

Olaf, alter Buschläufer – du rennst dem Dickhäuter nach wie besessen – du mit deiner Pistole!

Ein Narr warst du!

Die Besinnung kam, ich kehrte um, keuchend, erschöpft, mit mir selbst zerfallen, meine Torheit verwünschend, bedrückt von dem aufrichtigen Schmerz um meinen Hund, in Sorge um Freund Sussik, in einer Stimmung, die den Menschen herabdrückt zur primitiven Bestie, die irgendwie das jagende Blut kühlen möchte – – in fremdem Blut …

Nichts von Sussik, umsonst mein Rufen – nur schrille Echos in den düsteren Schieferfelsen, die den nubischen Wadis ein so eigenartiges Aussehen verleihen – Kalkstein neben zermürbten Schieferschichten, heller Sand neben Schutthalden – – und kein Sussik mehr, kein lautes Gekläff des braven Hundes …

Nur die Töne der Wüstennacht, ständig sich gleichend, sanfte Sinfonie der Einsamkeit – rieselnder, klingender, windbewegter Sand, ferner Schrei von Nachtvögeln, Füchsen, Schakalen …

Schließlich das Schlimmste, das Todesurteil: Die Dromedare verschwunden, entführt … Nichts mehr am Lagerplatz als die glühende Asche des Feuers, ein paar traurige benagte Knochen, die runden tellerförmigen Eindrücke von Elefantenfüßen. Todesurteil ohne Wort und Papier, Todesurteil durch das eherne Gebot: Stirb durch den Durst!!

Meine Büchse am Schloß durch die Kugel so beschädigt, daß der Mechanismus versagte – die Pistole ein Spielzeug bei diesem Kampf um das bißchen Leben …

So sah mich diese Nacht, und meine Uhr zeigte die zweite Morgenstunde.

So saß ich am verglimmenden Feuer, ein blinder Tor, ein Todgeweihter inmitten des ödesten Teiles unendlicher Steppen.

So hatte ich noch nie im Sande gehockt und vor mich hingeschaut und mit mir gehadert und die eigene Kurzsichtigkeit in grimmem Aufbegehren verwünscht.

So hatte ich noch nie das Tageslicht herbeigesehnt, um mit brennenden Blicken die letzten Zeichen dessen zu deuten, was sich hier abgespielt hatte, bevor der flüchtige Sand alles verdeckte.

Lange saß ich so – so lange, bis abermals die Reaktion kam, das innere Aufbäumen, das knirschende Zusammenbeißen der Zähne und das erlösende Bewußtsein, daß der Tod mich bereits in so mannigfacher Gestalt umschlichen hatte und doch immer die scharfe Sense zurückgezogen und das Stundenglas mit dem rieselnden Rest des Lebenssandes im oberen Glasoval barmherzig umgewendet und mir neue Frist gewährt hatte.

Ich stand nicht auf, ich fuhr hoch, beschämt über den eigenen Kleinmut, meinen Hund holte ich, wühlte eine Vertiefung an steiniger Stelle, deckte eine Felsplatte über ihn, häufte Steine darüber, die keine Tierklaue bewältigen konnte. In Frieden, ungestört, unberührt sollte des Hundes Leib zerfallen, zu Staub werden – – wie wir Menschen, wenn unsere Pilgerfahrt vorüber und das allerletzte Bett uns aufnimmt und die Ewigkeit uns umarmt hat …

Die Nacht kroch vor dem grauen Morgen in finstere Klüfte zurück.

Der Tag war da.

Ich schritt zu den Klippen.

Sie schwiegen … Sie waren hart und gefühllos, sie hatten nichts von Sussiks weichen Sandalen in ihrer Oberschicht vermerkt.

Kein Tropfen Blut …

Vier Patronenhülsen …

Drei Hasenschlingen …

Das war alles.

Warten – – harren?!

Nein – vorwärts – – durch!!

Die mäßige Kühle der Morgenstunden ausnutzen …

Als Ziel unsere Oase … Der Kompaß einziges Mittel, die Durststrecke abzukürzen.

Ich marschierte … allein … zu Fuß. Vor mir die wellige Ebene, vor mir Berge, kahl, nackt, trostlos …

Und die Sonne stieg – wie jeden Tag.

Lichtblau der Himmel …

Nur ein Begleiter neben mir …

Mein Schatten …

Erst langgereckt, solange die Sonne noch tief stand.

Mein Schatten, schrumpfend …

Und das Schrumpfen bedeutete Hitze, Glut, brennenden Durst, rinnenden Schweiß, schleifende Füße, keuchende Lungen …

Mittags drei Stunden Rast in einer Felsenwildnis, die ich verzweifelt nach einer natürlichen Zisterne durchsuchte, nach einer Vertiefung, in der sich das belebende Naß eines ergiebigen Regens angesammelt haben könnte.

Könnte …

Eitle Hoffnung …! Vergeudung letzter Kraft, Qual für die des Fußmarsches ungewohnte Haut. Blasen unter den Sohlen, wund die Zehen – verwöhnt die Stützen des Leibes durch den bequemen Dromedarsattel, durch den langen schlanken Trab der edlen Bischarin, die keine Ermüdung kennen, die hochmütig dreinblicken und den Kopf so stolz tragen …

Lager auf hartem Gestein, Hindämmern in halbem Schlaf – unsinnige Traumbilder, Aufschrecken, Erkenntnis der verzweifelten Lage.

Und doch: Weiter!!

Leer der Magen, leer das Hirn, Lippen spröde, Mundhöhle nur mehr wie Leder …

Nicht mehr marschieren, nur noch taumeln – der Körper ohne Feuchtigkeit, ohne Schweißabsonderung, die Augen verquollen, nicht mehr Organe des Sehens, nur noch Vermittler trügerischen Spuks …

Dann – – wie ein haltloser Sack Sturz in die Tiefe, Knistern von Zweigen, menschliche Stimmen, Schreie – –

… und tiefe, friedvolle Bewußtlosigkeit.

* * *

 


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