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… All das ist nun viele Wochen her.

Von dem Lande der Bischarin bis zum Lande der großen gelbbraunen Katzen mit stolzen Mähnen ist es ein sehr weiter Weg gewesen …

Lizzie und alle anderen sind auf der Jagd … Nur Mukki und ich bewachen das Lager. Ich habe seit Tagen Forresters Tinte und Füllfederhalter geschont und das Papier desgleichen. Es gab so allerhand zu tun …

Wir sind mit unserem Troß inzwischen den Bergen nähergerückt, und alles, was vielleicht noch an Anfänge von Zivilisation erinnerte, ist dahingeschwunden. Diese Pfade der ostafrikanischen Steppe wandelte noch kein Weißer, meint Reginald – er übertreibt gern. Ich weiß genau, daß sich hier zumindest vor Jahren fünf Ochsenwagen in die ferne Verlassenheit hineinwagten; aber ein Ehepaar in diesen afrikanischen Savannen suchen, das heißt das Sprichwort von der Stecknadel und dem Heuhaufen in die Tat umsetzen. Ohne Lady Janes Brief wäre ein solches Unterfangen von vornherein Wahnwitz gewesen. Die Freunde ahnen kaum, daß wir durchaus nicht planlos unsere Zelte jede Woche anderswo aufbauen. Es liegt System in dieser großartigen Wanderung, die schon jetzt eine Überfülle von Überraschungen brachte, die Sir Reginalds trockene Tagebücher genau so füllte wie die Zinkkästen für seine photographischen entwickelten Filme und die schweren Holzkisten mit allerlei merkwürdigen Dingen.

Der kleine vierbeinige Freund und ich haben soeben die Runde durch das Lager gemacht. Obwohl es bereits zehn Uhr ist und die Sonne hoch steht, spürt man nicht allzuviel von der Hitze. Die Hochlandluft ist frisch, der Wind fegt durch große Waldungen, durch Palmenhaine und drückt die Zeltwände nach innen. Unser Lager liegt auf der spitzen Nase einer Felsterrasse, die beiderseits schroff abfällt. Die ungeschützte Grundlinie dieses Dreiecks hat eine breite aufgeschichtete Steinmauer und davor einen Wall von Dornen – nicht gegen zweibeinige Feinde, nein, gegen die dem Tierreich angehörigen, und davon gibt es hier alle Arten im Überfluß. Wie grundfalsch die Annahme ist, daß in Afrika das Wild im Aussterben begriffen sei (man liest es so häufig in Zeitungen und Büchern von Salonglobetrottern), das sahen wir schon von der Eisenbahn aus.

Ich will nichts vorwegnehmen. Jedes zu seiner Zeit.

Daß man mich in dem Felsenlabyrinth des Isis-und-Osiris-Höhlentempels schließlich doch fand, war Sussik zu danken. Nachdem die Freunde die Verschlußplatte unter dem rieselnden Wasser der Quelle doch entdeckt hatten, nachdem es Afras Gigantenarmen geglückt war, sie zu lüften, kam Sussik auf den Gedanken, den kleinen Fennek zu holen und ihn in die hundertfach verzweigten und endlos langen Stollen hinabzuschicken. Mukki trabte auch sofort davon, eine bange halbe Stunde verstrich für die Ratlosen, dann erschienen wir, und Lizzies warmherziger Empfang war mir übergenug Entschädigung für die schweren Stunden und die böse Erkältung. Eine Dosis Chinin brachte den streikenden Leib wieder einigermaßen auf die Beine.

Der Abend kam, und gegen halb zehn, als im Osten der Himmel in glühenden Farben lohte, öffnete ich am Ufer des Teiches, nur den weisen, stillen Marabu als Zuschauer, den Briefumschlag.

Lady Jane schrieb:

»Lieber Freund, Sie werden sich bereits selbst gesagt haben, daß ich nunmehr die Goldbarren, die doch vorhanden waren, weggeschafft habe. Ich bin nicht die einzige Europäerin, die den unterirdischen Tempel kennt. Es gibt noch zwei Engländer, die vor mir den Zugang entdeckten, da der eine die Hieroglyphen der alten Mauer richtig zu deuten wußte. Diese beiden ließen die Barren unberührt. Es waren Flüchtlinge, und sie standen mir sehr nahe. Ich habe von ihnen in den letzten fünfzehn Jahren nur eine einzige Nachricht erhalten. Sie leben irgendwo an einem Flüßchen des Nordteiles Britisch-Ostafrikas – als Farmer in vollständiger Einsamkeit. Ihre Nachbarn sind Somalineger.

Lizzie hat das größte Interesse daran, die beiden zu finden – ich auch. Ich bitte Sie, zusammen mit Sir Forrester, der ohnedies jene Gegenden zu bereisen gedachte, die entlegene Farm zu suchen. Ich kann Ihnen für die Reiseroute nur geringe Anhaltspunkte geben. Jedenfalls verschweigen Sie Lizzie Zweck und Ziel der Fahrt. Das Kind soll nicht enttäuscht werden. Benutzen Sie von Mombasa die Eisenbahn bis Nairobi, lassen Sie das große Wildschutzgebiet südlich liegen und wenden Sie sich nach Nordost in die Galla-Länder. Es muß dort in der noch unerforschten Steppe einen Fluß geben, der sich am Rande eines Höhenzuges entlangschlängelt. Die bewußte Farm dürfte dort in der Nähe zu suchen sein. Die Farmer unterhalten keinerlei Beziehungen zu irgendeiner Siedlung, Erkundigungen in Nairobi oder Isavo als den Hauptorten wären zwecklos und auch unangebracht. Sollten Sie finden, was auch ich auf dem Landwege zu erreichen hoffe (und dies dürfen Sie Lizzie mitteilen), so ergibt sich alles übrige von selbst. Ich warne Sie nur vor dem neu aufgetauchten Propheten im Somaliland, dessen Anhängerschaft beständig wächst. Es handelt sich um einen Somal namens Koneni, der unter der Bezeichnung ›Der verrückte Mullah‹ in den Kolonialberichten der letzten Zeit eine bedrohliche Rolle spielt. – Ihnen, lieber Freund Abelsen, jetzt schon Einzelheiten zu verraten, verbieten die ganzen Umstände. – J. C.«

Ich habe damals dieses Schreiben wiederholt gelesen, mir das Wichtige genau eingeprägt und es dann durch Sussik nach Bischarinart wasser- und schweißdicht in Leder einbinden zu lassen. Ich trage es auf der bloßen Brust, und wer diesen Brustbeutel findet oder raubt und darin Schätze vermutet, entdeckt nichts als eine Spezialkarte von Ostafrika und vielleicht ein paar Zettel mit flüchtigen Notizen von meiner Hand. Der Brief selbst liegt zwischen doppelter Lederschicht, die mit Harz abgedichtet und mit roten Fasern vernäht ist. Für alle Fälle habe ich noch Reginald ins Vertrauen gezogen. Es könnte mir etwas zustoßen – und es wäre mir zweimal auch beinahe ans Leben gegangen.

Jedes zu seiner Zeit …

Abschied von unserer Oase, scharfer Ritt bis zur Hafenstadt Suakim am Roten Meer, fünf Tage Rast, bis ein Dampfer uns aufnahm, Fahrt durchs Rote Meer, um die Ostspitze Afrikas, weiter gen Süden – dann Mombasa, Ausgangspunkt der tadellosen Bahnlinie bis zum Viktoria-Nyansa-See …

Fünf Männer, ein junges Mädel, innige Kameradschaft trotz verschiedenartigster Veranlagungen. Der Fennek als sechster mit die Hauptperson, zahmer als ein Hündchen, frecher als ein Teckel, schlauer als ein Pudel – an Bord allgemeiner Liebling, in Mombasa im Hotel Gegenstand allgemeinen Staunens, genau wie ich über diese saubere, moderne Hafenstadt staunte, in der sich alle Völker der Erde ein Stelldichein geben, in der genau wie in dem kleineren, fast noch sauberen Nairobi elektrisches Licht, Wasserleitung, große Läden mit strahlender Abendbeleuchtung, tadellose Straßen, Promenaden, Kaffees, Basare es unfaßbar erscheinen lassen, daß zum Beispiel dieses selbe Nairobi von doppelten Zäunen, Dornverhauen, Stacheldrähten und Steinmauern wie eine Festung umgeben ist!

Gegen Feinde?!

Ja – aber gegen vierfüßige, die nachts die Außenbezirke, die Felder und Äcker heimsuchen, so ganze Zebraherden, Trupps von Gnus Hartebeesten, Antilopen …

So zahlreich ist hier immer noch der Wildbestand!

Und – er vermehrt sich, behaupten die Ansässigen, die für das Wildschutzgesetz nur ein ärgerliches Kopfschütteln haben.

»Löwen?!« sagte der Hotelbesitzer in Nairobi zu mir … »Löwen, Sir – die nehmen schon überhand!! Von den Zebras ganz zu schweigen! Sie werden es ja vom Zuge aus gesehen haben, wie stark die Zebraherden sind!«

Da hatte der Mann vollkommen recht. Wir hatten es nicht für möglich gehalten, daß dicht neben den Schienen derartige Mengen von Wild sich aufhielten, wir hatten anfänglich gedacht, es handele sich um Tiere, die in großen Kralen unfrei grasten. Ein Irrtum! Sie waren frei – genau so frei wie die fast nackten Schwarzen, die dem Straßenbilde Nairobis die echt afrikanische Note verliehen. Da waren Masaiis, Wakambas, Somali – da waren bis auf den Lendenschurz unbekleidete Weiber mit Sprößlingen in Bastkörben auf dem Rücken, da war so viel Gegensätzliches, daß wir die englische Verwaltung nicht begriffen, die all diese schwarzen Krieger mit Waffen in die Stadt hineinläßt – Masaiis mit gefährlichen Lanzen und kurzen Wurfspeeren, Wakambas mit Bogen und Pfeilen, Somali mit Vorderladerflinten und Pistolen von Anno dazumal …

So ist dieses Nairobi, Bahnstation, Stadt, Handelsplatz, Ausgangspunkt zahlloser Wege ins Innere.

Derselbe Hotelbesitzer, der in der Vorstadt einen großen Garten besaß, zeigte mir eines Morgens, als wir noch mit der Zusammenstellung unserer Safari zu tun hatten, einen durch eine Zebraherde eingedrückten Zaun …

»Sir, die Biester verstehen es tadellos, in geschlossener Linie gegen einen Bretterzaun Sturm zu laufen … Hier können Sie sich mit eigenen Augen überzeugen, was sie für Schäden anrichten … Kein Wunder, daß wir sie abknallen, wo wir nur irgend können. Aber – das hilft nicht viel. Nach Südwesten zu erstreckt sich ja das Wildschonrevier, eine Fläche von 25 000 Quadratkilometer – 25 000!! Dieses Gebiet ist der unerschöpfliche Quell, aus dem all dies schädliche Viehzeug sich über die Steppen ausbreitet – kein Schuß darf in diesem Territorium fallen, es sei in Notwehr. Es ist ein Wildpark, Sir, wie die Erde ihn nirgends mehr aufzuweisen hat! Es ist – von unserem Farmerstandpunkt aus betrachtet – ein Unfug!! Und wenn Sie erst einige Meilen von der Stadt entfernt sind, werden Sie mir rechtgeben: In diesem Falle sind die Herren dort am Grünen Tisch in London allzu tierfreundlich!«

Dann kam er auf die Kehrseite der Medaille zu sprechen … »Und gerade die wilden Büffel, Sir, an denen uns schon zu Kreuzungszwecken so sehr viel liegt, sind durch die Rinderpest vor einigen Jahren fast ausgerottet worden. Da griff die Regierung zu spät ein, da hätte manches geschehen können, die Seuche einzudämmen. Nichts geschah. So gut wie nichts. Was hilft jetzt das allgemeine Abschußverbot für Büffel!! Sie werden nicht einen zu sehen bekommen! Was von ihnen noch übrig, steckt in den dichten Wäldern, Sümpfen und buschreichen Mooren … An den Zebras liegt uns nichts. Sie sind sehr schwer zu zähmen, Kreuzungsversuche mit Pferden oder Eseln schlagen fehl, die Viecher sind faul, störrisch, ermüden leicht – – genug davon, Sir …! Sie wollen ja gen Nordost in die Steppe hinein, Ihr Freund Forrester hat glänzende Empfehlungsschreiben, Sie werden tun und lassen können, was Sie wollen: Schießen Sie ab, was Ihnen vor die Mündung kommt, und die Farmer werden Sie segnen!«

So sprach ein Ortskundiger zu mir. Und – er übertrieb in nichts.

Der gute Reginald hat all dies viel eingehender aufgezeichnet als ich. Er ist Gelehrter, er will mit Zahlen belegen, was ich hier nur andeute, er hat verschiedentlich Zebraherden bis zu hundert Stück photographiert, er hat Antilopentrupps abgeschätzt – es kamen dabei zumeist dreistellige Zahlen heraus –, er hat eine Tabelle für Begegnungen mit Löwen angelegt, und nicht ein Tag verging, an dem er diese Rubrik nicht ausfüllen konnte.

Was mich betrifft, ich kann nur wiederholen: Ich staunte immer wieder – bis mir diese Bilder der von Großwild belebten Steppe eben etwas Alltägliches wurden.

Von unserem neuesten Lagerplatz habe ich vorhin berichtet. Ich möchte noch einiges über unsere zwanzig Safari-Leute hinzufügen – nein, nicht mehr zwanzig, nur noch achtzehn, zwei Massaii sind in eine bessere Welt hinübergewandert, ein Nashorn hat sie buchstäblich zertrampelt, und daß ich nicht mit der Dritte wurde, dankte ich nur Afra, der dem blindwütigen Untier die auf den Boden gestützte Lanze entgegenhielt und es derart aufspießte, daß Sussiks und meine Kugeln sich erübrigten.

Achtzehn Träger haben wir also noch, davon zehn Wakombas, fünf Massaiis und drei Wakikus, alles prächtige, junge Kerle, die mehr Wert auf die tägliche Ration Tabak legen als auf ihre persönliche Sicherheit. Sie haben eigentlich nie versagt, diese zähen Burschen, die singend auf ihren Köpfen pro Mann etwa dreiviertel Zentner schleppen und pro Mann täglich mindestens vier Pfund Fleisch verschlingen, dazu Reis und … Whisky.

Unser Somalifreund Afra ist Häuptling dieser achtzehn, Lagerverwalter, Vorbeter, Polizist (stehlen tun sie wie die Raben!) und Wiegemeister für das Tabakquantum.

Oberhaupt unserer Karawane ist dem Namen nach Sir Reginald. Aber – diesmal »Aber« ganz groß geschrieben – Oberhaupt de facto bin ich. Und mich kommandiert wieder ganz heimlich und zart die blonde Lizzie. – Sussik und Mehmed Said haben andere Pöstchen, ersterer versorgt unsere sechs Pferde, nein, Pferdchen, denn es sind nur Ponys, und Mehmed, der würdige Graukopf, ist Koch und Photographengehilfe und … Arzt.

Wie so ganz anders als in der Nubischen Wüste ist hier unser Leben! Trinkwassermangel gibt es nicht, Fleischmangel erst recht nicht, wilde Ritte nur selten, dazu sind die Ponys zu faul – Schießereien kommen jeden Tag vor, zumeist gelten die Kugeln den erstaunlich unverschämten, aber auch sehr gewitzten Löwen, die im übrigen von selbst einen Menschen kaum angreifen werden, solange es … hell ist.

Es gäbe hier ja so unendlich viel Einzelheiten zu berichten. Wenn man jedoch wie ich nur nach langen Pausen immer wieder zur Feder greift (ich bin ja nicht Reginald, der mit pedantischer Sorgfalt Abend für Abend seine Rubriken ausfüllt), dann rutscht die Hälfte des Erlebten, Erschauten unter den Tisch, und ich notiere nur das, was nicht lediglich Äußerliches war, sondern auch die Seele, das Herz packte, und ich glaube fast, dieses Übersehen von Kleinigkeiten ist kein Fehler, sondern nimmt meinen Aufzeichnungen vielleicht das Trockene, Gekünstelte. Lizzie ist in dieser Beziehung sehr kühler, sachlicher Kritiker. Sie liest jede Zeile, sie hat sehr das Näschen gerümpft, als sie die Seite überflog, in der ich ihre Freude über meine Errettung aus dem Labyrinth sehr vorsichtig geschildert habe. Ich muß mir, was ihr liebes Persönchen angeht, überhaupt eine noch schärfere Bremse anschaffen. Sie ist ein kleiner Racker, die Lizzie, und sie wird empört sein, wenn sie morgen abermals entdeckt, daß aus dem Manuskript einzelne Blätter des heute Niedergeschriebenen fehlen. Der Inhalt des Briefes Lady Janes muß ihr ja vorenthalten werden …

Der Abend ist da.

Ich bin soeben mit Mukki, der mir nie von der Seite weicht, draußen auf der äußersten Spitze der Terrasse gewesen und habe mit dem Glase die Steppe abgesucht.

Steppe …

Die Bezeichnung könnte falsche Vorstellungen erwecken. Diese Steppe ist bunt und voller Abwechslung; Sandflächen, mannshohe Graspartien, kleine Wälder, Felsgruppen, tief eingeschnittene Bäche, weite Buschflächen und wellige Savannen mit kurzem Grase drängen sich im Blickfeld des Fernglases zusammen. Über grüne Büsche ragen bewegliche Tierköpfe hinweg: Giraffen, wohl das scheueste Wild. – Durch sumpfige Bodenfurchen ziehen dunkle, plumpe Kolosse: Nashörner! Meist sind es Familien, Vatter, Mutter, Kind. – Die einzeln hausenden Tiere dieser Gattung, die alten Bullen, sind die bösartigsten Gesellen. Ihre dicke Schwarte mit den tiefen Falten wimmelt von Ungeziefer, und ihre geflügelten Freunde und Warner, die Madenhacker, sind ihre treuesten Wächter. Ein alter Bulle ernährt nach Reginalds Statistik etwa zehn dieser aufmerksamen Vögel. – Dann sind da die Hauptzier der Steppe, die graziösen Antilopen, von denen es eine ganze Menge Arten gibt. Gnus, Zebras, Hartebeeste vervollständigen das abendliche Gemälde.

Ich habe von den Freunden nichts bemerkt, obgleich wohl der Marsch einer solchen Kolonne das Wild stets beunruhigt und man daher schon durch die flüchtig abgehenden Rudel etwa die Stelle erraten kann, wo die Störenfriede dieser Einsamkeit, die Menschen, dahinziehen. Leise Sorge beschlich mich. Die Dunkelheit mußte in einer halben Stunde hereinbrechen, und da außerdem von Westen her, wo das weiße Schneehaupt des Kilimandscharo jetzt im rosigen Glanz erstrahlte, finsteres Gewölk aufzog, war mit Regen und Gewitter zu rechnen.

Mukki, bemerke ich, ist seltsam ruhelos. Er wechselt dauernd den Patz, schnüffelt, schiebt die Nase durch den Vorhang ins Freie, kehrt zu mir zurück und setzt sich auf meine Stiefelspitzen – sein Lieblingsplatz trotz der Härte dieses Sessels. Die Paviane, die drüben an der Felswand und in den riesigen Sykomoren hausen, sind ihm bereits gleichgültig geworden und können dieses auffällige Benehmen meines Freundes kaum verschuldet haben. Was hat der Fennek nur?! Er rennt hinaus, und sein helles Kak–Kak–Kak–Kak treibt mich aus dem Klappstuhl hoch. Ich greife nach der Büchse und trete ins Freie …

Hinter Lizzies Zelt verschwindet eine dunkle Gestalt …

Ich springe vor – ein Speer saust haarscharf an meiner Achsel vorüber – eine Wurfkeule trifft meine Brust wie ein schwerer Stein, ich taumele, schlage mit der Elefantenbüchse, Kaliber 10,4, blitzschnell zu, und der Somalineger bricht in die Knie.

Bevor er seine fünf Sinne wieder beisammen hat, ist er mit Riemen gefesselt – ich eile zu der Pforte des Dornenwaldes, Mukki steht in der Öffnung und hat die Riesenohren nach vorn gerichtet – das Brett mit den vier dichten Dornbüschen, das Tor, ist zurückgeschoben, ich kann es gerade noch schließen und wieder mit den Pflöcken befestigen, dann springen auch schon sechs – sieben behende Gestalten zwischen dem Geröll draußen empor und flüchten in die Büsche …

Auch Somali, auch Leute mit dem weißen Viereck auf der Stirn …

In Nairobi hatten wir erfahren, daß der »Verrückte Mullah«, der weiter nach Somaliland hin so eine Neuauflage von Mahdistenaufstand gegen die Engländer inszeniert hatte, seine Anhänger mit dem weißen, scharfen Milchsaft einer Sumpfblume zeichnete: ein Viereck auf der Stirn schrägliegend, etwas schief … Man sagte, das Viereck solle die Umrisse der heiligen Kaaba in Mekka bezeichnen.

Mit dem friedlichen Suchen nach der ungewissen Farm war es hiermit vorbei. Wir hatten niemals damit gerechnet, daß die Scharen des Mullah bereits hier in die Gallaländer eingedrungen sein könnten. Es war so. Mein Gefangener bestätigte es.

* * *

 


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