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Nein, er sah nicht so aus. Im Gegenteil, ich hätte jeden Backfisch verstehen können, der sich in diesen liebenswürdigen, hübschen, flotten, schlanken Gentleman auf den ersten Blick verliebt hätte, der wie aus dem Boden gezaubert in seiner peinlich sauberen Khakikluft, seinem kecken Schlapphut und dem schillernden Einglas vor uns stand – eine glänzende Romanfigur, äußerlich vielleicht zu sehr Salon-Afrikaner, aber – die Augen!

Sie blitzten lustig, spöttisch, übermütig. Sie hatten trotzdem jene feinen Fältchen an den Winkeln, daß ich mir sofort sagte: Dieser Percy ist ein ganzer Kerl!

Und das war er auch.

»… Sie dürfen auf keinen Fall hier länger bleiben«, erklärte er in merklich verändertem Tone. »Hier gibt es Moskitos – lassen Sie die Dromedare nur ruhig laufen, die schließen sich schon von selbst dem alten Herrn Gabara an … Mein Boot faßt nur drei Personen – dort hinter jenen Büschen beginnt jedoch bereits der Kanal, dort liegt mein großes Flachboot … Beginnen wir!«

Seine selbstbewußte Art duldete keinen Widerspruch. Er sprach sehr abgehackt und etwas zusammenhanglos, wie dies Menschen tun, die sehr schnell denken und voraussetzen, daß andere ihre Gedankenlücken auszufüllen vermögen. Der erste Eindruck, den ich von ihm gewonnen hatte, ward immer mehr verwischt, Dies war nicht nur ein ganzer Kerl, sondern ein stahlharter, zielbewußter Charakter mit der äußeren Abgeschlossenheit des wahren Gentleman – kein schleimiger Phrasendrechsler, kein hohler Schwätzer, keine feige Kreatur, die sich aufpustet und mit den ihr von der Natur verliehenen glatten Zügen irgendwie prunkt.

Er trat auf Lizzie zu …

»Bitte, Miß, die Damen und das Alter zuerst …« Er deutete auf Mehmed Said, und Lizzie und der grauhaarige Fellache folgten ihm – wie behext.

Unten am Rande des Tümpels lag ein dunkler schmaler Bretterkahn.

Er half Lizzie hinein, Mehmed setzte sich auf eine der Bänke, und Percy Mac Oldyn stieß vom Lande ab.

»Wer ist das?!« fragte Reginald halb entrüstet. »Der junge Mann kommandiert hier wie ein General, wartet nicht einmal ab, ob wir …«

»Ein Mann ist es!« meinte ich amüsiert. – »Sussik – also weg mit den Dromedaren! Führe sie nach oben in die Steppe …«

Reginald hüstelte ärgerlich. »Abelsen, ich finde, ich werde hier denn doch allzu stark ausgeschaltet, ich …«

»Packen Sie lieber unsere Sachen in die Decken, Verehrtester … Percy Mac Oldyn ist einfach einer der Bewohner der Lorian-Sümpfe …«

Sir Forrester brummte … »Miß Neworld starrte ihn an wie bezaubert – ein sehr eitler Mensch, dieser Namensvetter des Einsiedlers, des greisen Majors …«

»Sie rasieren sich jetzt auch jeden Tag, Reginald – aber ich fürchte, daß all das nun zwecklos ist … Dieser Percy wäre auch unrasiert ein Bursche von einzigartigem Schlage … – Da kommt er schon mit dem Kahn zurück … – Hallo, Mr. Oldyn, verfrachten Sie jetzt zunächst unseren Herrn Chef, Sir Reginald Forrester, Doktor der Philosophie, Ehrenmitglied von drei Gesellschaften für Naturforschung, Vetter zweiten Grades des Herzogs von Kent – – und so weiter …«

Percy war mit einem Satz an Land.

»Hohe Ehre …« – er verneigte sich – »sehr hohe Ehre … Also – rin in das Boot, Sir Forrester … Hängen Sie aber nicht die Beine über Bord … Die Eidechsen von drei bis vier Meter Länge nehmen keine Rücksicht auf Doktortitel und so …«

Wieder stieß der Nachen ab, verschwand zwischen den Büschen, und mein Sussik meinte grinsend und seinen Hammeltalgschädel streichelnd:

»Olaf, das müssen da feine Kerle sein, da in den Sümpfen … Der eine schon gefällt mir … Miß Lizzie machte Augen wie … wie …«

»Packe den Rest der Sachen zusammen!« – Ich wurde ungemütlich … Sussik brauchte mir es wirklich nicht unter die Nase zu reiben, daß ich wahrscheinlich verspielt hatte.

Gedankenvoll streichelte ich Freund Fennek den Kopf. In meinem Herzen gab es da plötzlich solch ein schmerzlich-leeres Gefühl …

Ich dachte an meine leicht ergrauten Schläfen, an die Falten und Fältchen im braungebrannten Gesicht …

Jugend zu Jugend …! Es stimmte schon …

Dann landete der Bretterkahn wieder, Percy Mac Oldyn stand vor mir und preßte mir die Hand.

»Mr. Abelsen, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen … Miß Janes Nachricht erreichte mich vor acht Tagen. Der Bischarin, der den Brief brachte, ist wieder leidlich bei Kräften … Die beiden Kugeln der Guasasso-Gallas trafen keine edleren Teile …«

Seine herzliche Art zwang zu gleicher Liebenswürdigkeit.

»Mr. Oldyn, Sie sprechen da so ziemlich in Rätseln … Alles ist noch so unklar … Wissen Sie, daß Lady Jane hier irgendwo in der Nähe ist?«

Sussik schleppte die letzten Kisten ins Boot.

Percy war überrascht.

»Wie – schon hier, wirklich?! Armer alter Gabara, dann wird es noch böse Stunden für dich geben …« Seine Stimme klang hart. »Ich habe es ihm ja bereits heimgezahlt, dem Herrn Heiitsch! Aber Lady Jane – sie ist meine Tante zweiten Grades, nebenbei bemerkt – scheint strenge Justiz üben zu wollen …« Er zuckte die Achseln … »Man muß an diese Räuber-Gallas nicht den Maßstab westlicher Strafbestimmungen anlegen … Auch ich habe mich umgestellt. Als ich vor vier Jahren hierher kam, glich auch ich einem blutdürstigen Tiger. Ich hatte Grund dazu, Rache zu üben, aber ich hielt mich damit in mäßigen Grenzen. – Los denn, fahren wir ab … Ich werde die Wachen nachher günstiger postieren …«

Er hatte nur eine lange Stoßstange im Boot, aber er leitete es damit so flink und gewandt, als hätte der Nachen Steuer und Motor.

Daß ich den kommenden Dingen mit größter Spannung entgegensah – kein Wunder!

Das Boot bog in einen breiten Kanal ein, in dem ein flaches, plumpes Fahrzeug lag. Außer den Gefährten befanden sich drei Neger mit Wollköpfen darin, jeder in blauen Leinenhosen, jeder mit Ledergurt und zwei Pistolen daran.

Auf den Sandbänken einer nahen Insel ruhten Krokodile – in einem sumpfigen Loch ruhten Flußpferde, die nur die viereckigen Schädel sehen ließen.

Die Gasfontäne puffte jetzt keine fünfzig Meter links von uns. Der Boden und das Wasser zitterten bei jeder Explosion …

Die Wollköpfe vertäuten den Nachen an einen Baum. Einer von ihnen blieb zurück. Percy warf den Heckmotor des großen Flachbootes an, und das plumpe Ding schob sich vorwärts. Vorn standen zwei Neger mit Stangen und bogen Büsche und Baumäste zur Seite. Percy steuerte, wir anderen saßen still da, Fennek Mukki lag auf meinem Schoß, und Lizzie beobachtete Percy mit blanken Augen. Wir alle spürten das Ungewöhnliche, Geheimnisvolle dieser letzten halben Stunde – wir befanden uns in der Livin-Steppe und glitten hier durch Busch und Dornen und Ranken in einem ratternden Flachboot einem unbekannten Ziele entgegen.

Die Mondsichel stand bereits tief, einer der Neger setzte einen Karbidscheinwerfer in Brand, der Strahlenkegel tastete in das Dunkel dieser Wasserwildnis hinein und zeigte uns die drohenden riesigen Saurier, die Schweinsäuglein der Flußpferde, das schillernde Gefieder emporflatternder Vogelscharen und das Labyrinth schmaler Wasserstraßen.

Wir wußten nicht zu reden.

Das Ungewöhnliche, vereint mit wachsender Neugier, bedrückt die Seele. Mehmed rauchte krampfhaft, Reginald sog an einer erloschenen Zigarre, Sussik half jetzt den Wollköpfen, da die Passage immer enger wurde, und Fennek-Freund und ich starrten ins Weite und wichen Lizzies scheuen Blicken aus – wenn Lizzie uns mal ansah, wenn … selten.

Äste und Ranken streiften über uns hin, wir duckten uns – zuweilen lief das Boot auf, dann gab es mühsame Arbeit mit den Stockstangen –, dann wieder rochen wir zum ersten Mal das Erdöl, und Percy rief uns zu: »Nicht aus Tonnen – unverfälscht aus dem Sumpf!«

Das braune schlammige Wasser zeigte bläulich-violetten Glanz, das Getier ward seltener, und das Petroleum schwamm in dickerer Schicht auf der Oberfläche, Gestrüpp und Büsche hatten gelblich-ungesunde Blätter, Bäume reckten schwachbelaubte Zweige hoch – die Felsgruppen mehrten sich, und das Flachboot landete an einer steilen Böschung mit viel Geröll und langen Dornendickichten.

Der schweigsame Gentleman mit dem festeingeklemmten Einglas stoppte den Motor, die Wollköpfe sprangen mit Seilen aufs Trockene und befestigten die Bretterschute.

»Wenn ich bitten darf, verehrteste Kusine …« – Percy reichte Lizzie beide Hände …

Lizzie schaute ihn geradezu strahlend an.

»Also doch!!« sagte sie leise … »Oh Percy, daß ich dich nicht gleich erkannt habe!! Weißt du noch, wie du mir das Reiten beibrachtest und ich solche Angst vor dem Pony hatte! War ich nur ein kleines dummes Mädel!«

»Sechs Jahre warst du, Lizzie …« Sie standen noch immer Hand in Hand, er auf einem Stein am Ufer, sie auf dem Bootsrand …

Dann zog er sie mit leisem frohem Lachen hinüber, sie streifte seine Brust, lachte auch …

Jugend zu Jugend …

Ich schaute in Fenneks Augen, und ich wußte wieder einmal: Nur das Tier ist treu und irrt sich nie in seinen Gefühlen!

Dann schritten wir den Abhang hinan, drängten uns durch Büsche, erreichten eine Art Felsenkanzel, und unter und vor uns lag ein See von gut dreihundert Meter Breite mit hellen sandigen Ufern, mit Schilf und Binsen und Bäumen und blühenden Büschen und ruhenden schwimmenden Vogelscharen.

Drüben lag die Insel …

Drüben in einem Ausschnitt der Bäume zeichneten sich die Konturen von vier Gebäuden ab – hinter Fenstern schimmerte Licht, aus Schornsteinen wirbelte Rauch empor …

Links, wo sich nur Weideland hinzog, waren Tiere aller Art in großen Mengen in steter Bewegung: Rinder, Büffel, Giraffen, Zebras, Schafe.

Was wir so anstaunten, verschlug uns die Rede.

Dann sagte Pery Mac Oldyn, indem er Lizzies Hand streichelte:

»Lizzie, dies alles schuf dein Vater …«

Seine Stimme klang unsicher.

»… Dein Vater, Lizzie … Und – – dort rechts, wo sich der helle Hügel mit den Palmen in der Ferne wie eine Oase erhebt – dort, Lizzie, liegen deine Eltern begraben. – Das ist ein Teil der Wahrheit, Lizzie …«

Wir andern hielten den Atem an.

Lizzie schluchzte leise …

»Ich«, fügte Percy noch sanfter, tröstender hinzu, »ich habe sie die Oase der Toten genannt … Außer deinem Vater, deiner Mutter und mir hat noch kein Europäer dieses Inselland betreten … Es ist die Oldyn-Farm, Lizzie – dein Vater hieß in Wirklichkeit Austin Howard Mac Oldyn.«

Ein großes Boot kam über den See und holte uns ab. Vier Wollköpfe ruderten …

So landeten wir denn an der Oldyn-Farm, als gerade die ersten Morgennebel aufstiegen und alles in grauen Dunst hüllten.

Das Wohnhaus, groß, geräumig, bewies in jedem Zimmer, daß Howard Mac Oldyn stets insgeheim Verbindung mit den fernen Siedlungen unterhalten haben mußte. Behaglichkeit ohne Luxus überall – ich erhielt mein eigenes Zimmer an der Westecke, ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein, und schützte Müdigkeit vor. Ein grauköpfiger Vollblutneger von der Sansibarküste, der Hausmeister, brachte mir einen Imbiß. Im Flur knurrten große Rüden an der Tür, witterten Freund Fennek, der wütend keckerte und die blanken Zähne zeigte.

Der Graukopf mit dem gemessenen Auftreten eines gutgeschulten Dieners wünschte mir gute Nacht.

»Sie werden müde sein, Sir … Um neun Uhr steigt der Nebel, um neun pflegt unser Herr zu frühstücken.«

»Wecken Sie mich eine halbe Stunde vorher, Ali … Gute Nacht.«

Er verbeugte sich tief und zog sich lautlos zurück.

Ich saß noch eine geraume Weile auf dem Rohrsofa, neben mir lag Fennek, meine Finger kraulten sein Fell.

Es war wie ein Traum, dies alles.

Aber ein anderer Traum war zerronnen …

Dann lag ich seit genau zwei Monaten zum ersten Male wieder in einem Bett und trug einen ganz neuen weichen halbseidenen Schlafanzug auf dem Leibe, der unbedingt auch zum Schlafen »verpflichtete«. Fennek rollte sich zu meinen Füßen zusammen, ich schaltete alle törichten Gedanken aus, und als Herr Ali morgens halb neun an die Tür pochte, hatte ich gerade davon geträumt, daß Lizzie mich im Nomadenlager nie mehr Onkel Olaf, sondern ganz anders genannt hatte …

* * *

 


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