Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Professor Marpinger.

 

Einst mit desto hellern Blicken
Ihre Fälscherlist durchschauen
Helfen diese Ueberschlauen
Denen, welche sie umstricken.

 

Hildegard war aus der Schweiz recht verändert zurückgekehrt, ihr heiteres, oft bis zur Ausgelassenheit fröhliches Wesen einem nachdenklichen Ernst gewichen. Ihre Gesichtsfarbe war wieder so blühend wie zuvor; aber aus den braunen Augen, wann keine Thätigkeit ihren Dienst forderte und nur der Gemüthszustand aus ihnen sprach, blickte nicht mehr die arbeitfrohe, bis zur Wunschlosigkeit zufriedene Mitregentin des Vaters, sondern die träumerische Grüblerin. Die sonst elfenbeinhelle und glatte Stirn fältelte jetzt nicht selten ein Zug entsagender Schwermuth.

Sie hatte sich bisher wie die meisten Katholiken zum Gottesdienst ihrer Kirche mehr schauend, hörend und empfindend, als denkend verhalten. Sein Ceremoniell, seine Uebungen hatte sie getreulich mitgemacht als ererbte altehrwürdige Bräuche, deren unfraglich lebenheiligende Kraft man fühlt und erfährt, auch ohne sich forschend zu vertiefen in die Glaubenslehre, welcher die Symbolik des Kultus einen sinnlichen Ausdruck zu geben bestimmt ist.

Das wurde jetzt anders. Sie begann religiöse Bücher zu lesen. Sie richtete Fragen an den Sebaldsheimer Kaplan, welche über seinen Horizont hinausgingen. Namentlich die Erkundigungen nach dem Unterschiede der katholischen von der protestantischen Lehre, die sie wie nebensächlich einstreute, aber doch zu oft wiederholte, um nicht selbst ihn einen bedeutsamen persönlichen Beweggrund ahnen zu lassen, brachten ihn bald so sehr in Verlegenheit, daß er schriftlich den Rath seiner kirchlichen Oberen einholte.

Diese ermittelten bald, was auf dem Glärnisch und in Einsiedeln geschehen war. Sie fanden die Seelengefahr einer so vornehmen Tochter und den möglicherweise drohenden Verlust einer Erbin, die bei ungestörtem Verlauf der Dinge vielleicht gar unvermählt blieb, wichtig und dringlich genug für ein Aufgebot ernster Gegenmaßregeln.

Der mäßig besoldete, sonst niemals neue Bücher kaufende Kaplan brachte ihr eines Tages ein ziemlich theures Geschichtswerk. Er behauptete, den Titel desselben im Schaufenster einer Odenburger Buchhandlung zufällig erblickt, den Inhalt des Buches zu ihrer Beruhigung vielleicht verwendbar vermuthet und beim Lesen wirklich dazu sehr geeignet gefunden zu haben.

Es war eine Religionsgeschichte des berühmten Geschichtsprofessors der katholisch theologischen Fakultät der Odenburger Hochschule, Namens Marpinger. Der ihr zumeist empfohlene Band des umfangreichen Werkes war der letzte, der sich überwiegend mit der Reformation und besonders mit Luther beschäftigte.

Das Buch ist in glänzendem Stil so gewandt als bestechend geschrieben, und in vielen Stücken eine wirklich bedeutende Arbeit. Die Wärme und hingebende Begeisterung für die katholische Kirche ist echt und ungeheuchelt. Eine so klare als überzeugende Darstellung finden die unermeßlichen Dienste, welche ihre Institutionen und unter diesen geraume Zeit auch die weltbeherrschende Macht der Päpste der Menschheit und ihrer Kultur unfraglich geleistet haben. Ihre Ausartungen freilich, ihre Verderbniß bis zur ärgsten sittlichen Fäulniß, die Verbrechen der weltlichen Herrschsucht ihrer Priester gegen den Staat und die Wissenschaft, von den Inquisitionsgreueln der Autodafés, den niederländischen Massenmorden mit Feuer und Richtschwert, der mit Tedeum gefeierten Bartholomäusnacht, dem Giftregiment der Borgias, der Lügenerzwingung von Galilei, der Verbrennung des Giordano Bruno, bis zum jüngsten vatikanischen Konzil mit seinem Syllabus und seiner Forderung einer Art von Gottheitswürde für den römischen Bischof: das alles wird von dem wissenden Geschichtschreiber theils dreist verschwiegen, theils entschuldigt als Uebermaß von Eifer im Erstreben löblichster Zwecke, allerhöchstens aber nach thunlichster Milderung und Bemäntelung bedauernd zugegeben als Ausfluß menschlicher Schwächen, die ohne Schuld der Institution den zeitlichen Würdenträgern anhafteten.

Wie in dieser angeblichen Geschichte die Reformation dargestellt und Luther gezeichnet wird, das ist leicht zu errathen. Die Reformatoren und ihr Anhang sind vom Teufel besessene, nach den Kirchengütern und ungezügelter Sinnenlust begierige Rebellen, Luther nur ein durch einige Begabung übermüthig gewordener, derb lebenslustiger Mönch, der die strenge Klosterzucht unerträglich fand und zur Theilnahme an seinem ruchlosen Abfall mehr als die Hälfte seines Volkes verleitete, lediglich, um eine Nonne heirathen zu dürfen.

Je deutlicher man erkennt, daß der Verfasser keine der Quellenschriften undurchforscht gelassen hat, da ihm kein in irgend einer derselben erwähnter Zug entgangen ist, der sich, herausgerissen und entstellt durch Unterdrückung von Nebenumständen, stempeln läßt zu einer menschlichen Schwäche, auch eine solche zuweilen wirklich ist, während er sich hier wohl hütet, der naheliegenden Entschuldigung auch nur mit einer Silbe zu gedenken, geschweige gar von den eben daselbst berichteten edeln Beweggründen und bewundernswürdigen Charakterzügen auch nur das Allermindeste verlauten zu lassen, desto verdammender ist mit Recht das Urtheil über diese Stücke ausgefallen. Auch wenn man den höchsten Grad zelotischer Verblendung als Milderungsgrund gelten lassen wollte, die wissentliche Fälschung bleibt eine haarsträubend arge. Daß ein Mann von unfraglich hoher Begabung und anderweit bewiesenem Forschersinn sein Gewissen zu solcher Ruchlosigkeit nothzüchtigen konnte, wird nur begreiflich durch die Annahme, daß die Jesuitenmoral es löblich findet und gebietet, im Kampfe für eine vermeintlich gute Sache selbst das unverschämteste und niederträchtigste Lügengewebe für Geschichte auszugeben.

Die Wirkung dieses Buches auf Hildegard war zunächst ganz die beabsichtigte. Dem Verfasser einer Reihe so trefflich geschriebener und erhebender Kapitel ein schweres schriftstellerisches Verbrechen zuzutrauen, war ihr unmöglich. In völliger Unkenntniß anderer Darstellungen nahm sie die infame Fälschung verdachtlos hin und fügte sich mit einem Seufzer der Entsagung der, wie es schien, erwiesenen Unmöglichkeit ihres Wunsches, eine bessere Meinung von den Protestanten zu gewinnen.

Ein fernerer Zufall führte bald darauf den Professor Marpinger selbst nach Sebaldsheim. Er hatte zufällig in dringender Sache mit dem Kaplan zu sprechen. Der war zufällig nicht zu Hause, sondern befand sich zufällig eben im Schlosse des Grafen.

Die stattliche Erscheinung, das feine Benehmen, die Unterhaltungsgabe des belesenen und weit gereisten Professors, der Takt, mit dem er jede Berührung kirchlicher Fragen vermied und sogar vorbeugend hinderte, als dazu der Kaplan einen Anlauf nahm, bestachen den Grafen und besiegten allmälig auch Hildegard's instinktive Scheu. Er wurde eingeladen, seinen Besuch zu wiederholen.

Mehrere Wochen ließ er auf sich warten. Als er endlich gekommen, bat man mit wachsendem Nachdruck um seine baldige Wiederkehr. Aber er blieb ein Gast von berechneter Seltenheit, bis der Graf, ein eifriger Schachspieler, in ihm einen Gegner von wünschenswerther Stärke kennen gelernt, der sich zwar schwer, aber doch in der Mehrzahl der Partieen besiegen ließ.

Nun kam er mehrmals in jeder Woche, doch schien sein Besuch immer nur dem Vater zu gelten. Mit merklicher Absicht vermied er es, Zwiegespräche mit Hildegard seinerseits zu beginnen. Zwar kargte er nicht, selbst mit längeren Vorträgen, sobald eine Frage von ihr den Anstoß gab. Streiften aber diese Fragen die Religion, so wußte er eine eigentlich theologische Antwort stets zu umgehen und das Thema in ein anderes Gebiet hinüber zu spielen, anfangs am liebsten in das der kirchlichen Kunstgeschichte. Erst nachdem er sich hinlänglich überzeugt von Hildegard's gänzlicher Unbekanntschaft mit den einschlägigen Entdeckungen und Theorieen der neueren Forschung, wagte er es, mit ihr auch eine andere Region zu betreten: die Lehre von der wunderbar zweckmäßigen Einrichtung der Welt und aller Geschöpfe durch die göttliche Voraussicht.

Mit umfassender Kenntniß und großer Meisterschaft führte er alle Waffen dieser Hauptrüstkammer zum Kampfe gegen die Naturwissenschaft und ihre mit der Kirchenlehre unverträglichen Wahrheiten, welche die Jesuiten, und keinesweges nur die katholischen, umschmiedend angesammelt haben, und zwar eben aus dem Arsenal der Naturkunde mittelst einfacher Umkehrung des von ihr erforschten Entwicklungsganges. Mit zahllosen, für den Laien so bestechenden als unwiderleglichen Einzelbeispielen aus allen Reichen wußte er seine Beweise eines Schöpfungsplanes, in dem Alles bis in's Kleinste vor unbestimmten Jahrtausenden vorher berechnet worden sei, zugleich sehr anziehend und genußreich zu machen.

Die Anatomie der menschlichen Hand erklärend, wies er überzeugend nach, wie ohne diese Gegenstellung des Daumens, ohne diesen erstaunlich komplizirten Mechanismus von Knöchelchen und Muskeln zur Beweglichkeit der Finger und ohne die Feinfühligkeit ihrer Spitzen die ganze Kultur und Geschichte des Menschengeschlechts unmöglich gewesen wäre. Aber sorgsam verschwieg er, so unfraglich er auch das wissen mußte, daß zwar erst die Zunahme der Handgeschicklichkeit die Verfeinerung der Arbeiten möglich gemacht, in Wahrheit aber umgekehrt erst die immer mehr verwickelte Arbeit, vom Ergreifen eines Steines zum Wurf oder Aufknacken einer Nuß, oder eines Astes zur Vertheidigung, und weiter vom ersten Weben und Nähen bis zur Führung der Schreibfeder, des Pinsels und Meißels, bis zum Fingersatz des Klavierspielers und Geigers, allmälig mit der geforderten Uebung diese Organisation erworben und erblich gemacht.

Er zeigte, wie das Roß zu seinem Laufberuf durchaus dieses einzigen Fingernagels, des Hufes von solidem Horn, bedürfe, hütete sich aber wohl, zu erwähnen, daß das Urpferd erwiesenermaßen dreizehig gewesen ist und eben erst durch das Laufen auf hartem Boden in Hunderten von Generationen diese dienliche Rückbildung zum Einhufer gewonnen hat.

Als der Frühling sich wieder zum Sommer wendete, richtete er, bei einem Spaziergang durch ein blühendes Kleefeld, auf dem eine Menge von Hummeln mit dem Einheimsen des Nektars beschäftigt war, an Hildegard die Frage, ob sie sich's erklären könne, warum auf so reicher Erntestätte auch nicht eine einzige von den Honigbienen zu erblicken sei, die doch um die benachbarten Linden und andere Blumen so zahlreich summten? Da sie das verneinte, fing er mit dem Taschentuch eine Hummel und dann eine Stockbiene, drückte beiden getödteten Insekten die Saugrüssel heraus und löste sie von ihren Wurzeln. Beide legte er neben einander und dazwischen eine der länglichen Schlauchblüten, deren ein Kleehaupt an fünfzig und mehr vereinigt. Da sah sie denn, daß eben nur der Hummelrüssel lang genug sei, bis zum Nektartröpfchen im unteren Ende des Blütenschlauchs einzudringen. Als sie dann erfuhr, daß eben diese Kleesorte keinen Samen ansetze, wenn ihre Befruchtung durch die Pollen zutragenden Hummeln verhindert werde –: von wannen hätte sie da einen Zweifel daran hernehmen sollen, daß diese wundersame Einrichtung einer Pflanze zum Besten eines bestimmten Insektes und dieses Insektes zum Besten der Pflanze augenscheinlich und handgreiflich eine »prästabilirte Harmonie« beweise?

Ein andermal ließ er sie durch die Lupe den zierlichen Fallschirm bewundern, an dessen Stockende das reife Sämchen der größesten Gattung des Löwenzahnes hängt und vom Winde in die Ferne getragen wird, » damit es irgendwo eine freie Bodenstelle zum Keimen finde«. Er machte sie aufmerksam auf die mathematisch genau in gleichen Winkeln wie die Fischbeinrippen eines Regenschirmes gespreizten Federspärrchen, auf das zarte, durchsichtige Häutchen, welches gleich dem Taffetbezug jenes Menschengeräths straff darüber gespannt ist. Mußte sie da nicht unfragliche Filigranarbeit vom Finger eines geheimnißvollen Künstlers anstaunen? Unbekannt, oder wenigstens ihrer überlegenden Aufmerksamkeit fremd geblieben waren ihr ja die vielen tausend noch jetzt neben einander vorhandenen Stufen vom spärlichen Haarkleide, an dem der Wind ein Samenkorn von seiner Geburtsstätte etliche Spannen weit fortstreut, bis zum Baumwollenschleier, in dem es Meilen durchfliegt, bis zum vollendeten Flugapparat endlich, der es zuweilen sogar über Meere zu tragen vermag. Noch weniger konnte sie eine Ahnung haben von den überaus einfachen, aber in diesem Fall wirklich nicht ganz leicht faßlichen Mitteln, mit denen die Natur von der Zeit der ersten Wasseralge oder Steinflechte bis heute das Erklimmen dieser Stufenleiter von der untersten bis zur obersten Sprosse bewirkt hat. Noch völlig verschlossen war ihr die Einsicht, daß alle Zweckmäßigkeit der Natur nichts Anderes ist, als Ergebniß allmäliger Anpassung, zwar zu staunenswerther Höhe und Verfeinerung gediehen in unermeßlichen Zeiten, verwickelt bis zur Unübersehbarkeit und rückwärts für uns vermuthlich niemals vollständig entwirrbar, aber bei alledem genau ebensowenig wunderbar, als die Uebereinstimmung der Gestalt des Kuchens mit der seiner Backform.

Welche Berechnung gebot dem Professor dies Verfahren und was war seine Endabsicht?

Er wußte, wer den Anstoß dazu gegeben, daß diese gewohnheitsmäßig und ohne Gegrübel kirchentreue Katholikin nachdenklich geworden war und den Verdacht geweckt hatte, sich wohl gar bis zum Austrittsentschluß verirren zu können, wenn sie sich selbst überlassen bliebe. So galt es zunächst, ihre Erinnerung an jenen Mann möglichst zuzudecken und verblassen zu machen mit einem Gegenbilde.

Dazu eben hatte man Marpinger erkoren, und nicht zum wenigsten in der Voraussetzung, daß ihn zu solchem Dienst neben seiner Begabung und gesellschaftlichen Gewandtheit auch sein ausdrucksvoller Kopf, seine stattliche Figur und seine bis in die Mitte der Vierziger noch wohl bewahrte männliche Frische besonders gut befähigen würden. Doch zu seiner Ehre sei es gesagt, daß er diesen ihm unausgesprochen zugedachten Theil seiner Rolle zu spielen verschmähte. Sein Gewissen verbot es ihm schwerlich: denn dies hatte sich noch immer als grenzenlos elastisch erwiesen, so oft ein Vortheil für seine Kirche erreichbar schien. Entweder widerstrebte es seinem lebhaften Würdegefühl, seinen anderweiten Neigungen, oder – und das ist das Wahrscheinlichste, – er war nur klüger als seine Absender und sah mit seiner Menschenkenntniß deutlich ein, daß er sich bei einem Charakter wie Hildegard den Weg zum Ziele nur selbst verlegen würde mit dem leisesten Versuch, durch seine Manneseigenschaften das Weib in ihr zu gewinnen. Jedenfalls wußte er dem Verkehr mit ihr ein Gepräge lauterster Keuschheit zu geben. Die Uebereinstimmung dieser würdigen Haltung mit ihrem äußeren Pflichtsymbol, der kaum thalergroßen Tonsur auf dem Scheitel des Weltgeistlichen, hatte der oft umworbenen Grafentochter wirklich das Gefühl voller Sicherheit eingeflößt und dem geistvollen Professor für seine belehrenden und erbaulichen Unterhaltungen eine zwar herzenskühle, aber aufrichtig hochschätzende Freundschaft eingetragen. So war es ihm in der That gelungen, vor das Bild jenes Mannes einigermaßen verdeckend sich selbst zu stellen und dasselbe, wenn auch keineswegs auszulöschen, so doch etwas weiter zurückzudrängen in den dämmerigen Hintergrund ihrer Erinnerungen.

Und er kannte jenen Mann aus mehreren seiner heimlich belauschten Predigten. Ja, er war mit Ulrich Sebald's Auslegung des christlichen Glaubens beinahe durchweg einverstanden. Zugleich aber war er fest überzeugt, daß es äußerst verderblich sei, diese Lehre öffentlich vorzutragen. Sie müsse, meinte er, ein Mysterium bleiben, enthüllt nur für eine kleine Zahl von Geweihten, ein Allerheiligstes, betretbar nur für auserwählte, zur Herrschaft über die Kirche berufene Geister. Denn das Volk werde die Wahrheit immerdar nur im stark legirten Zustande des Sinnbildes und des Wunderberichts als bekommliche Nahrung zu verdauen im Stande sein; ihm dürfe nie der unheilvoll berauschende Spiritus, nur die undestillirte Frucht geboten werden. Aus dem Symbol und dem Dogma die vernünftige Bedeutung, aus dem Wunder die erziehende und zur Arbeit ermuthigende Machthoffnung deutend herauszuschälen, das heiße die Kirche für die Menge zur leeren Hülse entkernen, die Religion zum Gaukelspiel entwürdigen; das könne keinen andern Enderfolg herbeiführen, als eine Auflösung der Christenheit in zügellose Schwelgerbanden.

So sann er denn längst auf Mittel, dem lutherischen Pastor an der Sebalduskirche, da dem Protestantismus selbst einstweilen noch nicht beizukommen war, wenigstens durch seine Berufsgenossen sein gefährliches Treiben legen zu lassen. Für seine nächste Aufgabe aber schien es ihm geboten, seine Einwirkung auf Hildegard zur Neutralisirung derjenigen zu modeln, welche sie bei der Begegnung in der Schweiz von Sebald, nach seiner Lehrweise zu schließen, empfangen haben mochte.

Das war der Grund, weshalb er sich gehütet, sie zu behelligen mit den überlieferten Glaubenssätzen, die das begabte und scharf urtheilende Mädchen leicht zu zweifelndem Einspruch veranlassen konnten; das der Grund, ihr von der Religion fast nur ihre Kunstentfaltung, vom Gottesglauben vorzüglich dessen naturwissenschaftliche Scheinstützen zu zeigen.

Hielt er Hildegard für befähigt, einst als eine der Auserwählten in die letzten Mysterien eingeweiht zu werden? Hatte er für sie eine von den Rollen in Absicht, welche die katholische Kirche in ihrem unablässigen Ringen zum Wiedergewinn der Weltherrschaft so gern von hochgestellten Frauen spielen läßt?

Vielleicht. Doch seinem erfolgreich angetretenen Feldzuge ward ein Stillstand anfgenöthigt, welcher die gehoffte Eroberung vereiteln sollte.


 << zurück weiter >>