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Zweites Kapitel.

Die Kunstreiterin.

 

Erwäge mild, ob für bescholten
Nicht fälschlich mein Beruf gegolten.
Ob nicht in ihm noch wächst an Werth,
Wer bleibt, was er zu sein erschwert.

 

Zwei und ein halbes Jahr später, eines Abends in der letzten Märzwoche, durchrasselte ein Miethwagen in polizeiwidrig schneller Fahrt eine der ältesten und engsten Straßen Odenburgs, den Bischofsgaden, und hielt vor dem Mauerpförtchen auf der Nordseite des Pfarrwinkels.

Der Aussteigende trug waschlederne Kniehosen, Kanonenstiefel und eine feuerrothe, mit Goldtressen überladene Jacke. Wohl nur die Dringlichkeit seines Auftrages hatte ihn verhindert, sich zum Schutz gegen das feuchtkalte Schlackenwetter mit einem Mantel zu versehen. Er kam aus der ersten Vorstellung der jüngst in Odenburg wieder eingetroffenen Zalesky'schen Kunstreiter-, Athleten- und Akrobatengesellschaft, um den Hauptpastor, Herrn Ulrich Sebald zu holen.

Die berühmte Reiterin Miß Arabella, meldete er, sei gestürzt, habe sich lebensgefährlich verletzt und begehre den geistlichen Beistand des Herrn Pfarrers, aber unverzüglich, da sie fürchte, binnen weniger Stunden, wenn nicht schon zu sterben, so doch das Bewußtsein zu verlieren.

So schwer es den jungen Geistlichen ankam, sich loszureißen vom Krankenbette seiner Frau, deren Zustand Doktor Mannheimer für bedenklich erklärte, er gehorchte seiner Amtspflicht und befand sich bald in der von der Reiterin am Cirkusplatze gemietheten Wohnung.

Die Verunglückte lag auf dem Sopha, um die Stirn eine Kompresse, auf dem Scheitel ein Blase mit Eis, bis über die Kniee unter Decken verborgen, übrigens noch bekleidet mit dem goldgestickten rothen Sammetmieder und dem kurzen mit glänzenden Flittern übersäten Röckchen von weißem Musselin, in welchem sie als Sylphide den letzten verhängnißvollen Sprung gethan.

»Lassen Sie mich allein mit dem Herrn Pfarrer,« sagte sie zum Arzt. »Zu retten bin ich doch nicht mehr. Warten Sie im Vorzimmer.

»Dank,« fuhr sie fort, als der Doktor die Thür hinter sich geschlossen, »daß Sie so schnell gekommen sind. Sie erkennen mich wohl nicht wieder in diesem höhnischen Aufputz?«

»Ich entsinne mich, Ihren Namen auf dem Anschlagzettel besonders groß gedruckt gelesen zu haben, als die Zalesky'sche Gesellschaft schon vor mehreren Jahren in Odenburg spielte. Eine Vorstellung indeß hab' ich nie besucht. Dennoch ist mir, als müßte ich Ihr Gesicht schon gesehen haben. Vielleicht in der Kirche?«

»Schwerlich. Bin zwar mehrmals drin gewesen, – nicht der Predigt wegen, nur um Sie zu sehen. Doch können Sie mich kaum bemerkt haben. Ich hielt mich immer versteckt hinter einem Pfeiler. Sie sahen mich verkleidet als angebliche Dienerin der Hebamme, als Sie vor dritthalb Jahren mein Kind tauften und die schönste alte Frau, die mir im Leben vorgekommen, Ihre Mutter, einzige Pathin war.«

»Sie also sind die Mutter jenes Knaben? Nun entsinne ich mich des Falles besonders deutlich, weil das Kind in unser Geburtsregister irrthümlich als Mädchen eingetragen war. Die meldende Hebamme der Privatklinik für Frauen hatte das Töchterchen einer gleichzeitig niedergekommenen andern heimlichen Wöchnerin verwechselnd als Ihr Kind und umgekehrt angezeigt. Erst ein halbes Jahr später hab' ich dann die Taufe vollzogen.«

»Auf den Namen Lothar. Seinetwegen ließ ich Sie rufen. Wo ist mein Sohn?«

»Ihrer schriftlichen Weisung gemäß wird er in der Familie eines Landpfarrers aufgezogen. Dort hat meine Mutter den Kleinen erst vor etlichen Wochen wieder besucht. Er gedeihe prächtig, sagt sie, sei aber sehr geeignet, mich in falschen Verdacht zu bringen; denn er erinnere sie ganz wundersam an mein Aussehen im gleichen Alter.«

»Das ist mir nicht wunderbar. Ihre Aehnlichkeit mit Lothar's Vater ist erstaunlich. Ich sank halb ohnmächtig vor Schreck auf die Steinbank in der Ausbucht des mittleren Pfeilers, als ich Ihnen zum erstenmal auf der alten Brücke begegnete. Ich wähnte einen Todten auferstanden zu sehen. Als ich dann Ihren Namen erfuhr, der mir das Wunder etwas erklärlicher machte, und in die Sebalduskirche ging, um Sie auf der Kanzel zu sehen, da erinnerte mich sogar Ihre Stimme an die des Verstorbenen. Auch war es diese Ihre Aehnlichkeit mit Lothar dem Vater, was mir den ersten Gedanken eingab, Sie zu betrauen mit der Sorge für mein Kind.«

»Wegen des Knaben dürfen Sie beruhigt sein. Die beträchtliche Summe, welche Sie mir einhändigen ließen, liegt unangegriffen in der Sparkasse. Meine Mutter hat es sich nicht nehmen lassen, die bisher für ihr Pathchen nöthig gewesenen Ausgaben aus ihren Mitteln zu bestreiten.«

»Dort liegt mehr,« sagte die Kunstreiterin, nicht ohne Anstrengung den Arm erhebend, um nach einer Kassette auf dem Tischchen unter dem Spiegel zu deuten. »Einige Juwelen. Alles, was ich für mein Kind zu ersparen vermocht, und alle für Lothar's Zukunft wichtigen Papiere befinden sich in jenem Kästchen. Morgen, nach der ersten Vorstellung, deren Proben mich nicht abkommen ließen, gedacht' ich Sie zu besuchen und es Ihnen selbst zu übergeben. Wie weit von hier liegt das Pfarrdorf?«

»Zehn Meilen, mitten im Gebirg und fern von jeder Eisenbahn. Nicht vor übermorgen wäre der Kleine herzuschaffen.«

»So muß ich verzichten,« sagte Arabella schwer aufseufzend, »mein Kind noch einmal zu küssen. Unterhalb der Hüften gehorcht kein Muskel mehr meinem Willen. Mein Rückenmark muß schwer verletzt sein. Habe schwerlich noch vierundzwanzig Stunden zu leben. Wer weiß, ob ich in der nächsten der Sprache noch mächtig bin. Hören Sie also, was Sie wissen müssen.«

»Arabella ist nur mein Künstlername. Ich heiße Karola von Mojenyi. In der Kassette finden Sie meinen Taufschein und Aufzeichnungen über die Geschicke meiner vormals in Ungarn begüterten Familie. Mein Vater wurde standrechtlich erschossen. Ihres Besitzes verlustig, versprengt, waren die Meinigen, reichthumverwöhnt und hülflos in der Armuth, bald alle aufgerieben durch Entbehrungen und Krankheit. Schon als Kind war ich eine so gewandte als wilde Reiterin und kannte keine höhere Lust als, festgekrallt auf ungesatteltem Pony, über die Pußta zu jagen. Doch ich darf mich nicht aufhalten bei den abenteuerlichen Umständen, welche mich in meinem siebenten Jahr Elevin einer Kunstreitergesellschaft werden ließen. Es wird mir schon schwer, meine Gedanken zusammen zu halten. Also nur das Wichtigste.

»Während unserer Vorstellungen in Wien knüpfte sich durch eine an's Wunderbare streifende Begebenheit mein Verhältniß mit einem Offizier, der fünf oder sechs Jahre jünger war als ich. Als ich bereits spürte, sein Kind unter dem Herzen zu tragen, ward sein Regiment zum Kampf gegen die Aufständischen nach Dalmatien beordert. Bald darauf meldete der Telegraph seine Verwundung. Ich reiste hin zu seiner Pflege. Sein Zustand war hoffnungslos. Er kannte meine Herkunft, meine Familiengeschichte. Als er, von den Seinigen völlig vernachlässigt, meine Mutterhoffnung erfuhr, bestand er darauf, sich auf dem Sterbebett mir antrauen zu lassen. Der vom Feldprobst des Regiments ausgestellte, aber leider nur auf den Namen Arabella lautende Trauschein liegt bei den Dokumenten in jener Schatulle. Zwei Tage später war ich Wittwe. Ich folgte unserer nordwärts gereisten Gesellschaft und kam dann mit ihr auch hieher nach Odenburg. Ich verschmähte es, meine Wittwenrechte beim Vater meines Gemahls geltend zu machen. Ich redete mir ein, mein Stolz befehle mir, selbst für die Zukunft meines noch ungeborenen Kindes zu sorgen. Jetzt aber sagt mir mein Gewissen, daß feige Furcht von Lothar's hocharistokratischer und, nach ihrem gänzlichen Schweigen auf die Telegramme und Briefe mit der Unglücksnachricht zu schließen, grausam hartherziger Familie als goldgierige Schwindlerin abgewiesen zu werden, mich abgehalten hat, meine Schuldigkeit zu thun. Trotz meiner Mutterhoffnung hab ich noch Monate lang eifriger denn jemals gegaukelt – gearbeitet, wie wir es nennen – um so viel als möglich zurückzulegen. Das Weitere wissen Sie.«

»Aber noch nicht den Familiennamen Ihres Geliebten und Gemahls.«

»Er hieß Lothar Sebald, Graf von Sebaldsheim.«

Ulrich mußte sich fast schmerzende Gewalt anthun, um seine Phantasie zurückzuhalten von der Ausmalung der Folgen, welche die Ansprüche eines Sohnes aus dieser Nothehe haben könnten für die zur Zeit ihm persönlich unbekannte Familie seines Stammvetters, des Grafen von Sebaldsheim, und zugleich für ihn selbst, wenn er als Vormund für die Rechte dieses Mündels einzutreten hätte.

Die Kunstreiterin selbst half ihm, dies aufdringliche Gewirr von Zukunftsvorstellungen verbannen, um nur das Nächstnöthige zu überlegen.

»Ganz in Ihre Hände,« sagte sie, »vertraue ich mein Söhnchen. Wann er sich weit genug entwickelt haben wird, um seine Anlagen zu beurtheilen, dann entscheiden Sie, ob er geeignet ist, zum Erben der Grafschaft seines Großvaters herangebildet zu werden, oder ob es rathsamer bleibt, ihn zu bürgerlichem Loose zu erziehen und vielleicht für immer, wenigstens aber bis zu seiner Gewöhnung an einen lohnenden Beruf, über seine Herkunft ununterrichtet zu lassen.«

»Würden Sie noch im Stande sein, zweimal Ihren Namen zu schreiben?«

»Gewiß! Wenn es zum Besten Lothar's nothwendig ist, werd' ichs schon können, sollt' es mir auch noch so sehr weh thun.«

»So will ich den Arzt ersuchen, bei Ihnen zu warten, bis ich wiederkehre. Ich hole einen mir bekannten, wenige Häuser von hier wohnenden Notar und einen zweiten Zeugen. Sie sollen Ihren letzten Willen diktiren und unterzeichnen, desgleichen eine mich zum Vormund Ihres Sohnes ernennende Vollmacht. – Noch eine Frage. Wünschen Sie hernach das Abendmahl zu nehmen? Das Geräth hab' ich mitgebracht.«

»Ich bin katholisch. Aber ich will keinen katholischen Geistlichen, auch wenn ein solcher noch zu erlangen wäre. Von solchen selbst und ihren ausgeschickten Kundschaftern wurde ich seit einiger Zeit lästig umspäht und mit Fragen nach meinem Kinde beunruhigt. Wenn Sie mir das Brod ohne den Wein geben dürfen …«

»Ja, bei Todesgefahr darf ich's.«

»So werd' ich bereit sein, es zu nehmen und mit Ihnen zu beten. Nun aber gehen Sie, um bald, recht bald zurückzukehren. Mir ist, als laufe mir ein Schwarm gieriger Ameisen im Rücken empor, um sich bis in mein Herz hinein zu nagen. Eilen Sie.«

Als Ulrich mit dem Notar und einem Zeugen wieder gekommen war, machte sie mit bewundernswürdiger Fassung und Klarheit alle ihre Angaben. Erst bei der Unterzeichnung der danach legal aufgesetzten Urkunden merkte man wieder ihren verzweifelten Zustand. Aufächzend biß sie die Zähne zusammen bei der qualvollen Anstrengung, der ihrem Willen kaum noch gehorchenden Hand die Federführung abzufoltern. Nach der immer noch deutlich lesbar, aber schon krampfig schief und verkritzelt ausgefallenen vierten Unterschrift – denn der Notar bestand auf doppelter Ausfertigung, um die Dokumente zugleich im Gerichtsarchiv zu hinterlegen – ließ sie, mit gellendem Schrei, die Finger ausspreizend und wieder krallend, die Feder fallen und sank ohnmächtig mit geschlossenen Augen in die Bettkissen auf dem Sopha zurück. Schon glaubte der Arzt, ihre Agonie begänne. Doch bald athmete sie wieder kräftig, schlürfte einige Tropfen des dargebotenen Beruhigungstrankes, öffnete die Augen und sagte lächelnd, indem sie sich nochmals zu halbem Sitzen aufrichtete:

»Das war die schwerste meiner Produktionen. Danke, meine Herren. Gute Nacht. Habe noch mit dem Herrn Pastor zu reden. Nein, Sie müssen noch aushalten, Doktor, mir den Athem zu verlängern, wenn er mir ausgehen sollte, bevor ich fertig bin. Dürfen's mit anhören. Geben Sie mir noch einen tüchtigen Schluck. Ihre Medizin klärt mir den Verstand.«

Nachdem der Notar und sein Begleiter sich verabschiedet und Arabella dann mehr getrunken, als der Arzt gestatten wollte, ließ sie sich noch ein weiteres Kissen unterschieben, bis sie fast aufrecht saß.

»Wenn ich nicht merkte,« begann sie mit festerer Stimme als bisher, »daß ich unterhalb der Hüften eigentlich schon todt bin, könnt' ich fast wieder hoffen; so leicht ist mir jetzt geworden und so licht im Kopf. Mit der Hälfte der Leibeslast scheint meine Seele auch der Erdentrübung halb entledigt. Auch dies letzte Hellsehen vor dem Auslöschen soll meinem Sohn gehören. Prägen Sie sich fest ein, was ich sage, um es unverweilt aufzuschreiben, wann Sie heimgekehrt sind.«

Sie unterbrach sich mit schmerzlichem Aufstöhnen und preßte die Hände gegen die Brust.

»Zusammenhängend – zu reden,« fuhr sie dann mit Pausen zu keuchenden Athemzügen fort, »wird mir doch – schwerer als ich dachte. Vielleicht finden Sie – ausreichend, was ich selbst – jüngst aufgeschrieben, – um Lothar zu hinterlassen, – was werthvoller ist als der kleine Schatz: gute Meinung – von seinen Eltern. Es liegt obenauf in der Schatulle – Schlüssel in der Schieblade des Spiegeltischchens. – Lesen Sie's laut – mir wird's wohlthun.«

Ulrich nahm das Schriftstück heraus und las:

»Für meinen Sohn Lothar, wann er erwachsen sein wird.

Ich fühle meine Kraft schwinden, meine Gewandtheit nachlassen und schreibe diese Zeilen in der Vorahnung, daß mir in meinem halsbrechenden Beruf ein Unglück zustoßen wird.

Denke nicht gering von deiner Mutter, weil sie Kunstreiterin und Luftspringerin war, noch von deinem Vater wegen der wilden Liebschaft mit der Gauklerin.

Ersieh' aus den andern Papieren, aus welchem Schiffbruch ich verschlagen ward in den Cirkus.

Man thut uns Athleten, Seiltänzern, voltigirenden Centauren und Amazonen oft Unrecht mit der verbreiteten Meinung, daß wir ein lüderliches Leben führen. Wenigstens für Meister und Meisterinnen in den schwierigsten und gefährlichsten Produktionen ist sie weit öfter falsch als richtig.

Wer sich mit den Fußspitzen festzuhalten hat im haushoch schwingenden Trapez, sicheres Lächeln im Gesicht und jeden Augenblick bedacht, mit seinem Körper ein anmuthiges Bild darzubieten; wer beim Schaukelflug über die ganze Breite der Arena und des Zuschauerraumes kein Zehntel einer Sekunde zu früh oder zu spät greifen darf nach der Querstange der entgegenpendelnden Schaukel oder nach den Händen des fliegenden Kameraden, um nicht stürzend das Genick zu brechen, der bedarf einer Muskelkraft, einer Nervenruhe, einer Geschmeidigkeit der Glieder und einer uhrwerkartigen Pünktlichkeit ihres Gehorsams, die man sich nimmer aneignen und erhalten kann ohne die allerstrengste leibliche Zucht. Bei sehr beschränkter Speisenwahl ist die reichliche und kräftige Kost Jedem von seiner Erfahrung bis auf das Loth genau vorgeschrieben. Eine Unmäßigkeit, eine Ausschweifung kann den Erwerb etlicher Wochen, ja das Leben kosten. Auch läßt der Kraftverbrauch in den Proben und Vorstellungen wenig Empfänglichkeit übrig für andern Genuß als den unseres Mannas, des Applauses. Ich schwöre bei der heiligen Jungfrau, daß ich trotz mancher Versuchung fast dreißig Jahre alt geworden bin als unberührtes Mädchen.

Selbst dein Vater, der verblendend schöne junge Mann von herkulischer Stärke, hatte bei uns schon ein Vierteljahr Unterricht genommen in der Voltige auf nacktem Pferde, ohne mein Wohlgefallen an seiner Erscheinung und mein Staunen über seine riesige Kraft bis zur Erwiederung seiner Neigung zu erwärmen. Er hätte mich schwerlich erobert ohne ein Ereigniß, von dem damals viele Zeitungen berichteten.

Auf den Wunsch des Direktors Zalesky studirte ich ein kürzlich erfundenes zugkräftiges Kunststück: mich aus einer Art Spielzeugkanone großen Maßstabes durch einen Mechanismus starker Springfedern bis an das Dach des Cirkus hinaufschießen zu lassen, um oben an einem erfaßten Trapez hängen zu bleiben. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, die heftige und schmerzhafte Erschütterung der Beine lächelnd auszuhalten. Doch die Probe war mir zwölfmal tadellos gelungen.

Als ich das Stück zum ersten Mal in der Vorstellung ausführen sollte und schon auf der Schnellplatte bis an's Knie im Wurfrohr stand, sah ich deinen Vater ernst aufmerksam dicht daneben treten.

Die paar Loth Pulver, die man beim Abdruck aus dem hohlen Holzmantel der Kanone aufzischen ließ, um einen Feuerschuß vorzuspiegeln, umschleierten mich mit einer Wolke; das Federwerk warf mich in die Luft, aber, wie ich fühlte, minder erschütternd als in den Proben. Man munkelte nachher, daß eine boshafte Neiderin, für deren Lockungen Lothar eiskalt geblieben war, den kanonirenden Clown bestochen, die Springfedern nur halb zurückzuspannen. Noch mannshoch unter dem Trapezschwengel sank ich schon wieder und gab mich verloren. Doch ich that keinen harten Fall, fühlte mich nur einen Moment wie zerdrückt, als umringle mich eine Boa Constriktor.

Unter einem Donner von Applaus, wie ich so gewaltig und andauernd noch keinen gehört, vergingen mir die Sinne. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in der Garderobe und immer noch in den Armen deines Vaters. Im Fall aus einer Höhe von beinahe fünf Klaftern hatte er mich mit seiner an's Unglaubliche streifenden Stärke aufgefangen und hinausgetragen.

Nun war ich's, die den Anfang machte, seine Hände und sein Gesicht mit Küssen zu bedecken. So ward ich die Seine. Mein Glück war kurz, aber groß … …«

»Genug, Herr Pfarrer,« unterbrach Arabella. »Was noch folgt, sind Ermahnungen für meinen Sohn. Lassen Sie mich hinzufügen, daß ich mich scheidend versöhnt fühle mit meinem harten Schicksal. Denn meine Augen, bevor sie brechen, sind Seheraugen geworden. In der entschleierten Zukunft schau' ich das Kind unserer wonnig heißen Leidenschaft zum Prachtmenschen gediehen durch Ihre Hülfe. – Jetzt ein Gebet und das heilige Brod, meinetwegen auch Wein dazu; denn ich fühle mich himmelhoch über dem Giftnebel des Glaubensgezänkes. Bleiben Sie bei mir, bis Alles vorüber ist. Lange wird es nicht mehr dauern. Ich sterbe leichter, wenn mein letzter Blick ruhen darf auf dem Ebenbilde Lothar's.«


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