Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.
Licht und Schatten

Trostlos über den Verlust ihres einzigen Beschützers, verloren dennoch Mutter und Tochter ihren Mut nicht. Mit bewundernswerter Energie machten sie sich daran, die Geschäfte zu entwirren, welche der Marquis in größter Unordnung zurückgelassen hatte. Von der bedeutenden Summe, die sie vom Verkaufe des Schlosses in Händen hatten, mußten drei Viertel genommen werden, um die enormen Schulden zu bezahlen, die nach und nach gemacht worden waren, und es blieb ihnen nur das Allernotwendigste zum Leben. Aber tief religiös wie sie beide waren, ergaben sie sich in den Willen Gottes. Isabella war zu sehr in der Liebe zur Tugend und Einfachheit erzogen worden, um Luxus und Zerstreuungen zu vermissen, und ihre vortreffliche Mutter bemühte sich fortgesetzt, ihr die vollständige Hingabe in den Willen der göttlichen Vorsehung einzuprägen.

So verflossen vier Jahre.

Nach dem Verkaufe des Schlosses war der Haß des Herrn Antonio gegen die Adligen bis zu dem Punkte gestiegen, daß er seine Nachbarn von Abelarda nicht einmal mehr nennen hören wollte, wie überhaupt niemand, der einen Titel hatte; er benützte die geringfügigsten Gelegenheiten, um in die heftigsten Anschuldigungen gegen dieselben auszubrechen.

Giulio, der eben damals den Doktortitel erhalten hatte, und welcher beständig das Bild Isabellas im Herzen trug, litt unsäglich unter diesen Gefühlen seines Vaters. Er hätte die zwei Damen verteidigen mögen, mit der Versicherung, daß dieselben keine Schuld träfe; aber, schüchtern wie er war, schwieg er, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu geboten hätte. Auf diese Weise hatte er niemand Einsicht in seine Herzensangelegenheit gewährt.

Die Stelle eines Arztes in Saluggia wurde frei, und Giulio bewarb sich mit Eifer um den Posten. Als er ihn erhalten hatte, schlug er seinen Wohnsitz in Abelarda auf. Mit welchem Jubel näherte er sich dem Orte, wo Isabella lebte! Mit welcher Freude würde er sie wiedersehen! Sie ging jedoch sehr selten aus; manchesmal machte sie des Abends mit ihrer Mutter einen Spaziergang, und am Sonntag besuchte sie stets den Gottesdienst, bei welchem der Doktor nie fehlte.

An dem Tage, an welchem er bemerkte, daß das junge Mädchen einen Blick auf ihn geworfen hatte, hätte wenig gefehlt, daß ihn die Rührung übermannte. Er hätte sich am liebsten zu ihren Füßen hingeworfen und ihr für diesen Blick gedankt.

Schmerz und Leiden sollten sich jedoch bald bei den bedauernswerten Damen einstellen. Eine gefährliche Krankheit überfiel die Marquise.

Der neue Doktor wurde gerufen. Für Giulio war es im Moment eine namenlose Freude, als er das Haus Isabellas betrat. Sobald er jedoch den Ernst des Übels, von dem die Dame ergriffen war, erkannte, und den tiefen Schmerz in den Zügen des jungen Mädchens las, bereute er, sich einen Augenblick lang der Freude hingegeben zu haben. Er widmete sich seiner Aufgabe mit dem ganzen Eifer eines Mannes, der zum erstenmal die Probe seiner Geschicklichkeit in Ausübung seines neuen Amtes abzulegen hat. Er beobachtete mit aufrichtigem Kummer die Fortschritte der Krankheit, studierte unermüdlich, indem er die Stunden der Ruhe opferte, nur um die Kranke möglicherweise dem Leben erhalten zu können.

Die Krankheit zog sich in die Länge. Die Sorge, welche der junge Doktor der Dame angedeihen ließ, war die eines liebenden Sohnes. Isabella pflegte ihre Mutter mit einer wahrhaft heroischen Ausdauer und mit rührendster Aufmerksamkeit; aber es war vergeblich. Gott hatte es in seinen unerforschlichen Absichten anders bestimmt. Isabella sollte allein auf Erden zurückbleiben … Doch nein, sie blieb nicht allein, denn die göttliche Vorsehung wachte über sie; sie wachte über sie in der Person des Doktors.

Giulio, der Zeuge des herzzerreißenden Schmerzes des verwaisten Mädchens war, vermochte sich bei diesem Anblick nicht mehr zurückzuhalten. Am selben Abend noch, von seinem großmütigen Herzen hingerissen, den Haß vergessend, den sein Vater gegen diese Familie nährte, des Fluches nicht gedenkend, den er durch sein Handeln auf sich herabziehen würde, versprach er dem armen Kinde, ihm Helfer und Beschützer fürs ganze Leben zu sein. Isabella, ganz aufgelöst in ihrem Leid, verstand ihn nicht; er hatte jedoch versprochen und er wollte sein Wort halten.

Erst nachdem er allein war, kam ihm die schwierige Lage, in die er sich gebracht hatte, zum Bewußtsein und er gestand sich, daß er sich eine schwere Last aufgebürdet habe. Er blieb demungeachtet fest bei seinem Entschlusse und wollte ohne Zögern dem Zorne des Vaters die Stirn bieten.

Den folgenden Tag begab er sich nach Bellavista. Er fand seinen Vater bei der Heuernte, und enthüllte ihm seinen Entschluß. Es folgte begreiflicherweise eine furchtbare Scene. Das Antlitz des Herrn Antonio war violett geworden. Giulio, der bis dahin nie gewohnt gewesen war, sich dem Willen des Vaters zu widersetzen, diesmal jedoch fest entschlossen, nicht nachzulassen, war totenbleich.

Sie trennten sich, jeder auf seinem eigenen Willen beharrend. Herr Antonio wollte die Heirat nicht erlauben; Giulio bestand darauf, sobald er der Zusage Isabellas sicher wäre.

Auf diese Weise verstrichen einige Monate, nach deren Verlaufe sich Giulio bei der jungen Marquise einfand, und um ihre Hand anhielt; er wurde voll des innigsten Dankes aufgenommen, und seinem inständigen Wunsche gemäß sollte die Hochzeit in kürzester Frist stattfinden.

Als Herr Antonio dies erfuhr, geriet er in die höchste Wut, verstieß den Sohn aus Abelarda und setzte ein neues Testament auf. Giulio durfte nicht mehr vor seinen Augen erscheinen. – Wenige Monate nach der Hochzeit starb Herr Antonio ganz unerwartet an einem Schlaganfall, was dem jungen Doktor tiefen Schmerz verursachte; denn so sehr er auch seinen Vater gefürchtet hatte, liebte er ihn doch von Herzen. Sein Kummer war um so größer, als er nun nicht mehr seine Verzeihung hatte erlangen können.

Als das Testament eröffnet wurde, zeigte es sich, daß Giulio enterbt worden war. Es blieb ihm somit nur das kleine Kapital, die Mitgift seiner Frau; das war jedoch bereits bedeutend zusammengeschmolzen während der Krankheit der Marquise, und namentlich durch wucherische Geldmenschen, welche die Unerfahrenheit der beiden Frauen benützten, um sie zu betrügen; beim Tode des Herrn Antonio zeigte es sich, daß die Familie des Doktors auf die Einnahme desselben allein angewiesen war.

Das Schloß, welches den Anforderungen des Edelmannes nicht entsprach, weil es zu entfernt von dem weltlichen Treiben lag, wurde neuerdings zum Kaufe ausgeboten; da sich kein Abnehmer fand, wurde es vermietet und die Familie Arnaldi war die erste gewesen, die es bewohnt hatte.


 << zurück weiter >>