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Viertes Kapitel.
Entschlüsse

Laura war im Wäschezimmer beschäftigt, um das Leinenzeug in Ordnung zu bringen, als Malwina wie ein leicht beschwingter Schmetterling an ihre Seite eilte. Sie schien etwas erregt, was seit ihrer Ankunft in Vercelli noch nicht vorgekommen war. Laura sah sie ganz bestürzt an und fragte: »Was haben Sie, Fräulein Malwina? Was ist geschehen?«

»Nichts, gar nichts. Ich möchte nur eine Aufklärung über eine Frage. Wie kommt es, daß in unserem Hause kein Kruzifix zu sehen ist? Nur in meinem Zimmer hängt zu Häupten meines Bettes ein Bild der Madonna, und auch das scheint mehr zur Zierde als der Andacht halber dort zu sein, da es ein Meisterwerk ist. Wie kommt das?«

Das Antlitz Lauras nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. »Machen Sie sich keine Gedanken darüber,« antwortete sie. »Es wurde alles vom Herrn selbst gewählt, unter der Beihilfe der Signora Varelli, welche beide einzig nur auf Luxus und Bequemlichkeit achteten und der Dinge nicht gedachten, die einem Christen unentbehrlich dünken.«

»Du hättest wenigstens daran erinnern sollen. Ich werde mit Papa selbst darüber reden.«

Und sie eilte hinweg. Durch die halbgeschlossenen Jalousien spähte sie nach dessen Rückkehr. Als sie ihn kommen sah, flog sie eiligst die Treppe hinunter, versteckte sich hinter die Hausthür und sobald dieselbe geöffnet wurde, lag sie schon in den Armen ihres Vaters. Dann nahm sie seinen Arm, und scherzend und liebkosend stieg sie mit ihm die Treppe empor. Herr Arnaldi trat in sein Arbeitszimmer, in welches ihm Malwina folgte, indem sie bittend zu ihm sagte: »Setz' dich hierher,« und dabei nahm sie seine beiden Hände und nötigte ihn in seinen Armstuhl.

»Ich habe dir einen Vorwurf zu machen, und will dir alles sagen, was mir am Herzen liegt. Euer Gnaden haben nur daran gedacht, das Haus prachtvoll herzurichten, haben riesige Summen ausgegeben, um es mit Schätzen zu füllen; aber des wichtigsten Gegenstandes, der in einem Hause, das ich bewohnen will, unumgänglich notwendig ist, haben Sie vergessen. Ja, mein Herr, ich sage »will«, weil Sie mich zur Herrin hier eingesetzt haben, und ich somit in der That als solche auftreten muß.«

Herr Arnaldi hörte zu, seine Tochter lächelnd betrachtend, die mit gerunzelter Stirne, in jugendlicher Anmut vor ihm stand. Malwina hatte in diesem Augenblicke etwas Hoheitsvolles; es ruhte auf ihr der Ernst und die Würde einer Königin.

»Vergieb, wenn ich irgend etwas vergessen haben sollte! Du hast nur zu sprechen und es soll geschehen. Ich ließ zu wiederholten Malen deine Tante kommen, damit sie nachsehe, daß nichts fehle. Und trotzdem ist es mir nicht gelungen, dich vollständig zu befriedigen? Nur Geduld! Ich werde dem Mangel wohl noch rechtzeitig abhelfen können, nicht wahr? Sprich, was geht dir ab?«

Das Mädchen zog ein goldenes Kettchen hervor, das sie stets am Halse trug, und zeigte ihm ein schönes kleines Kreuz von reinem Golde, das daran befestigt war. »Hier ist dasjenige, was fehlt: Gott!«

Das Antlitz Herrn Arnaldis verdüsterte sich; aber sogleich nahm er wieder eine heitere Miene an und erwiderte: »Du sollst haben, was du verlangst. Indessen sage mir, hast du deiner Tante geantwortet?«

»Ja, ich habe ihr gedankt und versichert, wie sehr ich mich freue, sie selbst, die Cousinen und Mario kennen zu lernen; daß ich jedoch nicht kommen werde. Auch an Donna Ildefonsa schrieb ich. Wie glücklich wird sie, die mir eine zweite Mutter war, über meine Zeilen sein!«

Der Sonntag war herangekommen. Schon am Vorabend hatte sich Malwina bei Laura nach der Stunde des Gottesdienstes in der nächsten Kirche erkundigt und den Wunsch ausgesprochen, daß alle Dienstleute nacheinander der Messe beiwohnen sollten.

An diesem Morgen war sie noch fröhlicher wie sonst; als sie die Fenster öffnete, sah sie ihren Vater im Garten und rief ihm zu: »Möchtest du nicht mit mir ausgehen, lieber Vater?«

Herr Arnaldi begriff, um was es sich handelte, und wollte antworten; seine Tochter war jedoch bereits verschwunden. Er konnte nichts anderes thun, als ihrer Aufforderung Folge leisten. Während er die Treppe hinaufstieg, dachte er: »Sie wünscht, daß ich sie in die Kirche begleite, und ich werde es thun. Ich will sie indes an der Kirchenthüre verlassen und sie später wieder dort abholen.«

Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß seine Tochter ihm die geringste Schwierigkeit machen könnte. Als er zum Fortgehen bereit war, begab er sich in den Salon, um auf sie zu warten. Es war heute an Herrn Arnaldi etwas ganz Außergewöhnliches zu beobachten, eine gewisse ausgesuchte Sorgfalt in seiner Kleidung. Während er seine Handschuhe anzog, schritt er im Saale auf und ab, und am großen Wandspiegel angekommen, versäumte er nicht, einen Blick hinein zu werfen. Noch mehr: nicht genug, seine Erscheinung im Vorübergehen flüchtig zu prüfen, blieb er davor stehen, glättete sich den Bart und nahm besondere Stellungen an, die seiner Ansicht nach am besten seiner Person entsprachen, geradeso, wie er es als junger Mann zu thun pflegte. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr vor den Spiegel gestellt, nur um des Vergnügens halber, sich anzusehen; und jetzt vergaß er seine fünfzig Jahre, vergaß, daß er der Vater eines erwachsenen Mädchens sei, und dachte nur an die junge Dame, die er begleiten wolle. Nie hatte ihm bis zu diesem Augenblicke sein ergrauter Bart Kummer gemacht; jedoch tröstete er sich mit dem Gedanken, daß seine Gestalt gerade und stramm, das Gesicht noch blühend sei, und er war befriedigt.

Infolge einer gewissen Ideenverbindung entsann er sich des Tages, an welchem er vor zwanzig Jahren seine Braut erwartet hatte, um sie zum Altar zu führen. Ach! zu seinem Schmerze war die schöne Zeit längst entschwunden, und es folgten ihr Jahre voll Leid und bitterem Weh, ein trostloser Lebensabschnitt, den er sich zu erleichtern glaubte, indem er sich den weltlichen Zerstreuungen in die Arme warf, die ihm dennoch nicht eine einzige Stunde wahren Glückes zu verschaffen vermocht hatten. Aber jetzt war das Glück in sein Haus zurückgekehrt, und er wünschte sich nichts Besseres mehr.

Er war immer noch, vor dem Spiegel stehend, mit seinen Erinnerungen beschäftigt, als die schöne Gestalt Malwinas erschien.

Herr Arnaldi, dessen Gedanken noch völlig mit seiner Frau beschäftigt waren, fühlte sich momentan ganz erschüttert. Er glaubte einen Augenblick, die Gefährtin seiner Jugend wieder lebend vor sich zu sehen. Sie war auch in der That an jenem Tage ebenfalls in weiß gekleidet gewesen. Wie sie sich ähnlich sahen! Er faßte sich jedoch sofort, und indem er sich einige Schritte von Malwina entfernte, sie mit väterlichem Stolze bewundernd, fragte er: »Hat dich die Schneiderin befriedigt?

»Sieh' mich an. Meinst du nicht, daß mir das Kleid gut steht?«

»Ja, ausgezeichnet! Gehen wir jetzt?«

»Gewiß, Vater.«

»Bedauerst du, daß ich nicht anspannen ließ?«

»Oh nein, nicht im geringsten.«

»Mir ist es lieber, wenn wir zu Fuß gehen, weil so viele dich zu sehen wünschen, und wenn wir fahren, hätte es den Anschein, als wollte ich dich absichtlich ihren Blicken entziehen; um so mehr, da du bereits eine Woche hier bist und dich noch gar nicht gezeigt hast. Besser also heute, als später. Zudem ist der Weg bis zur Kirche der Annunziata sehr kurz; wir sind gleich dort.«

Er reichte ihr den Arm, und Vater und Tochter verließen das Haus.

Dann begann ein gegenseitiges gedämpftes Zurufen von Thüren und Fenstern aus, ein eiliges Zusammenlaufen an den Hausthüren, um die schöne Signorina vorbeigehen zu sehen, die auch wirklich große Bewunderung erregte.

Wie war sie schön in ihrem einfachen weißen Kleide, dessen zarter Stoff vom leisen Morgenlüftchen bewegt wurde, in ihrer königlichen Haltung, mit den prachtvollen, strahlenden Augen und den dunklen Haaren! Sie schmiegte sich an ihren Vater, der sie mit Stolz am Arme führte.

Sie hatten die Kirche erreicht; Herr Arnaldi blieb stehen und reichte das Gebetbuch seiner Tochter, die ihn verwundert anblickte.

»Gehst du nicht mit hinein?«

»Ich, nein.«

»Warum nicht?«

»Ich komme wieder zurück, um dich abzuholen.«

»Bitte, Papa, laß mich nicht allein!«

Und dabei legte sich tiefe Betrübnis über Malwinas Züge und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Herr Arnaldi, der auf eine solche Scene nicht vorbereitet war, mußte sich dazu bequemen, mit ihr in die Kirche einzutreten. An ihrer Seite durchschritt er die Menge, die bereits vollzählig war, und näherte sich dem Altare. Es ist unnötig zu sagen, daß die Blicke aller auf die beiden Ankömmlinge gerichtet waren, und daß ein leises Murmeln der Überraschung hörbar wurde.

Zwei Umstände verursachten dieses Erstaunen der Bewohner von Vercelli: die Schönheit des jungen Mädchens und die Anwesenheit des Herrn Arnaldi in der Kirche. Seit zwölf Jahren hatte man ihn nicht mehr dort gesehen. Nachdem seine Frau gestorben war, entbehrte er jeglichen freundlichen Einflusses in Bezug auf religiöse Dinge und seine diesbezüglichen Pflichten. Allerdings hatte die gute Laura, die mit aufrichtigem Schmerze bemerkte, daß ihr Herr sich der Religion immer mehr entfremdete, zuweilen Versuche gemacht, ihn an seine Christenpflichten zu mahnen; aber er hatte ihr kein Gehör geschenkt, so daß die Ärmste schließlich schweigen mußte, um ihn nicht zu reizen.

Sie betete und weinte jedoch im stillen, hoffend, daß der Tag kommen werde, an welchem Gott sein Herz rühren würde. Es war Malwinas Aufgabe, ihn zu Gott zurückzuführen. Ihr vermochte der Vater nichts abzuschlagen, und Laura erwartete alles von dem jungen Mädchen, dessen Frömmigkeit und Pflichteifer sie mit Freuden erkannte.

Es wurde Vater und Tochter sogleich Platz gemacht, und ohne seitwärts zu blicken, kniete Malwina nieder, neigte das Haupt und überließ sich dem Gebete. Seitdem sie das Kloster verlassen hatte, war sie noch in keiner Kirche gewesen, und wie mächtig fühlte sie nun das Bedürfnis, sich vor ihrem Gott niederzuwerfen, um mit ihm zu reden und ihn ihres langen Vergessens wegen um Verzeihung zu bitten. Aber der Eindrücke und Gefühlsbewegungen dieser ersten Tage im neuen Heim waren gar zu viele gewesen! Doch wollte sie von nun an nicht mehr so lässig sein; jeden Morgen würde sie der heiligen Messe beiwohnen. Sie hatte Donna Ildefonsa das Versprechen gegeben, dies zu thun, und war entschlossen, ihr Wort zu halten. Wie viel hatte sie jetzt dem lieben Gott zu sagen, und wie innig flehte sie für ihren Vater, der ihr zur Seite stand!

Nachdem der Gottesdienst beendet war, wartete sie, bis die Kirche sich geleert hatte; dann stand auch sie auf und verließ mit ihrem Vater das Gotteshaus. Die Volksmenge, die sich draußen gesammelt hatte, grüßte ehrfurchtsvoll; Malwina dankte mit anmutiger Freundlichkeit, was ihr die Sympathie aller gewann.

Herr Arnaldi wollte sie ein wenig durch die Stadt spazieren führen, die sie nicht kannte oder deren sie sich wenigstens nicht mehr erinnerte, und erst zur Essenszeit kehrten sie nach Hause zurück. Den ganzen Tag hatte Malwina ihren Vater ungestört für sich, was sie sehr beglückte; und durch das belebende Element ihrer Fröhlichkeit ließ sie keine Langweile aufkommen. Im Salon sang sie einige schöne Lieder und spielte Klavier; später ging sie mit ihrem Vater im Garten spazieren; dann suchten sie sich ein lauschiges Plätzchen aus, wo Malwina eine Novelle vorlas. Ihr Vater hörte zu, ohne sich nur zu regen; als er aber um sein Urteil befragt wurde, mußte er eingestehen, nicht eine Silbe gehört zu haben, da er die ganze Zeit über damit beschäftigt war, seine geliebte Tochter zu betrachten und an das Glück zu denken, das er verloren geglaubt und nun von neuem gefunden hatte. Unterdessen nahte die Stunde, wo die Gäste erscheinen sollten.

Nachdem Malwina noch duftige Sträuße für die Tafel gepflückt hatte, nahm sie ihres Vaters Arm und führte ihn in den Speisesaal, wo der Tisch bereits gedeckt war, um als gewissenhafte Hausfrau nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, und dann zog sie sich in ihre Gemächer zurück, um noch die letzte Hand an ihre Toilette zu legen.

Als die Gäste angemeldet wurden, empfing sie Malwina mit der größten Unbefangenheit; sie schien wie geboren zur Hausherrin. Sie war den Geladenen gegenüber so voll Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit, dabei so natürlich und herzlich, daß zu später Stunde alle in höchster Begeisterung für die Signorina das Haus verließen.

Als Herr Arnaldi sich zurückzog, umarmte er seine Tochter zärtlicher denn je und sagte: »Ausgezeichnet, meine kleine Dame! du hast deine Rolle vorzüglich durchgeführt. Gott segne dich!«

Den folgenden Tag, nachdem Herr Arnaldi ausgegangen war, kam Laura zu ihrer jungen Herrin, schloß zuerst noch die Thür und sagte endlich in geheimnisvollem Tone: »Fräulein Malwina, ich kann mich von meinem Erstaunen gar nicht erholen über die Veränderung, die mit Ihrem Vater vorgegangen ist.«

»Veränderung? Inwiefern?«

»In allem.«

»Wieso?«

»Ehe Sie kamen, sah man ihn fast nie im Hause. Er stand sehr spät auf und nahm ein leichtes Frühstück ein, während er die Zeitung las; dann ging er aus, ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen und kehrte erst zu später Stunde nachts nach Hause zurück. Und wenn er einmal tagsüber heimkam, schloß er sich in sein Arbeitszimmer ein, und niemand durfte ihn stören. Selten nahm er zu Hause das Diner ein, und kaum hatte er hastig einige Bissen gekostet, eilte er schleunigst wieder fort, als fürchte er sich vor seinem eigenen Schatten. Dann blieb er wieder wochenlang abwesend, ohne daß man wußte, wo er sei. In Geschäften, natürlich. Doch hätte er meines Erachtens sagen können, wohin er ging. Auch war er stets in verdrießlicher Laune, und wurde mürrisch und verschlossen. Und diese Lebensweise war auch seiner Gesundheit schädlich. In der Kirche ließ er sich nicht mehr sehen; seit dem Tode Ihrer armen Mutter hat er keine mehr betreten.

Jetzt hingegen läßt er sich bei seinen Freunden gar nicht mehr blicken. Im Kaffeehaus, wo er alle Tage seine Partie spielte, erscheint er nicht mehr; wenn er ausgeht, bleibt er gerade nur die nötige Zeit fern, um seine Geschäfte abzuwickeln, und sofort kehrt er wieder an Ihre Seite zurück, als könnte er sich nicht mehr von Ihnen trennen. Sehen Sie, gestern zum Beispiel, hat er sich gar nicht vom Hause entfernt, außer in Ihrer Begleitung. Und in die Messe ist er gegangen! In die Messe! … Der Pfarrer hat ihn bemerkt, wie sein Erscheinen überhaupt allen aufgefallen ist. O, Fräulein Malwina, Sie sind ein Segen für dieses Haus! Wie wird sich Ihre Mutter im Himmel darüber freuen! Wie wohlgefällig wird Gott auf Sie herabblicken!«

Malwina war bei diesen Worten ganz nachdenklich geworden. Wie? Ihr Vater hatte ein so trauriges, einsames Leben geführt! Er hatte Gott vergessen? Jetzt begriff sie, warum sie nirgends im Hause ein Kruzifix gefunden hatte, weshalb ihr Vater so verstimmt schien und das Gespräch wechselte, als sie mit ihm darüber sprach!

Jetzt begriff sie auch, warum er sie an der Kirche verlassen wollte. Und während sie ihren Vater beklagte, der sich solcher Vernachlässigung schuldig gemacht hatte, bewunderte sie ihn zugleich, weil er aus Liebe zu ihr, seinem Kinde, sich der Spöttereien seiner Freunde ruhig aussetzen zu wollen schien. Malwina fühlte, daß, wenn sie bis heute ihren Vater nicht geliebt hätte, sie von jetzt an mit kindlicher Liebe an ihm hängen würde. Sie verabschiedete Laura, indem sie ihr für das Vertrauen, das sie ihr gezeigt hatte, herzlich dankte.

Als die Beschließerin sie verlassen hatte, verfiel sie in ernste Betrachtungen. Ihrer wartete also eine hohe Mission! Gott betraute sie mit der nicht leichten Aufgabe, ihm ihren Vater wieder zuzuführen! Sie entzog sich derselben keineswegs; aber, bereit, dem Rufe zu folgen, mußte sie sofort an die Mittel denken, die ihr dieses Unternehmen sichern sollten.

Sie brauchte einige Zeit, um ihren Plan vorzubereiten. Sie durfte nicht mit der Thüre ins Haus fallen, keinen scheinbaren Zwang ausüben, um ihren Vater zu bestimmen, die seit so langer Zeit unterlassenen Verpflichtungen wieder aufzunehmen; o nein! Sie durfte ihm nichts vorwerfen, auch nicht die letzten vergeudeten Jahre. Es war ihr Vorsatz und ihre Pflicht, sich vor allem seine ganze väterliche Liebe zu bewahren, und wo möglich noch zu steigern; ihm gegenüber immer sanft, aufmerksam und zärtlich zu sein, ihn in nichts zu verletzen, ihm stets und in allem gefällig zu sein. Wenn sie auf diese Weise sein Herz gewänne, in welchem er einen Schatz von Liebe barg, würde es ihr gelingen, ihn nicht nur zum Besuche des Gottesdienstes, sondern auch zum Empfange der heiligen Sakramente zu bewegen? Dann wäre ihr Glück vollkommen! Dazu war jedoch der Beistand Gottes nötig. Sie mußte ihn also anflehen und ihre Gebete verdoppeln, die sie in der vergangenen Woche in der That vernachlässigt hatte. Sie nahm sich vor, jeden Morgen der heiligen Messe beizuwohnen, aber zu einer Stunde, wo sie ihr Vater leicht entbehren konnte. Sie würde noch vor dem Aufstehen des Vaters in die Kirche gehen; so konnte es ihm gar nicht auffallen, und er hätte keinen Anlaß, sich zu beklagen. Sie war entschlossen, sogleich damit zu beginnen. Es war nicht eben leicht, ein so erbauliches, streng pflichtgetreues Leben zu führen und immer, immer sanft zu bleiben; allein es war notwendig, wenn sie auf ihren Vater in Bezug auf die Liebe zur Religion Einfluß gewinnen wollte. Sie dachte an Donna Ildefonsa. Sie allein wäre imstande gewesen, ihr entsprechenden Rat zu erteilen; sie allein hätte die richtigen Worte finden können, um ihr Mut und Kraft einzuflößen. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und teilte ihr mit, was sie sich zu thun vorgenommen hatte.

Zwei Tage später kam die Antwort, ein Brief voll Liebe und Sorge, in welchem Donna Ildefonsa ihre Billigung aussprach für alles, was Malwina vorhatte, noch weitere gute Ratschläge beifügend und sie zu ihrem Werke ermutigend, indem sie ihr versicherte, daß, wenn sie mit redlichem Willen das Begonnene fortsetze, der liebe Gott ihre Bemühungen sicher segnen werde.


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