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Elftes Kapitel..
Enttäuschungen

Während die Tante und Lydia von einem Fenster des Salons aus auf die Straße blickten, war Olga zu Malwina geeilt, die sie in der Bibliothek ihres Vaters fand, mit einem Buche in der Hand und in gelangweilterer Stimmung als je.

»Malwina, mach' dich schnell fertig; wir sind gekommen, um dich abzuholen.«

»Wohin denn?«

»Zu Frau Bera.«

»Zu welchem Zweck?«

»Ihr Bruder, der Leutnant Mandini, ist aus Turin eingetroffen, und unter dem Vorwande, sie zu besuchen, können wir ihn sehen.«

»Wie kann uns dieser Unbekannte interessieren?«

»Wir wollen ihn kennen lernen. Man sagt, daß er ein sehr eleganter und angenehmer junger Mann sei.«

Unterdessen waren die anderen dazu getreten, und die Tante nahm ihr das Buch aus der Hand und drängte sie nach der Thüre.

»Vorwärts,« sagte sie, »wir machen jetzt die Bekanntschaft eines schönen Jünglings; er kommt von Turin und wird hoffentlich einige Neuigkeiten mitbringen; wir erfahren dann, ob er sich hier einige Tage aufhält und können je nachdem eine Vergnügungspartie ausmachen.«

Malwina eilte, sich die Augen reibend, nach ihrem Zimmer. Die Tante gab indessen Befehl zum Anspannen, und die Damen fuhren zum Advokaten Bera. Die Herrin des Hauses, die auf dem Balkon war, um nach ihrem Bruder auszuschauen, der von einem Spazierritt zurückerwartet wurde, sah die Besuche anfahren und eilte ihnen voll freudiger Wichtigkeit entgegen.

Als sich kurz darauf die Hufschläge eines Pferdes vernehmen ließen, drängten sich alle auf den Balkon. Es war in der That der erwartete Bruder, eine entschieden hübsche Erscheinung in der kleidsamen Uniform eines Artillerieoffiziers.

Er grüßte die Damen vom Pferde aus, und bald hörte man ihn sporenklirrend die Stiege heraufkommen. Signora Bera stellte ihren Bruder den Damen vor; als die Reihe an Malwina kam, hielt er nachsinnend inne. Man merkte ihm an, daß er über etwas nachdachte.

»Kennst du unsere Freundin etwa?« fragte seine Schwester.

»Ich habe von ihr sprechen hören, aber ich entsinne mich nicht recht … Laß mich ein wenig nachdenken …«

»Hat man dir hier in Vercelli von ihr gesprochen?«

»Nein, mir scheint nicht. Es muß in Turin gewesen sein.«

»Vielleicht erwähnten deine militärischen Freunde ihrer?«

»Auch nicht.«

»Hat dich jemand von hier aus besucht?«

»O ja, jetzt erinnere ich mich! Es war Conti.«

»Conti? Wie ist das möglich?«

»Er war vor ungefähr einem Monat in Turin. Er wollte sogar den nächsten Tag hierher zurückkehren zum Empfange eines jungen Ehepaares.«

»O! Zu Palmieris.«

»Ja, eben diese.«

»Und dennoch ist er nicht gekommen.«

»Nicht?«

»Nein; er ließ sich den ganzen Tag nicht sehen, auch später nicht; wenigstens war er immer gleich wieder verschwunden, wenn er kam. Er suchte häufig meinen Mann auf, aber immer heimlich. Er hielt sich stundenlang bei ihm auf, im Arbeitszimmer mit ihm eingeschlossen; aber nie vermochte ich herauszubringen, um was es sich handelte. Öfters hatte ich absichtlich versucht, ihm zu begegnen; aber entweder gelang es ihm, mir zu entkommen, oder wenn dies nicht möglich war, richtete er einige kurze Worte an mich und schützte die größte Eile vor. Was soll dies bedeuten?«

»Wer weiß!« entgegnete der Leutnant. »Und seit wann gab er sich denn so geheimnisvoll?«

»Er hat sich seit der Zeit, in der du angiebst, ihn gesehen zu haben, in keiner einzigen Gesellschaft blicken lassen. Wir sind sogar auf die Vermutung gekommen, daß er große Summen verloren habe. Die Neuvermählten hatten ihn in Genua getroffen, wo er sich aufhielt, um sich ein Kunstwerk anzuschauen, wie er vorgab. Wer weiß, ob er nicht auch von Monte Carlo zurückkam?«

»Ich glaube nicht; ich habe ihn nie spielen sehen; und dann war er sehr heiter, und noch dazu hielt er an jenem Abend im Cafe Dilei uns alle frei.«

»Was könnte es dann möglicherweise nur sein, was ihn uns entfremdet hat?«

»Wer kann das sagen! … Wir fragten ihn damals, ob er denn nicht ans Heiraten denke, und er antwortete darauf mit lautem Lachen, daß das Weib seines Herzens erst noch auf die Welt kommen müsse.«

Malwina, die vor Freude errötet war, als sie hörte, daß Conti ihrer erwähnt hatte, fühlte bei diesen Worten eine Centnerlast sich auf ihr Herz senken, und sie erbleichte, teils aus Überraschung, teils aus Schmerz und Bestürzung. Sie glaubte, ersticken zu müssen. Welch eine Hitze herrschte doch in diesem Salon; wie gern hätte sie das Zimmer verlassen. Aber die Furcht, aufzufallen (denn sie fühlte sich beobachtet), hielt sie zurück.

Olga verlor sie nicht aus den Augen, und Frau Bera, ohne dergleichen zu thun, ließ sich nicht die geringste Bewegung des jungen Mädchens entgehen. Die Tante, die nicht lange ruhig sitzen bleiben konnte, hatte sich erhoben, um aufzubrechen, und Malwina war sogleich ihrem Beispiele gefolgt.

Kaum hatten sich die Besuche entfernt, als Frau Bera zu ihrem Bruder sagte: »Weißt du nicht, daß Fräulein Arnaldi Contis Bevorzugte war?«

»Ja, man hatte es mir gesagt, und eben deshalb wollte ich es ihr zu verstehen geben, daß er auch nicht im Traume an sie denkt. Und höre, was er noch hinzugefügt hat! ›Daß diese junge Dame das frivolste und eitelste Mädchen sei, welches er kenne.‹ Das ist es, was Conti gesagt hat, und das ich aus Rücksicht verschwiegen habe.«

»Wie, Conti hat so sprechen können? Aber er schien doch so eingenommen von ihr und war so voll Aufmerksamkeit für sie; nirgends fehlte er, wo er sicher war, sie zu sehen!«

»Conti findet sie auch in der That schön und geistreich; aber er möchte sie um keinen Preis zu seiner Frau haben.«

»Was sagst du? Beim Himmel! wenn sie das wüßte, sie, die sich über seine Liebe Illusionen machte und sich der sicheren Hoffnung hingab, ihn erobert zu haben! Wer könnte sonst die Signorina Arnaldi heiraten? Niemand außer ihm kann ihre Hand anstreben.«

»Und ich sage dir, daß Conti sie nicht will.«

Frau Bera vermochte sich darüber nicht zu beruhigen.

Als Malwina nach Hause zurückkehrte, schloß sie sich in ihr Zimmer ein. Herr Arnaldi war nicht zum Diner erschienen, wie es so häufig vorkam, seitdem ihm das Herz der Tochter entfremdet war. So ging auch sie nicht in den Speisesaal hinunter, indem sie Kopfweh vorschützte. Mit dem Haupt in den Händen, überließ sie sich ihren Gedanken. Conti hatte sie genannt. Was hatte er gesagt? Sie hätte die Hälfte ihrer Reichtümer gegeben, um es zu wissen … Dann hatte er gelacht, als man über die Frauen sprach. Aber was für ein Mann war denn Conti? Man hatte ihn ihr stets als so vollendet höflich und so vollkommen geschildert … Und sie selbst, so weit sie ihn kannte, wußte nichts Unvorteilhaftes von ihm zu sagen, er war ihr stets mit so rücksichtsvoller Artigkeit entgegengekommen, daß sie ihm nicht den leisesten Mangel an Ritterlichkeit vorwerfen konnte. Wenn sie aber nicht nach seinem Sinne war, warum widmete er ihr diese Bevorzugungen? Er hatte sich allerdings nie irgend eine Vertraulichkeit gegen sie erlaubt, o nein, im Gegenteil; er benahm sich stets voll zartester Rücksicht, voll größter Ehrerbietung gegen sie. Was hatte er also gethan? Er hatte ihr zu viel Liebenswürdigkeit gezeigt, das war alles! Dadurch wurde der Glaube in ihr erweckt, daß er sie den anderen vorziehe; er hatte jedoch nie ein Wort gesagt, das darauf hätte schließen lassen können; demnach traf ihn keine Schuld. Die Schuld lag an ihr selbst, weil sie von dem Wahne befangen war, von ihm geliebt zu sein, nachdem sie ihn in allen Gesellschaften, die sie besuchte, ebenfalls erscheinen sah. Jetzt war dieser Mann ihrer überdrüssig geworden; aber aus welchem Grunde? Was hatte sie verschuldet? Wenn sie wenigstens eine Aufklärung darüber erhielte! Aber diese Aufklärung würde ihr nie zu teil werden, weil sie ihn nicht darum angehen konnte. Wie hätte sie auch ein Recht dazu gehabt?

Malwina war außer sich. In ihrer Gegenwart hatte man gesagt, daß Conti das Mädchen seiner Liebe noch nicht gefunden habe! Vor ihr! Wohlan, ebensowenig hatte sie, was auch die Welt sagen mochte, ihr Herz an ihn verloren. Und wenn er vor ihr erschiene, würde sie ihm tapfer den Rücken kehren. Er könnte sich dann überzeugen, wer Malwina Arnaldi sei, er, der sich darin gefiel, mit den Mädchenherzen sein Spiel zu treiben. Sicher hätte er dieses Spiel mit ihr nicht mehr fortsetzen können, nein, nein! Nicht umsonst hatte man sie so häufig im Kloster die ›Stolze‹ genannt. Ja, sie war stolz, und sie würde es beweisen! Indessen wollte sie sich von nun an, gerade weil er nicht da war, noch mehr zu zerstreuen suchen, und wenn sie bis jetzt bei keinem Feste gefehlt hatte, beabsichtigte sie, selbst Anregung dazu zu geben, und deren neue zu veranstalten.

Und sie warf sich kopfüber in den Strudel der Vergnügungen. Wenn dieselben bisher einen großen Teil ihres Tages in Anspruch genommen hatten, füllten sie von nun an ihre ganze Zeit aus. Die arme Laura seufzte und weinte über die Veränderung ihrer jungen Herrin, und wenn sie ihr selbst gegenüber darüber klagte, wandte ihr. dieselbe geringschätzig den Rücken.

Eines Tages kam es so weit, daß Malwina der treuen Laura entgegnete, daß niemand das Recht habe, ihr gegenüber Bemerkungen zu machen, nachdem nicht einmal ihr eigener Vater es thue. Um so weniger durfte sich dies eine Dienerin des Hauses erlauben.

Laura zog sich in ihr Zimmer zurück und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. Am folgenden Tage ging sie noch mit rotgeschwollenen Augen umher. Als Malwina, die ihr bisher nur mit Achtung begegnet war, sie so traurig und still ihre gewohnten Dienste verrichten sah, und sich sagen mußte, daß sie die treue Seele gekränkt hatte, fühlte sie sich gerührt und beschämt. Ihr Stolz gestattete ihr jedoch nicht, sich soweit herabzulassen, um Laura die Hand zur Sühne zu bieten, wenngleich diese Frau die Vertraute ihrer Mutter gewesen war; und demzufolge ignorierte sie dieselbe völlig.

Malwina war wieder das hochmütige und stolze Mädchen von früher geworden; die alten Fehler, die Donna Ildefonsa so ehrlich bemüht war, zu bekämpfen und die sie glaubte ausgerottet zu haben, lebten wieder von neuem auf.


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