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Achtes Kapitel

Sie kamen am nächsten Vormittag im Automobil nach dem Laboratorium, und während Leontine unten sitzen blieb, ging Hall hinauf, um seine Post zu holen. Er hatte nicht die Absicht, heute zu arbeiten, er und Leontine wollten aufs Land hinausfahren. Aber die Post mußte er doch wenigstens sehen. Hall kam gleich darauf mit einem Paket Zeitungen und Briefen wieder herunter, die er in den Wagen legte, um sie später durchzusehen, und dann fuhren sie.

»Wohin wollen wir, Edmund?«

»Das weiß ich nicht, mein Kind; das wissen wir nie. Weißt du noch, in Schottland, wo wir den Weg gingen, den die Diestelflocken flogen? Siehst du den hübschen roten Mohnhut dort im Gedränge? Dem folgen wir.«

»Ja, wenn du nur deinen Willen bekommst,« sagte Madame d'Ora und legte die Hände im Schoß zusammen, vollkommen glücklich. Sie war schöner denn je. Jeder Mensch sah sie an, während sie langsam den Broadway hinauffuhren. Aber sie war auch ein Anblick, groß und üppig geformt mit den kühnen Zügen und den gnädigen Augen. Ihr Kleid war ein Wunder von einem schaumfarbenen Nichts, das sie von Kopf zu Fuß umhüllte, sie hatte vorläufig ihren Automobilkittel von den Schultern herabgleiten lassen. Auf dem Kopf trug sie eine Mütze. Sie erregte Aufsehen, und sie wußte es, sie schauderte siegesbewußt im Sonnenschein und in dem Menschengewimmel der Straße.

Die Dame mit dem roten Hut ging die Treppe zu der Brooklyner Brücke hinauf, also blieb ihnen nichts übrig, als den Weg zu fahren. Sie legten den luftigen Weg zurück und kreuzten dann durch Brooklyn nach dem Prospect Park hinaus. Hier mußte Hall ein wenig still halten, während Leontine hinauslief, um ein kleines Kind an sich zu drücken, das mitten auf einem grünen Rasen hingepflanzt saß. Nachdem sie sich gesättigt, indem sie das Kleinchen bestürmt und ›verschlungen‹ hatte, kehrte sie langsam zurück, noch niesend und feurig wie eine Tigerin, und sie fuhren weiter, lange scharfe Strecken mit voller Kraft, die Promenaden auf und nieder. Dann sagt die Maschine plötzlich Klick, ein Zischen ertönt, und Hall setzt sofort die Bremse in Tätigkeit und hält an, es ist etwas zerbrochen. Er muß hinunter und den Schaden suchen, und Madame d'Ora wird Zeuge, wie er sich auf dem Rücken unter das Automobil schiebt und dort liegt, so daß nur die Beine hervorsehen, eifrig mit dem Ausbessern beschäftigt. Das nimmt zehn Minuten in Anspruch, während welcher Zeit sie fortwährend schwatzen und lachen. Dann ist der Wagen in Ordnung, und sie können wieder fahren. Hall hat eine Idee …

»Jetzt weiß ich, wo wir unser Frühstück verzehren wollen,« sagt er und wird einen Augenblick ernsthaft, um gleich darauf vor Energie zu strahlen. Er schlägt den Hebel herunter und steuert auf den Triumphbogen vor dem Park zu, wo er umkehrt, so daß das schwere Automobil mit der einen Seite über dem Erdboden schwebt, und nun sausen sie eine meilenlange Straße dahin, dem Lande zu, fahren lange schweigend weiter.

Nach einer viertelstündigen scharfen Fahrt sah sich Hall um und mäßigte das Tempo, und als sie auf das offene grüne Land hinausgekommen waren, bog er plötzlich links in einen Seitenweg ein und hielt vor dem öden Hause, wo er am vorhergehenden Abend gewesen war.

»Wo fährst du mich nur hin?« fragte Madame d'Ora staunend und sah in das verfallene Haus hinein, das mit seinen leeren Fensterhöhlen im Sonnenschein dalag, halb von Unkraut versteckt.

»Hier wollen wir essen,« sagte Hall und nickte geheimnisvoll.

»Nein, Edmund,« bat Madame d'Ora lachend. »Was für Einfälle du hast! Du hast das alte Haus natürlich eben erst entdeckt, und dann kam dir diese wilde Idee; ich kenne dich ja. Aber hier wollen wir nicht essen. Wer sagt, daß wir da hineingehen dürfen?«

»Ja, hier wollen wir schwelgen,« sagte Hall mit einer unerschütterlichen Zufriedenheit im Ausdruck. »Komm du nur, dies ist mein Landhaus, Leontine.«

Er nahm den Korb mit Speisen und Wein aus dem Wagen und trug ihn in den Garten, kehrte dann zurück und hielt die schnurrende Maschinerie an, so daß das Automobil ganz zur Ruhe gebracht war.

»Ist das wirklich dein Ernst?« fragte Madame d'Ora und stieg zögernd aus dem Wagen. »Das ist wirklich nicht witzig, Edmund. Dann finde ich, war mehr Sinn darin, damals, als wir in den Katakomben aßen und auf den Särgen saßen – weißt du das noch? Dies ist nur ein altes, schiefes Landhaus.«

Als sie indessen sah, daß Hall auf seinen Einfall versessen war, fügte sie sich ihm und ging mit in das leere Haus hinein.

»Ist es hier nicht mystisch roh?« fragte Hall. »Sieh den elenden Fleck an der Wand dort, der ist davon gekommen, daß man den Kopf dagegen gelehnt hat, aber das Sofa ist weg, und das, was war, ist alles Luft. Beachte den treibenden Geruch hier drinnen nach Erde und moderndem Holz, das hier mächtig verfault. Der Verfall steht dick in der Luft … Hier wollen wir Champagner trinken.«

»Du bist ein echter Baudelaire,« sagte Madame d'Ora und sah sich hilflos um. »Aber wo sollen wir nur sitzen? An der Erde?«

»Wir haben die Packkiste dort, auf der decken wir auf, dann finden wir schon etwas, was sich zu Stühlen benutzen läßt.«

Hall rückte die Kiste mitten ins Zimmer. Sie kreischte auf den Glasscherben von den zerschlagenen Fensterscheiben. Madame d'Ora hielt sich mit einem geängstigten Ausdruck die Ohren zu, aber Hall lächelte und erklärte, daß dieses höllische Violinsolo selbstverständlich ganz im Stil sei mit zerfetzten Tapeten, Salpetermoder und rostiger Luft. Er ging in den Garten hinaus und kehrte mit noch einer Packkiste zurück sowie mit einer großen, leergegessenen Blechdose, die er zu beiden Seiten des ›Tisches‹ aufstellte. Leontine setzte sich gehorsam auf die kleine Kiste, die feucht und voller Erde war und in der eine nasse Schnecke saß, vorher aber breitete sie doch ihren Kittel darüber. Hall setzte sich auf die Blechdose, die knirschte und schrie, wenn er auf ihr schaukelte.

»Laß das, Edmund,« rief Madame d'Ora, »die Zähne werden mir wehe tun!«

»Das ist kein Zufall,« sagte Hall. »In der Kiste wohnt die Seele einer Ratte, die wird gepeinigt, und nun macht sie Zahnmusik … Habe ich dir jemals das Dreschflegellied vorgesungen?«

»Das Dreschflegellied? Nein! Was für ein Gesang ist denn das? – den mußt du mich hören lassen!«

»Zuerst muß ich dir erzählen, woher das Lied stammt. Siehst du, wenn man zu den Bauern hineingeht, die auf der Tenne dreschen, so werden sie dich fragen, ob du das Dreschflegellied lernen willst. Sagst du ja, so legen sie den Flegel um deinen Hals und während sie nun zusammenklemmen und wieder Luft geben und wieder zusammenklemmen, und es in dem Schweinsleder knarrt, mit dem der Dreschflegel gebunden ist, so hüpfst du und singst das Dreschflegellied. Erst aber wollen wir essen.«

Hall breitete die Eßwaren auf der Packkiste aus, und sie fingen an zu essen. Aber Madame d'Ora griff nicht recht zu, und endlich sah Hall, daß das Arrangement ihren Beifall nicht hatte. Er legte sein Sandwich hin und blieb regungslos sitzen, aller Glanz war in ihm erloschen.

»Leontine,« sagte er gedämpft, »ich schäme mich. Du bist nicht vergnügt. Es war sinnlos von mir, dich zu zwingen, hierher zu kommen, nur weil ich selber mich hier gelangweilt habe. Wenn du willst, so suchen wir uns einen andern Platz, einen offenen Platz. Du sitzest ja wie eine Gefangene da. Verzeih mir!«

»Bist du schon früher hier gewesen?« fragte Leontine und sah ihn forschend an.

»Ja, ich war gestern abend hier,« gestand Hall mit niedergeschlagenen Augen.

»Dann hast du hier gesessen, während ich draußen vor deiner Tür weinte, Edmund,« flüsterte sie und Tränen stiegen ihr im Halse auf. Sie schwiegen beide.

»Ich finde, es ist gut hier,« sagte Leontine nach einer Weile und lachte getröstet. Hall sah auf, ihre blauen Augen standen voller Tränen, und nun rannen sie herab, während der Busen bebte. Sie erhob sich und wandte sich ab, lachte freudig mit tiefen Kehltönen:

»Es ist gut hier, Edmund. Du bist ein Künstler, du kennst alles, aber ich bin dumm und verstehe dich nicht. Ja, du hast recht, es riecht hier originell. Es ist ein köstlicher Einfall von dir, daß wir hier ein Gastmahl abhalten. Jetzt will ich essen. Und dann wollen wir Champagner trinken.«

Hall ließ den Pfropfen knallen.

»Willst du nun nicht das Dreschflegellied singen,« bat Leontine. »Es sind Jahre her, seit ich deine heisere Stimme hörte – aber du sangest warm. Laß mich also hören!«

Hall bückte sich und nahm eine große Glasscheibe sowie eine kleinere von der Erde auf. Und indem er an der passenden Stelle die Glasscherben zusammenrieb und die Blechdose, auf der er saß, einen beißenden Laut von sich geben ließ, sang er mit ganz leiser Stimme:

Teufel, halt ein …
Liebster, o Liebster mein,
Ich singe, ich singe,
Halt ein, laß sein!
                        Knirsch! Knirsch!

Bluthund, ich sage dir,
Dein Tod ist nicht fern,
Ach, ich bin selig,
Ich singe so gern!
                        Knirsch! Knirsch!

Wie ist das herrlich,
Dideldumdei,
Halt ein, du Satan,
Hipp hopp, juchhei!
                        Knirsch! Knirsch!

Untier, was stockst du?
Was soll ich dir geben?
Ach, ich ersticke …
Wie herrlich zu schweben!
                        Knirsch! Knirsch!

Ich tripple zum Satan,
Tripp, trapp und tripp tripp,
Ich küß deinen Pferdefuß,
Ich hab' dich lieb!
                            Knirsch! Knirsch!

Ich singe, ja singe.
Du kommst, mich zu reiten,
Du kitzelst mich Liebster,
Ich lach' und muß leiden!
                        Knirsch! Knirsch!

Nein, nein doch, Verfluchter,
Versuche mich nicht!
Ha, ha, wie ich lache!
Das Herze mir bricht!
                        Knirsch! Knirsch!

»Ach, gib mir das Lied!« rief Madame d'Ora. »Das ist so recht etwas für mich. Wo hast du das nur einmal her, Edmund? Du sahest ganz dämonisch aus, als du es sangest?«

»Das kannst du gern bekommen: Mein Vater lehrte es mich. Er war ein Deutscher. Wollen wir nun rauchen? Mein Vater pflegte die Zähne zu knirschen wie eine Ratte, wenn er es sang; daher fiel es mir vorhin ein.«

»Denk nur, es ist mir noch nie in den Sinn gekommen, daß du Eltern haben könntest, Edmund. Und woher stammst du eigentlich?«

»Ich bin in Köln geboren und dort habe ich meine Kindheit verbracht. Meine Erziehung erhielt ich aber in Brüssel, wo mein Vater eine Fabrik hatte. Meine Mutter stammt aus Paris, so wie du, Leontine, und war auch Künstlerin. Das heißt, sie sang nicht, sie hüpfte. Mein Vater nannte sie Gisse. Später nannte er sie mit einem andern Namen. Von ihr habe ich meine fatale Passion für Gaukler und andere Atavisten-Menschen.«

»Edmund … nun ja! Sei du froh, daß du ein wenig musikalisch bist. Es interessiert mich zu hören, daß deine arme Mutter Künstlerin war. Sie war wohl schön? Leben deine Eltern noch, Edmund?«

»So weit mir bekannt ist. – Wollen wir jetzt die Post lesen? Wir sitzen ja ruhig und gut wie zu Hause. Nun will Vater seine Zeitung haben.«

Hall ging nach dem Wagen hinaus und Madame d'Ora lachte hinter ihm drein. Er kehrte mit der Post zurück und setzte unterwegs eine spießbürgerliche Miene auf, um Leontine Spaß zu machen, die es gern sah, wenn er ein wenig Humor entwickelte. Da waren eine Menge Briefe und mehrere Pakete europäischer Zeitungen. Hall überließ Leontine die Blätter und durchflog selber seine Briefe. Sie saßen sehr gemütlich, jedes auf seiner Seite der Kiste, und lasen. Das verlassene offene Haus summte von Fliegen, und draußen in dem wilden Garten hatte sich ein Vogel niedergelassen, der von Zeit zu Zeit einen langen, freundlichen Flötenton vernehmen ließ.

»Was für alte Zeitungen sind dies – diese beiden hier?« fragte Madame d'Ora und hielt zwei zusammengelegte, schmutzige Zeitungen in die Höhe; »bekommst du deine Post in der Verfassung?«

»Laß einmal sehen,« sagte Edmund, und nahm die Zeitungen. Sie sahen so aus, als hätten sie lange in einer Tasche gesteckt. Die Kanten waren eingerissen und rauh. Es war eine Nummer der Daily News, London, und eine von La Presse, Paris.

»Wie können die in meine Post geraten sein?« murmelte Hall verwundert. Er faltete sie auseinander und sah, daß das Exemplar der Daily News vom 17. Januar datiert war, und das von La Presse vom 19. Februar, sie waren also über drei Monate alt. In der englischen Zeitung stand ein langer und sensationeller Artikel über einen Mord, der mit blauem Bleistift umrandet war. Hall überflog den Artikel, er erzählte mit vielen gesperrten Unterbrechungen von einem jener mystischen Frauenmorde, wie sie seit Jack The Rippers Zeit hin und wieder in den großen Städten vorkommen. Man hatte einen Sack aus der Themse aufgefischt, der die zerstückelte Leiche eines jungen Mädchens enthielt. Alle die gewöhnlichen Züge, wie sie dieser Art Verbrechen eigen sind, wiederholten sich. Die Leiche war von ›kundiger Hand‹ zerlegt, und gewisse Schrecknisse deuteten darauf hin, daß der Mörder eines jener ›Untiere in Menschengestalt war, wie sie das Großstadtleben erzeugt‹. Die Ermordete war ziemlich schnell als ein Fräulein Elly Johnson identifiziert, die einige Tage zuvor von ihrem Platz in einem Hutgeschäft und aus dem Zimmer in der Stamfordstreet, das sie bewohnte, verschwunden war. Eine Eigentümlichkeit bei dem unheimlichen Fund war, daß der Leiche die linke Hand fehlte. Da es sich herausstellte, daß Elly Johnson einen Ring an dieser Hand getragen, hatte man hier einen wichtigen Anhaltspunkt für die Ergreifung des Mörders. Es waren noch keine Spuren des Missetäters gefunden, obwohl die Polizei im Besitz eines wertvollen ›Schlüssels‹ zu sein glaubte.

Hall las diesen Bericht mit einer umnebelten und ihm widerlichen Vorstellung, daß er ihn auf irgend eine Weise angehe. Wie in aller Welt ging es nur zu, daß diese Zeitungen in seine Post hineingeraten waren. Er erinnerte sich des Geschwätzes dieses törichten Engländers Mason, aber er sah keinerlei Verbindung darin, mochte sich auch nicht dahinein denken. Er warf die Zeitung in eine Ecke des Zimmers und öffnete la Presse vom 9. Februar. Sie enthielt eine kurze, unterstrichene Notiz über eine Schlägerei auf der Gare du Nord zwischen zwei wilden Engländern, – nichts weiter. Auch diese Zeitung warf Hall weg.

»Was war es denn?« fragte Madame d'Ora.

»Nichts. Ein paar alte Zeitungen, die durch einen Irrtum in meine Post hineingeraten sind. War da übrigens ein Umschlag mit Adresse?«

»Nein, sie lagen ganz lose.«

»Dann sind sie von irgend jemand in die Spalte der Tür gesteckt,« sagte Hall und grübelte einen Augenblick nach, bis es ihm wieder gleichgültig wurde. Madame d'Ora vertiefte sich in Le Figaro und lachte oder seufzte von Zeit zu Zeit, wenn da etwas aus dem lieben Paris war, was ihr zu Herzen ging.

»Ach ja!« sang sie schließlich und legte die Zeitung hin. Sie sah Hall an, der da saß und rauchte, nickte ihm zu:

»Edmund, hier ist es gut!«

Er blinzelte wohlgefällig und ließ die Augen sorglos umherschweifen. Plötzlich lauschte er, lauschte und sah sonderbar beklommen aus.

»Was sagst du, Edmund?«

»Die Fliegen! Hörst du, wie sie allwissend und roh hier drinnen summen – sieh die blaue Fliege dort, die sieht so sicher aus, sie fährt fort, in die Höhe zu fliegen und ein Zeichen zu beschreiben, als ob wir sie verstehen sollten. Weißt du, daß ich mich vor Fliegen fürchte? Wenn sie summen, kannst du dir da nicht eine erdrückende Hitze vorstellen und etwas, das süß und erstickend riecht – ein Federbett von verrotteter Süße über dir und ein Feuer … und sonst still, still … nur Fliegen …«

»Du schielst, Edmund,« rief Madame d'Ora und lachte. »Sprich doch nicht so unheimlich, ich fühle, daß ich ganz grün werde. Laß uns jetzt die Flasche leeren und fahren, du. Es war nett hier, aber nun wollen wir weiter.«

Halls Nasenlöcher bebten, er sah zu der Decke mit den feuchten Flecken hinauf und fuhr fort zu lauschen. Madame d'Ora weckte ihn aber, indem sie die Champagnergläser aneinanderstieß. Sie tranken aus.

»Was sollen wir mit all dem Essen machen, das wir nicht verzehrt haben?« fragte Madame d'Ora.

»Das lassen wir für die Katze stehen.«

»Für welche Katze?«

»Hier ist doch natürlich eine Katze im Hause,« sagte Edmund Hall. »Ich habe sie über Nacht gehört.«

Madame d'Ora schauderte und wurde ganz blaß. »Du bist schrecklich, Edmund,« sagte sie und ihre Zähne schlugen ein paar Mal zusammen. »Wie kannst du nur! Sich zu denken, daß man hier in der Finsternis sitzt und etwas hört – Ah!«

Heftig schlang sie die Arme um seinen Hals.

»Könntest du hier mit mir sterben?« fragte er lächelnd, aber es huschte ein Funke von sonderbarer Zerstörungslust durch seinen Blick.

Sie antwortete ihm mit ihrem tiefen, unschuldigen Liebeslachen.

Die Sonne schien so hell und klar, als sie hinauskamen und in den Wagen stiegen. Sie fuhren jetzt tiefer in das Land hinein und kamen zuletzt an die Küste an der andern Seite der Insel an einer unbesuchten Stelle. Hier wo der Atlantische Ozean seine langen, grünen und durchsichtigen Wellen an den Strand warf, blieben sie mehrere Stunden und schauten nach den Seglern aus, die weit da draußen jeder seine stille Bahn zogen. Das Gras an dem niedrigen Hang war so wunderbar frisch und ging bis hart an den Rand der See, und es stand voll von Frühlingsblumen. Es kamen keine Menschen, sie hatten das Gras für sich allein und den weiten Himmel und die See, die sang und ihre Wogen an das Ufer warf.

Hier waren sie an einem grünen Ufer zwischen Himmel und Meer, zwischen der täglichen Raumunendlichkeit des Himmels und seiner blauen Fülle und der wandernden Ruhe des Meeres. Ein leiser Lufthauch, ein Sonnenwind strichen über See und Land, die Liebkosung des sanften Tages. Die Ruhe unter dem Blau wurde von einem langen und anhaltenden Ton getragen.

Madame d'Ora summte und trällerte, bis sie eins wurde mit dem tiefen Himmel und der Unruhe des Meeres und der unsagbaren Milde des Tages. Den Blick auf die feinen Striche der Lämmerwölkchen gerichtet, die dort oben meilenhoch unter dem Himmel lagen, hörte Hall sie singen, immer herzlicher und milder, umhüllt von der Sonnenbrise und den schweren Stimmen des Meeres.

... Plötzlich wird sich Edmund Hall bewußt, daß er ›weg‹ gewesen ist. Er hat nicht geschlafen, aber er hat in einer Stimmung von Wolkenfernheit dagelegen, ist erstarrt, weil er Leontinens selbstvergessendem Singen gelauscht hat; er hat das Gefühl seines Körpers, ja sogar das seiner Nerven verloren. Als er aber zu den Sinnen zurückkehrt, hat er ein im selben Augenblick schwindendes Nachgefühl von der Unwirklichkeit aller Dinge, des Himmels, der Erde und seiner selbst, ein Gefühl, als sei er an einem andern Ort zu einer andern Zeit gewesen. Er sieht gleichsam den Schatten von etwas Schrecklichem, das während einer fernen Bewußtlosigkeit vor sich geht, er merkt, daß ein süßer und trübseliger Geruch in seiner Erinnerung zugegen gewesen, und daß ein Name an seine Ohren geklungen ist, fremd aber mit einer inneren Nähe, die ihm Todesangst ein flößt – Elly Johnson!


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