Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Das schwarze Gewitter zog also voll Sinai-Blitze in die dunkle Kammer hinaus – der Helfer schwenkte den wehenden Schlauch-Ärmel, wie eine ehrlich machende Fahne, über den aufs Bettuch hingestreckten Atheisten, wofür er ihn hielt – er säete den guten Samen so auf den Patienten, wie die Bauern in Swedieland den Rübensamen, den sie nämlich auf die Beete bloß speien – und sagte ihm in einer Krankenvermahnung (dem gewöhnlichen Gegenstück der Leichenpredigt), die mich und den Leser vielleicht auch einmal unter dem letzten Deckbette einholet, die ich also nicht von Baireuth nach Heidelberg zum Druck abschicke, da sie unterwegs in jeder Krankenstube zu hören ist, darin sagt' ers ihm, als ein gerader Mann, ins Gesicht, er sei ein Teufelsbraten und eben gar. Der gare Braten machte die Augen zu und hielt aus. Aber sein Heinrich, den es schmerzte, daß der Frühprediger die geliebten Ohren und das geliebte Herz mit glühenden Zangen zwickte, und den es ärgerte, daß ers nur tat, um den Kranken an den Beichtstuhl zu scheuchen, Heinrich fing den fliegenden Ärmel und erinnerte leise: »Ich hielt es für unhöflich, Hr. Frühprediger, es vorauszuschicken, daß der Kranke harthörig ist, und Sie zum Schreien anzufeuern – er hat bisher kein Wort vernommen – Hr. Siebenkäs, wer steht da? – Sehen Sie, so wenig hört er – Arbeiten Sie einmal mich bei einem Glas Bier um, das gefället mir eher, und ich hör' auch besser. Ich sorge, er hat jetzt Phantasien und hält Sie, wenn er Ihrer ansichtig wird, für den Teufel, weil Sterbende mit solchem den letzten Fechtergang zu machen haben. – Schade ists, daß er die Rede nicht vernommen; sie würde ihn, denn beichten will er nicht, recht herzlich geärgert haben, und hinlängliche Ärgernis frisiere nach dem 8ten Band von Hallers Physiologie Sterbenden oft das Leben auf Wochen. Eine Art wahrer Christ ist er aber doch, ob er gleich so wenig beichtete wie ein Apostel oder Kirchenvater; Sie sollen nach seinem seligen Hintritte von mir selber es hören, wie ruhig der rechte Christ verscheidet, ohne alle Verzuckungen und Verzerrungen und Todes-Ängsten; er ist ans Geistliche so gewöhnt wie die Schleiereule an die Kirchtürme; und so wie diese auf dem Glockenstuhl mitten unter dem Geläute sitzen bleibt: so bin ich Mann dafür, daß auch unser Advokat unter dem Anschlagen der Totenglocke gelassen verharren wird, weil er aus Ihren Frühpredigten die Überzeugung gewonnen, daß er nach dem Tode noch fortlebt.« – Es war freilich einiger harter Scherz über Firmians Schein-Sterben und Unsterblichkeit-Glauben in der Rede; ein Scherz, den nur ein Firmian zugleich verstehen und verzeihen konnte; aber Leibgeber wollte auch ernsthaft die Leute anfallen, welche zufällige Körperstille des Sterbenden für geistige nehmen und Körpersturm für Gewissensturm.

Reuel versetzte nichts als: »Sie sitzen, wo die Spötter sitzen, der Herr wird sie finden – meine Hände hab' ich gewaschen.« Da er sie aber noch lieber gefüllet hätte, und da er doch das Teufelskind in kein Beichtkind umsetzen konnte: so ging er rot und stumm davon, demütig von Lenette und Stiefel unter fortdauernden Verbeugungen hinabgeführt.

Man mache die Gallenblase des guten Heinrichs, die seine Schwimmblase und leider oft seine aufsteigende hysterische Kugel ist, nicht größer als sie ist; sondern man richte über diesen Naturfehler darum gelinder, weil Heinrich schon an so vielen Sterbebetten solche geistliche frères terribles, solche Galgenpatres stehen sehen, die auf das sieche, welke Herz noch Salz ausstreueten, und weil er mit mir glaubte, daß der Religion unter allen Stunden des Menschen seine letzte die gleichgültigste sein müßte, da sie die unfruchtbarste ist und kein Same in ihr aufgeht, welcher Taten treibt. – –

Während der kleinen Entfernung des höflichen Paars sagte Firmian: »Ich bins satt, satt, satt – ich mache nun keinen Spaß mehr – in zehn Minuten sag' ich meine letzte Lüge und sterbe, und wollte Gott, es wäre keine. Lasse kein Licht hereinsetzen und hülle mich sogleich unter die Maske, denn ich seh' es schon voraus, ich werde meine Augen nicht beherrschen können, und unter der Larve kann ich sie doch weinen lassen, wie sie wollen – o du mein Heinrich, mein Guter!« Das infusorische Chaos in Reuels Ermahnung hatte doch den müden Figuranten und Mimiker des Todes ernst und weich gemacht. Heinrich nahm – aus feiner, liebender Sorge – ihm alle Lügenrollen willig ab und machte sie selber; und rief daher ängstlich und laut, als das Paar in die Stube trat: »Firmian, wie ist dir?« – »Besser«, sagte dieser, aber mit einer gerührten Stimme, »- in der Erdennacht glimmen Sterne an, ach ich bin an den Schmutz geknüpft, und ich kann nicht hinauf zu ihnen – o das Ufer des schönen Frühlings ist steil, und wir schwimmen auf dem Toten Meer des Lebens so nahe am Ufer, aber die Eintagfliege hat noch keine Flügel.« – Der Tod, diese erhabene Abendröte unsers Thomastages, dieses herübergesprochene große Amen unserer Hoffnung, würde sich wie ein schöner, bekränzter Riese vor unser tiefes Lager stellen und uns allmächtig in den Äther heben und darin wiegen, würden nicht in seine gigantischen Arme nur zerbrochene, betäubte Menschen geworfen; nur die Krankheit nimmt dem Sterben seinen Glanz, und die mit Blut und Tränen und Schollen beschwerten und befleckten Schwingen des aufsteigenden Geistes hangen zerbrochen auf den Boden nieder; aber dann ist der Tod ein Flug und kein Sturz, wenn der Held sich nur in eine einzige tötliche Wunde zu stürzen braucht; wenn der Mensch wie eine Frühlingwelt voll neuer Blüten und alter Früchte dasteht, und die zweite Welt plötzlich wie ein Komet nahe vor ihm vorübergeht und die kleine Welt unverwelkt mitnimmt und mit ihr über die Sonne fliegt. – –

Aber gerade jenes Erheben Firmians würde in schärfern Augen, als Stiefel hatte, ein Zeichen des Erstarkens und Genesens gewesen sein: nur vor dem Zuschauer, nicht vor dem Niedergebrochnen wirft die Streitaxt des Todes einen Glanz; es ist mit der Totenglocke wie mit andern Glocken, deren erhebendes Brausen und Tönen nur der Entfernte, und nicht der vernimmt, der selber in der summenden Halbkugel steht.

Da in der Sterbenstunde jede Brust aufrichtiger und durchsichtiger wird, wie der siberische Glasapfel in der Zeit der Reife nur eine gläserne Hülse, ein durchsichtiges süßes Fleisch über seine Kerne deckt: so wäre Firmian in jener dithyrambischen Stunde, so nahe an der blanken Schneide der Todessichel, imstande gewesen, alle Mysterien und Blüten seiner Zukunft aufzuopfern, d. h. aufzudecken, hätt' es nicht sein Wort und seinen Freund zugleich verletzt; – aber jetzo blieb ihm nichts gelassen als ein duldendes Herz, eine stumme Lippe und weinende Augen.

Ach, war denn nicht jeder scheinbare Abschied ein wahrer; und als er seinen Heinrich und den Schulrat mit zitternden Händen auf sein Herz herunterzog, wurde denn nicht das letzte von der traurigen Gewißheit gedrückt, daß er den Rat morgen und Heinrich in einer Woche auf ewig einbüße? Daher war folgende Anrede bloße Wahrheit, aber eine trübe: »Ach, wir werden auseinandergetrieben in kurzer Zeit – O, die menschlichen Arme sind morsche Bande und reißen so bald! – Nur geh' es euch recht wohl und besser, als ich es je verdiente: der chaotische Steinhaufe euerer Lebenstage rolle euch nie unter die Füße und nie auf den Kopf, und die Felsen und Klippen um euch überziehe ein Frühling mit Grün und Beeren! – Gute Nacht auf ewig, geliebter Rat! – und du, mein Heinrich«... Diesen riß er an seinen Mund und schwieg im Kuß und dachte an die Nähe der wahren Scheidung.

Aber er hätte durch diese Stacheln des Abschieds seinem Herzen keinen solchen fieberhaften Reiz erteilen sollen – er hörte seine verdeckte Lenette hinter seinem Bette weinen und sagte mit einem weiten Todesriß im gefüllten Herzen: »komm, meine teure Lenette, komm zum Abschied!« und breitete wild die Arme nach der unsichtbaren Geliebten aus – Sie wankte hervor und sank hinein bis an sein Herz – und er blieb stumm unter zermalmenden Gefühlen – und endlich sagte er leise zur Bebenden: »Du Geduldige, du Getreue, du Geplagte! wie oft hab' ich dir wehgetan! O Gott, wie oft! Wirst du mir vergeben? Willst du mich vergessen?« (Ein Krampf des Schmerzens drängte die Erschütterte fester an ihn.) »Ja, ja, vergiß mich nur ganz; denn du warst ja nicht glücklich bei mir«... Die schluchzenden Herzen erstickten die Stimme, und nur die Tränen konnten strömen – ein durstiger, saugender Schmerz schwoll auf dem ermattenden, ausgeleerten Herzen, und er widerholte: »Nein, nein, bei mir hattest du wahrlich nichts, nichts, nur Tränen – aber das Schicksal wird dich beglücken, wenn ich dich verlassen habe.« Er gab ihr den letzten Kuß und sagte: »Lebe nun froh und lasse mich ziehen!« – Sie wiederholte unter tausend Tränen: »Du wirst ja gewiß nicht sterben.« Aber er drängte und hob die Zusammenfallende von seinem Herzen weg und rief feierlich: »Es ist vorüber – das Schicksal hat uns geschieden – es ist vorüber.« – Heinrich zog die Weinende sanft hinweg und weinte selber und verwünschte seinen Plan und winkte den Schulrat nach und sagte: »Firmian will jetzt ruhen!« Dieser kehrte sein schwellendes, von Qualen zerstochenes Angesicht ab gegen die Wand. Lenette und der Rat trauerten zusammen in der Stube – Heinrich wartete das Zusammensinken der hohen Wogen ab – dann fragt' er ihn leise: »Jetzt?« Firmian gab das Zeichen, und sein Heinrich schrie sinnlos: »o, er ist gestorben!- und warf sich mit wahren heißen Tränen, die wie Blut aus dem nahen, blutigen Risse stürzten, über den Unbeweglichen, um ihn gegen jede Untersuchung zu bedecken. Ein trostloses Paar stürzte aus der Stube ans zweite – Lenette wollte über den abgekehrten Gatten fallen und rief schmerzlich: »Ich muß ihn sehen, ich muß noch einmal Abschied nehmen von meinem Mann.« Aber Heinrich befahl, vertrauend, dem Rate, die Trostlose zu halten und hinauszubringen. Das erste war er imstande – wiewohl seine eigne Fassung nur eine erkünstelte war, die den Sieg der Religion über die Philosophie erweisen sollte –, aber er vermochte sie nicht hinauszuziehen, da sie sah, daß Heinrich die Todesmaske ergriff: »Nein«, rief sie zornig, »ich werde doch meinen Mann noch einmal sehen dürfen.« Heinrich hielt die Larve empor, drehte sanft Firmians Gesicht herum, auf dem noch die halb vermischten Tränen des Abschieds standen, und deckt' es mit ihr zu und trennte es durch sie auf ewig von dem weinenden Auge der Gattin. Der große Auftritt hob sein Herz, und er starrete die Maske an und sagte: »Eine solche Maske legt der Tod über alle unsere Gesichter – So strecke ich mich auch einmal im Mitternachtschlaf des Todes aus und werde verlängert und falle mehr ins Gewicht. – Du armer Firmian, war denn deine Lebens-Partie à la guerre der Lichter und der Mühe wert? Zwar wir sind nicht die Spieler, sondern die Spielsachen, und unsern Kopf und unser Herz stößet der alte Tod als einen Ball über die grünende Billardtafel in den Leichensack hinunter, und es klingelt mit der Totenglocke, wenn einer von uns gemacht wird. Du lebst zwar in einem gewissen Sinne noch fortLeibgeber meinet zugleich das zweite Leben, das er nicht glaubt, und Firmians Fortsetzung des ersten in Vaduz. – wenn anders das Freskogemälde aus Ideen ohne Schaden von dem zerfallenden Körper-GemäuerIn Italien nimmt man große Freskogemälde unbeschädigt von der Mauer ab. abzunehmen ist –, o es möge dir da in deinem Postskript-Leben besser ergehen – Was ists aber? Es wird auch aus – jedes Leben, auf jeder Weltkugel, brennet einmal aus – die Planeten alle haben nur Kruggerechtigkeit und können niemand beherbergen, sondern schenken uns einmal ein, Quittenwein – Johannisbeersaft – gebrannte Wasser – meistens aber Gurgelwasser von Labewein, das man nicht hinunterbringt, oder gar sympathetische Dinte (d.i. liquor probatorius), Schlaftränke und Beizen – dann ziehet man weiter, von einer Planeten-Schenke in die andere, und reiset so aus einem Jahrtausend ins andere – o du guter Gott, wohin denn, wohin, wohin? – Inzwischen war doch die Erde der elendeste Krug, wo meistens Bettelgesindel, Spitzbuben und Deserteure einkehren, und wo man die besten Freuden nur fünf Schritte davon, entweder im Gedächtnis oder in der Phantasie genießen kann, und wo man, wenn man diese Rosen wie andere anbeißet, statt anzuriechen und statt des Dufts das Blättermus verschluckt, wo man nichts davon hat als sedesRosenblätter wirken im Magen wie Sennesblätter. .... O es gehe dir, du Ruhiger, in andern Tavernen besser, als es dir gegangen ist, und irgendein Restaurateur des Lebens mache dir ein Weinhaus auf statt des vorigen Weinessighauses!« –


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