Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Drittes Kapitel

Flitterwochen Lenettens – Bücherbräuerei – der Schulrat Stiefel – Mr. Everard – Vor-Kirmes – die rote Kuh – Michaelis-Messe – the Beggars' Opera – Versuchung des Teufels in der Wüste oder das Männchen von Ton – Herbstfreuden – neuer Irrgarten

Die Welt konnte sich nicht stärker verrechnen, als daß sie erwartete, am Montage unsern allgemeinen Helden im Trauerwagen und Leichenmantel und mit Trauermanschetten und angelaufenen Schuhschnallen als Leidtragenden über die Scheinleiche seines Glücks und Kapitals anzutreffen.

Himmel! Wie kann aber die Welt in solchem Grade fehlschießen? Der Advokat war nicht einmal in Viertels-Trauer, geschweige in halber, sondern so aufgeräumt, als hab' er selber dieses dritte Kapitel vor sich und fang' es grade so an wie ich hier.

Der Grund war: er faßte eine gute Klage gegen seinen Vormund Blaise ab, stattete sie mit mehren satirischen Zügen aus, die bloß er selber verstand, und reichte sie bei der Erbschaftkammer ein. Nur etwas in der Not getan, so ists schon etwas. Das Glück schicke uns eine noch so unfreundliche frostige Herbstluft auf den Hals – zerbricht es uns nur nicht wie Schwänen das oberste Flügelgelenk: so wird uns allemal das Geflatter, das wir damit machen, wo nicht in ein wärmeres Klima tragen, doch ein wenig selber in Wärme bringen. – Der Frau verbarg Firmian Siebenkäs aus Gründen der Liebe den Aufschub der Erbschaft wie den verjährten Tausch-Handel mit seinem Namen: er vertrauete darauf, daß eine eingehegte Advokatenfrau niemals einem vornehmen Patrizier in die häusliche Karte werde schauen können.

Was konnte überhaupt einem Menschen viel fehlen, der aus seiner stillen Woche eines Einsiedlers auf einmal in die Flitterwochen eines Zweisiedlers gefahren war? Jetzo erst faßte er seine Lenette recht in zwei Arme – vorher hatt' er immer seinen im Leben ab- und zuflatternden Freund fest mit der Linken an sich gehalten –, und sie konnte sich nun in seinen Herzkammern viel bequemer ausbreiten. Und die scheue Frau tat es wohl, soweit sie wagte; sie bekannte ihm, obwohl furchtsam, es sei ihr fast lieb, daß der unbändige Saufinder nicht mehr unter dem Tische liege und greulich vorgucke; ob sie aber nicht über den wilden Herrn desselben das nämliche gedacht, wäre nie von der gehorsamen Gattin herauszubringen gewesen. Sie erschien dem Advokaten ordentlich als eine Tochter; und der kleinen Eigenheiten konnte sie dem hoch erwachsenen Vater gar nicht genug haben.

– Daß sie ihm, wenn er ausging, so lange nachsah, als die Gasse lang war, dies war noch nicht das Halbe gegen das Nachlaufen mit der Bürste bis über die Haustüre hinaus, wenn sie oben von hinten an seinem Schanzlooper unten solche Straßenpflaster anklebend angetroffen, daß sie ihn durchaus wieder ins Haus zurück ziehen und darin den Rocksaum so sauber abbürsten mußte, als zolle man in Kuhschnappel das Pflastergeld wirklich für ein Pflaster. Er hielt der Bürste still und küßte sodann und sagte: »An der Innenseite sitzt wohl noch allerhand, aber keine Seele siehts, und komme ich wieder, so kratzen und schaben wirs droben miteinander heraus.«

Seiner Erwartung und Foderung wurde es ordentlich zu viel – aber seiner Wiederliebe nicht –, daß sie jeden Wunsch und Wink nicht bloß jungfräulich erhörte, sondern auch töchterlich befolgte und bediente. »Ratskopisten-Tochter«, sagte er, »sei mir nur nicht gar zu gehorsam; ich bin ja nicht dein Vater, ein Ratskopist, sondern nur ein Armenadvokat und habe dich geehlicht und schreibe mich Siebenkäs meines Dafürhaltens.« – »Auch mein sel. Vater«, versetzte sie, »hat wohl selber manche Sachen im stillen mit seiner eigenen Hand konzipiert und solche nachher ordentlich und sauber mundiert«; aber diese seltsame Kreuz- und Querantwort gefiel doch dem Advokaten sehr wohl; und wenn sie vor lauter Verehrung seiner nicht einen einzigen Spaß verstand, den er über sich selber machte – es sei nun, daß sie seinem ironischen Selbererniedrigen widersprach, oder dem ironischen Selbererhöhen ganz beifiel –: so schmeckten dem Advokaten diese geistigen Provinzialismen seiner Gattin nicht schlecht. Sie konnte ohne Bedenken sagen: fleuch, reuch, kreuch, anstatt fliehe, rieche, krieche; diese religiösen Altertümer aus Luthers Bibel waren recht brauchbare Beiträge zum Idiotikon ihrer Empfindungen und seiner Honigwochen. – Als er einmal eine sehr artige Haube, die sie voll Vergnügen den drei von ihr zuweilen leicht geküßten Haubenköpfen nacheinander aufprobiert hatte, auf ihr eigenes Köpfchen vor dem Spiegel mit den Worten stülpte und zog: »Setz auf und sieh hinein, dein Kopf ist vielleicht so gut als einer von Holz«, so lächelte sie ungemein vergnügt und sagte: »Du willst unsereins nur immerdar flattieren.« Man glaub' es mir, dieses naive Unverstehen rührte ihn so, daß er sich zuschwur, solche Scherze nirgends mehr vorzubringen als nur in sich und bei sich. Aber was ist dies gegen eine höhere Flitterwochenfreude? Diese war, daß seine Lenette ihm am nächsten Bußtage durchaus nicht erlaubte, sie zu küssen, als sie ihn mit ihrer Weiß- und Rot-Blüte der Jugend in den schwarzen Kopfmanschetten oder Spitzen und aus dem dunkeln Kleiderlaube dreifach verschönert anblickte: – »Dergleichen weltliche Gedanken«, sagte sie, »schicken sich vor der Kirche gar nicht, wenn man schon seine Bußkleider anhat, sondern man wartet.« – »So will ich – sagt' er zu sich – doch wie eine Nordwest-AmerikanerinAn der Küste des nordwestlichen Amerika vom 50. bis 60. Grad nördlicher Breite tragen die Weiber in der durchlöcherten Unterlippe hölzerne Suppenlöffel, und zwar desto größere, je vornehmer sie sind; bei einer Frau war der Löffel 5 Zoll lang und 3 Zoll breit. Langsdorfs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt, Bd. 2. einen Suppenlöffel fünf Zoll lang und drei Zoll breit durch meine Unterlippe stecken und ihn herumtragen, wenn ich je wieder bei der andächtigen Seele auf Löffeln und Küssen falle, wann sie schwarz angezogen ist und die Glocken lauten.« – Und er hielt, obgleich selber kein sonderlicher Kirchengänger, ihr und sich Wort. So sind wir Männer aber in der Ehe, ihr Bräute!

Daraus werdet ihr nun leicht erraten, wie selig vollends der Advokat in seinen Honigwochen wurde, als Lenette gar das, was er sonst selber, und zwar recht erbärmlich und verdrüßlich tat, für ihn auf das schönste besorgte und durch unverdroßne Feg- und Bürst-Arbeit seine dithyrambische Karthause so sauber, grade und glatt herstellte wie eine Billardtafel; ganze Honigbäume voll Fladen pflanzte sie in seine Honigwochen, wenn sie so am Morgen wie eine fleißige Biene um ihn herumsumsete und wenn sie im kleinen Bienenkörbchen – er selber prozessierte ruhig in seinen Akten weiter und bauete am juristischen Wespenneste – Wachs eintrug, Zellen bauete, Zellen säuberte, fremde Körper auswarf und Ritzen zuklebte, und wenn er dann auf einmal aus seinem Wespenneste einen zufälligen Blick auf die niedliche Gestalt im nettesten Hauskleidchen warf. Wie oft legte er nicht die Feder in den Mund und hielt ihr über das Dintenfaß die aufgemachte Hand hin und sagte hinter der Feder: »Gedulde dich doch ums Himmels willen nur bis nachmittags, wo du sitzest und nähst: so sollst du ja belohnt und geküßt werden hinlänglich, wenn ich auf- und abspaziere.«

Damit aber keine Leserin sich in Angst setze über Versäuerung solcher Honigwochen durch den enterbenden Spitzbuben Blaise: so frag' ich jede bloß dies: hatte der Advokat nicht eine Silberhütte und ein Pochwerk von sieben gangbaren Prozessen, die voll lauter Silberadern waren? – Hatt' ihm nicht sein guter Leibgeber auf vier Glückrädern einen Regiment-Geldwagen nachgefahren, auf welchem aufgeladen waren zwei Brillentaler von Julius Herzog zu Braunschweig, ein gräflichreußischer Dreifaltigkeit-Taler von 1679, ein Schwanz- oder Zopfdukaten, ein Mücken- oder Wespentaler, fünf Vikariatdukaten und eine Menge Ephraimiten? Denn er durfte ohne Bedenken dieses Münzkabinett verkalken und verflüchtigen, da es sein Freund nur aus Spott gegen die, die mit 100 Talern einen kaufen, in seinen Taschen angelegt hatte. Beide lebten überhaupt in einer Gütergemeinschaft des Körpers und Geistes, die wenige fassen; sie waren so edel geworden, daß zwischen dem Nehmer und Geber einer Gefälligkeit kein Unterschied mehr blieb, und sie schritten über die Klüfte des Lebens aneinandergeknüpft, wie die Kristallsucher auf den Alpen sich gegen den Sturz in Eisspalten durch Aneinanderbinden decken.

Gleichwohl kam er an einem Marientage gegen Abend auf einen Gedanken, welcher alle geängstigten Leserinnen seiner Geschichte ganz aufrichten wird und der ihn selber seliger machte als der größte Brotkorb mit Fruchtkörbchen oder als ein Korb Wein. Er wußte aber schon voraus, daß er den Gedanken haben würde; im Elend sagt' er allemal: Es soll mich wundern, was für ein Hülfmittel ich da wieder ausspannen werde; denn verfallen werd' ich so gewiß auf eines, als ich vier Gehirnkammern beherberge.« – Der beglückende Gedanke, wovon ich rede, war, das zu machen, was ich hier mache – ein Buch, obwohl ein satirischesDas Buch kam 1789 in der Beckmannschen Buchhandlung in Gera unter dem Titel: »Auswahl aus den Papieren des Teufels« heraus. Ich werde weiter hinten meine Meinung über jene Satiren zu äußern wagen. Hier fuhr aus den aufgezognen Schleusen des Herzens ein reißender Strom von Blut unter das Räder- und Mühlenwerk seiner Ideen hinein, und die ganze geistige Maschine klapperte, rauschte, stäubte und klingelte – es waren schon einige Metzen gemahlen fürs Werk. Ich kenne keinen größern geistigen Tumult – kaum einen süßern – in einem jungen Menschen, als wenn er in der Stube auf- und abgeht und den kühnen Entschluß fasset, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manuskript daraus zu machen – ja man kann darüber disputieren, ob der Konrektor Winckelmann und der Feldherr Hannibal hurtiger die Stube auf- und abliefen, als beide des ebenso kühnen Sinnes wurden, nach Rom zu gehen. Siebenkäs mußte, da er eine Auswahl aus des Teufels Papieren zu schreiben beschlossen, zum Hause hinaus und dreimal um den Marktflecken laufen, um die rollenden beweglichen Ideen durch müde Beine wieder fester in die rechten Fugen einzuschütteln. Er kam, müde vom innern Verglühen, zurück – sah nach, ob genug weißes Papier zu Manuskripten da sei – und lief auf seine ruhige Haubensteckerin zu und küßte sie so schnell, daß sie kaum die Stecknadel aus den Lippen – den letzten Dorn an diesen Rosen – ziehen konnte. Unter dem Kusse befestigte sie, hinunterschielend, ganz ruhig mit der Nadel ein Band an einem Haubenflügel. »Freu dich doch«, sagt' er, »tanze mit mir herum – ich schreibe morgen ein Opus, ein Buch. – Brat nur heute abends den Kalbskopf, ob es gleich wider unsere 12 Eß-Gesetztafeln läuft.« Er und sie hatten sich nämlich sogleich am Mittwoch als eine Speise-Gesetz-Kommission niedergesetzt; und es war unter den 39 Artikeln einer sparenden Tisch-Ordnung auch dieser durchgegangen und dekretiert, daß sie sich abends wie Brahminen ohne Fleisch behelfen wollten, ganz schlecht und nur mit Fleisches-Wertem. Er hatte aber die größte Mühe, bis er seiner Lenette beibrachte, daß er schon mit einem Bogen von der Auswahl aus des Teufels Papieren den Kalbskopf wieder zu erschreiben verhoffen dürfe und daß er nicht ohne Grund sich selber einen Fasten-Erlaß erteile; denn Lenette dachte wie der gemeine Mann oder wie der Nachdrucker, ein geschriebenes Buch werde wie ein gedrucktes bezahlt, und dem Setzer gehöre fast mehr als dem Schreiber. Sie hatte in ihrem Leben noch nichts von dem ungeheuren Ehrensold vernommen, welchen deutsche Autoren gegenwärtig ziehen; sie war wie Racinens Frau, die nicht wußte, was ein Vers oder ein Trauerspiel ist, und die gleichwohl damit die Haushaltung bestritt. Ich meines Orts würde aber keine an den Altar und in das Hochzeithaus führen, die nicht wenigstens einen Perioden in meinen Werken, über welchem mich der Tod mit seiner Sanduhr erworfen, unter meiner Firma recht gut hinauszuschreiben wüßte oder die es nicht unbeschreiblich freuen könnte, wenn ich ihr gelehrte Göttingische Anzeigen oder Allgemeine Deutsche Bibliotheken vorläse, die mich, wenn auch übertrieben, loben.


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