Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Diese Stummheit verhärtete endlich den armen Advokaten so sehr, daß er sie auch bekam. Er ahmte die Frau, wie ein Vater die Kinder, nach, um sie zu bessern. Sein satirischer Humor sah oft der satirischen Bosheit ähnlich; aber er hatte ihn nur, um sich gelassen und kalt zu erhalten. Wenn Kammerzofen ihn unter seiner schriftstellerischen Siederei und Brauerei gänzlich dadurch störten, daß sie mit Beihülfe Lenettens seine Stube zu einer Heroldkanzlei und Rednerbühne erhoben: so zog er wenigstens seine Frau vom Rednerstuhl herab, indem er – das hatt' er vorher mit ihr ausgemacht – dreimal mit dem vergoldeten Vogelzepter auf sein Schreibpult schlug – so nimmt ein Zepter leicht der Schwester Rednerin die Preßfreiheit. – Ja er war imstande, wenn er oft vor diesen aufgezognen redenden Cicerosköpfen saß, ohne einen Gedanken oder eine Zeile herauszubringen, und wenn er weniger seinen eignen Schaden als den andern so unzählig vieler Menschen vom höchsten Verstand und Stand beherzigte, die durch diese Sprechkundigen und tausend Ideen kamen, er war dann imstande, sag' ich, einen entsetzlichen Schlag mit dem Zepter, mit dem Lineal auf den Tisch zu tun, wie man auf einen Teich appliziert, um das Quaken der Frösche zu stillen. Besonders kränkte ihn der Raub am meisten, der an der Nachwelt begangen wurde, wenn durch solches verfliegendes Geschwätz sein Buch geringhaltiger auf sie gelangte. Es ist schön, daß alle Schriftsteller, sogar die, welche die Unsterblichkeit ihrer Seele leugnen, doch die ihres Namens selten anzufechten wagen; und wie Cicero versicherte, er würde ein zweites Leben glauben, sogar wenn es keines gäbe: so wollen sie im Glauben an das zweite ewige Leben ihres Namens bleiben, täten auch die Rezensenten das Gegenteil entschieden dar.

Siebenkäs macht' es jetzo seiner Frau bekannt, daß er nichts mehr sprechen werde, nicht einmal vom Notwendigsten: und das bloß deshalb, um nicht durch lange zornige Reden über Reden, Waschen etc. sich im Schreiben zu stören und zu erkalten oder gegen sie sich zu erhitzen. Dieselbe gleichgültige Sache kann in zehn verschiedenen Tönen und Mißtönen gesagt werden; um also der Frau die Unwissenheit und Neugierde des Tons, womit etwas gesagt werden konnte, zu lassen, sagt' er ihr, er werde nun nicht anders mit ihr sprechen als schriftlich.

Ich bin schon hier mit der besten Erörterung bei der Hand.

Der ernstschwere, bedachtsam Buchbinder ärgerte sich nämlich das ganze Kirchenjahr über niemand so sehr als über seinen Schliffel, wie er sich ausdrückte, über seinen luftigen Sohn, der die besten Bücher besser las als band, der sie schief und schmal beschnitt, und der dadurch, daß er die Buchbinderpresse zu einer Buchdruckerpresse einschraubte, das nasse Werk zugleich verdoppelte und verdünnte. Dies konnte nun der Vater nicht ansehen: er erboste sich so, daß er zu dem Teufels-Reichs-Kinde kein Wort mehr sagen wollte. Seine Prachtgesetze und güldnen Regeln, die er dem Sohne über Einbände zuzufertigen hatte, diese gab er seiner Frau als Reichspostreiterin mit, die (mit der Nadel als Botenspieß) aus der fernsten Ecke aufstand und die Befehle dem Sohne, der nicht weit vom Vater planierte, überbrachte. Dem Sohn, der seine Antworten und Fragen wieder der Eilbotenfrau miteinhändigte, war ganz wohl bei der Sache zu Mute: der Vater konnte weniger keifen. Dieser bekam es weg und wollte nichts mehr mündlich verhandeln. Er suchte zwar seine Empfindung gegen den Sohn durch Mienenspiele auszudrücken und beschoß, wie ein Verliebter, diesen, der ihm gegenüber saß, mit warmen Blicken; aber ein Auge voll Blicke ist, ob wir gleich nicht bloß Gaumen-, Zahn- und Zungen-, sondern auch Augenbuchstaben haben, immer ein verwirrter Schriftkasten voll Perlschrift. Allein da zum Glücke die Schrift- und Posterfindung einem Menschen, der auf einer nördlichen Eisscholle den Nordpol umfährt, Mittel an die Hand gibt, mit einem, der auf einem Palmbaum unter Papageien in der heißen Zone sitzt, zu kommunizieren: so fanden hier Vater und Sohn, wenn sie, voneinander getrennt, sich am Arbeittisch gegenüber saßen, in der Erfindung des Schreib- und Postwesens Mittel, sich ihre Entfernung durch einen Briefwechsel, worein sie sich miteinander über den Tisch weg einließen, zu versüßen und zu erleichtern; wie wichtigsten Geschäftbriefe wurden unversiegelt aber sicher – da zwei Finger bei dieser Pennypost das Felleisen und Postschiff waren – hin- und hergeschoben: der Brief- und Kurierwechsel ging auf so glatten Wegen und bei so guter poste aux ânes zwischen beiden stummen Mächten häufig und ungehindert, und der Vater konnte bei so freier Mitteilung leicht in einer Minute auf die wichtigsten Berichte schon Antwort haben von seinem Korrespondenten; ja sie waren so wenig getrennt, als wohnten sie Haus bei Haus aneinander. Sollte ein Reisender etwan noch vor mir nach Kuhschnappel kommen: so bitt' ich ihn, die zwei Tisch-Ecken, wovon das eine das Intelligenzkontor des andern war, sich abzusägen und die beiden Büros einzustecken und in irgendeiner großen Stadt und Gesellschaft den Neugierigen vorzuzeigen, oder mir in Hof. – –

Siebenkäs tats halb nach. Er schnitt kleine Dekretalbriefe zurecht und voraus für die nötigsten Fälle. Tat Lenette eine unvorhergesehene Frage an ihn, worauf seine Brieftasche noch keine Antwort enthielt, so schrieb er drei Zeilen und langte das Reskript über den Tisch hin. Allerhöchste Handbillets oder Ratsverordnungen, die täglich wiederholt werden mußten, ließ er sich abends durch ein stehendes Requisitorialschreiben zur Ersparung des Briefpapiers wiedergeben, um den andern Tag den schriftlichen Bescheid nicht von neuem zu schreiben: er langte das Abschnitzel bloß hin. Was sagte aber Lenette dazu? –

Ich werde besser antworten, wenn ich vorher nachfolgendes erzähle: ein einzigesmal sprach er in dieser Stummenanstalt, als er aus einer irdenen Schüssel, in der außer eingebranntem Blumenwerk auch poetisches war, Krautsalat speisete. Er hob mit der Gabel den Salat weg, der das kleine Rand-Karmen überdeckte, das hieß: Fried' ernährt, Unfried' verzehrt. Sooft er eine Gabel voll weghob, so konnt' er einen oder etliche Füße dieses didaktischen Gedichtes weiter lesen, und er tats laut. – »Was sagte nun Lenette dazu?« – fragten wir oben; kein Wort, sag ich, sie ließ durch sein Schweigen und Zürnen sich ihres nicht nehmen, denn er schien ihr zuletzt zur Bosheit sich zu verstecken und da wollte sie auch nicht weit zurückbleiben. – In der Tat ging er täglich weiter und schob ganz neue zerbrochne Gesetztäfelchen über seinen Tisch bis zur Ecke oder trug sie auf ihren. Ich nenne nicht alle, sondern nur einige, z. B. das Kartaunenpapierchen des Inhalts (denn er erfand sich zu Liebe immer neue Überschriften): »Stopfe der langen Näh-Bestie den überlaufenden Mund, die da sieht, daß ich schreibe, oder ich fasse sie bei der Kehle, womit sie mir so zusetzt« – das Amtblättchen: »Wasche mir ein wenig unreines Wasser ab, ich will meine Waschbärpfoten von Dinte rein machen.« – Das Hirtenbriefchen: »Ich wünsche jetzo wohl in einer oder der andern Ruhe den Epiktet über das Ertragen aller Menschen flüchtig durchzugehen; stör mich folglich nicht« – Der Nadelbrief: »Ich sitze eben über einer der schwersten und bittersten Satiren gegen die WeiberTeufels-Papiere S. 427. Unter der Einkleidung: »Gutgemeinte Biographie einer neuen, angenehmen Frau von bloßem Holz, die ich erfunden und geheiratet.« Auf die starke Säuere dieser Satire mag wohl Lenette mit ihren Sonnenstichen zeitigend eingewirkt haben. ; führe die schreiende Buchbinderin hinunter zur Friseurin und sprecht da zusammen aufgeweckt« – Marter-Bank-Zettel, auch Marter-Bank-Folium: »Ich habe heute vormittags vieles mögliche ausgehalten und habe mich durchgerungen durch Besen und Flederwische und durch Haubenköpfe und durch Zungenköpfe: könnt' ich nicht so etwa gegen Abend die hier vorliegenden peinlichen Akten ein Stündchen lang ungepeinigt und friedlich zur Einsicht durchlaufen?« – – Es wird mich niemand bereden, daß er diesen Besuchkarten, die er bei mir abgab, ihr Stechendes und Nadelbriefliches sehr dadurch benahm, daß er zuweilen Schrift in Sprache umsetzte, und wenn andere da waren, mit diesen über Ähnliches mündlich scherzte. So sagte er einmal zum Haarkräusler Merbitzer in Lenettens Gegenwart: »Monsieur Merbitzer, es ist unglaublich, was mein Haushalten jährlich frißt; meine Frau, wie sie da steht, allein verzehrt jedes Jahr zehn Zentner Nahrung und – (als sie und der Friseur die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen) ich desfalls.« Freilich wies er Merbitzern in Schlözern gedruckt auf, daß jeder Mensch jährlich so viel Nahrung verbrauche; aber wer hielt es in der Stube für möglich?

Grollen oder Schmollen ist eine geistige Starrsucht, worin, wie in der körperlichen, jedes Glied in der steifen Haltung verharrt, wo es der Anfall ergriff, und die geistige hat auch dies mit der leiblichen gemein, daß sie öfter Weiber als Männer befälltTissot von den Nervenkrankheiten. . Nach allem diesem konnte Siebenkäs gerade durch den scheinbar-boshaften Scherz, womit er sich selber bloß gelaßner erhalten wollte, nur das Erstarren der Gattin verdoppeln; und doch wäre manches hingegangen, hätte sie nur in jeder Woche einmal den Pelzstiefel gesehen, und hätten nicht die Nahrungsorgen, die alles Zinngeschirr der Vogelstange aufzehrten und einschmelzten, in ihrem unglücklichen Herzen gleichsam den letzten frohen warmen Bluttropfen zersetzt und aufgetrocknet! – Die Leidtragende! Aber so gabs keine Hülfe für sie – und für den, den sie verkannte! –

Armut ist die einzige Last, die schwerer wird, je mehre Geliebte daran tragen. Firmian, wenn er allein gewesen wäre, hätte auf diese Lücken und Löcher unserer Lebenstraße kaum hingegeben, da das Schicksal schon alle 30 Schritte ein Häufchen Steine zum Ausfüllen der Löcher hingestellt. Und in dem größten Sturm stand ihm immer außer der herrlichsten Philosophie noch ein Seehafen oder eine Täucherglocke offen, seine – Dutzenduhr, nämlich deren Kaufschilling. Aber die Frau – und ihre Trauermusiken und Kyrie Eleison – und 1000 andere Dinge – und Leibgebers unbegreifliches Verstummen – und sein wachsendes Erkranken, alles das machte aus seiner Lebenluft durch so viele Verunreinigungen einen schwülen entnervenden Schirokkowind, der im Menschen einen trocknen, heißen, kranken Durst entzündet, gegen den er oft das, was der Soldat gegen den physischen zum Löschen und Kühlen in den Mund legt, in die Brust nimmt, kaltes Blei und Schießpulver. – –

Ab 11ten Februar suchte sich Firmian zu helfen.

Am 11ten Februar, am Euphrosynenstag, 1767 war Lenette geboren.

Sie hatt' es ihm oft, und ihren Nähkunden noch öfter gesagt; aber es wär' ihm doch entfallen ohne den Generalsuperintendenten Ziehen, der ein Buch drucken ließ und ihn darin an den eilften erinnerte. Der Superintendent hatte nämlich vorausgesagt, daß an diesem 11ten Hornung 1786 ein Stück vom südlichen Deutschland sich durch das Erdbeben wie Lagerkorn in die Unterwelt senken werde. Mithin würden am herabgelassenen Sargseil oder an der herabgelassenen Fallbrücke des sinkenden Bodens die Kuhschnappler in ganzen Körperschaften in die Hölle gefahren sein, in der sie vorher als einzelne Abgesandte ankamen; es wurde aber aus allem nichts.


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