Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Wie würde Firmian seine Lenette geliebet haben, wenn sie ihn nicht gezwungen hätte, ihr zu verzeihen, statt ihr liebzukosen! – Ach, sie hätte ihm sein künstliches Sterben unendlich erschweret, wäre sie so wie in den Flittertagen gewesen! –

Aber das vorige Paradies trug jetzt eine Ernte reifer Paradieskörner – so nannte man sonst die gesunden Pfefferkörner. Lenette heizte die Vorhölle der Eifersucht und briet ihn darin für den künftigen Vaduzer Himmel gar. Eine Eifersüchtige ist durch kein Handeln und kein Sprechen zu heilen; sie gleicht der Pauke, die unter allen Instrumenten am schwersten zu stimmen ist und die sich am kürzesten in der Stimmung erhält. Ein liebevoller warmer Blick war für Lenette ein Zugpflaster – denn mit jenem hatt' er Natalien angesehen –; sah er fröhlich aus: so dachte er offenbar an die Vergangenheit; machte er eine trübe Miene – so wars schon wieder derselbe Gedanke, aber voll Sehnen. Sein Gesicht mußt' er als einen offnen Steckbrief oder Anschlagzettel seiner Gedanken darhinter herumtragen. Kurz der ganze Ehemann diente ihr bloß als gutes Geigenharz, womit sie die Pferdhaare rauh machte, um die viole d'amour den ganzen Tag zu streichen. Von Baireuth durft' er sich wenig Worte entfallen lassen, kaum den Namen; denn sie wußte schon, woran er dachte. Ja, er konnte nicht einmal Kuhschnappel stark heruntersetzen, ohne den Argwohn zu erregen, er vergleich' es mit Baireuth und finde dieses (aus ihr wohlbekannten Gründen) viel besser; daher schränkte er – ob im Ernste oder aus Nachgiebigkeit, weiß ich nicht – den Vorzug meines jetzigen Wohnortes vor dem Reichsmarktflecken bloß auf die Gebäude ein und wollte das Lob nicht bis auf die Einwohner ausdehnen.

Nur über einen Gegenstand kannte er im Nennen und Preisen gar keine Rücksicht auf mißdeutende Ärgernis, nämlich über seinen Freund Leibgeber; aber gerade dieser war Lenetten durch Rosas Anschwärzungen und durch Helfershelferei in Fantaisie jetzt noch unleidlicher geworden, als er ihrs schon früher in ihrer Stube mit seinem Wildtun und seinem großen Hunde gewesen. Auch Stiefel, wußte sie, hatte bei ihr mehrmals manche Verstöße gegen gesetztes Wesen an ihm aussetzen müssen.

»Mein guter Heinrich kommt nun bald, Lenette«, sagte er. »Und sein garstiges Vieh auch mit?« fragte sie.

– »Du könntest wohl«, versetzte er, »meinen Freund ein bißchen mehr liebhaben, gar nicht wegen seiner Ähnlichkeit mit mir, sondern wegen seiner freundschaftlichen Treue; dann würdest du auch gegen seinen Hund weniger haben, wie du ja wohl bei mir tätest, wenn ich einen hielte. Er braucht nun einmal auf seinen ewigen Reisen ein treues Wesen, das durch Glück und Unglück, durch dick und dünn mit ihm geht, wie der Saufinder tut; und mich hält er für ein ähnliches treues Tier und liebt mich mit Recht so sehr. Es bleibt ohnehin die ganze treue Gespannschaft nicht lange in Kuhschnappel«, setzte er hinzu, an manches denkend. Indes gewann er mit keiner Liebe seinen Prozeß um Liebe. Ich falle hier auf die Vermutung, daß dies ganz natürlich war und daß Lenette durch die bisherige warme Nähe des Schulrats sich in einer Temperatur der Liebe verwöhnt und verzärtelt hatte, wogegen ihr freilich die des Gatten wie kühlende Zugluft vorkam. Die hassende Eifersucht handelt wie die liebende; die Nulle des Nichts und der Kreis der Vollendung haben beide ein Zeichen.

Der Advokat mußte endlich durch sein scheinbares Erkranken sein scheinbares Erliegen vorbereiten und grundieren; aber dieses willkürliche Überbücken und Aufsinken aufs Grab gab ein Trug bei seinem Gewissen noch für bloße Versuche aus, Lenettens erbitterte Seele zu gewinnen. So erhebt der betörende und betörte Mensch immer sein Blendwerk entweder zu einem kleinern oder zu einem wohlwollenden!

Die griechischen und römischen Gesetzgeber erdichteten Träume und Prophezeiungen, worin die Baurisse und zugleich die Baubegnadigungen und Baumaterialien ihrer Plane enthalten waren, wie z.B. Alcibiades eine Weissagung von Siziliens Eroberung vorlog. Firmian tats in seiner Haushaltung passend-abgeändert nach. Er sprach oft in Stiefels Gegenwart davon – denn dieser nahm an allem zärtlichern Anteil – und folglich wurde seiner ihrer –, daß er bald auf immer von dannen gehen werde – daß er bald Versteckens spielen werde, ohne je von einem alten freundschaftlichen Auge mehr gefunden zu werden – daß er hinter den Bettschirm und Bettvorhang des Bahrtuchs treten und entschlüpfen werde. Er erzählte einen Traum, den er vielleicht nicht einmal erdichtete: »Der Schulrat und Lenette sahen in seiner Stube eine SenseNach dem Aberglauben, daß sich das Scharfrichter-Schwert von selber bewege, wenn es jemand zu töten bekomme. , die sich von selber bewegte. Endlich ging das leere Kleid Firmians aufrecht in der Stube herum. ›Er muß ein anderes anhaben‹, sagten beide. Plötzlich ging unten auf der Straße der Gottesacker mit einem unbegrünten Hügel vorbei. Aber eine Stimme rief: ›Suchet ihn nicht darunter, es ist doch vorbei.‹ Eine zweite sanftere rief: ›Ruh aus, du Müder!‹ – Eine dritte rief: ›Weine nicht, wenn du ihn liebst.‹ Eine vierte rief fürchterlich: ›Spaß, Spaß mit aller Menschen Leben und Tod!‹« – Firmian weinte zuerst und dann sein Freund und endlich mit letztem seine zürnende Freundin.

Aber nun wartete er sehnlichst auf Leibgebers Hand, die ihn schöner und schneller durch den düstern Vorgrund und die schwüle Vorhölle des künstlichen Todes führte: er wurde jetzo zu weich dazu.

Einst an einem schönen Augustabend war ers mehr als sonst; auf seinem Angesicht schwebte jene verklärende Heiterkeit der Ergebung, der tränenlosen Rührung und der lächelnden Milde, wenn der Kummer mehr erschöpft als gehoben ist; wie etwan zuweilen über den blauen Himmel der bunte Schlagschatten des Regenbogens fället. Er beschloß, heute bei der geliebten Gegend den einsamen Abschiedbesuch zu machen.

Draußen hing (für seine Seele, nicht für sein Auge) über die lichte Landschaft ein dünner, wehender Nebel herein, wie Berghems und Wouvermans' Pinsel über alle Landschaften einen weichenden Duft statt eines Schleiers werfen. Er besuchte, er berührte, er beschauete, gleichsam um Lebewohl zu sagen, jede volle Staude, an deren Rückenlehne er sonst gelesen hatte, jeden dunklern kleinen Wellenstrudel unter einem abgespülten Wurzeldickicht, jeden duftenden, grünenden Felsenblock, jede Treppe aus steigenden Hügeln, auf denen er sich künstlich den Auf- oder Untergang der Sonne vervielfacht hatte, und jede Stelle, wo ihm die große Schöpfung Tränen der Begeisterung aus der überseligen Brust getrieben hatte. Aber mitten unter den hochstämmigen Ernten, unter der wiederholten Schöpfunggeschichte, im lebenwimmelnden Brütofen der Natur, in der Samenschule des reifen, unabsehlichen Gartens dehnte sich eine dumpfe, zerborstene Stimme durch den hellen Trommetenklang des Alexanders-Festes der Natur und fragte: »Welches Totengebein wandelt durch mein Leben und verunreinigt meine Blüten?« Es kam ihm vor, als sing' es aus der tiefern Abendröte ihn an: »Wandelndes Skelett mit dem Saitenbezug von Nerven in der Knochenhand, – du spielest dich nicht; der Atem des weiten Lebens wehet tönend die Äolharfe an, und du wirst gespielet.« – Aber der trübe Irrtum sank bald unter – und er dachte: »Ich töne und spiele zugleich – ich werde gedacht und denke – die grüne Hülse hält nicht meine Dryade, meinen spiritus rector (den Geist) zusammen, sondern er sie – das Leben des Körpers hangt ebensosehr vom Geiste als er von jenem ab. – Überall drängt sich Leben und Kraft; der Grabhügel, der modernde Leib ist eine Welt voll arbeitender Kräfte – wir vertauschen die Bühnen, aber wir verlassen sie nicht.« –

Als er nach Hause kam, lag folgendes Blättchen von Leibgeber an ihn da: »Ich bin auf dem Wege; mache dich auf deinen! L.«


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