Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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– Gleichwohl bietet uns beiden Autoren dafür kein Mensch einen Heller Schmerzengeld an. Es scheint, daß Schriftsteller nicht lebendig, sondern abgeformt zu ihrer Nachwelt kommen sollen, wie man die zarten Forellen nur gesotten verschickt; man steckt uns nicht eher den Lorbeerreis, wie den wilden Sauen die Zitrone, in den Mund, als bis man uns gepürscht aufträgt. – Es würde mir und jedem Kollegen wohltun, wenn ein Leser, wenn wir dessen Herz und Herzohren bewegen, nur so viel sagte: »Diese süße Bewegung des meinigen ging nicht ohne hypochondrisches Herzklopfen der ihrigen ab.« Mancher Kopf wird von uns ausgelichtet und erleuchtet, der niemals bedenkt: »Das leisten beide wohl, aber Schmerzen der ihrigen, Cephalalgie, Cephaläa, halbseitige und der Nagel sind der Lohn dafür.« Ja er sollte mich in solchen Satiren wie dieser unterbrechen und rühmen: »So viele Schmerzen mir seine Satire jetzo macht, so gibt sie ihm doch noch größere; denn meine sind glücklicherweise nur geistig.« – Gesundheit des Körpers läuft nur gleichgerichtet mit Gesundheit der Seele; aber sie beugt ab von Gelehrsamkeit, von großer Phantasie, großem Tiefsinn, welches alles so wenig zur geistigen Gesundheit gehöret als Beleibtheit, Läuferfüße, Fechterarme zur leiblichen. Ich wünschte oft, alle Seelen würden so auf ihre Leiber oder Flaschen verfüllet wie der Pyrmonter auf seine. Man lässet erst seinen besten Geist verrauchen, weil er sonst die Flaschen zertreibt; aber es scheint, daß nur bei den Seelen des Kardinalkollegiums (wenn dem Gorani zu glauben), vieler Domkapitularen u.a. diese Vorsicht gebraucht worden, daß man den außerordentlichen Geist derselben, der ihre Leiber zersprengt hätte, vorher verdampfen lassen, eh' man sie, auf Körper gezogen, nach der Erde verschickte: jetzo halten sich die Flaschen 70, 80 Jahre ganz gut. – –

Mit kranker Seele also, mit siechem Herzen, ohne Geld trat Siebenkäs den letzten Tag des Jahres an. Der Tag selber hatte sein schönstes Sommerkleid, nämlich ein berlinerblaues, angezogen und sah so himmelblau wie der Krischna oder wie Grahams neue Sekte oder wie die Juden in Persien aus – er hatte den Ballonofen der Sonne heizen lassen, und auf der feinkandierten Erde war der Schnee, wie auf gewissen künstlich bereiften Schaugerichten, sogleich ins Wintergrün verlaufen, sobald die Kugel nur vor den Ofen getragen wurde. Das Jahr schien gleichsam mit Wärme und mit einer Heiterkeit voll freudiger Tropfen sich von der Zeit zu trennen. Firmian wäre gern hinausgelaufen und hätte sich auf dem feuchten Grün gesonnet; aber er mußte erst den Professor Lang in Baireuth beurteilen.

Er machte Rezensionen, wie andre Gebete, nur in der Not; es war das Wassertragen jenes Atheners, um nachher der Lieblingwissenschaft ohne Hunger obzuliegen. Aber seinen satirischen Bienenstachel steckt' er bei Rezensionen in die Scheide; bloß aus seinem weichen Wachs- und aus dem Honigmagen nahm er die milden Überzüge seiner Urteile. »Kleine Schriftsteller«, sagt' er, »sind immer besser, und große schlechter als ihre Werke. Warum soll ich moralische Fehler, z.B. Eitelkeit, dem Genie vergeben und dem Dunse nicht? Höchstens jenem nicht. – Unverschuldete Armut und Häßlichkeit verdienen keinen Spott; aber verschuldete ebensowenig, obgleich Cicero wider mich ist. Denn ein moralischer Fehler (und also seine Strafe) kann doch nicht durch dieselbe zufällige physische Folge, die bald kommt, bald außenbleibt, größer werden! Ist ein Verschwender, der zufällig arm wird, einer größern Strafe wert als der, ders nicht wird? Höchstens umgekehrt.« Wendet man dieses auf die schlechten Schriftsteller an, denen eine undurchdringliche Eigenliebe ihren Unwert verdeckt und an deren unschuldigen Herzen der Kritiker den Zorn über den schuldigen Kopf auslässet: so darf man zwar noch bitter über die – Gattung spotten, aber das Einzelwesen werde nur sanft belehrt. Ich glaube, es wäre die Gold- und Tiegelprobe eines moralisch in sich abgerundeten Gelehrten, wenn man ihm ein schlechtes, berühmtes Buch zu rezensieren auftrüge.

– Ich will mich vom Dr. Merkel ewig rezensieren lassen, wenn ich in diesem Kapitel noch einmal ausschweife. – Firmian arbeitete ein wenig eilig an der Rezension des Langischen Programms: Praemissa historiae Superintendentium generalium Baruthi non specialium, continuatione XX: er mußte heute noch einige Ortstaler haben, und er wollte auch ein wenig an dem brütenden, mütterlichen Tage spazieren gehen. Lenette hatte schon gestern am Donnerstage – das neue Jahr fiel auf den Sonnabend – vorläufige Feste der Reinigung gefeiert (denn sie wusch jetz täglich weiter voraus); heute aber hielt sie vollends die Ährenlese der Möbeln – sie gab der Stube Abführmittel gegen alle Unreinigkeiten ein – sie sah den index expurgandorum nach – sie trieb, was nur hölzerne Beine hatte, in die Schwemme und kam mit Fleckkugeln nach – kurz sie paddelte und brudelte bei dieser levitischen Reinigung der Stube so recht einmal in ihrem naßwarmen Element, und Siebenkäs saß aufrecht im Feg-Feuer und gab schon seinen Brandgeruch von sich.

Er war heute schon an sich toller als sonst: erstlich weil er sich vorgesetzt hatte, nachmittags den grillierten Kattunrock durchaus – und schrieen ganze Nonnenklöster darwider – in Versatz zu schaffen, und weil er mithin voraussah, daß er sich noch außerordentlich würde ereifern müssen; und diesen Vorsatz des Versatzes fassete er heute gerade, weil er – und dies ist zugleich die zweite Ursache, warum er toller war – sich ärgerte, daß die guten Tage wieder verlebt und daß ihre Sphärenmusik durch Lenettens Trauer-Miserere verdorben worden. »Frau«, sagt' er, »ich rezensiere eben fürs Geld.« – Sie schabte fort. »Den Professor Lang hab' ich vor mir, und zwar das 7te Kapitel, worin er vom 6ten Baireuther Generalsuperintendent Stockfleth handelt.« – Sie wollte in einigen Minuten nachlassen, aber nur in dieser nicht; Weiber tun alles gern später, daher kommen sie sogar später auf die Welt als KnabenBuffon über die Erzeugung. . »Das Programm«, fuhr er noch einmal mit künstlicher Kälte fort, »hätte der Götterbote schon vor einem halben Jahr beurteilen sollen: der Bote muß nicht wie die Allg. deutsche Bibliothek und der Papst erst nach 100 Jahren heilig sprechen.« – Wär' er nur imstande gewesen, sich noch eine Minute in der künstlichen Kälte zu erhalten: so hätte er Lenettens Aussummen erlebt. Aber er konnte nicht. »So soll doch«, fuhr er auf und sprang mit Hinwerfen der Feder in die Höhe, »lieber der Teufel dich und mich holen und den Götterboten! – Ich weiß nicht«, fuhr er gefasset und gelähmt fort und setzte sich entnervt, als wäre er mit lauter Schröpfköpfen umsetzt, nieder, »was ich übersetze, und schreib' ich hin Stockfleth oder Lang. Es ist dumm, daß ein Advokat nicht so taubL. 1. §. 3. D. de postulando. sein soll wie ein Richter; als Tauber wär' ich torturfrei – weißt du, wieviel nach den Rechten zu einem Tumulte Leute gehören? – Entweder zehn oder du allein in deiner musikalischen Wasch-Akademie.« Ihm war weniger darum zu tun, billig zu sein, als den spanischen Gastwirten zu gleichen, die den Gästen allezeit das Geschrei, das sie gemacht, mit in Rechnung setzen. Sie hatte ihren Willen gehabt, also war sie still in Worten und Werken.

Er vollendete vormittags das kritische Urteil und schickte es dem Vorsteher Stiefel; dieser schrieb zurück, abends händige er ihm selber die Sportuln dafür ein; denn er haschte jetzt jeden Anlaß zu einem Besuche auf. Unter dem Essen sagte Firmian, in dessen Kopf der schwüle stinkende Nebel einer übeln Laune nicht fallen wollte: »Ich fass' es nicht, wie du so wenig Reinigkeit und Ordnung liebst. Es wäre doch besser, du übertriebest es in der Reinlichkeit als im Gegenteil. Die Leute sagten: es ist nur schade, daß ein so ordentlicher Mann, wie der Armenadvokat ist, eine so unordentliche Frau hat.« Dieser Ironie setzte sie allemal, ob sie gleich wußte, sie sei eine, gute förmliche Widerlegungen entgegen. Er brachte sie nie dahin, seinen Spaß, anstatt zu widerlegen, ordentlich zu schmecken oder gar die menschliche Gesellschaft an seiner Seite auszulachen. So lässet eine Frau ihre Meinung, sobald sie auch der Mann annimmt, fahren; sogar in der Kirche singen die Weiber, um mit den Männern in nichts eintönig zu sein, das Lied um eine Oktave höher als diese.

Nachmittags rückte die große Stunde heran, worin der Ostrazismus oder die Land- und Hausverweisung des grillierten Kattuns endlich vorfallen sollte als die letzte, aber größte Tat des Jahres 1785. Er hatte dieser Losung zum Zank, dieser feindlichen roten Timurs- und Muhammeds-Fahne, dieser Ziskas-Haut, die sie immer zusammenhetzte, jetzo recht von Herzen satt; er wollte lieber, der Kattun wär' ihm gestohlen, um nur von dem langweiligen, abgeschabten Gedanken an den Lumpen loszukommen. Er übereilte sich nicht, sondern unterstützte seine Petition mit aller Beredsamkeit, die ein Parlamentredner zu Hause hat; er ließ raten, welches der größte Gefallen gegen ihn sei, womit sie das alte Jahr beschließen könne – er sagte, es wohne neben ihm unter einem Dache ein Erbfeind und Widerchrist, ein Lindwurm, ein vom bösen Feind in seinen Weizen geworfnes Unkraut, das sie ausreuten könne, wenn sie wolle. Er zog endlich mit helldunklem Jammer den grillierten Kattun aus der Schublade: »Das ist«, sagt' er, »der Stoßvogel, der mir nachsetzt, das Steckgarn, das mir der Teufel aufstellt, sein Schafkleid, mein Marterkittel, mein Casems-Pantoffel – Teuerste, tue mir nur das zu Gefallen und verpfänd es! – Antworte mir noch nicht«, sagt' er, sanft die Hand auf ihre Lippen deckend, »- überlege vorher, was doch eine dumme Gemeinde tat, deren einziger Hufschmied im Dorfe gehangen werden sollte. Sie schlug lieber einige unschuldige Schneidermeister für den Galgen vor, die eher zu entraten waren. Und du, als eine klügere Person, solltest ja die bloße Näharbeit der Meister, da wir den Trauerkattun bei unsern Lebzeiten nicht brauchen, lieber hergeben als metallene Möbeln, aus denen wir täglich speisen! – Jetzt sage aber, was du denkst, Gute?« –

»Ich habe es schon lange gemerkt«, versetzte sie, »daß du mich um meinen Trauerrock zu bringen suchst. Ich geb' ihn aber nicht her. Wenn ich nun zu dir sagte: versetz deine Uhr, Firmian! Es wär' ebenso.« – Vielleicht gewöhnen sich die Männer darum an, gebieterisch ohne Gründe zu befehlen, weil diese wenig verfangen und sie gerade die Widerspenstigkeit, statt zu brechen, nur waffnen. – »Beim Henker!« sagt' er, »nun hab' ichs genug. Ich bin kein Truthahn und Auerochs, der sich ewig über den farbigen Lappen erbosen will. Es wird heute versetzt, so wahr ich Siebenkäs heiße.« –

»Du heißest ja auch Leibgeber«, sagte sie. »Es soll mich der Teufel holen, wenn der Kattun da bleibt«, sagt' er. Jetzo fing sie an zu weinen und über das bittere Geschick zu wimmern, das ihr nichts mehr lasse, auch ihren Anzug nicht einmal. Gedankenlose Tränen fallen oft so ins siedende männliche Herz wie andere Wassertropfen in geschmolzenes wallendes Kupfer: die flüssige Masse springt krachend auseinander. »Himmlischer, guter, sanfter Teufel«, sagt' er, »fahr herein und brich mir den Hals! Gott erbarme sich über eine solche Frau! – Nun so behalt deinen Kattun und dein Hungertuch. Aber des Henkers bin ich – ich gebe mein Ehrenwort –, wenn ich nicht das alte Hirschgeweih aus meines Vaters Nachlaß noch heute wie ein gestrafter Wilddieb auf den Kopf stülpe und zum Verkaufe am lichten hellen Tag durch den ganzen Flecken trage, so lächerlich es allen Kuhschnapplern erscheinen mag, und ich will bloß sagen, du hast mirs aufgesetzt. Das tu' ich, zum Teufel!«


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