Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Kaum war Leibgeber zum Hause hinaus und nach seiner Gewohnheit unter das Gewitter hinein, das er gern im Freien genoß: so brach Lenettens Gewitter noch vor dem himmlischen aus. »So hab ichs doch mit meinen eignen Ohren vernommen«, fing sie an, »wie dieser Atheist und Störenfried dich in Baireuth in der Phantasie verkuppelt; und dem soll eine Frau eine Hand geben oder mit einem Finger berühren?« – Sie ließ noch einige Donner nachrollen; aber es ist meine Pflicht gegen die arme, durch vielerlei Gemisch zu einem Gärbottich umgesetzte Frau, ihr nicht alle Aufbrausungen nachzuzählen. Inzwischen brauseten nun auch die Säuern des Mannes auf; denn seinen Freund vor ihm zu schelten – gleichviel, aus welchem Mißverständnis, und er fragte gar nicht über dasselbe, da keines sie entschuldigen konnte – blieb ihm eine Sünde gegen den Heiligen Geist seiner Freundschaft; – und er donnerte demnach tüchtig zurück. Es kommt als Entschuldigung dem Manne zustatten – freilich der Frau auch –, daß die Gewitterluft die feurigen Kohlen auf seinem Haupte noch mehr in Flammen blies und daß er demnach wie toll in der Stube auf- und abfuhr und geradezu den Vorsatz, Lenetten vor seinem Sterben alles nachzusehen, in die Luft sprengte; denn er wollte und durfte nicht leiden, daß dem letzten Freunde seines Lebens und Sterbens von der Erbin seines Namens unrecht begegnet wurde in Worten oder Werken. Von den vulkanischen Ausbrüchen des Advokaten, die ich ihm zuliebe gleichfalls alle verschweige, geb' ich einen Begriff, wenn ich berichte, daß er, mit dem Gewitter jetzt um die Wette donnernd, ausrief: »einem solchen Manne!«, – und eine Ohrfeige mit den Worten: »du bist auch ein Weiberkopf!« einem Haubenkopf erteilte, der schon einen kühnen Hut mit Federn aufhalte. – Da der Kopf Lenettens Favoritsultanin unter den andern Köpfen war und oft von ihr gestreichelt wurde: so war nach einem solchen Schlage billig nichts weiter zu erwarten als ein so heftiges Auftoben, als wär' er ihr selber widerfahren (wie Siebenkäs gleicherweise für seinen Freund aufgebrauset); aber es kam nichts als ein mildes volles Weinen. »O Gott, hörst du das schreckliche Gewitter nicht?« sagte sie bloß. »Donner hin, Donner her!« versetzte Siebenkäs, welcher – einmal über seinen bisherigen philosophischen Ruhegipfel hinausgerollt – nun nach geistigen und physischen Fallgesetzen die Gewalt des Sturzes wachsen ließ bis zum Versinken, »das Wetter sollte nur allem kuhschnappelschen Gesindel heute auf den Kopf fahren, das meinen Heinrich anschwärzt.« – Da das Gewitter noch heftiger wurde, sprach sie noch sanfter und sagte: »Jesus, welcher Schlag! – Sei doch bußfertig! Wenn er dich nun in deinen Sünden träfe!« – »Mein Heinrich geht draußen«, sagt' er; »o wenn ihn der Blitz nur jetzt erschlüge und mich gleich mit durch einen Strahl: so wär' ich alles elenden Sterbens entübrigt; und wir blieben beieinander!« –

So trotzig und Leben und Religion verachtend hatte die Frau ihn noch nie gesehen, und sie mußte daher jede Minute gewärtig sein, daß der Blitz in das Merbitzersche Haus herabschieße und ihn und sie erlege, um ein Exempel zu geben.

Jetzo deckte ein so heller Blitz den ganzen Himmel auf, und ein so brechender Donner fuhr ihm nach, daß sie ihm die Hand hinreichte und sagte: »Ich will gern alles tun, was du begehrst – sei nur um Gottes willen wieder gottesfurchtig – ich will ja Herrn Leibgeber auch die Hand geben und den Kuß, er mag sie abgewaschen haben oder nicht, wenn ihn der Hund abgeleckt – und ich will nicht hinhören, wenn ihr auch noch so stark die versilbernde und blühende Phantasie der Baireuther herausstreicht.« –

Himmel! wie tief ihm der Blitz jetzt in zwei Irrgänge Lenettens hineinleuchtete und ihm ihre unschuldige Verwechslung der Phantasie mit Fantaisie, wovon ich schon gesprochen, sehen ließ und dann seine eigne Verwechslung ihres Ekels mit ihrem Hasse. Letztes war nämlich so: Da ihr weibliches Reinlichhalten und ihr Putzen sich leichter den Katzen anschloß als den Hunden, welche beides und die Katzen selber nicht achten: so war ihr Leibgebers Hand, wenn gerade des Saufinders Zunge darauf gewesen, eine Esaus-Hand voll Chiragra und ein Daumenschrauben für die ihrige – der Ekel litt kein Berühren –, und Heinrichs Mund vollends war, und wäre der Hund vor zehn Tagen daran mit seinem gesprungen, das größte Schreckbild, welches nur der Abscheu für ihre Lippen hinstellen konnte; – sogar die Zeit galt ihr für keine LippenpomadeNichts ist unvernünftiger, unbezwinglicher und unerklärlicher als der Ekel, dieser widersinnige Bund des Willens mit der Magenhaut. Cicero sagt: der Schamhafte bringt nicht gern den Namen der Schamhaftigkeit – dieses transzendenten Ekels – auf die Zunge, und so geht der Ekle mit dem Ekel um, besonders da körperliche und moralische Reinheit Nachbarinnen sind, wie der reinliche und keusche Swift an sich zeigt. Sogar der körperliche Ekel, dessen Stoff mehr ein phantastischer als physischer ist, nimmt mehr das sittliche Gefühl in Anspruch, als man denkt. Gehe mit einem Magen, der Unverdautes oder Brechwein bei sich hat, über die Gasse: so wirst du an zwanzig Herzen und Gesichtern und, wenn du nach Hause kommst, an noch mehren Büchern ein innigeres sittliches und ästhetisches Mißfallen empfinden als sonst. .

Aber diesesmal brachten die entdeckten Irrtümer nicht Frieden wie sonst, sondern das erneuerte Gebot der Trennung. Zwar traten ihm Tränen in die Augen, und er reichte ihr die Hand und sagte: »Vergib zum letztenmal! Im August ziehen ohnehin die Gewitter heim«; aber er konnte keinen Kuß der Versöhnung anbieten oder annehmen. Unwiderruflich sprach sein neuester Abfall von den wärmsten Entschlüssen der Duldung die Weite ihrer innern Trennung aus. Was hilft Einsehen der Irrungen bei dem Bestehen ihrer Quellen? Was hälf' es, dem Meere ein paar Flüsse abschneiden, wenn ihm die Wolken und die Wogen bleiben? Die Realinjurie gegen den Haubenkopf schmerzte in seiner Brust am meisten nach; er wurde für ihn ein Gorgonenkopf, der immer drohte und rächte.

Er suchte nun seinen Freund, wie mit neuer Liebe – weil er für ihn geduldet –, so mit neuem Eifer auf, um den Sterbeplan mit ihm abzureden. »An welcher gefährlichen Krankheit«, fing Heinrich die medizinische Beratschlagung an, »gedenkst du am liebsten deinen Geist aufzugeben? Wir haben die besten, tödlichsten Zufälle vor uns. Verlangst du eine Luftröhrenentzündung – oder eine Darmentzündung – oder ein entzündetes Zäpfchen – oder ist dir mehr mit Hirnwut gedient oder mit Steckkatarrh – oder ist dir Bräune, Kolik und der Teufel und seine Großmutter lieber? Auch haben wir die nötigsten Miasmen und ansteckenden Materien bei der Hand, die wir brauchen – und wenn wir den August, den Erntemonat der Schnitter und Ärzte, als Giftpulver dazu mischen: so überstehest du es nicht.« – Er versetzte: »Du hast wie der Meister-BettlerEin Bettler in England, der eine Bude voll Krücken, Augenpflaster, falscher Beine etc. besitzt, die jeder haben muß, der lahm, blind, hinkend sein will. Brit. Annal., I. B. alle Schäden feil, Blindheit und Lähmung und alles. Ich für meine Person bin ein Freund von dem Schlagfluß, diesem volti subito, dieser Extrapost und Jagdtaufe des Todes – ich habe aller prozessualischen Weitläufigkeiten satt.« – Leibgeber merkte an: »Der ist wohl das Summarissimum des Todes – inzwischen müssen wir, nach den besten Pathologien, die ich kenne, uns zu einem dreifachen Schlagfluß entschließen. Wir können uns hier nicht nach der Natur, sondern nach dem medizinischen Grundgesetz richten, daß der Tod allezeit einen Tertiawechsel vorausschicke, ehe sie einen dort akzeptieren und honorieren, oder einen dreimaligen Hammer-Schlag des Versteigerns. Ich weiß, die Ärzte lassen nicht mit sich reden: nimm den dreifachen Schlag!« – Aber Siebenkäs sagte komisch-heftig: »Beim Henker! wenn mich der Schlagfluß zweimal recht trifft: was kann ein Arzt mehr fodern? – Nur kann ich vor drei oder vier Tagen nicht erkranken, ich muß auf einen wohlfeilern Sarg-Baumeister warten.« Die Sarg-Baute hausieret bekanntlich unter den Tischlern herum, wie ein Reiheschrank. Man muß nun einem solchen Schiffzimmermann der letzten Arche zahlen, was er fodert, weil der Nachlaß eines Verstorbnen der Leichen-Regie, den Akzisoffizianten des Todes, wie der Palast eines verstorbnen Doge und Papstes, zum Plündern stets muß preisgegeben werden.

»Diese Galgenfrist«, versetzte Leibgeber, »kann noch einen andern Nutzen haben. Sieh hier habe ich mir eine alte Haus-Postille um halbes Sündengeld erhandelt, weil nirgends so eindringliche Leichenpredigten gehalten als in diesem Werke, und zwar in dessen hölzernem Deckel, worin ein lebendiger Prediger wie in einer Kanzel eingepfarrt sitzt.« – Es saß nämlich im Deckel der Käfer, den man die Totenuhr, auch den Holzbohrer, Trotzkopf nennt, weil er angerührt den Schein eines Scheintoten unter allen Martern fortsetzt, und weil seine Schläge, die nur ein Türklopfen für das geliebte Weibchen sind, für Anklopfen des wahren Todes genommen werden; daher sonst ein Hausgerät, worin er schlug, als bedeutendes Kauf- und Erbstück gegolten. – Leibgeber erzählte ihm weiter: da ihm nichts in der Welt so verhaßt sei als ein Mensch, der aus Todes-Furcht Gott und den Teufel durch schnelle Bekehrung zu überlisten suche: so stecke er gern bei solchen höllenscheuen Sündern die Postille auf einige Tage unvermerkt unter die Möbeln, um sie durch die Leichenpredigten recht zu quälen, die der Käfer voraushalte, ob er gleich dabei seinerseits, so gut wie mancher Pfarrer, gerade nur an Weltliches denkt. »Könnt' ich aber nicht füglich die Postille mit dem Leichenprediger so unter deine Bücher schieben, daß deine Frau ihn hörte und dann an das Sterben dächte, nämlich an deines, und sich immer mehr daran gewöhnte?«

»Nein, nein«, rief Firmian, »sie soll mir nicht so viel vorausleiden, sie hat genug vorausgelitten.« – »Meinetwegen«, versetzte Heinrich, »denn sonst reimte sich mein Käfer wohl mit dir, da der Trotzkopf oder ptinus pertinax sich ebensogut totzustellen weiß als du wirst.«

Übrigens freuete er sich, daß alles so schön ineinander häkle, und daß er gerade vor einem Jahre auf die Glasperücke Blaisens gestiegen und oben injuriert oder geschimpft, ohne sich selber den geringsten Schaden zu tun. Injurien nämlich verjähren in einem Jahre, es müßten denn kritische sein, deren Regiment nicht länger dauert als das des Rektors in Ragusa, 1 Monat, d. h. solange das Zeitungblatt im Lesezirkel umläuft. Ein Buch selber hingegen, das die Diktatorwürde in der gelehrten Republik bekleidet, darf eben seines großen Einflusses wegen nicht länger regieren als ein römischer Diktator, 6 Monate, d. h. von der Geburtmesse bis zur Seelen- oder Totenmesse, und ist, gleich Büchermachern, entweder im Frühling tot oder im Herbst.

Sie kamen zurück in eine neugekleidete und neugestellte Stube. Lenette tat, was sie konnte, um die Risse ihrer Haushaltung wie Risse des Porzellans mit Blumen zu übermalen, und sie legte immer Partituren auf, worin gerade die abgesprungne Saite eines Möbels nicht anzuschlagen war. Firmian opferte diesesmal ihrer Bemühung, überall spanische Wände um die Steppen und Brachäcker ihrer Armut herumzuführen, gern mehr lustige Einfälle auf, als er sonst, oder als Heinrich jetzo tat. Alle Weiber, sogar die ohne Geist, sind über Dinge, die sie näher angehen, die feinsten Zeichendeuterinnen und prophetischen Hellseherinnen. Lenette beweiset es. Abends war Stiefel da, man disputierte, und dieser ließ es frei merken, daß er mit Salvian und mit mehren guten TheologenBibliothèque ancienne et mod. T. IV. p. 59. 60. Solche Rezensionen, wie Le Clerc in dieser und in der Bibliothèque choisie verfertigte, sind zum Glück abgekommen, da sie sich von Büchern in nichts unterscheiden als in der Kürze und Fülle. glaube, daß die Kinder Israel, deren Kleider 40 Jahre in der Wüste kein Loch bekamen, des Anzugs wegen immer in einem Wuchse blieben, ausgenommen Kinder, an denen der Rock, den man ihnen aus dem abgelegten Kleidernachlaß der Verstorbenen zugeschnitten, zugleich mit dem Körper in die Höhe und Breite wuchs; »auf diese Weise«, setzte er hinzu, »werden alle Schwierigkeiten des großen Wunders leicht durch kleine Nebenwunder aufgelöset.« – Leibgeber sagte mit einem funkelnden Auge: »Das glaubt' ich schon im Mutterleibe. Im ganzen israelitischen Heerzug konnt' es kein Loch geben, außer was man von Ägypten mitgebracht, und das wurde nicht größer. Ja gesetzt, einer riß sich in der Trauerzeit ein Loch in die Backe und in den Rock: so nähten sich beide Löcher selber miteinander wieder zu. Jammer und schade ists, daß diese Armee die erste und die letzte blieb, bei der die Montur eine hübsche Art von Über-Körper war, der mit der Seele wuchs, um die er lief – und wo allmählich der polnische Rock zu einem Kur-Habit erstarkte, aus einem microvestis zu einem macrovestis heranwuchs. Ich seh' es, in der Wüste war Essen eine Tuchfabrik, Manna die englische Wolle und der Magen der Webstuhl. Ein Israelit, der sich gehörig mästete, lieferte damals das nötigste Landes- und Wüstenprodukt. Ich würde, wär' ich damals auf einem Werb-Platz gestanden, nur den Rock des Rekruten unten an das Rekrutenmaß gehangen haben. Wie ists aber in unsrer Wüste, die nicht ins Gelobte Land, sondern nach Ägypten führt? – Bei den Regimentern wachsen das ganze Jahr die Gemeinen, aber kein Rock; ja die Monturen sind nur für dürre Jahre und dürre Leute gefertigt, in nassen ringeln sie sich zusammen als gute Feuchtigkeitmesser, und der Schweiß stiehlt mehr Tuch als der Kompanieschneider und selbst der Lieferant. Der Chef, der etwan auf eine Periphrase und einen Streckteich der Montierstücke gerechnet hätte, weil er außer den Israeliten auch an den Kleidermotten und Schnecken ein Beispiel sähe, die sich nicht nach der Decke, sondern nach denen sich die Decke strecket, ein solcher Chef würde, weil die Regimenter dann fast in einem Zustand wie die alten Athleten föchten, des Henkers darüber werden, und die Regimenter des Teufels.«

Diesen unschuldigen Sermon, der nur Stiefels exegetischen Wahnsinn beschießen sollte, glaubte Lenette auf ihren Kleiderschrank gerichtet. Diese Deutsche war wie der Deutsche, der hinter jeder Rakete und Pulverschlange der Laune einen besondern satirischen Kernschuß sucht. Siebenkäs bat ihn daher, seiner armen Frau, auf deren Herz jetzt ohnehin so viele scharfgezähnte Schmerzen abgeschleudert würden, die unvermeidliche, unüberwindliche Unwissenheit ihrer Exegese nachzusehen oder lieber gar zu ersparen. –

Es ging endlich ein Kuhschnappler Bader mit Tod ab, der dem teuern Tischler unter den Hobel fiel. »Nun hab' ich«, sagte Firmian lateinisch, »mit dem Schlagfluß keine Minute zu passen; wer steht mir dafür, daß mir kein Mensch vorstirbt und den wohlfeilen Tischler wegfängt?« – Daher wurde auf den nächsten Abend das Erkranken anberaumt.


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