Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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So bald daher irgend ein Unfal, z. B. ein Duel die Selenkräfte dieses Glieds zerstört, so ists um den Ruhm des Autors gethan – umsonst blieb ihm der Kopf, Lorbern zu tragen, wenn er die Hand verlohr, sie zu brechen; er hat sich nun seine Kiele und seine Bücher vergebens angeschaft und seinem Ehrgeize bleibt zur Beruhigung nichts übrig, als die Leichenrede einer Zeitung, auf deren leztes Blat irgend eine mitleidige Feder einen Tropfen Dinte über den Verlust eines so jungen Genies hinweinet. Eben so gaben die Römer allen Soldaten den Abschied, deren Daumen durch Wunden zu Invaliden geworden. Vor diesem Übel würde uns die Erfindung einer Schreibmaschine am besten schüzen, welche dem Autor die Zusammensezung der Buchstaben eben so sehr erleichterte, wie die Rechenmaschine die Zusammensezung der Zahlen, und welche die Bücher so mechanisch schrieb, als sie die Presse drukt. Auch ists wunderbar, daß die neuen Erzieher, die iede tabula rasa zu einem dictionnaire encyclopédique beschreiben, und die die Wissenschaften in dem weichen Gehirn nicht aussäen, sondern aufschütten, die Vermehrung der Kentnisse ihrer Zöglinge nicht durch Vermehrung der Mittel, sie dem Publikum zu überliefern, gemeinnüziger machen. Man solte mich nachahmen. Ich lehre nämlich meinen kleinen Eleven, von dessen Informazion ich mich durch Ausarbeitung kleiner Erziehungsschriften erhohle, mit beiden Händen schreiben; meinem unbelohnten Fleis wird ers daher einmahl noch danken, wenn er die Welt iede Messe mit Zwillingen erfreuen und mit der linken Hand seine rechte widerlegen kan. Auch solten unsre Autoren die vierhändigen Affen, deren Nachahmungssucht sie sonst so täuschend nachahmen, dadurch zu erreichen suchen, daß sie ihre zwo untern Hände nicht blos zum Gehen, sondern auch wie die obern zu etwas Bessern benüzten, so wie der Organist mit den Füssen spielt. Doch meldet Sturz, daß Wilton in Celsea seit dem Verluste seiner Arme wirklich mit den Füssen zu schreiben angefangen. – Zu allem diesem füg' ich noch hinzu, daß der Hutmacher künftighin nur zur linken Hand des Handschuhmachers gehen dürfe – daß das Chiragra keine Idee im Gehirne auf der andern lasse, und wenigstens die Hände nur früher als den Kopf verwüste, wie der Henker iene nur früher als diesen abhauet – daß der Rezensent wie der Zigeuner, seine Wahrsagungsgabe ausser den Anekdoten auch durch Chiromantie unterstüzen könne – daß die Autoren (doch nicht mein Verleger) mich für diese Erfindungen nicht besser belohnen können, als wenn sie in Zukunft stat ihres Kopfes ihre rechte Hand vor ihre Werke in Kupfer stechen lassen; wozu bei den Autoren noch der Umstand komt, daß ihr Bildniß ihre Kinder meistens überlebt, so wie noch Abzeichnungen, aber keine Nachkommen des Einhorns vorhanden sind, und bei den Rezensenten, daß schon der Anblik dieses Glieds ein Dichterhäufgen in zitternder Ehrfurcht halten kan, so wie (nach dem Berichte des Schäfers) eine im Schafstalle aufgehangene Wolfsklaue die ganze wollichte Herde in Schrekken sezt – endlich füg' ich noch hinzu, daß ich nichts mehr hinzuzufügen habe. –

Ich wende mich zu einem andern Gliede, dessen Lob ich zwar verkürzen, aber nicht vergessen darf. Die Hand, die ausführt, komt schwerlich dem Magen gleich, der erfindet, und der Vater der Bücher theilt seine Unsterblichkeit nur halb mit der Hebamme derselben. Aber ie länger meine Feder sich bei der Betrachtung dieses Glieds verweilet, desto mehr nähert sich ihr prosaischer Schrit dem poetischen Trabe. Ja mein Enthusiasmus wird schon so stark als mein Hunger. Ich lobte die Hand; aber den Magen besing' ich. – Wer tränkt mich mit Begeisterung? welche Muse sez' ich in die erste Zeile meines ohnfüssigen Liedes, um in den andern mit dem Schwunge zu fliegen, wodurch sich die singende Hand zum besungenen Magen erhebt? und bei welchem erdichteten Got betle ich in schlechten Versen um gute?... bei keinem! Der Magen sei zugleich mein Apollo und mein Mäzen! Du also hungriges Glied, o! Allerheiligstes des körperlichen Autors, o! Lexicon des Übersezzers, o! alter Orbis pictus des RomanenschreibersEine Anspielung auf den neuen orbis pictus, den H. Lichtenberg im göttingischen Magazin den schönen Geistern vorgeschlagen und schon zu liefern angefangen. und o!  Gradus ad parnassum des Poeten, so wie formula concordiae des Priesters! Wiege der Bücher, die kritische Galle, so wie der Würmer, die Ochsengalle tödet; in wenigen Thieren viermahl, und in denen nur einmahl vorhanden, die ihre Gedanken wiederkäuen, und von dem Krebse, wie die neugebohrne Minerva von dem Jupiter, in dem Kopf getragen; fleischicht bei unsern Sangvögeln und häutig bei den Raubvögeln, die sie rezensiren – – schenke meinem Kiele die Feinheit, die du seinem Lobe der Schönen, die Wahrhaftigkeit, die du seinem Lobe der Gönner, und die Menschenliebe, die du seiner Satire auf die übrigen mittheiltest! Lasse mich meine Feder in die Quintessenz dieser vereinigten Geschenke tauchen, und lobe dich noch mehr als deinen Mäzen und deine Demuth. – Oft halfst du mir so singen: Das Haupt des Parnasses und des Dichters kränzen Lorbern, aber weder in dem Eingeweide des ersten, noch in der Hosentasche des andern schimmert Gold; Apollo zeitigt den gelben Reichthum, aber Pluto ärntet ihn; dem Phöbus vergolden seine Söhne den Kopf, allein er ihnen nicht einmahl den Hut; der Permessus tränkt keine Aussat von goldnen Körnern, und eine Muse ist kein reiches Bürgermädgen; – helf es mir iezt läugnen. Oft halfst du mir in einer Vorrede dich tadeln; helf mir iezt in einer Abhandlung dich loben: so schrieb iener unpartheiische Engländer am Montage wider den Walpole, und am Mitwoch wider den Pultney. Oft überschrie dein hungriges Murren in meinen Ohren die zwote Trompete der Fama; es verstärke sich iezt in der ersten! Doch halt! ich kan nun deine poetische Hülfe entbehren; mir fehlten nur ein par Seiten, die nun meine Bitte ausgefült hat. – Deine Anrufung ist ia auch dein Lob, welches du ohnehin in einer Rezension derselben fortsezen kanst.

Ich habe wenig mehr über dieses Glied zu sagen, vorzüglich da schon der Verfasser das Specimen novi medicinae conspectus 1751 bei Guerin in Paris den Magen für das zweite Gehirn ausgegeben. Doch wag' ich noch einen neuen Schrit und halte ihn für das erste. Die kurze Beantwortung einiger Einwürfe sol diesen halbpoetischen Theil meiner physiologischen Abhandlung beschliessen.

Objectio. Nein! Die Ausdehnung dieser Hypothese überschreitet die Gränzen der Billigkeit. Das Wahre derselben war längst bekant; nur das Falsche derselben ist neu. Jeder kent die unversiegende Quelle, aus der halbiährlich eine Sündfluth von Übersezungen strömt; aber die hochadeliche Dichtkunst zu einer solchen pöbelhaften Abstammung herunter zu würdigen, aber stat der Hippokrene eine Mistlache für die Nahrung auszugeben, aus welcher die poetischen Blumen ihren Duft scheiden und ihren Schmelz saugen, heist die Sache übertreiben. Das Lied eines neuen Barden entspringt aus seiner Luftröre, nicht aus seiner Speiseröre. –

Responsio. Eben so dacht' ich vor zehn Jahren bei der Herausgabe meiner Bardengesänge. Dieser Meinung war ich noch bey meiner Rezension derselben, siehe die **Zeitung, und die*** und die** und das **Journal etc. Allein da Petrum Kamper's Nachrichten über die Hornviehseuche (im d. Museum) mich lehrten, daß dem verstorbenen Vieh das Übel selten im Gehirn, und meistens im Magen gesessen, ja da mir über die Möglichkeit, daß man zum Unsin nur durch den Trieb der Nachahmung, nicht des Hungers überredet werden könte, aus eigner Erfahrung Zweifel aufstiegen: so sank ich almählig von meiner Täuschung zur Wahrheit d. h. zur Behauptung herab, daß nicht nur die glänzenden Schuppen der Fische, das sinesische Goldfischgen nicht ausgenommen, ihre Nahrung aus dem Magen hohlen, sondern daß auch die Gewohnheit der Köchinnen, in die Flügel des aufgetragenen Vogels den Magen zierlich einzuklemmen, auf die verstekte Verwandschaft der Schwingen unsers genievollen Geflügels anspiele. Ein Mehreres davon weiter unten!

Objectio. Wenigstens ist gewis, daß dieses die liebevolle Romanen nicht trift, die wiewohl nicht aus dem Gehirn, doch aus den Thränendrüsen geflossen. Und wer solte ihren Verfassern die Uneigennüzigkeit absprechen, der sie die Beutel ihrer Helden so gerne Preis geben?

Resp. Eben darum. Ein Autor verschenkt auf seiner empfindsamen Reise tausend Thaler, um dafür von seinem Verleger hundert zu bekommen; seiner Feder, aber nicht seiner Hand gehört das Lob der Freygebigkeit; der geizige Schriftsteller zeugt, gleich geizigen Vätern, verschwenderische Kinder, und er bestiehlt einen iungen Buchhändler durch dasselbe Buch, in welchem er dem Publikum Wohlthun prediget. – Übrigens ist das Buch eines sogenanten liebevollen Autors seltener die Kopie, als die Larve seines Herzens; wenigstens gleicht das Original oft dem Gemählde so wenig, als das Herz, welches der Anatomiker studirt, demjenigen, welches der Zukkerbekker aus Süßigkeiten, oder der Friseur aus den Haren des Vorderkopfes formt. Diese Meinung erhält ein neues Gewicht von der Entdekkung des H. Blumenbachs, daß der dunkle Körper im Leibe des Räderthiers nicht das Herz desselben, wie einige glauben, sondern sein Magen ist.Siehe dessen Handbuch der Naturgeschichte. Zweite Auflage 1782. Seit. 32. Allein bekanter ist, daß dem Gewürm, das der Regen, die Tränen des empfindsamen Himmels, aus der Erde lokt, das Herz so wie das Gehirn von der Natur versagt worden, obwohl nicht ein langer Darmkanal. Hieher passet vortreflich ein Traum des bekanten Schwedenborgs: die Mondgeister, sagt er in seiner geographischen und topographischen Beschreibung der Weltkörper, sind nicht grösser wie Knaben von sieben Jahren; allein ihre Stimme, die, wie ein Rülpsen, aus dem Bauche herausgestossen wird, schallet fürchterlicher als der Donner. Um doch auch dem Schwedenborg (so wie Theologen dem Verfasser der Apokalypsis) eine Weissagung zu leihen, sez' ich hinzu, daß er unter den Bewohnern des Mondes die Anbeter desselben verstehet. –

Von einer solchen Quelle sprech' ich aus Galanterie die Produkte des schönen Geschlechts frei; zu ihrer Entstehung reichet schon das Glied hin, das man so oft küsset, und dessen vor dem gegenwärtigen gedacht worden. Ja ich treibe meine Höflichkeit so weit, daß ich auf die Schönen, die Bücher nähen und strikken, den Anspruch des Titus Flaminimus von dem magern Philopömen anwende, »Du hast schöne Hände, aber keinen Bauch.«

Obj. Den Richter mus man auch richten. Aus Hunger kizelt der Dichter das Trommelfel und der Satiriker das Zwergfel seiner Leser; derselbe Mangel reicht dem einen die Flöte, und dem andern die Geissel, und die Thorheit und der Spot wachsen, wie die Thora und die Antithora, auf einem gemeinschaftlichen Boden. Der Magen tränkt eure satirische Feder, die gleich ihm und durch ihn zu einem Perpetuum mobile geworden, mit seinen müssigen aber darum schärfern Verdauungssäften, und ihr erlacht euch Sättigung auf Kosten derer, denen ihr gleicht.

Resp. Rechnet Opponent mich nicht unter solche Satiriker, so geb' ich es aus Liebe zur Wahrheit von allen zu; zählet er auch mich darunter, so räume ich es blos vom Verfasser der Raritäten ein.

Eine unnatürliche Ideenverbindung führet mich von der Satire auf die Galle, deren eingestandner Nuzen eine lange Lobrede entbehrlich macht. Sie ersezt bey dem Satiriker den Nervensaft d. h. das Genie, bei dem Polemiker die Wahrheit und bey dem Rezensenten die Einsicht. Der leztere kan zwar wie der Areopagus im Finstern richten; allein den Genus dieser Erlaubnis möcht' ich ihm blos bei dem Lossprechen zugestehen; das Herz eines Autors höchstens kan er ohne den Gebrauch des Gesichts verwunden, wie der Amor mit verbundnen Augen seine Pfeile auf das Herz abschiest; aber die Verdammung des Kopfes ist ohne den Beistand der Galle unthulich, die, wie sonst die Galle einiger Fische die Schärfe der Augen auf einige Zeit wieder giebt. Und so hat sie einen doppelten Nuzen; denn sie lehrt die Bücher nicht blos verläumden, sondern auch verstehen – so läst die Schlange ihren Gift in ihren Feind und in ihre SpeiseStat des Speichels, der die Verdauung erleichtert oder eigentlich anfängt. fliessen, und tödet und verdauet damit; so ist ein iunger Kälbermagen sowohl zur VersäuerungMan macht an den meisten Orten die Milch durch sogenantes Lab d. h. ein Stükgen Kälbermagen gerinnen. als Verdauung der Milch geschikt. Ohne Galle kan man ferner seinen gelehrten Feind eben so wenig widerlegen als hassen; ohne sie läst sich kaum der Titel einer Streitschrift machen und in der Vorrede und dem Inhalte spielet sie eine eben so wichtige Rolle wie die personifizirte Zwietracht in Voltaires Henriade. Mein Freund Y würde der Menschenfeindlichkeit der Philanthropinen die schöne Larve des griechischen Namen nicht mit so vielem Glükke abgezogen haben, hätte er die hülfreiche Galle vorher entweder durch ein Vomitiv ans der einen oder durch eine Purganz aus der andern Thüre des ofnen Tempels des Janus gejagt. Rezensenten und Satiriker folgt diesem glüklichen Beispiel, und vomirt und laxirt niemals – oder höchstens am Neuiahrstage, um nichts wünschen zu dürfen! – Zur Vermehrung derselben empfehl' ich euch den Genus von süssen Sachen, die der Magen nach und nach zu Galle kocht, so wie es die Pflicht des Romanenschreibers mit sich bringt, die süsse Menschenfreundlichkeit, die sein Held vom ersten Bande empfieng, durch den vorlezten in Misanthropie versäuern zu lassen. Unter den süssen Sachen versteh' ich die Almanache, stat des Marzipans zu Weihnachten und vor dem Neuiahr – und die übrigen Produkte unsrer Zukkersiedereien. – Übrigens ist die Galle in allen Wissenschaften zu gebrauchen und gleicht dem Arsenik, der sich mit allen Metallen vermischt und alle verdirbt.


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