Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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I.
Über die Schriftstellerei

Ein Opusculum posthumumDer Verfasser dieses Werkgens gab vor einem halben Jahre seinen unsterblichen Geist auf. Er war Famulus eines berühmten Professors; daher er auch nichts lernte. Er würde eben darum Kollegien gelesen und Beifal gefunden haben; allein er hatte zu wenig Geld, um sich ein lateinisches M oder D zur Zierde seines Namens kaufen zu können. Was er aber hatte, fras eine langwierige Krankheit auf, deren er hier erwähnt, und die ihn bis ins Alter und in das Lazareth begleitete, wo er starb, doch nicht, ohne sich unsterblich gemacht zu haben. –

Eine Priesterin der Venus, die ihre lezten Reize auf den weichen Altären ihrer Göttin geopfert, und deren Schönheit kein Käufer der Wollust eines verstohlnen Wunsches mehr würdigt, ist darum noch nicht auf dem Wege, gegen die alte Schande den Ruhm der Besserung einzutauschen, und auf den sichtbaren Wink der neuen Häslichkeit den Dienst des Vergnügens zu verlassen. Vielmehr wiederholt ihr Geist die Rolle des Körpers: denn sie wird aus einer Schülerin der Liebe die Lehrerin derselben, aus einer Hure eine Kuplerin; sie nährt sich von den Lastern, die sie nur lehren und nicht thun kan, sie beschaut ihr voriges Glük in der gelehrigen Wollust ihrer Eleven, und erleichtert sich dadurch das schmerzliche Andenken ihres iezigen Unwerths. – Eben so ich. Das Misvergnügen, nicht mehr schreiben zu können, lindere ich mir durch das Vergnügen, es andere zu lehren. Nämlich: ich widmete vor vielen Jahren meine rechte Hand mit allen ihren Muskeln dem weltberühmten Apollo; und gewis ich konte ihm kein wichtigeres Glied meines Körpers widmen. Denn schon der lere Raum in meinem Kopfe und Magen versprach der gelehrten Welt eine Feder, so unerschöpflich an Dinte, als das Krüglein iener Witwe an Öhl; und in einer lang anhaltenden Theurung war ich auf dem Wege, ein Polyhistor, wenigstens ein Polygraph zu werden. Allein o die verwünschte Gicht! die alle Muskeln des Genies lähmt, und die Schöpfer der Unsterblichkeit, diese Werkzeuge der Begattung mit den Musen, diese fruchtbaren Staubfäden, ich meine die fünf Finger, in einen schmerzlichen Krampf zusammenzieht! Denn kurz: an dieser Gicht starb meine Unsterblichkeit, weil keine neue Lorbern meinen erkämpften Ruhm behaupteten, und ich wurde eher vergessen als geheilt. Allein ob mir nun gleich iezt das Alter die hergestellte Gesundheit verleidet; obgleich die Überreste des vorigen Übels noch immer der gelehrten Republik die Flechsen meines Arms entziehen; so will ich doch durch eine neue Anstrengung meine verloschenen Gedanken zu einem Buche anfachen, und mit meiner Hand, ehe sie verweset, mir Lorbern pflanzen. Der Invalide lehrt exerziren, und ich lehre in diesem Werkgen, wie gesagt, schreiben. Das heist, ich entwikle die Ursachen der Autorschaft, als da sind Hunger, (aber nicht Sättigung,) Trunkenheit, (aber nicht Durst,) Jugend, Liebe u.s.w. Das heist, ich abstrahire aus den vortreflichsten neuen Schriftstellern die Erfordernisse eines guten Buchs z. B. die Schwulst u. so ferner. Ich habe meistens die schönen Wissenschaften im Auge, die Gemeinweide alles litterarischen Viehes, den Spielplaz der schriftstellerischen Jugend. –

Dem leiblichen Hunger der Schriftsteller verdankt das Publikum seine geistliche Sättigung. Einige Ärzte leiten aus dem Magen alle Krankheiten her; ich wollte aus demselben noch leichter den Ursprung der meisten Schriften erklären, und zeigen, daß weniger der Nervensaft des Gehirns als die unbefriedigte Galle des Magens an der Erzeugung eines Buchs arbeiten. Ein überfülter Magen schikt dem Kopfe alle Folgen der Überladung, nämlich Faulheit und Dumheit zu; warum solte ein lerer nicht das Dachstübgen der Sele besser erleuchten, warum sie nicht mit der Heiterkeit und dem Verstande begeistern können, durch deren Hülfe seinen Bedürfnissen abgeholfen wird? – Der Magen sezt einen Gelehrten, der seinen Körper nicht so wie seine Sele mit Luft und Wind nähren kan, in ein gelehrtes Feuer, und die von unten aufgestiegnen Dünste erhellen durch ihre Entzündung das ganze Ideengebiete des Autors so sehr, daß er lauter neue Wahrheiten sieht und dem Drange endlich weicht, sie durch die Presse mitzutheilen. Daher begünstigt eine Theurung die Erfindungskraft der gelehrten Republik ganz ungemein und ein Miswachs des Getraides verspricht eine reichliche Ernte von Büchern. Daher gleichen diese Stüzen des menschlichen Wissens den Thieren, bei denen nur der Hunger die Geschiklichkeit ihrer Kehle in Athem sezt; und die gepriesne Stimme der Wahrheit ist oft nichts als das verstärkte Knurren des unbefriedigten Unterleibs. Gleich der Höle des Äolus beunruhigt der Magen die Welt mit vier bekanten Hauptwinden. Das gelehrte Handwerk scheint auch folgender Sitte zu ähnlichen. In Scandino (im Gebiete des Herzogs von Modena) macht sich das Volk diese Lustbarkeit. Man behängt mit allerlei Eswaren den Gipfel eines Pappelbaums, den man von seiner Rinde und seinen Ästen entblöst. Nach den Lokspeisen seines Gipfels klettern die Bauernkerle, die erst nach vielen vergeblichen Versuchen ihr Ziel ersteigen und sich ihrer Belohnung bemächtigen. Eben so hängt an dem Lorberbaum nicht mehr der Reiz des Ruhms, sondern der Köder der Nahrung, nach welcher die schreiblustige Hand des Autors oft vergeblich hascht, und die sich endlich dem Besieger des schlüpfrigen Stams und dem Ersteiger des Gipfels überliefert. Jedem, auch noch so philosophischen Magen ist der längst verspottete horror vacui eingepflanzt – obwohl nicht allen Köpfen –; was Wunder, wenn die verlegne Sele stat Almosen zu samlen, Varianten, Lieder, Bemerkungen samlet, wenn sie von den Büchern, aber nicht von den Menschen bettelt, wenn sie, gleich verarmten Vätern, sich von dem Erwerbe ihrer geistlichen Kinder nährt, und wenn der Magen die Finger anreizet, nach der Unsterblichkeit zur Verlängerung des Lebens zu greifen? – Was Wunder frag ich: kein Wunder nämlich ists. Und wie sollte es auch, da der Eigennuz alle Wesen beselet? Er kämpfet in dem Heerführer um die blutige Beute, mit welcher das menschenfreundliche Kriegsrecht den Überwinder belohnet, und um den Ruhm, der erst durch ermordete Krieger athmet; er rüstet den ungekrönten Räuber mit Verachtung gegen die Drohung des Gesezes aus, und thut in ihm für den Strik, was er in andern für den Lorber thut. Er verlängert in der Feder des Advokaten Buchstaben, Perioden und Prozesse, und spielet durch die Künste des mit Aktenstaub bedekten Gewissens die rechtliche Uneinigkeit der Klienten auf ihre Enkel. Er angelt im Verliebten mit poetischen Schwüren nach Wollust und Geld, und krächzet aus dem feisten Abte die Lobrede der himlischen Nahrung. Kurz, er fesselt den ganzen vielfarbigen Haufen von Absichten an Eine Kette. Und nur dem Schriftsteller wolte man eine grössere Uneigennüzigkeit ansinnen, als die, sich mit ihrer Larve zu verschönern; nur er sollte sich an die prahlhaften Versprechungen der Vorreden zu binden haben? O so würde die Welt arm an Büchern und reich an Betlern sein; anstat der geistlichen Kinder würden ihre Väter sterben und die Weitschweifigkeit nur christliche Predigten vergrössern, und dicke Quartanten und dicke Bäuche seltner werden. Die vortreflichen heiligen Reden, die nun auf den Kanzeln, in den geheimen Gemächern und in den Kramläden ihre Bestimmung erfüllen, wären gleich anderm Ungeziefer, unbekant unter der Perüke ihres Verfassers gestorben, dem leren Raume der kritischen Zeitungen hätten Muster zu seiner Ausfüllung gefehlet; und die geistreichen Romane wären ungeboren geblieben, die nun den Geist der feinern Liebe durch modische Zoten bis zu der Köchin und dem Kutscher verbreiten, die die Langeweile von dem Golde verscheuchen, und die ermattete Wollust mit gedrukter Lokspeise anködern, die den deutschen Magen mit Eicheln und Konfituren blähen, ohne ihn zu nähren und die Dumheit aller lesenden Stände mit blumichtem Futter mästen. Diesem Hunger verdanken wir die Anstrengung, mit welcher der Dichter seine poetische Pfeife auf Unkosten seiner Lunge bläst, gleich gewissen Derwischen in Ägypten, die mit einem Stos in ihr Horn ihr Almosen fordern, oder den stummen Betlern, die durch ein tönendes Glökgen die Freigebigkeit um eine Gabe ansprechen. Diesem Hunger verdanken wir die Geschiklichkeit, mit welcher der Philosoph auf metaphysischen Seilen tanzt, auf den Beutel der mildthätigen Bewunderung hoffend, und mit welcher seine Ideen, gleich dem Rauche, in die Höhe wirbeln, wo, so viel er weis, neben dem Korbe sokratischer Abstrakzionen auch der sinlichere Brodkorb hängt. Ja diesem Hunger verdanken wir die Wahrheits- und Menschenliebe des Schriftstellers: denn nichts ist natürlicher, als daß die stechenden Säfte des Magens, die Uneigennüzigkeit aus ihrem Schlafe aufspornen, und daß ein Herz vol süsser Menschenliebe zu einem Magen vol bitterer Galle sich schlage. Ich habe selbst einen vortreflichen Schriftsteller gekant, dessen uneigennüzige Fruchtbarkeit an rührenden Bruchstükken das Publikum einem Stokke nagender Würmer in seinem Unterleibe zu verdanken hatte, welche unaufhörlich Ideen an den Magen abluden, der sie darauf durch die Nerven an das Gehirn und endlich an die Sele verschikte. Auf diese Weise waren die Feinde der Musen seine Musen; auf diese Weise vertraten verachtete Thiere bei diesen Meisterstüken des menschlichen Herzens die Stelle der Hebamme, eben so lokken in Arabien die Stiche eines gewissen Insekts aus der Esche das süsse Manna heraus, und eben so verbessern auf der Insel Malta gewisse Maden den Feigenbaum und zeitigen seine Früchte. – Wie sehr überbietet das Werk seinen Schöpfer; wie klein ist das Loch, woraus man oft Quartanten spinnt! – Allein eben dieses versöhnet mich mit dem scheinbar ungerechten Schiksale der Schriftsteller, die durch gedrukte Lügen dem verdienstvollen Beutel eines dummen Gönners ein erzwungenes Almosen abschmeicheln müssen. Denn der weise Apollo wuste zu gut, daß nur hungrige Jagdhunde am besten iagen, nüchterne Läufer am geschwindesten laufen, daß ein zaundürrer Pegasus länger als ein schweres Reitpferd bei Athem bleibe, daß man aus dem Kieselstein das Feuer herausschlagen, und aus dem gepolsterten Stuhle den Staub herausklopfen müsse – Darum stattete er seine Lieblinge mit Armuth aus, verbesserte ihre Sele auf Kosten ihres Körpers und gab ihnen wenig zu leben, damit sie ewig lebten.


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