Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Stehlen ist der Puls der Vielschreiberei. Die gelehrte Republik schäzt, wie Sparta, die Vorzüge der Diebe, die ihre langen Finger unter irgend einem Handschuh zu verstekken wissen, und die Journale winden um die Schläfe derselben schöne Kränze, stat daß die peinliche Halsgerichtsordnung Karl's des fünften ihren Hals mit einem Strik zuschnürt. – Einige Thiere haben in ihren Winterhäusern zwo Kammern, deren eine die eingesamlete Speise, und die andere ihren Auswurf aufbehält. In der Studierstube eines ächten Gelehrten sind daher fremde und eigne Werke, Exzerpten oder Speisekammern, und eigne Papiere, die Behältnisse der verdauten Exzerpten oder geheime Gemächer. Der uneigennüzige Trieb dieser schöpferischen Abschreiber, zum Besten der Menschheit, das unter ihrem Namen drukken zu lassen, was anfangs nur unter dem Namen des Verfassers gedrukt wurde, die Billigkeit dieser Menschenfreunde, ihren Unterhalt nicht aus fremden Kästen, sondern nur aus fremden Büchern zu mausen, schleicht nun auf verschiednen Wegen zu ihrem Zwekke, vermumt in verschiedne Gestalten ihr glänzendes Verdienst. Der eine löthet die disiecta membra poetarum mit eignen Reimen in ein horazisches humano capiti cervicem pictor equinam etc. zusammen, schnizt sich aus Eichen ein hölzernes Musen- und Stekkenpferdgen, wie man aus zertrümmerten im Herkulan gefundenen Pferden von vergoldetem Erzt einen neuen Gaul zusammengos, und opfert weiblichen Nasen die wohlriechenden Extrakte, die er, gleich dem ParazelsusParazelsus extrahirte aus Menschenkoth ein wohlriechendes Extrakt, welches er Zibetha occidentalis nannte. aus poetischen Auswürfen distilliret, und zum Beweis der Wirklichkeit des deutschen Zibeths, der Welt mittheilt. Ein andrer, durch irgend einen grausamen Spiegel mit seiner Kleinheit bekant, flieht ein so mühseliges Handwerk, begnügt sich mit der Beraubung eines einzigen, reitet durch seine Pymäenlenden bewogen, wie Gulliver auf den Brustwarzen eines jungen Mädgen von Broebdignak, so auf denen einer einzigen Muse, oder schneidet höchstens einem fremden Pegasus den Schwanz ab, stekt ihn zwischen seine kindischen Beine, und rudert damit auf die Ewigkeit zu. »Der Eiche Splitter sind der Sträuche Donnerkeile.« Eben so reicht der Raub von etlichen ihrer Blätter zur Bekränzung seines zwergartigen Kopfes hin. – Der eine maskirt sich gleich den bei ihren Diebstälen vermumten Dieben in England, in Namenlosigkeit, und raubt fremden Honig, gegen die Stacheln seiner Besizer mit Bienenkappe und Handschuh versehen; ein anderer verhült seinen Eigennuz in Uneigennüzigkeit, stiehlt dem Schweisse seine Frucht, um sie dem Publikum mitzutheilen, und bereichert sich aus süsser Menschenliebe durch anderer Verarmung, so bestreichen nach Pokokke's Bericht, die ägyptischen Diebe ihren nakten Leib mit Öhle, um bei ihren nächtlichen Thaten nicht ergriffen zu werden. Einige mausen dem Autor nichts als das Buch, welches sie dafür mit einer eignen Vorrede, und auch einem eignen Register ausstatten, d. h. mit einem bessern Kopfe und einem bessern Schwanze verschönern, eben so schaffet Scheuchzer das sogenante Einhorn, indem er dem Bilde des Pferdes einen Eselsschwanz und ein Horn auf der Stirne, anmahlet. Andere fischen im Zirkel freundschaftlicher Vertraulichkeit, nach entfalnen Gedanken grosser Männer, schwazen mit der List des Fuchses in der Fabel, andern einen Käse ab, und verwahren im Gedächtniß die aufgelesene Frucht eines fremden Mundes, für ihre neueste Schrift, so verschlukt der Dieb Edelgesteine in der Hofnung, sie in seinen Exkrementen wieder von sich zu geben. Ja oft bestiehlt der Schüler den Lehrer, lügt der Welt seine erborgte Grösse vor, bis diese vor der grössern ihres eigentlichen Besitzers, wie vor der Sonne, der mit ihren Strahlen prangende Mond, erblast, oder verwahrt seinen Raub bis zum Tode des Eigenthümers, um ihn hernach durch eigne Zusäze unkentlich zu machen: so säugte einmal eine Wölfin den Son eines Gottes, den Romulus. Einige unsterbliche Autoren verschlechtert ihren Diebstahl zu ihrem Eigenthum, und prägen auf Silber ihr langöhrichtes Ebenbild; andere wollen den Zeugen ihrer Armut mit unnüzem Reichthum verdächtig machen, und verbrämen den gestohlnen Kastorhut mit eignen abgeführten Tressen. – Darum ist oft der Verfasser schlechter als sein Buch, und das Kind dem Vater so unähnlich, darum verstummen oft in Gesellschaft die Unterhalter einer ganzen Lesewelt – eben so geniest man nicht das Krokodil, sondern nur seine Eier. Daher schreibt sich das Buntfärbige mancher Schriften: denn eigentlich genommen, sind die Kazen, die Originale der gelehrten Diebe, nach dem Urtheile der neuesten Naturforscher, höchstens zweifärbig. –

Viel zu schreiben, mus man wenig verbessern. Jeder ächte Skribent wird mir beifallen und die Schädlichkeit der Kritik gestehen. Dieses Ungeheuer nährt sich von den Schoskindern der Schriftsteller und fordert jede geistige Erstgeburt zum Opfer – doch ist, nebenher anzumerken, hiervon die Erstgeburt des Esels, wie im alten Testamente, zum Troste der heutigen Autoren ausgenommen. – Die Kritik polirt, aber auf Kosten der Grösse. Sie ist der Stimhammer der poetischen Instrumente; aber wer weis nicht, daß das Stimmen die meisten Saiten kostet? Der Kam kämmet die Hare in Ordnung; aber er reisset ihrer auch genug aus. Und dazu wird sich wohl kein heutiger Autor verstehen; denn erstlich weis er ja, daß sein Produkt für die Verbesserung zu gut gelungen, und daß sein Kind für eine nachfolgende Erziehung zu vollkommen geboren ist. Spottend einer schädlichen Ängstlichkeit, die sich in Kritik verstellt, schüzet so ein Meister die Werke des ersten Augenbliks gegen die Verbesserung des Fleisses, und entzieht so gar sichtbare Unebenheiten der kritischen Feile. Je grösser er ist, das heist, je grösser er sich zu sein dünkt, destomehr verschmäht er die Vollendung, desto weniger verhunzt er die Fehler der ersten Hand durch die Arbeit der lezten. Denn in der Unvolkommenheit seines Werks selbst verräth sich die Volkommenheit desselben; je sichtbarer die Flekken auf der Perlenmuschel; desto grösser die Perlen darinnen. Die Regeln fesseln nur Geistesarme, wie der Churfürst von der Pfalz Betler zu Leibeigenen machen kan; und durch die Befolgung derselben verliehrt sich der Anschein von Originalität in kahle Regelmäßigkeit. Politur zeugt von Schwäche, so widerspricht nach dem Talmud die glatte Haut eines Mannes dem Versprechen seines Geschlechts, und Rauheit ist Schönheit, wie die Mahler alle Engel mänlichen Geschlechts mahlen. Da übrigens die heutigen Skribenten so sehr nach dem Natürlichen und Ungekünstelten haschen, wie ich weiter unten bei Erwähnung ihres vortreflichsten Talentes, der Schwülstigkeit, zeigen werde, da sie die Sichtbarkeit der ängstlichen Kritik so viele Werke verstellen und meistens den Schorstein über das Haus hervorragen sehen, so ist ihnen der Has gegen jede Verbesserung nicht zur verübeln. Zwar behaupten einige, eben der Kunst verdanke man die Natur, und jene sei da am grösten, wo sie am verborgensten ist – nur klaren Saiten sähe man die Schwingung nicht an, und wer sich gewaschen, müsse sich freilich hernach abtroknen – und endlich die Kritik sei nie die Muse selbst, sondern nur ihre Hebamme, gehe nur als ein leuchtender aber kalter Mond nach dem Untergange der blendenden und heisen Sonne auf, und wie die Gothen sich zweimal, trunken und nüchtern, berathschlugen, so gälte sie nur in Geselschaft des Enthusiasmus. Allein alles dieses trift die heutigen Autoren gar nicht. Denn der Gebrauch der Kritik würde ihre Werke nicht verbessern, sondern vernichten, welche, gleich dem Blei, nur in der Hize glänzen, und erkaltet sich mit einer widrigen Farbe überziehen, ja da diese vortreflichen Köpfe sich nie zu Lesung einer aristotelischen Poetik herablassen, so mus ihre eigne ungebildete Kritik ihre Arbeit nur noch mehr verschlechtern: so beschmuzt der Grönländer sein Gesicht, indem er es mit seinem Speichel wäscht – Auch weis jeder, daß grosse Schriftsteller sich durch die kurze Bearbeitung ihrer Werke von den kleinen auszeichnen, die einem einzigen Buche ein halbes Leben widmen, wie umgekehrt grosse Thiere länger als kleine brüten und tragen. – Zweitens – ich sagte oben erstlich – liebt jeder Vater das Misgeschöpf seiner Lenden, und stat eine Misgeburt gleich den Wilden zu töden, komt er schwachen Kindern durch väterliche Zärtlichkeit zu Hülfe wie die grönländischen Mütter die ihrigen durch lekken zu stärken vermeinen. Gegen einen solchen Kindermord sträubt sich der erste Naturtrieb aller Wesen, ich meine der – Hunger im väterlichen Magen, der Gedanke an die verminderte Bogenzahl. Sezt zu diesem noch die Kränklichkeit der meisten schriftstellerischen Produkte und ihren baldigen Tod, wird man da noch den Dolch der Kritik zur Verstümlung oder gar zur Ermordung derselben auffordern wollen? Sol der Vulkan den Würmern die Nahrung vor den Zähnen wegnehmen? Sol der Vater den Henker seiner Kinder spielen? sol er dem Zahne der Zeit mit seinen eignen Zähnen vorkäuen? Ach last doch dem Schriftsteller die Liebe gegen eine Schande, die so bald stirbt, und zwingt ihn nicht zur Ermordung eines so hinfälligen Ruhms! Nie wafne er die zärtliche Hand gegen das Kind, das sie gezeugt; nie vergehe sein Kunstwerk unter dem Meisel, der es gebildet; und nie fliesse aus der Spize seiner Feder, wie aus dem Schwanze gewisser Schlangen, die giftige Dinte, die die neugebohrne Zeile hinrichtet! –

Aber nicht nur eignem, sondern auch fremdem Tadel, opfert der echte Skribent keine Zeile auf. Er billigt das Lob einer Rezension, aber er kehrt sich an keine Misbilligung. Und wie solt er auch? Fält er das Urtheil über seinen eignen Werth doch allein mit der Unparteilichkeit, deren der Neid den Kunstrichter unfähig macht; hat er doch allein die Augen, seine geschafne Schönheiten zu sehen; ist er doch allein der beste Leser, wie der beste Schriftsteller, allein der Pygmalion, der sich in sein steinernes Geschöpf verliebt! Darum schmeichelt er seinen entdekten Mängeln, wie die Hunde ihre Gebrechen lekken; darum sumset er um die Ohren seines Tadlers die Strafe einer langweiligen Widerlegung, und sticht ihn mit Epigrammen in den Strumpf, eben so schossen die Thrazier Pfeile gegen den Donner; darum nähret Zurechtweisung seinen Zorn und sein beunruhigter Stolz erscheint in verstärkten Glanze, wie umgerührte Dinte schwärzer wird. Sehr billig ist er, wenn er den Tadel verzeiht, ohne ihn zu benuzen; wenn er den Fehler betastet und ihn sizen läst, wie manche den Hut berühren, ohne ihn abzunehmen. Auf gleiche Weise trozt seine Unverbesserlichkeit der Satire. Da er weis, daß das Kleid der Satire oft gerade dem Endzwekke entgegenwirkt, den nur der Körper derselben erreicht, daß ihre Form Thorheiten veranlagt und nur ihr Inneres Thorheiten verhindert, wie die Körner der gelben Distel (Argemona Mexicana) laxiren und die Blätter derselben verstopfen; so freuet er sich ihres beissenden Wizes und seiner Fehlerlosigkeit zugleich, dichtet dem andern die verlachten Fehler an, und das Kind geisselt mit der Ruthe des Vaters seine Spielkameraden. –

So mus ein rechter Schriftsteller wohl stolz sein? Ja! das mus er. Auch ragt blos durch den Stolz der deutsche Parnas über den eiteln französischen hervor, und ihm verdanken wir die gehofte Bewunderung der Nachwelt. »Gesegnet sei der Man, der den Stolz erfand. Der Stolz ist der Mantel, der alle Grillen bedekt, eine Speise für den Hungrigen, ein Trank für den Durstigen, eine Wagschale, die den Schäfer dem Könige, und den Dumkopf dem Klugen gleich macht, kurz eine algemeine Münze, für die man alle Dinge kaufen kan.« So könt' ein zweiter Sancho Pansa den Stolz loben, wie der erste so den Schlaf lobte. Und gewis mit Recht. Stolz ist die Mitgabe des Dichters; Wärme dehnet die Luft aus. Gewöhnlich fürchtet sich jeder Esel vor dem Schatten seiner OhrenSiehe den Artikel vom Esel, in Büffon's Naturgeschichte. allein die Musensöhne spiegeln mit inniger Wollust ihre Gehörwerkzeuge – die Früchte eines unfruchtbaren Kopfes, die Pilzen auf dem Miste – in dem blinkenden Thaue und dem murmelnden Bache ab. Solche grosse Köpfe machen ihre Zunge zu ihrer eignen Schmeichlerin, wie das Rindvieh sich gerne lekt; aber nur das Rindvieh, nicht der Poet schadet dadurch seiner Mastung. Freilich, da das Rindvieh jenes Lekken unterläst, sobald man es mit seinem Kothe beschmiert, so solte man denken, daß kritische Peitschenhiebe jene Unsterbliche aus dem Traum von eigner Grösse wekken, daß eignes Lob an fremden Tadel scheitern und und Stolz an der Satire wie der Pfau an Brennesseln sterben müsse. Allein weit gefehlt! Vielmehr befruchtet den Stolz satirische Galle; er gleicht gewissen Früchten, die von jeder unsanften Berührung aufschwellen. Zum Ersaz des verweigerten Weihrauchs, schmeichelt er seiner Nase mit dem Opferdufte seines Unterleibs, und freuet sich der wohlriechenden Blähung. Unicuique stercus suum bene olet. Einem jezigen Tadel sezt der Schriftsteller das Andenken eines vorigen Lobes entgegen. Ich glaube daher, daß die litterarischen Gözen des vorigen Jahrzehends die Abgötterei des jezigen über die Erinnerung ihrer vergangenen Ehre leicht verschmerzen, daß sie jede Wunde von Geiselhieben mit wohlriechendem Balsam aus den Büchsen des vergangenen Jahrzehends leicht salben und so wie man Tabak gegen den Gestank nimt, sich den bittern Theil des Lebens mit seinem süssern leicht verzukkern können. Eben so riecht der Fuchs an den nelkenartigriechenden Flekken seines Schwanzes, seine Krankheit hinweg. Aus diesem allen erhellet, daß der Stolz früher als der Lorber keime, oder ihn mit seiner Fülle erstikke, daß der Stolz den Schriftsteller zum Schriftsteller mache, ja daß er mit dem Verdienste in umgekehrtem Verhältnisse stehen müsse. Denn wer geschwinde fährt, glaubt, daß ihm alles entgegenkomme und er nur stillestehe; dahingegen der Schwindelnde sich zu bewegen vermeinet, ungeachtet er auf einer Stelle bleibt. Daraus folgere ich, daß die Bescheidenheit wenige heutige Autoren, und der Stolz die meisten kleide; daraus folgere ich, daß wir den Gipfel der schriftstellerischen Volkommenheit erstiegen haben: denn nur auf hohen Bergen schwellen lere Blasen auf.


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