Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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II.
Über die Theologen

Ein Brief

Theuerster Herr Konfrater!

Ihr Stilschweigen hat so lange gedauert als meines, aber Sie werden das Ihrige nicht so gut entschuldigen können. So viel zu thun, wie ich, haben Sie wenigstens nicht gehabt! Denn lesen Sie nur. Sie kennen den berühmten Freigeist in meiner Diözes, dessen Schriften die ganze Welt kent. Er ist tod – aber er starb besser als er lebte. Es wiederfuhr ihm nämlich das Schiksal verschiedener grosser Männer, deren Leben ihr Tod beschämte. Diese Lichter der Welt gleichen unsern gewöhnlichen Talglichtern, die, wenn blos ihre Flamme verlöschen, fortglimmen und stinken.Blos auf dem Körper beruht die ganze Standhaftigkeit im Tode. Freilich stinkt ein glimmendes Talglicht; allein ein glimmender Wachsstok riecht gut. – Ein hiziges Fieber fras so alle Kräfte meines Freigeistes auf, siegte so über seinen Verstand, lähmte so seinen Muth und widerlegte so seine Grundsäze, daß ich ihn nach einem eifrigen Gebete vermittelst heisser Buspredigten und vermittelst des Arguments a tuto von acht bis zehn Geheimnissen überzeugte. Und schon hatte zu den übrigen eine schädliche Aderlas ihn vorbereitet, und ich brauchte an sein Heil nur noch die lezte Hand zu legen, als der Tod meiner Bekehrung das ganze Spiel verdarb, und die Schere der Parzen mit seinem Leben zugleich meinen Sorites zerschnit. Freuen Sie sich der Macht der Orthodoxie. Zwar war sein Körper seinem Geiste gewachsen, und seine Krankheit allein sorgte für den Beweis meiner Säze; zwar vereinigte sich sein heisses Blut mit seinen schwachen Nerven und sein Kopf mit seinem Magen, die Sele dem Rachen des Teufels zu entreissen, und die Phantasie erwärmte den erstarten Aberglauben der Kindheit zur Besiegung der Vernunft – allein dies alles verdunkelt den Triumph meiner Dogmatik nicht im geringsten. Denn es ist ein grosser Beweis für die Wahrheit des Christenthums, wenn der, der Verstand besizt, dasselbe annimt, so bald er ihn verliert, und ohne übernatürlichen Einflus ist es unmöglich, eine kranke Sele in einem kranken Körper zu heilen. Für vier Wände schimmert also mein Sieg zu prächtig; darum beschreib' ich ihn in einem Buche, das ich zum Besten der Christenheit für ein ansehnliches Honorarium drukken lassen wil. Denn dem gewissen Spotte aller Klugen opfere ich die wahrscheinliche Erbauung etlicher Schwachen nicht auf. In diesem Buche nun versichere ich die Welt, daß ich durch eine Menge Disputazionen über die natürliche Theologie meinen Freigeist zum Christenthum vorbereitet, dessen Geheimnisse er alle vor seinem Tode, versichere ich, im Glauben angenommen. Hiezu habe ich mir von dem hiesigen Bücherverleiher etliche Bücher entlehnet, um daraus die Beweise für die Wahrheit des Christenthums abzuschreiben, mit denen ich meinen kranken Proselyten bekehret. Zu diesen fremden Beweisen füg' ich einen eignen unwiderlegbaren hinzu, der mir neulich im geheimen Gemach beigefallen, und dessen Kraft auf Gedankenstrichen, Exklamazionen und Fragezeichen beruht. Mein Gefühl nämlich widerlegt die Vernunft der Freigeister d. h. mein Unterleib und meine Säfte entwafnen den Kopf der Ungläubigen. Und ein ganzer Rumpf mus doch wohl einen Kopf überwiegen? Wie denn überhaupt mein Blut und meine Nerven dem Satan noch manchen Abbruch thun werden. Ja selbst mein künftiges Fet sol für die Erleuchtung der Heterodoxen schmelzen – diesem Versprechen verdank' ich auch mein fetmachendes Amt. – Ich werde dem gedachten Buche auch allerhand Gebete für Verstokte einverleiben, an deren Dasein mein Herz aber wenig Antheil hat. Denn wie die Katholiken Rosenkränze aus Ochsenhörnern fabriziren, eben so müssen Protestanten die Gebete blos aus ihrem Kopfe herausspinnen. Endlich werd' ich allem diesen noch die Widerlegung eines Buchs meines Helden beifügen, das schon neulich von einem Schok Programmen gründlich widerlegt worden. Um meinen Lesern, die ienes Buch nicht haben, die Kosten des Ankaufs und denen, die es haben, die Mühe des Nachschlagens zu ersparen, werd' ich meiner Widerlegung gegen über, alle Einwürfe meines Gegners noch einmal abdrukken lassen. Übrigens enthält ia auch die östliche Seite von der Wurzel des Eselsgallenbaums den Gift, gegen den die westliche Seite seiner Wurzel mit ihrem Gegengift verwahrt. – Ich werde noch etwas drukken lassen. Auf die Nachricht nämlich, daß iemand aus der Bibel eine Quintessenz von lehrreichen Fragezeichen distilliret habe,Siehe den Pontius Pilatus von Lavater. habe ich eben dasselbe mit den Ausruffungszeichen versucht, worauf die Samlung biblischer Kommate und Punkte folgen sol. Wiewohl das beständige Nachschlagen in der lutherischen Übersezung, meine Finger viel Nachdenken und vielen Fleis gekostet, so belohnet mich doch dafür die Hofnung, alle Gegner der Religion dadurch entwafnet zu haben. Daher ich diesem Auszuge noch überdies Anmerkungen beigefügt, die mehrentheils unwiderlegbare Fragzeichen, rührende Exklamazionen, und nüzliche Gedankenstriche über die exzerpirten Bibelsprüche enthalten. – In der Vorrede sag' ich allen Heterodoxen ins Gesicht, daß sie Zahnärzte sind, die der runzlichten Theologie die hohlen Zähne ausreissen, und ihr durch diese Operazion den üblen Athem rauben, an dem sich tausend exegetische Nasen weiden; ia ich werf' ihnen ihre Unart vor, die Sprache der Bibel in die heutige zu kleiden und so auszulegen, daß man es versteht – stat daß bessere Exegeten, wie die Elephanten, nie das Wasser trinken ohne es zu trüben. Auch thue ich darin einen kleinen Seufzer über mein Unvermögen, nicht die Nacht wie Jupiter bei der Alkmene verlängern zu können. – Aber genug von meinen Büchern, und nun etwas von meinen Kollegen!

Diese Mitarbeiter am christlichen Weinberge, die insgesamt das Bier lieben, versamlen sich von Zeit zu Zeit in die Wohnung unsers Hern Superintendenten, wo sie sich über das Beste der Kirche immer berathschlagen, und selten zanken und oft betrinken. Wie ersprieslich dieses Institut für das Beste der Kirche ausfalle, mögen Sie daraus urteilen! Jeder Pastor scharret sich ein Häufgen kasuistischer Zweifel zusammen, an denen sich unser gemeinschaftliche Scharfsin übt. Zwar entstehen und leben diese Zweifel von den Ausdünstungen schaler Köpfe, allein sie küzeln auch wieder dafür die grübelnde Eitelkeit dieser Köpfe. So errichteten die alten Peruaner dem Vorsteher ieder Provinz einen Tribut von Bechern vol L-s-, die noch in andrer Rüksicht ienen Zweifeln ähnlichen. Der Herr Superintendent ferner – doch ich mus Sie erst ihn kennen lehren. Er ist das Echo der Orthodoxie, und untersucht zwar nicht, glaubt aber doch dafür; hat nicht Augen zum Sehen, sondern nur Ohren zum Hören. Einige meinen, er ziehe die Dumheit, wie andere Leute die Sontagskleider, die Woche nur einmal an; aber ich bin seiner Frömmigkeit das Geständnis schuldig, daß er unausgesezt ein treuer Freund des Nichtdenkens gewesen, welches er von seinem Vater seliger nebst alten Büchern und verschlagnen Münzen geerbet. Daher drukt er sich gewisse Meinungen tief ins Gedächtnis, um seinen Verstand fest davon zu überzeugen, und hält seine in Schweinsleder eingebundne Schilde den Pfeilen der Weisheit entgegen. Und mit einem solchen Verstande trabt er denn so in den Himmel, wie Muhammed auf seinem Esel ins Paradies. Er ist so heilig, daß er tugendhaft zu sein nicht nöthig hat; daher er auch seltner in die glänzenden als nichtglänzenden Laster der Heiden verfällt. Mit den Seufzern, der Quintessenz seiner guten Handlungen, verbindet er noch häufiges Beten, weil er sich seiner Zunge als des einzigen Glieds bewust ist, dessen Thätigkeit die wenigste Mühe und den kleinsten Verstand erfordert. Um doch auch zu arbeiten, beobachtet er den Müßiggang seiner Sele, und stelt Wetterbeobachtungen über die aufsteigenden Wolken seines Unterleibes an. Seinem Nächsten kan er höchstselten dienen, weil er immer Got dienen mus. Doch thut er demselben, um ihn zur Busse zu leiten, oft einen kleinen Schaden an, und hast ihn, weil ihn Got hassen wird. Diesen Has vergrössert nicht selten eine übernatürliche Erleuchtung, die ihm etwas gewöhnliches ist – eben so vermehrt der Strahl der Sonne die Schärfe des Eßigs. In seiner Jugend sol ihn nie die Menschenliebe verlassen haben, die die Lenden zeugen und tödten. Daher er auch gelehrigen Selenschwestern nie bessere Belehrung über wichtige Tropen in der Mystik versagte. Freilich reiften die aufgestiegnen Gedanken seiner irdischen Glieder in dem himlischen Gliede, in dem Kopfe, zu gesalbten Seufzern, wie die Dünste kothigter Örter in der Höhe zu Schnee gefrieren. Sein Bruder (vergeben Sie mir diese Fortsezung meines Schilderns, in das ich nun einmal gerathen bin) hat sich durch seine Verdienste zu einem Konsistorialrath empor geschwungen. Denn er hat nämlich mehr Kapitale als kluge Gedanken, und eben so viele Thorheiten als Schmeichler. Sein Kopf ist der Sklave seines Magens, und seine Orthodoxie nicht selten das Opfer seines Weins; er schäzet ausser seinem Kochbuch auch seine Dogmatik, und ausser seinem Koche, auch seine Kollegen, aber Unruhen seines Unterleibs erfüllen ihn mit Gleichgültigkeit gegen die Unruhen der Kirche. Zum Besten lehrbegieriger Würmer hat er sich auch eine Bibliothek angeschaft, und seine Bücher nähren weniger ihn als nachbarliche Mäuse. Ausser diesen Verdiensten sol ihn auch eine Hure mit der Würde, ein so wichtiges Glied der geistlichen Braut zu sein, gestempelt, und eine Schäferin ihm den Schafstal eröfnet haben. Darum vertheilt er auch dankbarlich Ämter und Huren in Paren. – Übrigens läst seine Zunahme an Fet und Dumheit sich nur mit der Zunahme seiner Ehre vergleichen. –

Der Herr Superintend ist also, um wieder aufs Obige zu kommen, der Vorsteher der ganzen Versamlung. Er schlichter jeden Zank durch seinen Ausspruch, der natürlicher Weise alzeit richtig ist. Seine Nase weis jeden Embryon eines Zweifels in unsern Köpfen aufzuspüren, und seine Zunge denselben zu vernichten. Ein gewisser Vogel, der Ochsenhakker, (Buphaga africana L.) sol mit seinem Schnabel so lange den Rükken des Rindviehes verwunden, bis er die Larven der Ochsenbremen unter der Haut desselben hervorlangen kan. Ein nüzlicher Vogel! – In dieser Geselschaft schlug man neulich verschiedene Mittel vor, die Ausbreitung der Heterodoxie zu hemmen. Zum Beispiel, um die Gegner zu widerlegen, müsse man nicht mehr widerlegen, sondern schimpfen. Das heiss' ich gut gerathen! Denn unsere Stimme ist überhaupt fürchterlicher als unser Kopf. Sol doch nach dem Berichte der Alten ein Elephant vor dem Grunzen eines Schweines zittern. Und da die Welt mit einer solchen Blindheit geschlagen ist, daß sie anfängt im Finstern nicht mehr zu sehen, so ist es sehr billig, ihren Augen durch Faustschläge Licht zu verschaffen. Auch wird jede Sele den Ruhm jener Gänse des Kapitols verdienen wollen. – Ein anderes Mitglied meinte, Aufwieglung des Pöbels oder der Obrigkeit würde der jezigen Erleuchtung am besten abhelfen. So reizen die Wilden ihre Hunde, die Finsternis des Mondes wegzubellen. Diesem Vorschlage fügte er noch eine rührende Leichenpredigt auf die Dumheit bei. »Schade freilich sagt' er, daß man nicht mehr durch die Asche verbranter Kezer die Kirche vor andern Kezern, wie der abergläubige Schäfer durch pulverisirtes Wolfsfleisch seine Schafe vor den Wölfen, schüzen kan! – Aber warum seid ihr verschwunden, ihr Zeiten, wo Dumheit sich mit Feuer am Lichte der Vernunft rächte, wo die Frömmigkeit noch lange Ohren trug, und lange Strahlen warf, wo lateinisches Yanen noch der leisen und einfachen Stimme der Wahrheit gewachsen war – ihr Zeiten, wo priesterliche Gewalt sich auf das Elend des Klugen und des Pöbels zugleich steifte, und wie der Tempel zu Ephesus, sich auf Kohlen der Eichen und auf Schaffelle mit Wolle, gründete, und wo die Überbleibsel der Wissenschaften nur noch in düstern Köpfen schimmerten, wie man sonst, da es noch keine Laternen gab, das Licht in Ochsenhörner stekte. Freilich ist diese Finsternis unserer Zeit blos dem Fürsten der Finsternis zuzuschreiben.«Eben so bürdet der Sineser einem kämpfenden Drachen die Verfinsterung des Mondes auf, die er blos sich und seinem dunkeln Wohnplaze aufzubürden hätte. – Aber es ist noch nicht so arg, warf mein Nachbar ein. Die meisten wiederkäuen nur die Heterodoxie, und sie ist blos im rechgläubigen Maule und noch nicht im Magen. Zwar geben wir viele unserer Waffen dem Roste Preis; allein von Messe zu Messe liefert doch die theologische Schmiede neue oder wenigstens solche, an denen man die Merkmale ihres Gebrauchs und ihres Alters weggeschliffen, und ich mus zur Ehre verschiedener jeziger Theologen gestehen, daß sie auch da nicht denken, wo sie nicht nachbeten. »Aber das ist ja schon ärger als arg, nicht mehr nachbeten«, sagte der Her Superintend. »Ew. Hochehrwürden haben vollkommen Recht« sagte mein Nachbar. – Ein andrer schob die Schuld der Verschlimmerung der priesterlichen Denkungsart auf unsern Mangel an polemischen Kentnissen. Sonst schärfte jeder Student an den Kezern, die er aus der Vorlesung eines Doktors kennen lernte, seine polemischen Waffen, gleich dem Kinde, welches seinen Zähnen das Auskriechen vermittelst der Wolfszähne erleichtert, mit denen es sein Zahnfleisch reibt. Aber wo ist jezt das Studium der Polemik? Oder vielmehr das Studium der Patristik, rief ein dritter. In London öfnete man unter dem Karl dem II. die Gräber, um über die Pest durch Gestank zu siegen, und gewis würde dem Unglauben das erneuerte Studium jener vortreflichen Kirchenväter, eines Laktanzius, Augustins u. s. w steuern, das nun durch Semlern ganz in Abnahme gediehen ist. Vorausgesezt nur, sagte ein Kandidat, daß man die Kinder besser erziehen lernt. Ich informire schon dreissig Jahr, und meine Ehre ist schon eben so lange das Opfer der eigensinnigen Eltern, die ihren Kindern stat dunkler Worte klare Ideen eingeprägt haben wollen. Als wenn Schullehrer nicht eben so wie die Kirchenlehrer den hölzernen Armen gleichen müsten, die an den Wegen den Wanderer zurechtweisen, als wenn Gedanken in jungen Köpfen nicht künftigen Unglauben vorherbedeuteten, wie nach der Weissagung des Bauers die durch Blatminirer entstandenen Krümmungen auf den Baumblättern, Anzeichen künftiger Schlangen sind. Nachdem man endlich den »Anekdoten des Hrn. Tellers für Prediger« die Lobrede gehalten hatte, daß ihre Gemeinnüzigkeit allen Beifal des jezigen Publikums und alle die Bewunderung der Nachwelt verdiene, welche die allgemeine deutsche Bibliothek, nach der Weissagung des Hern Verfassers, entbehren wird, daß ferner dieses vortrefliche Buch, welches nur den Verständigen misfalle und dagegen jeden Orthodoxen für den stechenden Wiz seiner Gegner schadlos halte, der weissen Nieswurz (veratrum album L.) gleiche, die für die Pferde ein Gift, und für die Geschwüre des Rindviehs eine Arznei ist, welche durch die Bremsen auf den Rükken desselben entstehen – nachdem man endlich die Bonsmots der Pfarhern in diesem Buche gelobt und auf Veranlassung des Wizes des Hern Tellers die Bemerkung gemacht hatte, daß modische Laune sich selbst zu finstern Köpfen paren könne, wie Herr Gachet von Beausort in der Leber der Hämmel Schmetterlinge gefunden haben wil – so schlossen etliche Komplimente die ganze Unterredung.


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