Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Aber ich schliesse meinen Brief noch nicht, sondern liefere noch etwas aus einer zweiten Unterredung, solt' es auch auf Kosten ihrer Geduld geschehen. Nachdem uns der Herr Superintend mit der neuen Bemerkung überrascht hatte, daß Geistliche schwarze Kleider zum Unterschiede von denen tragen, die bunte tragen, wie die Indier ihre Zähne zum Unterscheide von den Thieren schwärzen, die weisse haben, so las ein Diakonus eine Abhandlung ab, deren Gründlichkeit mich berechtigt, Ihnen einige Stükke daraus mitzutheilen. Sie demonstrirt die Schädlichkeit des Denkens so gut, daß ihr zu einer rechten Demonstration blos der Schlus quod erat demonstrandum fehlet, den ich nicht selten die Demonstrazion der Demonstrazion zu nennen pflege. »Der Apfel der Eva verursachte eben so viele Streitigkeiten als der Apfel der Eris. Und gewis ist der Streit über die physische Möglichkeit der Zerrüttung, die der Genus der bekanten Frucht im menschlichen Körper erzeugte, noch nicht ganz beigelegt. Und wie solt es auch, da jeder sich zur Beantwortung dieser Frage aufs Träumen legte, und kein Ausspruch der Kirche auf irgend einen Traum, das Siegel der Wahrheit drükte? Ich schmeichle mir am besten geträumt zu haben. – Der Baum des Erkentnisses des Guten und Bösen ist, wie der Name selbst an die Hand giebt, die Fähigkeit zu denken oder wenn man wil, die Wissenschaften. Davon essen heist nachdenken oder vielleicht über das summum bonum, den Zankapfel aller Philosophen, nachdenken. Die Schlange, welche Evam zum Denken verführte, mag wohl die gewesen sein, die nachher das Bild der Pallas Polias auf der Akropolis zu Athen beschüzte. Dieses wird durch die Muthmassung des heiligen Bernhardus noch wahrscheinlicher, daß der Luzifer oder diese Schlange auf den Berg des Erkentnisses geflohen sei. Diesen Berg nanten die Heiden den Parnas. Kurz dem Apollo mit Horn, Schwanz und Pferdefus haben wir das Denken zuzuschreiben, das unsere Körper vergiftet. Denn man vergleiche auch nur die Opfer dieses Gifts mit den Glüklichen, welche seinem Einflusse durch Nichtdenken vorbauen. Der Nichtdenker, der seinen Magen nie seinem Kopfe aufgeopfert, seinen Nervensaft nie für die Befruchtung eines tiefsinnigen Gedanken verschwendet, ist das leibhafte Bild der Gesundheit. Sein Gesicht ist kein Register des Gehirns, aber auch kein Beispiel seiner Verwüstung. Sein Kopf ist keine Werkstätte der Gedanken, und eben darum auch keine der Schmerzen. Keine Ruhe verdikt sein Blut oder macht den Kopf den Residenzstädten gleich, nach welchen die Kräfte des ganzen Körpers streben. Nicht Hypochondrie, sondern Gemächlichkeit schwellet seinen Unterleib. Aber stellet den Denker dagegen, dem man eine Sele ansieht und einen Körper wünscht. Wenigstens einen bessern, als den, der sich im Dienste des Geistes aufgerieben und durch seine Abnahme der Unkörperlichkeit seines Verwüsters zu nähern scheint. Er gleicht den Lampen, die oben mit Öle und unten mit Wasser gefüllet sind. – So vereinigen sich in seinem Kopfe alle Kräfte des geschwächten Körpers. Die Stirne ist zum Behältnis des Samens der Weisheit gefurchet, und von Runzeln durchschnitten, diesen Narben eines jeden Streiters gegen die Dumheit. Das Feuer, welches seinem Magen fehlet, löscht, wie das vestalische, nie in seinem Kopfe aus, und lekt almählig die Kräfte hinweg. Kurz seine Sele und sein Körper überleben so gleichsam das Leben, daß für diese Welt die eine zu weise und der andere zu mager wird – Woher übrigens die Gesundheit der Thiere? daher, weil sie noch weniger als ihre Besizer denken; oder der Wilden? weil sie im halben Stande der Unschuld leben; und der Mönche? weil sie beten, Messe lesen und desgleichen. – Shakespear sagt, volle Wänste haben lere Köpfe. Wie gut läst sich dieses für einen bekanten Stand anwenden. Die Dumheit liebt fetten Boden; daher das verdienstvolle Fet derer unberühmten Männer in berühmten Ämtern, die alle die Verdienste verlieren, die man an ihnen belohnet hat, und ihres Amts würdig zu sein aufhörten, nachdem sie es bekommen hatten. Daher manche, um in ihrem Amte auf Mastung zu stehen, das Denken verschwören, wie man die Vögel fetter macht, wenn man sie blendet. Daher ist die Dumheit die langgesuchte Universalmedizin. Daher können Ärzte nur sich selbst am besten heilen. etc.« Dieser bündigen Abhandlung sezte unser Herr Vorsteher blos den wichtigen Einwurf entgegen, daß der Geheimnisse und Wunder, deren Vermehrung jedem am Herzen liegen müsse, durch jene Träumerei eines weniger würde. Übrigens, sagt' er, ist es viel gefährlicher, das erste Buch Mose als die Offenbarung Johannis auszulegen d. h. in den Potentaten die Originale zu den apokalyptischen Thieren zu finden, wie der Astronom in einer Anzahl von Sternen die Ähnlichkeit mit einem Erdenthier, und inspirirte Träume durch menschliche zu erklären – angesehen das erste Buch Mose weit wichtiger für das Heil der Menschen ist. Aber dem Ärgernis etlicher Kleingläubigen nicht jede neue Wahrheit aufopfern, den Braminen nicht ähnlichen zu wollen, die für das Heil einer Mükke besorgt, kein Licht anzünden, das heiss' ich Sünde. Ja und eben diesen Kleingläubigen, sagt' ich, sind wir die Beibehaltung eines jeden grauen Sazes schuldig. Und gewissen Gegnern, die gewisse Lehren von der Kanzel verbannen wollen, weil sie ihnen schädlich vorkommen, braucht man blos entgegenzusezen, daß sie nüzlich sind. Eben so vortreflich urtheilten einmal die Madritter Ärzte. Den Einwohnern Madrits nämlich wurde verboten, die Gassen zu Nachts in ein geheimes Gemach zu verwandeln, dessen Gestank die Luft infizirt. »Oder vielmehr reinigt, schrien jene Äskulape, da der Koth die faulen Theilgen der Luft in sich saugt, und dadurch ihrem gefährlichen Einflusse auf den Körper zuvorkomt.« Nicht zu gedenken, daß man dadurch Luthern die Ehre entzöge, das dem kirchlichen System zu sein, was die Büste des Klaudius der spanischen Kirchenuhr war, für welche sie als ein Gewicht gebraucht wurde.Der Kardinal Kolonna brachte diese Büste nach Spanien, deren dortiges Schiksal erst Lord Galloway im spanischen Sukzeßionskrieg erfuhr. So wenigstens entsinne ich mich es im ersten Theile von Home's Geschichte der Menschheit gelesen zu haben. – Zulezt vereinigten sich alle zur Verwerfung der neuen Gesangbücher, weil die neue Politur den alten Liedern ihren vortreflichen Rost gekostet hätte. Mit dem Verlust ihres Rosts ist aber der Verlust ihres Werths verknüpft. Darum wäre es christlich gewesen, sich diesem Unternehmen gleich dem tiefsinnigen berlinischen Kaufmanne entgegen zu sezen. Läst man doch auch in Bremen den Dom nicht reinigen, weil man davon den Verlust seiner Kraft befürchtet.Siehe die berlinische Samlung der besten Reisebeschreibungen 2 Theil Seite 92. Nun aber genug von diesen nüzlichen Unterredungen.

Mein Herr Vetter, dies mus ich Ihnen nur melden, hat sich durch den Sprung in ein reiches Ehebette die Krone der Vernunft, den Doktorhut, ersprungen. Oder vielmehr umgekehrt. Denn seine Gattin schlug ihren Ring dem mänlichen Finger ab, den kein Doktorring geziert. Auch enthülte sein ofner Beutel die versperren Vorzüge seines Kopfes in einem solchen Glanze, daß alle Dekanen, Professoren u. s. w. ihr lateinisches Unvermögen beklagten, ihn nur in Superlativen loben zu können. Doch hat man nicht blos seinem Beutel, sondern auch seinem Schmause die guten Gesinnungen jener Herren zu verdanken. – Übrigens würde mein Vetter, der seinen jungen Jahren nicht die Empfänglichkeit für diese Würde zugetrauet, noch lange die Volendung seines Ruhms verzögert haben, hätte nicht ein Zufal über seine Schüchternheit gesiegt. Er sah nämlich einmal, daß ein Doktor aus einem Erdenklos ein Bild, das ihm gleich war, erschuf und daß die römischen Waffen in der Disputazion mehr klirten als trafen. Kurz diese Gelegenheit wekte das schlummernde Gefühl seiner Würdigkeit; seine Meinung schlug sich zu seinen Wünschen, und er grif an sich das Dasein der erforderlichen Eigenschaften mit Händen. Diese Waffen aber zu haben glauben, heist sie haben. Darum glich er hierinnen dem römischen Bürger Zipus, auf dessen Stirne die aufmerksame Betrachtung eines Stiergefechts die Waffen der kämpfenden Thiere pflanzte.Val. Max. L. V. c. 6. – Überhaupt find' ich in solchen Disputazionen Ähnlichkeit mit einer Gewohnheit der Perser, die nicht Gelehrte sondern Ochsen disputiren lassen. Alle Jahre nämlich mus der Kampf von zweien dieser Thiere den Vorzug erweisen, den ihre Religion über die türkische hat! Um daher ihrem Glauben den Sieg zu vergewissern, nennen sie den stärkern Ochsen Ali und den schwächern Osman. – Gesegnet sein mir daher die nüzlichen Übungen der Sprachwerkzeuge in gelehrten Anstrengungen, und die Disputazionen, die das Ohr mit lateinischen Luftschwingungen salben, und in denen der Gelehrte auch durch geschwinde Bewegung seines Perpendikels (der Zunge) den langsamen Gang seiner Ideenmaschine zu verrathen weis. Aber einiges hab ich an der Doktorschöpfung zu tadeln, dessen Abänderung zu wünschen wäre. Nämlich warum schlept sich doch ein Aktus, dessen Wichtigkeit für Religion und Gelehrsamkeit auf seiner Stirne geschrieben steht, mit so wenigen Zeremonien? Warum will man nicht durch Anhäufung derselben dem Spötter Mienen der Bewunderung abgewinnen? Warum erweitert man nicht die Schranken dieser Schöpfungstage, um die Langeweile der Zuschauer zu befriedigen? Warum verschwendet man blos an einige Gliedmassen des embryonischen Doktors so bedeutsam Zierrathen? warum die meisten an seinen Kopf, sein geringstes Glied? Ich dächte doch, eine Handlung, in welcher jede Zunge die Talente mit lateinischen Superlativen des Lobs überhäufet und wohlgeschriebene Blätter dem unerkanten Verdienst mit Weihrauch aus dem Lexikon, schmeicheln, eine solche Handlung verdiente ein Gepräng, welches alle Augen zum Gaffen aufböte. – Auch spant die Muskeln aller beisizenden Theologen eine Bescheidenheit, die zur jezigen Ausstellung ihrer Würde nicht wohl läst und die die sichtbaren Verdienste der dikken Bäuche Lügen strafen. Endlich räuchert man denen Vorzügen des neuen Doktors zu wenig Lob, die er nicht besizt, und unterhält die Zuhörer blos mit der Vortreflichkeit seiner Eltern, da man sie mit der Vortreflichkeit seiner ganzen Sipschaft unterhalten könte. – Aber genug des Tadelns! Ungeachtet mein Vetter nur ein Monat vorher sich von seinem Gegner, seinem vertrauten Freunde, die Einwürfe und die Widerlegung derselben ausgebeten hatte: so übertraf doch sein Gedächtnis meine Hofnung. Aber die Verfertigung der Disputazion kostete meinen Vetter sehr viel Geld. Doch hatte sie der Verfasser auch mit schönen Noten bordirt, ja was noch mehr ist, die Hauptsache nur auf dem Titel mit wenigem berührt. –

Aber ich schreibe ja ewig; und so lange werden Sie mich doch nicht lesen wollen. Daher habe ich die Ehre zu sein etc.


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