Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Die griechische Natur ist von einer gröbern verdrängt worden, der ich schon oben gedacht. Nämlich weil die heutigen Autoren Freunde der Natur sind, so ziehen sie die schlechte ieder andern vor, sezen ihre Schönheiten ihren Fehlern, und bäurische Naivität bäurischen Zoten nach. Diese Skribenten haben zwar die schönere Seite der Natur in ihrer Gewalt, aber sie gleichen den alten Göttern, die sich, nach einigen, den Menschen nur von hinten zeigten. Vielleicht auch, daß alle ihre Vorzüge sich in den Fokus desienigen Orts zusammen gedränget, wo das Bisamthier mit wohlriechenden Reizen pranget. Ihre kleinen Augen bemerken im Bade einer Pfüze folgende Volkommenheiten; erstlich, daß ihr Badegast sich durch diese Wiedertaufe von den reinlichen Franzosen unterscheide, zweytens daß er dadurch ein empfindsames Herz an den Tag lege, und drittens in dem schmuzigen Elemente seine Mitgesellen Reinlichkeit lehren könne. Das lezte zuerst. Denn freilich wie können die Gelehrten die Denkungsart des gemeinen Pöbels anders verbessern, als daß sie die ihrige verschlechtern, anders ihn Geschmak lehren, als daß sie ihn den seinigen lehren, wie der Zorn des Vaters den Zorn an dem Sohne bestraft? Auf diese Weise ist der gelehrte Hals darum das gedämpftere Echo des pöbelhaften Wizes, um das Grunzen desselben zu einem sanftere Tone zu bilden. Zweitens verräth eine unsitliche Zunge ein züchtiges empfindsames Herz. Bei den meisten Völkern waschen sich Leidtragende weiche Leute nicht, und nicht blos in Indien gehen Heilige und Begeisterte nakt. Und endlich unterscheidet diese Unsitlichkeit von den Franzosen, deren Übersezer sogar die zu natürlichen Stellen der Alten ihrem strengen Wohlstande aufopfern; eben so läst ein französischer Philosoph die Menschen ohne Hintern wieder auferstehen. Daher drükken unsere Diktatoren des Geschmaks ihre Gedanken in unreiner Sprache aus, wie man sonst vom Wiedehopf sagte, daß er für seine Junge ein Nest in Menschenkoth baue, und zu gros für hohen Flug üben sie ihre Schwingfedern im Sinken; eben so kan das fliegende Eichhorn (sciurus volans L.) nur niederwärts fliegen. Auch sollen einige den schamlosen Ausdruk zu besserer Bekämpfung der Kunstrichter anwenden, d. h. sie beschneiden sich die Nägel nicht, um ein feindliches Gesicht damit tiefer zu verwunden. – Nur Schade freilich, daß die Unverschämtheit der heutigen Autoren mehr affektirt als natürlich ist, daß sie sich mit Unverschämtheit, wie die Weiber mit einer gekauften Schamröthe, nur schminken. Denn gewis sind wilde Schweine besser als zahme. Doch hoff' ich von der Zukunft, daß auch gelehrte Esel nicht mehr reinlich sein, und lange Ohren sich unter demselben Lorber mit einem langen Rüssel gatten werden.

Zu diesem Geschmak an der Natur gesellet sich die Schwülstigkeit, der Bastart des Erhabnen, deren ebenfalls oben schon gedacht worden. – Im sechzehnten Jahrhunderte liebte man Zwerge; im achtzehnten Riesen – vor nicht langer Zeit trug man kleine und iezt trägt man grosse Hüte; kurz die französischen Deutschen sind zu brittischen gereift. Alle Federn huldigen der Schwulst, das heist, man gallopirt Berg auf Berg ab, man schminkt wie die Wilden den ganzen Körper stat der Wange, und zieret gleich einigen Indianerinnen Finger und Fuszähen mit Ringen; d. h. man schlägt unfähig zu gehen, gleich dem Paradiesvogel, seine Wohnung in den Lüften auf, und weilet, wie Simon Stylites, jahrelang auf einer Säule; d. h. man treibt das Wasser zu einer Höhe, wo es sich in Regen zersplittert, und prangt wie ein Betler Son- und Werkeltage mit demselben Rokke; d. h. man berauscht sich vom Morgen an bis an den Abend, und singet ohne zu reden. Alles nun so mit gleichen Farben zu schmükken, das Kleine eben so erhaben wie das Grosse zu schildern, die Wahrheit mit Zierathen wie ienes Mädgen im Kapitol mit Schilden zu erdrükken und die Natur in die Kunst zu verschleiern, dieses ist freilich kein geringes Werk unsrer schöngeisterischen Fäuste. So ein grosser Glanz, so ein unregelmässiger Lauf steht nicht in den Kräften einer kranken Phantasie; eben so hält niemand als Bartholin die flammenden und regellosen Kometen für Geschwüre des Himmels. So eine Mannichfaltigkeit zeugt von Reichthum, wie ein banquerotirter Kaufmann in Schotland buntfärbige Kleider zu tragen verurtheilt wird. Ein hiziges Genie gebiert zwar eben, wie ein kalter Schriftsteller, lauter kalte und wässerige Gedanken; allein stat sie mit diesem in einer simpeln Sprache aufzutischen, zwingt sie das Genie in verstümmelte Perioden zusammen, und ballet gedankenlose Weitläuftigkeit in ein einziges undeutsches Komma – eben so härtet der Sommer wie der Winter das Wasser der Wolken zu Eis, aber dieser bildet die Dünste zu leichten Schnee und iener giest sie in Hagel – die Flintenkugeln der abfeuernden Atmosphäre – um. Freilich schlägt der Hagel stärker und vergeht geschwinder! – Da ferner unsere Näscherei nur nach überflüssigen Wize hakt, so nähern wir uns zwar unserm Falle, erreichen aber auch unser Ziel. Denn die Zeit führet den Geschmak erst auf den Gipfel des Parnasses, eh' sie ihn von da herunterstürzt, und Wizelei kündigt den Überflus und das Ende unsrer Kräfte an, wie die vor den Augen herumfahrende Funken Zeichen der Volblütigkeit und des nahen Schlagflusses sind.

Noch einiges von den Versemännern! Alle iunge wählen die Almanachs zu den Prangern ihrer vortreflichen Ohren, und da die ersten Kinder die stärksten, die ersten Kupferabdrükke die besten sind, wie auch die erste Schlange die klügste und der Teufel als Jüngling noch ein Engel war, so gestatten iene Almanachs, denen die Ausfüllung der bestimten Bogen den geringsten Kummer macht, mit Recht ieder unversuchten Kehle die Freiheit, sich zum Vergnügen des Publikums hören zu lassen. Dazu gewinnen sie dadurch an Mannigfaltigkeit, die ihnen so sehr am Herzen liegen mus, angesehen in allen Kalendern Regen mit Schnee, Frost mit Hize, Nebel mit Thau, Donner mit Hagel abwechselt und Almanachs einer Wäschstange gleichen, an welcher feine und grobe Hemde, Hosen und Unterrökke zugleich getroknet werden, oder einem Gasthofe, wo der Fuhrman Käs für seinen Hunger und Stroh für seinen Schlaf, und der vergoldete Herr für beides die Vorsorge des Luxus findet, und endlich einem Findelhause, das die Schande vornehmer und schlechter Huren aufbewahret, und welches der Stuzer wie der Bediente durch fruchtbare Wollust bevölkert. Und wer weis übrigens nicht, daß Almanachs Weihnachtsgeschenke für grosse Leute sind, die damit wie die Kinder mit dem ihrigen nur eine kurze Zeit spielen? Darum füllet man auch die kleinen leren Pläze der Duodezblättergen mit Epigrammen, wie mit spizigen Steinen aus; mit Epigrammen, die in Reimen sumsen ohne Stachel wie die Bremsen, und deren Worte doppelter Sin belebt, aus welchen der Wiz wie aus Besessenen, die bösen Geister (schiklichere Bewohner der Schweine) austreibt; mit Epigrammen, deren wässerige Bestandtheile Mangel an Lebhaftigkeit zu einem wizigen Eiszapfen gehärtet hat, dessen Spize die kleinste Berührung aufthauet; mit Epigrammen, deren pralerischen Zorn der Flederwisch beschämet, den sie gleich ienem Knaben in einem Lustspiele des Kinderfreunds, aus der prächtigen Scheide ziehen, und die mit schönem Titel, mittelmäsiger Mitte und schlechtem Ende dem spanischen Rohre gleichen, dessen obern Theil Silber krönet, dessen Mitte ausgestorben, und das mit einem abgestumpften Stachel endet. Und ihre Anzahl macht der deutschen Fruchtbarkeit Ehre, und verspricht dem Wize die baldige Ankunft des goldnen Alters, auch troz dem Vorurtheil, daß es übles Wetter bedeute, wenn die Flöhe viel stechen. Ferner sinken auf den Fittigen des Neuiahr-Schnees schöne Idyllen herab, die das Zwittergeschlecht zwischen Natur und Kunst ausmachen, in denen Dichter auf städtische Pracht ländliche Zierathen wie die Damen auf die Schöpfung des Friseurs papierne Blumen, pfropfen. Auch diese Gewohnheit der Dichter wie vornehme Leute bald in der Stadt bald auf dem Lande zu wohnen ist nüzlich; und wenn die Hunde auf dem Parnas Gras stat des Fleisches fressen, so bedeutet dieses nicht schlechtes, sondern schönes Wetter. – Am meisten werden die Almanachs durch die Enkel des Anakreons – die Zukkerbekker des Parnasses – zu den Archiven des deutschen Genies erhoben. Die grosse Gabe, das Blut des einen Reimes nach der Liebesglut des andern zu stimmen und Damons Lust mit Daphnens Brust zu reimen, den Amor gesunde Herzen jagen und erlegen, aus schwarzer Dinte die Venus wiedergeboren werden und sie in einer zephyrnen Sänfte ans Land tragen zu lassen, ohne ihre Kammerjungfern, die Grazien, zu vergessen, kurz die Gabe die verwelkten Reize der Einbildungskraft vor dem Nachttische der Mythologie aufzufrischen, ist nur den Männern gegeben, die ihr Geschlecht troz ihrer Gestalt und ihres Namens ausgezogen haben. Denn nur Kastraten singen klar! Denn nur in den todten Löwen legten jene Bienen alten Testaments ihren Honig, und kleine Einbildungskraft verrichtet die Dienste des fehlenden Verstandes, wie man auf einer Paste des Jupiter Muskarius den Bart desselben durch die Flügel einer Fliege abgebildet sieht. Ein anakreontisches Gedicht ohne Gedanken heist eines ohne Fehler, ein Tropfen Verstand hingegen versäuert die ganze Süßigkeit. Der beste Beweis der Ächtheit eines solchen Gedichts ist, wenn es auf der Kapelle des Verstandes verfliegt; eben so erwies sonst dem Apotheker das Verfliegen des Bisams auf einem glühenden Eisen, seine Güte. Daher auch grosse Dichter für den Wohlklang erst den Sin zuschneiden, wie der Komponist den Text auf Kosten des Verstandes der Melodie anpasset, und durch kluge Wiederholung der Reime, der Worte und ganzer Verse die zufällige Anhäufung der Gedanken vermeiden. Solche wässerige Verse dringen aber auch am leichtesten durch weibliche Hirnschalen, wie nur dünne Dinte durch Papier durchschlägt. Noch ist anzumerken, daß sich in Almanachen die Leichensermonen auf verstorbene Dichter finden; der Soldat schiest und der Dichter bläst bei dem Tode seines Kameraden – Hab ich so viel Gutes von den Almanachen gesagt, so lasse man mich doch auch noch einiges Gute von den besten derselben, von dem Almanache der Belletristen sagen, dessen Titel auf die Ähnlichkeit mit einem schlechtem, um Aufsehen bettelt. Mit welcher feiner Kritik tadelt sein Herr Verfasser an Haller's Gedichten das Wässerige, worein der philosophische Geist des Dichters leicht verfallen konnte, und zählet den Meister Klas zu Wezels Produkten und spricht den kästnerischen Epigrammen alles poetische Verdienst ab, angesehen sie ihm nur das zu haben scheinen, was gute haben; mit welcher Unpartheilichkeit entdekt er den Unwerth Herder's, den zu loben noch neulich ein Kunstrichter im göttingischen Magazin sich verleiten lies, und erzählt die Geschichte des Streits zwischen Platnern und Wezeln, so daß er selbst Augenzeugen eines bessern belehret, und wie nachahmungswürdig ergiest sich sein menschenfreundliches Herz in Beschuldigungen der Toden etc. etc. etc.! Solche Schönheiten verblenden den Leser für geringere; daher ich auch die Vortreflichkeit seiner spashaften Schreibart und die Feinheit seines scheinbar – pöbelhaften Wizes nicht entdekken können. Übrigens verleidet einem schlechtes Fleisch die schlechte Brühe. Niemand vermisset im geheimen Gemache die Tapeten. Kein Kranker ist zur Beobachtung der Wohlanständigkeit verbunden. Die Schwalbe bauet für ihre Jungen, die sie mit Spinnen und Mükken aufzieht, nur ein Haus von Koth. –


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