Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Aber vielleicht sind gewisse Autoren so glüklich in ihren Erbbegräbnissen den Kramläden zu verwesen, ohne als unverfaulte Knochen der Nachwelt in die Hände zu gerathen; vielleicht umkleiden diese vortreflichen Bücher, die Behältnisse origineller Exkremente, nie künftige Bücher, die Behältnisse von blossem Verstande, wie der Apotheker die Büchse vol wohlriechender und gesunder Essenzen mit der Harnblase des Rindviehes zubindet. – Ich glaube übrigens, daß die schöngeisterische Tolheit nicht unheilbar, sondern blos nachgeahmt ist. Jene Kinder im Waisenhause waren blos der Wiederhal der Konvulsionen eines einzigen, und selten wird ein Mensch tol geboren. Verbessert den Geschmak der Leser, so verbessert ihr den Geschmak der Skribenten. Die alten Mexikaner machten ihre gesunden Kinder zu Krüpeln, weil ihr Kaiser Zwerge, Buklichte und Blinde zu Hofnarren erhob; und die Autoren musizirten mit ihren Schellenkappen, weil die langen Ohren des Publikums nur solchen Konzerten Beifal zunikten. Das Elendthier heilt sich von der fallenden Sucht, indem es sich mit seinem Fusse hinter dem Ohre krazt; lasset einmal unsere schönen Geister sich hinter den Ohren krazen, so sind sie ohne Mixturen kurirt! – – Vielleicht verdienet niemand mehr eine Satire als gewisse Satiriker, die wie Broome sagt, über alles spotten, um nur ihren Wiz zu zeigen, gleich gewissen Schönen, die alles belachen, um ihre weissen Zähne zu verrathen. Und wenn sie nur weisse Zähne hätten, wenn diese Zähne nur nicht hol wären, nur nicht durch Aufbewahrung zurükgebliebener Speisen den Mund in ein lebendiges Grab verwandelten! Eine Satire über die Satire ist ein Zahnstocher, und gewis hätte manche nöthig, sich wie der Mönch selbst zu geiseln. An manchen Orten hat eine Gerichtsperson das Recht, den Scharfrichter, der übel exekutirt, vor den Kopf zu schiessen; und warlich jeder rechtschafne Man mus den härter als mit Spot bestraft wünschen, der über Thorheiten nicht spottet, sondern spaset, dem fremde Verbesserung so gleichgültig wie seine eigne ist, der mit gichterischer Hand ein Rezept gegen die Gicht zusammensezt, der der Kaze gleicht, die für die Ausrottung der Mäuse, welche an einer Rinde ein wenig nagen, sich durch Töpfe vol Milch belohnet, die sie insgeheim aussäuft, oder den Richtern, die oft mehr stehlen als die Diebe, die sie bestrafen, der ferner das Gedeihen der Thorheiten für die bessere Erndte seiner Satire wünscht, gleich dem Todengräber, der für die Fortdauer der Pest betet, um mehrere Toden begraben zu können, und der endlich wohl gar zur Geburt der Thorheiten, die er zeichnen wil, eine freiwillige Ursache wird, wie der Mahler Parrhasius einen abgelebten Man zu Tode quälte, um von seinem Schmerze die Züge für ein Gemählde des gepeinigten Prometheus zu borgen. – Freilich mahlt der Heide den Satir eben so, wie der Christ den Teufel mahlt; aber das Gebetbuch giebt auch dem Teufel den schönen Namen Lucifer, den Zizero dem Morgenstern giebt.

Zu No. II. Die Aufklärung des geistlichen Standes ist weniger ausgebreitet als sie scheint; sie ist mehr in den Büchern als in den Köpfen. Der gemeine Mann glaubt, die ganze Welt geniesse mit ihm um 12 Uhr der Mittagssonne und gewisse menschenfreundliche Schriftsteller urtheilen wie der Pastor des Montaigne.Quand les vignes gélent en mon village, mon prestre en argumente l'ire de Dieu sur la race humaine, et iuge que la pepie en tienne defia les Cannibales. Montaigne L. I. ch. XXV. Aber Intoleranz spint noch ihre Gewebe in den Winkeln der Konsistorien, und das grosse Ägypten beherbergt noch dikke Finsternis neben dem lichten Gosen. Alte Kirchen sind dunkel und die meisten Rathshäuser in unerträglichem Geschmak gebauet. Ich kenne viele Theologen, die die Orthodoxie für ihren Magen und die Heterodoxie für ihren Kopf lernen; »um gut in dem Examen zu bestehen« sagen sie. So heurathet man oft ein runzlichtes Gesicht des Geldes wegen, und entschädigt dafür das angeborne Gefühl des Schönen durch eine Konkubine, die Extrapost der Ehe. So kleidet sich ein armenischer Kaufmann zu Konstantinopel öffentlich desto schlechter, je reicher er zu Hause ist. So täuscht die Raupe durch die Ähnlichkeit ihrer Farbe mit ihrem Nahrungsblatte, die Raubbegier des Vogels. So spielte David den Närrischen vor jenem Könige. Daß die Freiheit im Denken weniger in den höhern als in den niedern Ständen wohnet, daß es nach Verhältnis mehr heterodoxe Landgeistliche als heterodoxe Superindenten giebt, hab ich oft bemerkt. Der vornehme Man isset was dem gemeinen Man ekelt, z. B. Frösche. Die obersten Fächer des Repositoriums sind die engsten und nur kurze Saiten klingen am klarsten. Meine Satire scheint also weder unbillig noch unnöthig zu sein, und auf verwüstete Örter streuet man ja Salz, der Einpökelung des Rindviehes kaum zu gedenken; die Wahrheit der zweifelhaften Sage nemlich noch vorausgesezt, daß das Kupfer auf den Kirchthürmen sich mit der Zeit in Gold verwandle.

Zu No. III. Ein verdienstloser Edelman verdienet mehr Verachtung als jeder andre Verdienstlose, den keine angeborne Ehre zu Verdiensten aufforderte; ein verdienstvoller aber mehr Achtung als der, der sich sein Verdienst nicht auf Kosten eines trägen Stolzes erwerben durfte. Ein Wappen schändet und ehret mehr als keines. Also ein Spot über den Adelstolz, der noch jezt dem Adel mehr als Verdienste angeboren zu sein scheint, schmälert die Verdienste dessen nicht, der sich durch eigne der fremden würdig macht, schmeichelt aber auch der Einbildung dessen nicht, der wie der Mond mit geborgtem Lichte glänzet, und eben so oft wie er Sonnenfinsternisse verursacht; der auf den Besiz einer Präposizion prahlet und den man wie die Römer den Dieb, homo trium litterarum nennen könte. Man klagt jezt über die Geringschäzung des Adels; aber man solte nicht klagen, sondern bedenken, daß alle Menschen den Wilden gleichen, die ihren Göttern Beute und Anbetung so lange opfern, als die Götter als Götter helfen. Ein jeziger Edelman verhält sich zu einem vorigen wie die Kaze zum Löwen; indessen findet der Heraldiker jene und Linnäus diese als Skelete betrachtet, völlig ähnlich, den Unterschied der Grösse und der Eigenschaften ausgenommen. Die Verfeinerung macht überhaupt alles gleich, was sich nicht durch den Kopf unterscheidet. In diesem leztern unterscheidet sich nun der Adel nicht immer von dem Pöbel, und Minerva schreibt lieber mit simpeln Gänsefedern, als mit silbernen, gläsernen oder mit Federn von welschen Hühnern. Aus dem obigen läst sich auch die Ehre erklären, mit der man jezt dem andern Geschlechte begegnet; daher ist jezt eine Edelfrau stolzer als ein Edelman. Selbst das Verfahren der Griechen macht hier keinen Einwand: denn sie waren erstlich so tapfer als fein, stat daß wir jezt mehr das lezte sind, und wer kent zweitens die Schönen nicht, die nicht nur durch Schönheit, sondern auch durch die Kunst, die körperliche Schwäche des Geschlechts durch geistige Stärke zu heben, über griechische Weisheit und griechische Tapferkeit siegten? –

Zu No. IV. Wer in dieser Satire blos alltägliche Sachen mit neuen Ausdrükken aufgestuzt findet, hat Recht; wer sie darum tadelt, hat Unrecht. Ich glaube, was schon oft gesagt worden, müsse immer schön gesagt werden, und nur neue Gedanken können marktschreierischen Puz entbehren. Das lezte zuerst! Ein neuer Gedanke wird von selbst der Günstling des Verstandes, ohne das Vorgespan des Kammermädgen oder der Frau, ich meine der Einbildungskraft, nöthig zu haben, und eine schöne Schöne gewint durch das Negligee, was eine minderschöne erst durch den Puz gewint, und ein gutes Buch braucht keinen Rezensenten zum Herold, zum Läufer. Das Grosse ist wie unsere ersten Eltern gerne nakt; der König von Preussen kleidet sich simpel, und Herkules hatte keinen Tempel, sondern wurde in der freien Luft verehret. Worte folgen den Ideen wie der Schatten dem Lichte; aber in der Mittagssonne ist der Schatten am kleinsten. Aber warum sol man im Gegentheil das Gemeine gemein sagen? warum sol Schale und Kern wie bei dem Koriander gleich hart sein? Ich dächte, die süsse Hülle des Pfersichs entschädigte für den ungeniesbaren Kern. Schmekken doch auch die Nester gewisser Vögel angenehmer als sie selbst; der unnüze Höfling kan allerdings mit dem Werthe seiner kostbaren Kleider prahlen, und die Federn des Pfauen kommen der Schlechtheit seines Fleisches zu Hülfe, und machen ihn zum Stuzer der Dächer. Die meisten Toden werden in einer neuen und schönen Kleidung begraben. Nicht zu gedenken, daß ferner die Worte die Gedanken, der Leib die Sele, unterstüzen und sie entweder der Prüfung unter das Glas bringen oder der Überzeugung besser anempfehlen. Nicht zu gedenken, daß dieses alles die Fuhrwege pflastern heist, die am kothigsten sind, weil am meisten darauf gefahren wird; so ist auch gewis, daß die loci communes sich nicht so leicht verschönern lassen als man denkt, und daß auf den Fussteigen kein Gras wächst. Die Philosophie erfindet, die Poesie verschönert die Erfindung; die eine ist Kolumb, der Amerika entdekt, die andere Vespuzius Amerikus, der es benent; die eine Tuchmacher, die andre Schneider; die eine Bergman, die andre Münzer; die eine schüttelt die Äpfel, die andere samlet sie in Körbe, und bereitet sie für den Gaumen; die eine ist das Uhrwerk, die andre die Glokke, welche den Kindern desselben, den Stunden, den Namen giebt; die eine ist Fechtmeister, die andre Tanzmeister, die eine Mutter, die andre die Frau Gevatterin. Dieses alles mag die Antwort für den sein, der nach der Durchlesung von No. IV. mit dem Malebranche fragt, was ist denn damit bewiesen? – – Wer glaubt, man habe in No. IV. dem schönen Geschlechte nicht die gehörige captatio benevolentiae gemacht, nicht die Hand desselben in effigie, nämlich den Handschuh, in den sie sich oft verschleiert, geküst, wie Könige sonst dem Knechte der Knechte den Fus, dem sie kund und zu wissen gethan, daß nicht jede Zunge die gehörigen Gaben für die Schmeichelei besize und manche selbst zu rauh sei, um nicht durch gutgemeintes Lekken zu verlezen. Die Schmeichelei gleicht dem Feigenbaum, dessen Saft giftig und dessen Früchte süsse sind, oder den Vampyren, die das Blut aus dem Schlafenden herauslekken, und dem Opfer ihrer Zunge noch kühle Lüftgen zuwehen, um es in seinem Schlummer zu erhalten. Männer wie schändlich opfert ihr der Schmeichelei die Ehre eures Geschlechts auf. Doch nicht nur dieses Namens unwürdig, verdienet ihr nicht einmal den Namen des Geschlechts, das über eure Rechte triumphirt und bald von euch zu schlecht denken wird, um euch unter seine Sklaven zu zählen. Denn bald werden sich eure Schmeicheleien in Wahrheit verwandeln, ihr werdet so lange lügen, bis ihr wahr redet, und so lange fallen, bis ihr unter das zweite Geschlecht fallet! Aber um Vergebung, ich träumte jezt und vergas, daß ich in Deutschland träumte. Was nicht ein Nachtwandler für gefährliche Reisen unternimt! Allein eine blinde Henne findet doch wohl auch ein Korn, und der obige Traum mag wohl nur dies bedeuten, daß das erste Geschlecht seine Weiblichkeit dem zweiten zu verdanken habe. Übrigens weis jeder, daß eine Frau (nämlich Semiramis) dem Manne am ersten das raubte, was ihn von ihr unterscheidet. Allein ich solte nicht blos für obigen Traum, sondern auch für No. IV. und für andre Nummern auch darum um Vergebung bitten, weil jeder und das schöne Geschlecht am meisten dem Spot Unempfindlichkeit andichtet, und bei dem Satiriker mit der Gewisheit ein hartes Herz vermuthet, mit welcher es sich bei gewissen Leuten vermuthen läst, die durch Volstrekkung anbefohlner Strafen ihr Gefühl gegen den Eindruk fremder Leiden abhärten. Gerade als wenn Lachen und Weinen zweierlei Jahrszeiten wären! als wenn das Lachen oft nicht mit Thränen geboren würde! als wenn Heraklit der Antipode des Demokrits wäre! Und wer weis übrigens nicht, daß der gemeine Man oft den Scharfrichter stat eines Arztes braucht! Zur Vermeidung jenes Verdachts daher wil ich folgenden Einfal meines Vetters, der gestern die dritte Frau betrauerte und beklagte, nicht gebilligt haben. »Beim Vogelschiessen, sagt' er heute, wird nur der Schüze König, der den Rumpf herunterschiest, aber nicht der, der etwa den Kopf oder den Flügel, oder den Fus u. s. w. gewint. Mit dieser Bemerkung getraue ich mir heute in der Halbtrauer das vierte weibliche Element meiner Ehe zu erhalten.« Mein Vetter, der sonst hübsch aussieht, hat nun manchmal solche dumme Einfälle, wie jeder kluge Man! Um diesen Einfal zu verstehen, mus man wissen, daß jezt Schönheit, wie sonst Geld, das Band der Ehe ist. Die alte Mode verbindet die zwei Riemen des Schuhes mit silbernen Schnallen, die neueste verbindet sie mit schönen seidnen Bändern.

Zu No. V. und VI. Vacat.
 

Ein zweiter Band dürfte auf diesen folgen, den ich darum nicht den ersten nante, weil erst das Urtheil des Publikums entscheiden mus, ob er einen Bruder haben sol. – Die Vortreflichkeit des Titels von meinem Buche wird mich für meine lange Wahl belohnen; ich halte ihn wenigstens alzeit für nichtpassend genug, um ihn für gut zu halten. Der Wiz unserer Schriftsteller nämlich glänzt auf der ersten Seite der Bücher in vollem Lichte, so wie er auf den lezten Seiten im lezten Viertel ist. So prangt in England vor den Wirthshäusern auf dem Lande, ein Galgen mit einem Schilde, in dessen Ausschmükkung sich der Beutel des Besizers auf Kosten des Gasthofs erschöpft.Museum 1776 Jul. S. 632. Kein Autor schändet sein Buch mit einem christlichen Taufnamen; fast jeder Bauer schreibt sich ja Hans, Christian etc. Man wählt daher lieber, gleich den Independenten zu Karls I. Zeiten, Namen aus dem A. T. Oder man bittet Griechen und Römer zu Gevattern. Einige Erdsöhne schreiben auch den Göttern des heidnischen Himmels einen Gevatterbrief, gleich den Unterthanen, die den adelichen Hern ihres Dorfs in den Pathen desselben verwandeln. – Ich nun habe mir den Titel meines Kindes der Rarität wegen aus Grönland verschrieben. Man wird nämlich aus Kranz und andern wissen, daß die Partheien daselbst ihre Streitigkeiten in getanzten und gesungenen Satiren abthun und sich mit einander, ohne das Sprachrohr der Advokaten, schimpfen. Ergo betitle ich mein Buch: grönländische Prozesse, q. d. e. Bis hieher hab ich etwas zu sagen verschoben, was vielleicht jeder Leser schon auf der ersten Seite errathen, nämlich dies: daß der Verfasser dieser Skizen noch jünger ist, als die, die ihn rezensiren werden. Das ist viel gesagt! Allein nicht zwar darum, um auf meine Jugend unbillige Nachsicht zu betteln, sondern um wegen derselben keine unbillige Strenge zu erfahren. Doch wäre der erstere Endzwek nicht eben ganz verwerflich, und gewisse geile Auswüchse des Wizes liessen sich wohl mit jenem Geständnisse entschuldigen. Junge Federn haben Blut. Die Einbildungskraft für die warme Jugend, den Scharfsin für das kalte Alter! In kalten Ländern ergözen die Vögel mit einer schönen Stimme, in warmen nur mit schönem Gefieder; in kalten giebts mehr Eisen, in warmen mehr Edelgesteine. Wer kan wissen, wie oft er fehlet! Eben seh' ich, daß meine Vertheidigung selbst einer Vertheidigung nöthig hat. Wenigstens darf ich hoffen, daß man von dem, der weniger ist, als er werden kan, nicht die Vorzüge dessen fordern werde, der das ist, was er werden konte. Dieses aber darf ich nicht hoffen, wenn die Kritiker noch den Insekten zu gleichen fortfahren, die mehr die Blüthe als die Früchte eines Baumes umschwärmen und mit ihrem Stachel aussaugen. Doch die Ungeduld meiner Leser dürstet vielleicht zu sehr nach einem wohlthätigen Dixi, und ich schliesse, um diese Vorrede oder diesen Beschlus nicht durch unmäßige Vergrösserung, dem hohen Kopfpuze oder den hohen Schuhabsäzen der Weiber gleich zu machen.

R.


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