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XXII.

Ein Spätsommertag war's. Wie blankes Gold standen die Aehren auf den Feldern, an denen Graf Zeinfeld in seinem schnellen Wagen wie im Traum dahinfuhr ...

Ja, seitdem er Ilona kennengelernt und geliebt hatte – denn das war eins gewesen –, seitdem war Tag und Traum in seinem Dasein, wie die feurigen Himmelsfarben am Saume der Nacht, ineinandergeflossen ...

Er gehörte zu den wenigen, die ihr Weg hoch über alle Abgründe der Not und des Jammers führt; er hatte den Schmerz bisher nicht gekannt; so fassungslos fand ihn das Leid, als es zum erstenmal nach seinem Herzen griff, daß er nun, wo das Glück zurückkehrte, nicht daran glauben konnte ...

Er sollte sie wiedersehen? ... Sie würde wieder in seinem Leben sein und seine heiße Sehnsucht ganz erfüllen? ... Ach, er gehörte nicht zu den Starken, die aus dem Schiffbruch auf einer Planke ans Land rudern und sich sofort als dessen König erklären ... Er glaubte noch nicht an seine Hoffnung, und selbst hinter deren Erfüllung lauerte etwas, das den Liebenden zag und ängstlich machte.

War sie nicht wochen- und monatelang in eines anderen Händen? ... Wer war dieser Mensch? ... Ein Ausgestoßener, ein Verfemter, ein Mörder vielleicht ... Und gleichviel, wer und was der andere im Leben bedeutete, es war ein Mann, ein Mann, der die Frau geraubt, sie arglistig umgarnt und sie durch die Teufelsgewalt seiner Beschwörungen an sich gefesselt hatte ...

Es ist doch nicht möglich, einen Menschen im fremden Haus so zu verschließen, daß er nicht fort kann, wenn er ernstlich will ... Warum hatte Ilona nicht fort gewollt? ... Weshalb war sie nicht geflohen? ... Sie wußte ja ihre Zuflucht, ihre Heimat an seinem Herzen! ...

Und wenn ihr Wille so krank, so ohnmächtig geworden im Kampf mit diesem Gräßlichen, war sie dann noch Herrin geblieben über sich selbst?

... Hatte sie ihren Körper schützen können, wo ihre Seele so ganz in Banden lag? ...

Die Felder glühten und blühten rechts und links. Der Motor sang und der Wagen mit seiner windschnellen Fahrt kühlte die brennende Luft, die dem Manne die Stirn küßte, der mit geschlossenen Augen wie ein Abgeschiedener in den Polstern lehnte ... Wie unendlich schwer war es ihm geworden, als er Ilona gewann und anbetete, an dem, was vorher gewesen war in ihrem Sein, vorbeizugehen, nicht zu fragen, ja nicht einmal zu rühren an den Schatten, die sich – er merkte das wohl – immer noch in ihr Glück drängten ...

Und nun kam eine neue Vergangenheit, ein zweites, kaum verschleiertes Abseits hinzu ... Noch einmal fiel der Schatten desselben Mannes über den Weg der Frau, die sein kostbar gehütetes Heiligtum war, die er mit einer Raserei der Leidenschaft, der Eifersucht liebte, wie sie eine Seele nur einmal füllen, nur ein einziges Mal erleben kann ... Würde er diesmal die Kraft haben, Ilona nicht zu fragen und über die lange Zeit der Trennung hinwegzuschauen in neue Seligkeit, als sei nichts gewesen, als habe zwischen dem letzten Kuß und dem Augenblick ihres Wiedersehens nur der Traum einer Nacht gelegen?

Kein Mensch, kein Gefährt war auf der von der Sonne beleuchteten Straße. Die jungen Ahornbäume an den Gräben zu beiden Seiten huschten vorüber, als die blaue Limousine, wie ein verwegenes Tier, mit all ihrer Kraft dahinschoß.

Da kamen Häuser in Sicht, Gehöfte.

Der Chauffeur verhielt.

»Wo ist die Gärtnerei von Schmidtchen?«

»Da! ... Gleich da drüben!«

Graf Zeinfeld sprang aus dem Wagen. Eine Frau stand da, eine blonde Frau ... Auch der Mann kam gleich ... Zeinfeld fragte ... er hörte ... und stand zitternd, mit der Hand nach dem Stacket tastend, am Zaun.

»... Sie war fort ... ja ... heute morgen, als die Gärtnersfrau an ihre Zimmertür klopfte, um das Frühstück hineinzutragen, war niemand mehr da! ... Der Mann, der Professor, war schon gestern nach der Stadt ... ja ... aber die Frau, die muß erst heute durchs Fenster hinaus sein ... Wenn sie zur Tür hinausgekommen wäre, die Treppe 'runter, das hätte man gehört ... Die Kriminalpolizei hätte doch angeklingelt, heute früh ... da war sie noch da ... oder vielleicht auch nicht ...

Der Graf stand da wie ein Verurteilter ...

In sein Ohr, in sein Herz klang es immer nur:

Sie ist fort ... sie ist fort ... sie ist nicht mehr da! ... Weiter hörte er, weiter wußte er nichts ...

Dann saß er wieder im Wagen. Luft und Sonne umbrausten ihn, die Bäume tanzten vorüber und die Felder wogten im Goldglanz der reisenden Saaten.

Graf Zeinfeld sagte mit trockenen Lippen leise vor sich hin:

»Sie ist fort ... sie ist fort ... ist fort ...

Und dann dachte er plötzlich daran, daß er Zweifel gehabt hatte an seiner Liebe, an seiner Kraft: sie, die er nun doppelt verloren, schweigend, ohne nach ihrem Unglück zu fragen, an sein Herz zu nehmen.

Da ergriff ihn eine Wut, ein wilder Zorn auf sich selbst ... Alles, alles wollte er, nichts fragen, nichts sagen, nur sie lieben und ihr Sklave sein, wenn er sie wiederfände! ... Und selbst, wenn sie ihm beichten, sich anklagen und ihm erzählen wollte, er würde ihr den Mund zuhalten, ihre lieben, schönen Augen küssen und nichts als glücklich sein, selig in ihrem Besitz, mit allem zufrieden, wenn er sie nur hätte ...

Da war er schon im Westen der Stadt ... Noch Minuten, dann stand er in seiner öden Wohnung, wo er nicht bleiben konnte, ohne toll zu werden! ...

Wo war sie nur? ... Wohin floh sie? ... Vor ihm? ... Weshalb, um aller Heiligen willen? ... Lebte sie denn? ... Oder hatte ihr armes Herz unter all dem bitteren Weh so sehr gelitten, daß sie nun wie ein schöner, trügerischer Schatten durch die fremde Welt irrte? ...

Langsam stieg der Graf die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Er klingelte.

Der Diener kam.

»Herr Graf, das gnädige Fräulein sind schon da und warten auf den Herrn Grafen!«

Der ist auch wahnsinnig, dachte Hugo v. Zeinfeld.

Der Diener ging vor seinem Herrn her.

Da klang ein Schrei, ein Jubelschrei!

Und dann hielt er sie, während der Diener danebenstand, in seinen Armen.

Der Mann ging still hinaus.

Die beiden konnten keine Worte finden. Bis sie sagte:

»Hast du mich denn noch lieb? ... jetzt auch noch?«

Er sah sie verwirrt an.

»Ich weiß nur, daß ich dich habe und ohne dich nicht leben kann ... Du! ...«

»Und daß ich fort war ... solange ...?« sagte sie ängstlich.

Er schüttelte den Kopf und küßte sie wieder.

»Ich liebe dich,« sagte er, »das ist alles ...«

 


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