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XV.

Sie lauschte.

Im Nebenzimmer bewegte sich der Schlafende.

Wenn er doch nicht, wenn er doch nie wieder aufwachen wollte! dachte sie und fühlte in einem rasenden Zorn ihr Herz klopfen ...

»Ilona!«

Sie flog zur Tür.

»Zigaretten!«

Sie eilte, suchte fast kopflos umher, bis sie die Zigaretten fand, und brachte sie ihm hinein, in den dämmerigen Raum, in dem er sich auf dem Ruhebett gähnend reckte.

»Feuer!« sagte er, und sie steckte ihm die Zigarette an.

Nach ein paar tiefen Lungenzügen befahl er:

»Setz dich hierher!«

Er deutete neben sich auf die Chaiselongue.

Doch sie nahm einen Stuhl und ließ sich in einiger Entfernung von ihm nieder.

Er lachte höhnisch.

Dann tat er das Einglas ins Auge und sah sie eine ganze Zeit unverwandt an ... Sie empfand: so müssen Basilisken blicken, die mit den Augen töten.

Er sagte, und seine Stimme war kalt wie Eis:

»Du bist sehr schön ... Wenn du weniger schön wärst, ich glaube, es würde mich gar nicht so reizen, dich zu quälen! ...«

Sie lächelte, ein hilfloses, jammerndes Lächeln; nicht einmal getraute sie sich, ihm ihren Haß zu zeigen.

Er streckte die Hand nach ihr aus, eine große, lange Hand, so weiß und jetzt im Zwielicht gespenstisch, daß man an Geisterkrallen denken mochte, die nachts dem Schlafenden das Herz zerdrücken.

Sie warf sich zurück an die Stuhllehne, ihre Hand griff rasch in die Kleidtasche.

»Laß nur deinen Dolch stecken!«

Sein weißes, starkes Gebiß ließ der breite, schmallippige Mund sehen.

»Wenn ich wollte, würd' ich dir befehlen: liebe mich!«

Sie schüttelte ihr schönes Haupt, da flog und zitterte der ganze Körper –

»– und dann würdest du mich lieben! ... Aber ich will nicht ... Du interessierst mich körperlich gar nicht ... Jede andere mehr als du ... Mich interessiert nur deine kleine, dumpfe Seele ... Weißt du noch, wie wir den kleinen Papagei hatten, den bunten ... ein Lori von den blauen Bergen war es ... der immer in die Käfigstäbe biß und sich nie anfassen ließ ... So bist du ... so schön ... so schwach ... aber du wehrst dich nicht einmal ... Du möchtest fort von mir, Ilona, ja?«

Ihr Mund, ihre schönen Lippen, die die Farbe erblaßter Korallen hatten, fingen an zu zucken ...

»Weine nicht!«

Das war wie ein Hieb, wie ein Dolchstoß ...

Und sie gehorsamte.

»Erzähle mir doch etwas von deinem Liebsten!«

Das sagte er bittenden Tones. Er wußte, daß da sein Wille an ihrem letzten Widerstand sich brach ... Oh, er war sehr klug! Er kannte genau seine Grenzen und hütete sich, einen Befehl zu geben, der nicht befolgt worden wäre.

»Warum gehorchst du mir eigentlich so sklavisch?« fragte er, den Rauch beim Sprechen langsam aus der Lunge blasend. »Weißt du, mich langweilt das! ... Ich will, daß du mir mal trotzen sollst! ... Widersprich doch! Lehn' dich doch auf gegen mich! Wie kann man bloß so feige sein! ... Nicht einmal kämpfen um sein Recht! ... Dein Recht ist doch: du selbst zu sein! ... Wo läßt du denn deine Energien?«

Sie konnte ihn nicht mehr ertragen, sie machte Miene aufzustehen.

»Du bleibst!«

Und sie blieb. Sie duckte sich unter seinem eisernen Willen, der wie ein Joch auf ihrem Nacken lag und sie in den Boden drückte.

»Daß du nicht einmal den Mut hast,« begann er nach einer Weile wieder, »mich umzubringen! Ich ... ich hätte dich längst aus dem Wege geräumt! ... Sag' mal, kannst du dir das vorstellen, wie es ist, wenn man so ein anderes Leben aufhören läßt?«

Sie sah ihn unverrückt an und nickte.

Erst wunderte er sich darüber, dann bemerkte er, daß ihre Pupillen sich zusammenzogen, daß ihre schönen Augen den blinden Blick bekamen, der immer einer Erstarrung voraufging ... Es war die Aura des somnambulen Anfalles, den er mit seinen stählernen Augen ausgelöst hatte, diesmal, ohne es zu wollen ...

»Erwache!«

Sie seufzte tief und hob die blassen, durchsichtigen Hände zu ihren Schläfen ... Dann fing sie leise an zu weinen.

Das war die Reaktion des Anfalles, die er kannte und die er nicht hindern durfte, wenn er sie nicht einem schweren Nervenchok aussetzen wollte ... Auch daran hinderte ihn nicht etwa ein Mitgefühl. Er fühlte für niemand, nicht einmal für sich selbst. Aber er kannte Ilonas Physis zu gut; ihre arme, kranke Seele war ihm ein gut eingespieltes Instrument, von dessen arger Zerbrechlichkeit er wußte, und das er nicht zerstörte, weil es für ihn Geld und Leben bedeutete.

Er hatte sie diesem dummen Grafen entrissen, weil er ihr Glück nicht wollte, aber auch um ihres Besitzes willen; von allen Weibern, die er zu seinen Geisterspielen benutzt hatte, war keine so gefügig gewesen: keine gab so jedem Willensdruck nach; keine aber hatte vor allen Dingen einen so feinen, regen Geist und war imstande, so tief, so unerklärlich gründend in die Seelen derer zu blicken, die aus dem Munde des Mediums ihre Weissagungen erwarteten ... Die meisten waren hübsche, dumme Dinger gewesen, die, wenn sie wirklich in Trance fielen, einen greulichen Unsinn daherredeten ...

Eine einzige noch, die Engländerin, eine durchgegangene Herzogin, gab echte und verblüffende Teste in der Katarsis ... Aber sie war von einer Brunst, die ihn, den Tatmenschen, der seine Sinne zähmen konnte, immer mehr anwiderte ... Und dann, wenn die Leidenschaft sie emporriß, begann auch ihr Wille mit dem seinen zu kämpfen ... Dann hatte er sie schlagen müssen, was er nicht liebte, was er denen überließ, die nicht imstande waren, mit der stahlgeflochtenen Geißel ihres Willens das Opfer so zu treffen, daß es röchelnd am Boden lag ...

Oh, er war stolz darauf, ein besonderer Bösewicht zu sein und das Verbrechen zu einer Wissenschaft erhoben zu haben, zu einer Geheimwissenschaft, die ihn selbst übernatürlich und allmächtig erscheinen ließ ... Er kannte wenigstens keinen, der ihm gleichkam ... Was war dieser Mc. Duffre, der ihm gestern das Rubinenarmband abgewonnen hatte? – Ein Idiot, ein Vieh! ... Der sich Gott weiß was einbildete und sich womöglich als Meisterdieb und gentlemen-robber vorkam, wenn er wo einen Kasten mit Juwelen erbeutete! ...

Nein, das lockte ihn nicht! ... Ihm brachten die Menschen ihr Gold freiwillig, sie verehrten ihn wie einen Heiligen und hätten am liebsten auf den Knien vor ihm gelegen, daß er sie hinabsehen ließ, in die Welt der Schatten, oder seinetwegen auch hinauf in den Himmel ihrer Verstorbenen ...

Dazu brauchte er Ilona ... Ein Medium wie sie fand er nie wieder ...

Sie hatte zu weinen aufgehört, saß, wie gebrochen, auf ihrem Stuhl und hielt die bebenden Hände auf den Knien.

»Laß nur, laß, du arme Kleine ...« Seine Stimme hatte plötzlich einen heuchlerisch sanften Ton.

»Wir reisen nach dem Süden! ... Da wirst du schon gesund werden ...«

Sie schüttelte sich wie in unaussprechlichem Widerwillen.

Er lächelte, wie Satan selber.

»Da ist die Luft so milde und der Himmel so ewigblau ... Nach Spanien gehen wir, wo die Feigensträucher blühen und die Granatbäume ... wo abends unter den Fenstern die Serenaden klingen und auf den Plätzen die Chota wirbelt ... Weißt du noch, hörst du? ... So singen sie ...«

Er summte selber die aufreizende Melodie des Volkstanzes, in dem plötzlich auf dem Marktplatz der spanischen Stadt Mann und Weib, eine ganze tanz- und musikbegeisterte Menge mit natürlicher Grazie die Glieder wirft ...

Und Ilona, die nie in Spanien gewesen war, die den Tanz nie getanzt, die nicht einmal gesehen hatte, wie man ihn tanzte, wuchs langsam von ihrem Stuhl, erhob die Arme und tanzte die Chota wie eine Andalusierin ...

Er pfiff dazu, sie tanzte. Er klatschte rhythmisch in die Hände und rief sein:

»Hollé! ... Hollé! ...«

Wie die Alten es tun, dort drüben, die rings im Schatten der Platanen stehen und ihre tanzenden Kinder mit den Blicken der Lust, mit den Augen des Frohsinns betrachten ...

Salvioli ließ Ilona tanzen, bis er sah, daß ihre Brust hastig atmete. Dann fing er sie in den Armen auf und trug sie aufs Ruhebett. Sie schlief sofort ein.

Er trank die angebrochene Flasche Sekt, die noch im Kühler stand, in hastig geleerten Gläsern aus. Die Jalousien hatte er aufgezogen. Von draußen wehte der Abendwind sanft ins Zimmer. Die Nacht kam. Am Horizont erlosch der letzte Glutstreifen der verschwundenen Sonne.


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