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VIII.

Der Wagen hielt vor dem Goethe-Theater.

Graf Zeinfeld wunderte sich über die Reihe von Autos, die hier schon standen, während noch mehr vorfuhren, denen Schauspieler, Bühnenarbeiter, Regisseur, Kassierer entstiegen, aus denen reizende hellgekleidete Frauen heraushüpften, um schnell, mit vieler Wichtigkeit in Miene und Gebärde, im Portal unter den Arkaden zu verschwinden.

»Ich habe mir Ihre Erlaubnis, jegliche Mittel anzuwenden, gleich zunutze gemacht, Herr Graf. Während wir noch im Präsidium verhandelten, hat Braun die Direktion hier angerufen, sie solle telephonisch oder wie immer alle ihre Bühnenangehörigen und Theaterleute per Auto herkommen lassen – so werden wir hoffentlich schnell unseren Zweck erreichen ...«

Der Graf drückte dem Doktor die Hand.

»Sie denken an alles, lieber Freund! Mein Gott, da werd' ich sie am Ende bald wiederhaben!«

Wenn es möglich gewesen wäre, in des Kommissars Miene zu lesen, so wäre der Graf jetzt auf einen starken Zweifel gestoßen.

Im Theater wurde zuerst natürlich der Direktor zu Rate gezogen. Er war ein chevaleresker, liebenswürdiger Herr, der in Ausdrücken einer fast übertriebenen Verehrung von Ilona Sebraczety sprach. Aber was und wer bei ihrem so rätselhaften Verschwinden mitgewirkt hatte, darüber hatte er auch nicht die leiseste Vermutung.

Er rief seinen Regisseur, der brachte gleich Fritz Heerfels mit, Ilonas Partner im Lustspiel »Frau v. Müller geb. Schulze«. Der konnte schon ein bißchen mehr erzählen. Nachdem er den Grafen begrüßt und sich gefreut hatte, den »berühmten Herrn Doktor-Kommissar« kennenzulernen, sagte er in seinem österreichischen Dialekt:

»Ja, mir is scho a bisserl wos aufg'fallen ... Im dritten Akt, wie dör gerad' anfangen tut, un i komm' heraus, da steht die Ilona doch schon an poor Minuten allein auf der Bühne. Sie spintisiert über ihren Mann und daß 's doch am liebsten wieder mit mir z'sammen sein möcht'. No, und da komm' i denn halt so ganz zufällig hereing'schneit, un da steht's da un soll mir Red' und Antwort steh'n! Aber i, i sog' halt, was i z' sagen hob, i spring' umher, wie an Frosch, ich sog' noch mehr und die Ilona steht vorn an der Rampen un starrt egol 'runter ins Publikum! I hob schon glaubt, nu is aus, nu schmeißt's uns die ganze Komödi! Und der Herr Inspizient frogt aus derer Kulisse, ob denn de Ilona schlaft? – Sie verzeih'n schon, Herr Graf! – Uni improvisier' immer frisch drauf los, aber a mal, da geht ein' doch der Vorrat halt aus! Un da tret' i noch mal dicht an d' Ilona heran und sag': ›Sie verzeih'n schon, meine Allergnädigste, aber schlafen's denn am helllichten Tag?‹ – Und da wacht's auf! Ja, wahrhaftig, 's war, als ob der Traum direkt von ihr abg'fallen is, un sogt glei' ganz voll Geistesgegenwart:

›Wos? Sie san noch da, mein liaber Freund? Na, schauns, mei Schweigen hätt' Ihna doch scho zeigen kenn', das i nix von Ihna wissen will!‹

Un dann spielt sie weiter, die Ilona, als wäre halt gar nix g'wesen. I hob's nachha noch fragen woll'n, aber 's Theater is dann do glei aus gewes'n, un da denkt man halt gar immer an so was!«

»Und haben Sie zufällig gesehen, Herr Heerfels, ob es eine bestimmte Person war, auf die Fräulein Sebraczety so starr hingeblickt hat?«

»Ah na! Dös hab' i halt gar nöt sehen kenn'! Da is ja alles viel z' schnell gangen!«

Die Damen, die nachher gefragt wurden, Ilonas Kolleginnen, hatten zwar fast alle die tiefgründigsten Beobachtungen gemacht, hatten »auch etwas geahnt« oder es sogar »längst kommen sehen«, weil Ilona in der letzten Zeit »gar soviel sinniert und herumg'schaut« hätte, aber mit Tatsachen konnte keine aufwarten.

Bis eine Choristin plötzlich ausrief:

»Aber die Malli, die muß es wissen! Die weiß alles!«

Und als hätte sie nur darauf gewartet, auf dieses Stichwort, erschien plötzlich im Vorbühnenraum, der voll von schwatzenden Männlein und Weiblein stand, eine korpulente Frau mit fröhlichen Augen und blankem Gesicht, im lila Waschkleid, das prall die volle Form umschloß – Frau Amalie Weißgerber.

Sie hatte schon vom Portier gehört, was sich zugetragen, und wußte als Berlinerin sofort, worauf es ankam.

Der Kommissar ging mit ihr, dem Grafen und dem Direktor in dessen Zimmer; der machte seinen nachdrängenden Angestellten die Tür vor der Nase zu.

»Jawoll,« sagte die Weißgerber auf des Kommissars Frage, »nach dem dritten Akt war Fräulein Ilona rein wie ausjewechselt. Sie is 'raufjekommen in ihre Jarderobe un hat jesagt: ›Mach' zu, Weißgerber! Riejele ab und laß bloß keinen rin!‹ Dabei war se so weiß wie der Kalk an de Wand un hat jezittert und jebebt, wie son Kind, wenn's was 'rauskriejen soll! Ich hab' se gleich jefragt, aber se hat bloß immer mit 'n Kopp jeschittelt und hat jesagt: ›Zieh' mir um, Weißgerber!‹ hat se gesagt, ›un frage ja nich, ich kann dir nischt sagen!‹ Un wie se det jrade jesagt hat, da kloppt's un da is es Bauke, der olle Logenschließer, der schon unter die vorje Direktion hier war, un hat 'n Brief für Fräulein Ilona. Un wie se den sieht un liest die Aufschrift, da fängt se an laut zu weinen un sagt immer bloß: ›Nein, nein! Ich will'n nich lesen!‹ Un denn mußte se doch, un macht's Kuwehr auf un liest und wird wie ohnmächtig.«

Einen Augenblick hielt sie inne, um Atem zu schöpfen.

»Un da – 's is ja hoffentlich keine Sünde nich un kein Verbrechen –, da hab' ich rasch 'reinjekuckt, wie ich ihr die Stirne mit Odekollonch jerieben habe, un da stand ... wahrhaftigen Jott! ... da stand bloß een eenziches Wort drin: › Komme!‹ – Weiter nischt, auch nich 'ne Silbe! ...«

»Auch keine Unterschrift?« fragte Dr. Splittericht.

»Nee, ja nischt, Herr Kommissar! Keene Unterschrift un keene Ueberschrift, bloß: ›Komme!‹«

»Und weiter! ... weiter!« drängte der Graf angstvoll.

»Ja,« sagte die alte Frau Weißgerber, und man sah ihr jetzt noch den Schrecken an, den sie in jener Stunde empfunden hatte, »wie ich sie so jrade wieder zu sich jebracht hatte, da kloppt's noch mal! Un ich denke, 's is wieder der olle Bauke un will erst ja nich aufmachen, aber da sagt der da draußen: ›Mach' auf, Ilona!‹ Und da fällt se hin auf de Knie un denn krabbelt se sich wieder hoch un schwankt un wackelt hin und her, un macht de Tiere auf – ich stand dabei dicht hinter sie und da sah ich ihm ...«

»Wie sah er aus?« fragten die beiden Männer aus einem Munde.

Frau Malli zuckte die Achseln.

»Un wenn Se mir todschlagen, ick kann et nich sagen. Ich habe weiter nischt wie 'ne dunkle Jestalt jesehn. Nu brennen doch uff den Jarderobenkorridor ooch man bloß zwee so'ne kleenen, schustrigen Flammen. Un wenn die Tiere von unse Jarderobe, ick meene die Jarderobe, wo Fräulein Ilona drin is, wenn die offen steht, denn sind die beeden Lampen ooch noch verdeckt ... so hab' ick weiter nischt jeseh'n wie 'n Mann ...«

»War er groß?« fragte Dr. Splittericht.

»Ja, jroß war er woll ...«

»War er so groß, wie hier der Herr Graf?«

Graf Zeinfeld erhob sich und der viel kleinere Kriminalkommissar stellte sich neben ihn.

»Ja, ich jlaube ...«

»War er so groß, wie ich bin?«

Frau Weißgerber sah den Kommissar zweifelnd an und zuckte abermals die Achseln.

»Ich kann's wahrhaftig nich sagen ... da draußen in die Dusternis stand einer ... 'n weißes Frackhemd mit 'n blitzrigen Brillantknopp drin, dis hab' ich jesehn, un ooch 'n Zylinder, den hielt er vors Jesicht ...«

»Hatte er denn Abendtoilette an, ich meine Frack oder Smoking?« fragte der Doktor.

Die Garderobiere erhob abwehrend ihre rundlichen Arme und Hände.

»Ich verstehe schon, wodruff Sie 'rauswollen, Herr Kommissar, aber ick weeß doch nicht ... Stellen Se sich doch det mal 'n bisken vor, in was for 'ne Angst ick jeschwebt habe! ... den Schreck! ... Ick dachte doch, det jeht nu los, det Abjemurkse, un sah mir schon mit abjeschnittenen Kopp in die Stube 'rumliejen ...«

Auf den Gesichtern der Anwesenden erschien ein Lächeln. Die Frau Weißgerber sah es, ließ sich dadurch aber nicht irremachen.

»Ja, ja, Sie haben jut lachen, meine Herrens, aber ick, ick bin 'ne alleenstehende Frau, un det Fräulein, det is doch ooch jrade keen jroßer Schutz vor mir! ...«

»Na, was tat er nun, der Mann, wie er Sie beide sah?« fragte Dr. Splittericht.

»Er sagte: ›Jehen Sie!‹ un schob mir 'raus aus det Zimmer.«

»Und das haben Sie sich ruhig gefallen lassen?«

»Na, was sollt' ich 'n machen! ... Wie ick mir 'rumdrehe, da steht Fräulein Ilona hinter mir, wie 'n Jeist, so blaß un verforben, und wie ick ihr jrade noch ansehen wollte, da war ick ooch schon draußen!«

»Aber dabei müssen Sie sich den Mann doch angesehen haben!«

»Na, wat soll ick Ihnen denn det nu immer wieder sagen: nee, ick hab' 'n mir nich anjesehn! Ick war froh, wie ick draußen war! ... Det is doch keene Anjenehmlichkeit nich, mit so'n Verbrecher in eene Stube! ...«

»Und nun warteten Sie draußen?«

»Ja, ick habe jehorcht! ... Ick scheniere mir janich, det ick det sage! ...«

»Na, da hörten Sie doch, was drin gesprochen wurde?«

»Jeheert hab' ick et woll, bloß nich vastanden!«

»Wieso? Sprachen sie so leise?«

»Nee, janz laut, man bloß in 'ne ausländ'sche Sprache ...«

»In welcher denn?«

»Na, det weeß ick doch eben nich! Ick spreche Deitsch un Berlinisch, det is allens! ... Wie soll ick 'n det vastehn? ... Ick bin in de Pantinenschule jejang'n, wie ick kleen war, da lernt man keene so'ne fremden Sprachen nich! ...«

»Aber er kam doch wieder heraus, der Mann ... Da hätten Sie ihn doch nu eigentlich sehen müssen?!«

»Müssen? Wat heeßt müssen? Mit eenmal jing de Tiere uff, mit so'n Ruck, det ick beinah hintenüber flog, un da war er ooch schon bei mir vorbei, immer den Aaltopp vor de Neese jehalten, det ick ihm nich sehen sollte ... Un denn kiekt' ich doch ooch jleich nach mein Fräulein! ... Wat jeht mir denn der Kerl an! ... Ick sage Ihn', der war wech, wie der leibhaftige Deibel! ... un wissen Se, Herr Kommissar, so hat er auch ausjesehn! Ick habe nachher noch darüber nachjedacht, da dacht' ick: es war am Ende wirklich so wat Uebernatürliches!«

»Wie kamen Sie denn dazu, so etwas zu glauben?«

»Na, so, Herr Kommissar ... un denn, wissen Se, wie ich nachher wieder drin war bei Fräulein Ilona, bei's Ankleiden, da fragt' ich ihr doch! ... Un wissen Se, was se da sagt? – Ich soll doch nich so'ne dummen Redensarten machen! sagt se, es wäre ja ieberhaupt keener nich dajewesen! ... Na, dacht ich, nu schlägt's aber dreizehn! ...«

»Was sagten Sie denn darauf?« fragte der Kommissar dazwischen.

»Na, was soll ich denn jesagt haben dadruff? ... Ich bin stille jewesen! ... Bei's Theater jewehnt man sich an manchem, Herr Kommissar! Da heißt's: halt's Maul un sing de Wacht am Rhein, wenn de lange beibleiben willst!«

Der Kommissar nickte freundlich.

»Ich denke, wir entlassen Frau Weißgerber jetzt ... Ich werde Sie ja wohl später noch einmal vernehmen. Vorläufig danke ich Ihnen! Und schicken Sie uns gleich den Logenschließer Bauke!«

Der kam, ein weißköpfiger Alter und offenbar keine Geistesleuchte, vielleicht hatte er auch kein ganz reines Gewissen. Jedenfalls wußte er weiter nichts, als daß ein elegant gekleideter Herr ihn mit einem Brief zu Fräulein Sebraczety geschickt hätte. Wie jener es fertig bekommen hatte, in den doch stets verschlossenen Bühnenraum und so nach der Garderobe des Fräulein Sebraczety zu gelangen, dafür konnte oder wollte der Alte keine Erklärung geben.

Dr. Splittericht fragte und mühte sich noch mit ihm, als die Telephonklingel ging und Graf Zeinfeld an den Fernsprecher gerufen wurde.


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