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XVIII.

Dr. Splittericht hatte sich Mc. Duffre vorführen lassen.

Der englische Dieb saß auf demselben Stuhl, auf dem vorher die alte Frau Selle gesessen hatte.

Er war ungefesselt. Der Kommissar reichte ihm sein Zigarettenetui und begierig griff der Engländer nach dem geliebten Kraut.

»Warum wollen Sie mir nun nicht sagen, Mc. Duffre, wo Sie den Juwelenkasten versteckt haben? Finden tun wir'n ja doch! ... Sehen Sie mal, der, der Sie uns in die Hände geliefert hat, der sagt uns auch noch, wo der Koffer steckt!«

Das Gesicht des Diebes, das erst voll höhnischer Ueberlegenheit auf den Kommissar gerichtet war, wandte sich jetzt mit einem erschrecklichen Ausdruck zur Seite. Man sah, welch eine tierische Wut in ihm brannte, auf den, der ihn verraten hatte. Aber er beherrschte sich:

»No Sir! ... Ich uissen von keine Koffer ...«

»Aber ein Stück haben wir ja doch bei Ihnen gefunden!«

Der Kommissar nahm das Rubinenarmband, den Spielgewinn jenes Nachmittags draußen in der Gärtnervilla, aus seinem Tischkasten und wog die Kostbarkeit wohlgefällig in der Hand.

»Den Armband ich haben gekauft von eine Freind.«

»Wie heißt denn der Freund?«

Der Engländer schwieg.

»Also das ist der große Unbekannte, nicht wahr?«

Der Engländer lachte. Und in diesem Lachen war etwas, was den Kommissar selber zweifeln ließ an der Richtigkeit seiner Behauptung. Er meinte leichthin:

»Nun, den Namen Ihres Freundes, den könnten Sie uns doch wohl sagen ... oder ist er am Ende auch beteiligt bei dem Juwelendiebstahl?«

»Sehen Sie,« sagte Dr. Splittericht nach einer Pause, während der der Engländer hartnäckig schwieg. »Ihr Leugnen verlängert nur Ihre Untersuchungshaft ... Wir haben Ihr Bild. Mr. Parker, der Amerikaner, den Sie bestohlen haben, der Mann hat Sie längst rekognosziert ... Sie haben ihn, wie Sie es da drüben bei sich nennen »gerahmt« ... Sind tagelang mit ihm zusammen im Hotel gewesen in London und haben ihm dann auf dem Schiff sehr geschickt den Koffer ausgetauscht, so daß er's eigentlich nur durch Zufall bemerkt hat, daß er bestohlen war ... Aber das war auf einem deutschen Schiff ... So kommen Sie vor ein deutsches Gericht, was Ihnen nur angenehm sein kann, denn die englischen Gerichte, die verhängen, wie Sie ja selbst wissen, weit härtere Strafen! ... Sie können aber Ihre voraussichtliche Strafe noch erheblich herabmindern, wenn Sie sagen wollen, wo der Koffer mit den Juwelen steckt ...«

»No, Sir! Das Sie können nicht haben, daß ich soll sagen das ...«

»Sie denken, Sie büßen Ihre Strafe ab und später finden Sie dann die Sore in Ihrem Versteck und gehen damit übers Wasser ... Aber, lieber Mc. Duffre, das ist ein Trugschluß! ... Sie kommen bestimmt unter Polizeiaufsicht! ... Na, aber wie Sie wollen! ... Ihr Freund wird uns schon besser Bescheid sagen! ...«

»My Freind?«

Der Engländer stieß das Wort hart in jacher Hitze hervor:

»Hat my Freind Sie gesagt, uo ich sein an diese Abend?«

Dr. Splittericht hätte ruhig »Ja« sagen können, das taten manche von seinen Kollegen. Aber ihm widerstrebte dies »Auf-den-Schmus-Nehmen«, er vertraute, daß seine geistigen Waffen denen des anderen überlegen waren.

Er antwortete also nicht direkt, sondern fragte seinerseits:

»Glauben Sie wirklich an die sogenannte Diebsehrlichkeit, Mc. Duffre? ... Ich habe immer gefunden, das ist ein Märchen!«

Der Engländer war wieder ganz kalt. Er sprach nicht, zuckte nur die Achseln, als wollte er sagen: Das sind Ansichtssachen.

Der Kommissar verbarg seine Enttäuschung hinter der gleichgültigen Aeußerung:

»Na, unsere Fahndungsberichte werden uns ja auch darüber bald Auskunft geben!«

Damit wollte er das Schmuckstück wieder in das Schubfach legen, als er bemerkte, daß der Engländer unruhig wurde und offenbar, ehe er abgeführt wurde, noch eine Frage tun wollte.

Der Kommissar klingelte oder vielmehr er legte den Finger auf den weißen Knopf der elektrischen Klingel.

»Mr. Kommissar ...«

»Ja? ...«

»Sein Mr. Feinglas noch hier?«

»Warum?«

»Ueil ich mechte uissen, ob er sein hier?«

»Na, lieber Freund,« Dr. Splittericht lachte herzlich. »Sie verlangen doch nicht etwa, daß ich Amtsgeheimnisse ausplaudere! ... Sie wollten doch erst Mr. Feinglas gar nicht kennen!«

»Mr. Feinglas sein eine alte Freind von meine tote Vater ...«

Lüg' du und der Deubel! dachte der Kommissar, laut sagte er:

»Und wenn Feinglas noch hier wäre?«

»Dann ich Sie bitten, daß Mr. Feinglas grüßen von mir!«

Der Engländer sah so kühl und ruhig drein. Er hatte sich vielleicht einen Augenblick von dem Begehren fortreißen lassen, etwas über das Schicksal des englischen Hehlers und damit auch über das seine zu erfahren – jetzt hatte er solche Schwäche überwunden, das war klar und deutlich!

Der Kommissar klingelte. Und auf den schrillen Ton trat, als sei er davon herbeigerufen, Braun ein.

»Herr Kommissar: Herr Polizeileutnant v. Plessow und Herr Graf v. Zeinfeld!«

»Die Herren möchten doch bitte eintreten ... Hier, Sie können diesen Gentleman abführen ...«

Der Engländer nickte hochmütig, Dr. Splittericht mußte lächeln über ihn: diese Nation verliert ihren Dummstolz auch nicht, wenn sie Handschellen trägt! ...

Dann ging er dem Grafen Zeinfeld und v. Plessow entgegen. Dieser hatte, in der Absicht, aus seinem Amte auszuscheiden, vorläufig Urlaub genommen und war seitdem eigentlich täglich mit dem Grafen beisammen, dem in seiner quälenden Einsamkeit und Verlassenheit nichts Lieberes geschehen konnte.

Der Doktor-Kommissar bot den Herren Stühle an, sie ließen sich neben seinem Arbeitstisch nieder.

Da wurde Graf Zeinfeld mit einem Male aschfahl und sagte, mit der Linken auf den Schreibtisch deutend, mit bebenden Lippen:

»Da ... da ... was haben Sie da? ...«

Dr. Splittericht, im Vorgefühl einer großen Ueberraschung, folgte mit den Augen und nahm das Rubinenarmband von der Tischplatte:

»Das habe ich dem englischen Pickpocket abgenommen, den Sie und ich zusammen an jenem Abend festgemacht haben, im Janitscharenkeller.«

Blaß bis in die Lippen sagte der Graf mit sichtlicher Anstrengung:

»Das ... das Armband habe ich ... meiner Braut geschenkt ... Es war in der silbernen Schmuckschatulle, die ... die fortgekommen ist ... in derselben Nacht ... wo sie entführt wurde ...«

Er schwieg, nahm das Armband aus der Hand des Kommissars und drückte es fest an seine Brust ... Auch der Kommissar blieb im ersten Augenblick stumm. Nur von Herrn v. Plessows Lippen löste sich ein:

»Donnerwetter!«

In diesem Augenblick tat sich die Pforte, die dunkle Pforte der Wahrheit, an der er selbst vorhin schon gerüttelt hatte, noch weiter auf vor dem hellseherischen Geist des Kommissars: der Freund Mc. Duffres, dessen Namen der Engländer nicht nennen wollte, dieser Freund hieß Salvioli; er und der Entführer Ilonas waren identisch ...

Und auf dem Wege, der immer lichtvoller, immer aussichtsreicher und erkennbarer wurde, rüstig vorwärtsschreitend, ließ der Kommissar, was die alte Frau Selle heute hier gesagt hatte, in das Bild, das sich jetzt vor ihm aufrollte, hineinspielen ...

Er saß eine Weile stumm und mit sich selbst beschäftigt da, dann nahm er einen Schlüssel aus der Tasche, schloß ein Seitenfach des Schreibtisches auf und nahm die blaue Seidenschnur heraus, sie still vor sich hinlegend. Nach einer Weile sagte er:

»Mit dieser Schnur ist die alte Frau Meyer in der Marienfelder Straße ermordet worden ...«

Der Graf hatte noch kaum hingesehen; er blickte auf die glühenden Edelsteine, er liebkoste ihre kühle und doch so flammende Schönheit mit seinen von heimlichen Tränen geschwächten Augen ... Jetzt sah er die blaue Seidenkordel und sagte leise, unsicher:

»Die Schnur ...?«

»Ja, die haben wir am Halse des Opfers gefunden, das damit erwürgt war ...«

»Die Schnur ...« sagte der Graf wieder, seine Stimme schwankte, als ob er trunken wäre.

»Ja, mein Gott, wie ist mir denn ... aber nein, das ist ja nicht möglich! ...«

»Was ... was ist nicht möglich?!« drang der Kommissar in ihn.

»Solche Schnur hat Ilona an ihrem seidenen Morgenrock gehabt ... sie trug immer solche blauseidenen Schlafröcke ... ich habe ihr selbst welche aus Paris schicken lassen ...«

Der Kommissar stand auf. Er ging, die Hände auf dem Rücken ineinandergehakt, mit gesenktem Kopf einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor seinen beiden Besuchern stehen.

»Meine Herren, das müssen wir sofort nachprüfen ... ich habe eher keine Ruhe ... kommen Sie bitte!«

Graf Zeinfeld und v. Plessow, der nur immer seinen blonden Kopf schüttelte, erhoben sich sofort.

Des Grafen blaues Auto hielt vor dem Präsidium.

Und eine Viertelstunde später wußte Dr. Splittericht, daß er sich nicht geirrt hatte, daß Ilonas Entführer auch der Mörder der alten Frau in der Marienfelder Straße war ...


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