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II.

Die großen, weißen Lichtkugeln an den Arkaden des Theatereingangs flammten auf; Droschken und tutende Autos kamen von allen Seiten über den noch eben so stillen Theaterplatz und reihten sich hintereinander drüben auf der anderen Seite des Bürgersteigs; in wenigen Minuten mußte die Vorstellung zu Ende sein ... Da, ein paar von denen, die dem Gedränge an den Garderoben entgehen wollen und deshalb das Fallen des Vorhanges nicht abwarten, kamen schon aus den geöffneten Glastüren.

Jetzt fuhr ein Auto, ein geschlossener Taxameter, vor das Portal, hielt dort einen Augenblick und glitt auf den Zuruf seines Insassen, der sich aus dem offenen Fenster des Wagens beugte, weiter bis vor den dunklen Nebeneingang, der zu den Bühnenräumen, den Garderoben der Schauspieler führte.

Dort stieg ein Herr aus, eine hohe, stolze Männererscheinung, der mit einem leisen Ausruf des Unwillens seinen Schirm aufspannte; vom dunklen Himmel der warmen Maiennacht fielen schwere Tropfen.

Er ging ein paarmal unschlüssig auf und ab. Dann trat er unter den Torbogen, weiter über den langen Bühnenhof, bis zum Garderobeneingang, weil er voraussah: Ilona würde ihren Schirm nicht bei sich haben. Und dann war der schöne Abendmantel aus Crepe de Chine und spanischen Goldspitzen, über den sie sich neulich so gefreut hatte, futsch ...

Während Graf Zeinfeld, der bis vor kurzem noch bei den Gardekürassieren gestanden hatte, vor dem engen Treppenflur wartete, mußte er mit innerer Heiterkeit daran denken, wie sehr die Liebe doch selbst den Verwöhntesten gefügig und bescheiden zu machen imstande ist. Er hatte wahrhaftig so mancher Schönen Huld genossen, aber noch niemals, ehe er Ilona Sebraczety kennenlernte, war es einer gelungen, ihn aus seiner verwöhnten Bequemlichkeit, seiner stolzen Zurückhaltung zu locken.

Diese merkwürdige Frau, die, von irgendeinem Variété kommend, hier eine kleine Nebenrolle gespielt und sich nach der ersten Kritik sofort zum Star der großen Berliner Bühne emporgeschwungen hatte, die hatte ihn sein Herz und die Stärke einer Leidenschaft kennen lassen, an die er, ein Skeptiker bisher in solchen Dingen, bei anderen nie hatte glauben mögen.

Die Tür zur Garderobentreppe ging auf, ein heller Lichtkegel fiel über den dunklen Hof, und dessen Asphaltboden, der glänzte vom leise rieselnden Regen. Der Komiker Renz war herausgetreten und prallte ein bißchen zurück vor der Gestalt unter dem Regenschirm. Dann erkannte er den Grafen, lachte laut über sich selber und sagte, die Tür wieder öffnend:

»Aber kommen Sie doch 'rein in die gute Stube, verehrter Herr Graf! Das Sich-unter-Feuchtigkeit-Setzen können Sie ja nachher bei Meisenbach noch besorgen!«

»Fräulein Sebraczety ist doch noch oben?« fragte der Graf, indem er dem zurücktretenden Schauspieler in den engen Flur folgte, der sein Licht aus der über der schmalen Treppe hängenden Kastenlampe bekam.

»Wer?« Der Komiker machte sein berühmt dummes Gesicht, »ach, die Ilona meinen Sie! ... Ja, die is noch oben ... aber da kommt sie schon, auf den Flügeln der Liebe ...«

Er blickte die Treppe hinauf. Doch da war's Mariechen Quessel, die erste Naive, die übrigens auch eingeladen war, heute nacht zu dem Abschiedsessen, das Sennor del Galamonte, der Attaché der peruvianischen Gesandtschaft, seinen Freunden gab.

Die drei plauderten eine Minute, dann ging Renz mit Mariechen Quessel; weil man, meinte er, das erste Wiedersehen zweier Liebenden nach vierundzwanzig Stunden niemals stören dürfe ...

Und gleich schritt – nein, sie schritt nicht! Ilona Sebraczety schwebte die schmale, häßliche, hölzerne und schlechtbeleuchtete Treppe hinab, die durch den Zauber ihrer Anmut, durch den bezaubernden Reiz ihres ganzen Daseins zu einem glückseligen Ort wurde ... Ja, dieses Mädchen, das eben achtzehn Jahre alt war, das aus einem rätselvollen und schattenhaften Düster, wie hier auf der elenden Treppe, so auch aus ihrem bisherigen Leben überraschend auftauchte, brauchte nur da zu sein, hatte nur nötig, ihr Lächeln zwischen anderen Menschen strahlen zu lassen, um alle zu entzücken, um die Herzen zu erobern und sich zur Königin zu machen!

Aber der Graf hatte sofort das Gefühl, daß heute nicht die Ilona daherkam, die sonst mit einer so unnachahmlichen Gebärde der Liebe, der Hingebung ihre Arme um seine Schultern legte. Sie lächelte ihn an, wie sonst, mit ihrem Madonnenantlitz, dessen tiefdunkelblaue Augen aus einer geheimen Ferne, irgendwo aus den Fluten des Meeres aufzuleuchten schienen. Sie umschlang und küßte ihn und riß all' sein Denken und Fühlen auf den unerschütterlichen Satz zusammen, daß er sie liebe, daß er ohne sie nicht leben könne. Und doch war es heute nicht wie an anderen Abenden, doch fehlte ihm etwas in seiner Zuneigung, irgend etwas enttäuschte leise den Herzensjubel, mit dem er sie immer erwartete ...

»Liebling, fehlt dir etwas?« fragte er leise, den schon der Gedanke, sie könnte erkranken, erschrecken machte.

Sie schüttelte ihren lieblichen Kopf, dessen Nase so fein und edel über der Granatblüte des ernsten Mundes stand. Dabei sah sie ihn nachdenklicher als sonst an, schien ihm, und die langen, schwarzen Wimpern senkten sich rascher vor seinen forschenden Augen.

»Komm!« Sie zog ihn fort.

»Aber es regnet draußen.«

»Du hast ja einen Schirm.«

Sie lachte, als sie fest aneinandergeschmiegt in den noch immer gleichmäßig fallenden Regen hinaustraten. Aber auch das Lachen klang nicht wie sonst. Es war, als sei über ihr ganzes Wesen ein Schleier gebreitet; wie entrückt schien sie ihm, der vergeblich alle seine Zärtlichkeit aufbot, sie heranzuholen. Er fragte sie noch einmal, sie schüttelte nur den Kopf. So gingen sie die kurze Strecke bis zum Auto und stiegen ein. Wie er sie stützte, fühlte er einen pressenden Druck ihrer Hand; ihm war, als läge eine verschwiegene Klage, ein geheimes Flehen in diesem kurzen Zeichen, daß sie sein sei und nichts sie trennen dürfe ...

Dann stiegen sie ins Auto, dessen Lenker der Graf die Adresse des Meisenbachschen Restaurants genannt hatte.

Kaum fuhren sie aber, warf die Schauspielerin sich leidenschaftlich an ihres Liebsten Brust und sagte:

»Ich kann nicht, Hugo! Ich kann da heute nicht hingehen!«

Er war bestürzt. Er hatte sich auf den Abend gefreut, war selig in dem Gedanken gewesen, an ihrer Seite dort sein zu dürfen und bewundert zu werden wegen dieses Kleinods, dessen Wert ihm unermeßlich dünkte. Aber er war auch ein Mann von Charakter; er hatte versprochen, beim Feste seines Freundes zu sein; daß er jetzt, wenn auch ihr zuliebe, absagen sollte, das kränkte ihn. So blieb er ihr Sekunden die Antwort schuldig.

Ein tiefer Seufzer aus einer Brust, die zart hervorsah aus dem tiefen Ausschnitt des Seidenkleides, ließ ihn nach ihren Händen greifen.

»Aber, um Gottes willen, ja, mein Herzblatt! Wenn dir nicht so ist, wenn du dich nicht wohl fühlst, dann gehen wir eben nicht hin ... bloß, du erlaubst doch, daß ich mitheranfahre und absage, nicht wahr? ... sag', bist du wirklich nicht krank? ...«

»Nein, nein!« sie schüttelte energisch den Kopf, den das tiefbrünette Haar in seiner Fülle immer ein wenig nach hinten zu ziehen schien.

»Mir fehlt nichts, Liebster ... nicht das mindeste! Wirklich, du darfst dich nicht ängstigen! ...«

»Dann ist dir irgend etwas passiert im Theater ... ja?«

Sie nahm rasch seine Rechte, zog sie an ihre heißen Lippen und stammelte:

»Frag' doch nicht! ... jetzt nicht ... ich sag' dir alles ... morgen vielleicht schon ... ja ... bitte!«

Er nahm sie, wie er oft tat, an seine Brust, wie ein Kind, fühlte ihr unruhiges Atmen und versuchte durch die Ruhe, das Gleichmaß seines starken Herzens das ihre zu besänftigen, das er verstand in seiner leichten Erregbarkeit; er kannte ihre Empfindsamkeit unvorhergesehenen Dingen gegenüber, er wußte, daß ein rauhes Wort, ein widriges Bild, oft schon ein rein seelischer Eindruck, ihr zartes Nervenleben so verstimmen konnten. Und er war klug und gütig genug, alles das zu begreifen und ihr Weh durch seine stille Liebe auszugleichen ...

So legten sie schweigend die Fahrt zurück. Das Auto hielt vor dem Restaurant von Meisenbach.

Ein von wildem Wein umranktes Gitter umschloß den kleinen Vorgarten, unter dessen regenfeuchten Zelten ein paar Gäste bei rotgedämpftem Lampenlicht saßen.

Der Graf ging rasch hinein, durch den kleinen Vorraum, der mit seinem verschwenderisch besetzten Büfett das Beste versprach, in das große Hinterzimmer, in dem die Gesellschaft des Senor del Galamonte tagte.

Vielleicht zwanzig Personen, die schon kleine Berge von Austern- und Hummerschalen vor sich hatten und die ihre Sektschalen leerten, mit jener ein wenig geräuschvollen, aber dafür auch witzigen Fröhlichkeit, die Künstlergesellschaften so angenehm auszeichnet.

Eben hielt Renz eine Rede – ohne Worte.

Und Graf Zeinfeld blieb stehen und freute sich mit den übrigen, wie urdrollig der Komiker, nur durch die Gebärden, die Worte wirken ließ, die er nicht aussprach, die er durch ein leises, hin und wieder verstärktes Summen und Raunen markierte, das wirklich den Eindruck weckte, als spräche der Redner in einer Gesellschaft von Hunderten von Personen im größten Saal und vielleicht ganz weit ab, oben am Tafelende.

Dann kam der Peruaner dem Freunde grüßend entgegen.

»Aber, wo sein deine Liebe?«

Der Graf entschuldigte sie und sich. Doch das wollte keiner gelten lassen. Wirklich, es kostete ihn große Mühe, sich freizumachen. Minuten vergingen darüber, und als Hugo Zeinfeld nach der Uhr sah, war fast eine Viertelstunde vergangen, seit er hier eingetreten. Er eilte, Ilona sollte nicht länger warten!

Durch die Drehtür trat er in den Garten.

Wo war denn sein Auto?

Er erschrak und rannte durch den Zeltgang auf die Straße.

Kein Auto war da – der Wagen fort.

War Ilona davongefahren, allein, ohne ihn? Hatte sie geglaubt, er bliebe? ... Aber sie kannte ihn doch! Wußte, daß er einer solchen Rücksichtslosigkeit nicht fähig war ... Ihr konnte schlechter geworden sein. Sie war vielleicht doch ernstlich krank, vielmehr am Ende mit ihren Kräften, als sie ihm hatte zugeben wollen ...

Ein Auto fuhr vorbei.

»Chauffeur!«

Graf Hugo gab die Adresse und stand zehn Minuten später vor Ilonas Wohnung.


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