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IV.

Die kleine blonde Hedwig war, kaum daß Graf Zeinfeld die Wohnung verlassen hatte, von einem Furchtgefühl überfallen worden, das sie in der Wohnung hin und her jagte. Sie hatte alle Flammen der elektrischen Beleuchtung angedreht, kein Raum, der nicht im hellsten Licht strahlte.

Aber das konnte des Mädchens Angst nicht bannen. Sie wußte gar nicht, wovor sie sich eigentlich fürchtete. Die tolle Geschichte, die der Herr Graf da erzählt hatte von ihrem Fräulein, verwirrte ihre Gedanken. Das war ja wie in dem letzten Roman, den ihr die Emilie, eine Treppe tiefer bei Geheimrat Schröder, geborgt hatte ... Da entführte auch ein feiner Herr eine Dame und die war obendrein noch verheiratet und ihr Mann war verreist. Aber der Mensch ... Bankdirektor war er, ja, Bankdirektor! Der tat bloß so, und wie sie ihren Koffer packte, sie hatte solche goldblonden Haare, da schlug er ihr mit 'n Briefbeschwerer, der war in ein seidenes Tuch eingewickelt, da schlug er ihr mit auf 'n Hinterkopf, daß sie gleich tot umfiel, und dann hat er obendrein das Haus angesteckt, einfach scheußlich!

Es war ja bloß 'n Roman, aber immerhin, daß so was vorkommen konnte, das sah man doch jetzt wieder bei ihrem Fräulein!

Und da sollte sie in der großen Wohnung ganz mutterseelenallein bleiben und womöglich hier schlafen? Wo jeden Augenblick einer einbrechen konnte und sie überfallen! Nein, das hielt sie nicht aus! Um keinen Preis der Welt blieb sie die Nacht hier! Wo? Ach, das war doch ganz einfach, sie klopfte die Emilie 'raus, ihre Freundin, und schlief bei der.

Und kaum war ihr kleiner, blonder, einfältiger Kopf soweit gekommen, da war sie auch schon in der Küche und wollte die Hintertreppe hinab zu der Freundin.

Sie klinkte die Eingangstür auf, da fiel ihr ein, daß sie doch wenigstens das Licht ausdrehen müsse. Aber sie wagte lange nicht, wieder zurückzugehen in die Zimmer. Und sie hätte den Hauptschalter abgestellt, wenn dieser nur nicht im Vorderkorridor gewesen wäre. So schlich sie zitternd und zagend zurück und, sobald sie an einer der weißen Schaltdosen den Knopf gedreht hatte und das Licht erlosch, war's, als schwebe schon das Beil des unbekannten Mörders über ihrem Haupte. Als sie wieder in der Küche war, hatte sie im Vorderkorridor doch vergessen, das Licht zu löschen. Aber nicht um die Welt wäre sie noch einmal zurückgegangen! Nur, wie sie abermals die Wohnung verlassen wollte, da fiel ihr ein: das Fräulein könnte ja doch noch kommen! Was dann, wenn sie jetzt kam und fand ihr Mädchen nicht vor? Vorhin, vor wenigen Minuten hätte ihr Pflichtgefühl Hedwig vielleicht doch noch zurückgehalten; jetzt war sie so ohne Ueberlegung, so gehetzt von ihrer törichten Angst, daß sie an nichts und an niemand mehr denken wollte; einzig ihr Leben, das doch nur die eigene Phantasie bedrohte, schien ihr wichtig! Mit klappernden Schuhen rannte sie die hölzerne Treppe hinab und klopfte so laut und rücksichtslos an Emiliens Küchentür, daß diese mit bloßen Füßen, im Nachthemd aus dem Bette sprang und zur Tür stürzte.

»Emilie! Emilie! mach' doch auf!«

»Wer is denn da, Hedi du?«

Die Sicherheitskette rasselte und die Tür flog auf.

Die Blonde von oben fiel der anderen in ihrem Schreck, in ihrer Aufregung schluchzend in die Arme ... Dann, wie sie sich in Emiliens Kammer in der schmalen Eisenbettstelle eng aneinanderkuschelten, da kam die Erzählung ...

»Ach!« flüsterte die Schlanke, Schwarzhaarige von Geheimrats, ihren Zopf übers Kopfkissen zurückwerfend, »das is ja wundervoll gruselig! Erzähle doch alles! alles! ja alles! ...«

Und die kleine Hedi gab weit mehr. »Alles« war ja bis jetzt eigentlich noch nicht viel! Freilich, wenn sie oben in der Wohnung geblieben wäre ... ihre nach dem Gruseligen lüsterne Freundin hätte dann noch mehr, noch weit interessantere Dinge zu hören bekommen ...

Eben jetzt hielt vorm Portal des Hauses ein Auto. Eine Dame stieg aus. Im Schein der hellen Laterne des Kraftwagens funkelte die Goldspitze ihres Theaterumhanges und leuchteten für einen Augenblick die hellen Blumen auf ihrem modernen Hütchen.

Sie ging schnell in den Hauseingang und schloß, während das Auto wartete, das Tor auf.

Sie knipste das Licht im Hausflur an und sah sich einen Augenblick in den in die Marmorwand eingelassenen Spiegeln. Dann benutzte sie den Fahrstuhl, der sie mit leisem Brummen in die zweite Etage hinaufbrachte; dort stand sie, die auch die Nachtbeleuchtung in Gang brachte, für Augenblicke, wie in tiefem Nachdenken, vor der Entreetür.

Sie hatte die Hand schon am Klingelknauf, doch sanken die hellen Finger im lichten Spitzenhandschuh weiter herab, suchten im Täschchen und fanden den Drückerschlüssel.

Schnell trat sie in den Korridor, hinter ihr verlosch die Treppenbeleuchtung.

Sie selbst, Ilona Sebraczety, stand tiefatmend im Licht der Entreelampe. Sie trat vor denselben Pfeilerspiegel, in dem vor einer Stunde Graf Zeinfeld sein versorgtes Gesicht betrachtet hatte, und sah lange hinein.

Und das Antlitz, das aus dem silbrigen Grund tauchte, hatte nichts von seiner Schönheit eingebüßt, nur schien es, als sei nicht mehr das Leben darin, das diese süßen Züge sonst durchleuchtete; es war, als spräche nur die Erinnerung des eigenen Seins, ein vergangenes und halbvergessenes Dasein aus den tiefen Augensternen, die, wie die Himmelslichter in einer Wolkennacht, trüb und verschleiert glühten ...

Und wie sie so stand, die eine Hand auf der Spiegelkonsole, die andere schlaff an der rechten Hüfte hängend, da glitt ein Lächeln, eine grausam gequälte Lustigkeit über das holde Gesicht und mit von einem Schmerz, einer Bitterkeit ohnegleichen verzerrten Lippen murmelte sie:

»Madame Sirrah ... Madame Sirrah ...«

Dann ging sie, wie eine Puppe, die man aufgezogen hat, in ihr Boudoir und blieb vor ihrem Schreibtisch stehen. Dort stand eine große Photographie des Grafen Zeinfeld im silbernen Rahmen.

Sie sah das Bild an und zitterte. Ihr Gesicht schien weinen zu wollen, aber als ob ein furchtbares Verbot ihre Tränen hemmte, wandte sie sich halb zur Seite. Und halb abgewendet streckte sie den Arm aus und drehte das Bild im Silberrahmen so, daß der Mann sie mit seinen ernsten, vorwurfsvollen Augen nicht mehr ansehen konnte.

Dann suchte sie mit einem verlegenen Lächeln, wie jemand, der weiß, daß seine Entschuldigungen nicht stichhaltig sind, im Täschchen, fand den Schreibtischschlüssel, schloß rasch auf und kramte in ihren Briefschaften. Es waren viel Briefe, auch Bilder und sonstige Papiere, die sie in eine Mappe aus rotem Maroquin sammelte, und sie sah sorgfältig nach, ob auch nichts von dem vergessen wäre, was sie mitnehmen sollte.

Dabei stieß sie ein goldenes Zigarettenetui vom Tisch herunter. Sie wollte es vom Teppich aufheben und sank auf die Knie; und anstatt nach dem goldenen Schmuckstück zu greifen, barg sie ihren lieblichen Mädchenkopf in die Hände und sank tiefer, bis fast ihre Haare den Teppich berührten. So lag sie lange; ihre schönen Schultern zuckten, durch den weichen Leib ging es wie Krampf und Schauder.

Und als sie sich aufrichtete, waren ihre Augenhöhlen, die Stirn dunkelrot und auf den zusammengekniffenen Lippen stand ein Blutstropfen.

Auf dem Ankleidetisch stand ihre in schwerem Silberbarock getriebene Schmuckschatulle ... Kaum ein Stück unter all den Ringen, Armbändern und Kolliers, das nicht Zeinfeld ihr gegeben hätte.

Dahin schob sich die Schauspielerin, als dränge sie jemand, dem all ihr Wollen nicht zu widerstreben vermöchte ... Sie wollte dies Gold, diese Edelsteine und Perlen nicht nehmen! Ihre Hände waren so voll Scham, solch eine tiefe, vorgefühlte Reue hemmte ihre Bewegung, und so viel Trauer um ihr verlorenes Selbst stand in dem schönen Angesicht. Und doch gab es kein »Nein« ... Jenes Fremde, das über ihr schwebte, sie mit todesdunklen Fittichen umschattete, gab ihr den Befehl, sich selbst zu berauben, verlieh ihr den Mut und Kraft, den letzten Verrat an dem zu begehen, von dem ihr Herz gerissen war und dessen geliebtes Bild sie mit Gewalt aus ihrer Seele reißen mußte ...

Ilona Sebraczety schlief nicht, sie glitt nicht traumwandelnd durch die Räume, in denen sie so selig, überselig gelebt und den liebsten Mann geliebt hatte – sie war wach, sie sah, hörte und fühlte alles! Sie war sich auch ihrer Schmach bewußt, ihrer tiefen Niedrigkeit, die sie von neuem an einen Verworfenen kettete; an einen, den sie verabscheute und der doch nur mit seinen Mörderaugen winken brauchte, damit sie ihm, wie die letzte Sklavin, gehorchte ...

Und so verließ sie, die Schmuckschatulle unter dem einen, die Briefmappe unter dem anderen Arm, schleichend, wie eine Diebin, die Wohnung. Ganz leise drückte sie die Entreetür ins Schloß und wagte nicht, die Treppe zu beleuchten.

Sie war bebend vor Grauen draußen auf der Straße. Die Tür des Autos wurde von innen geöffnet.

»Du warst lange, beeil' dich beim nächsten Mal mehr, hörst du?« klang eine finstere Stimme heraus.

Und Ilona, die doch nur zurücktreten, nur zu dem Chauffeur hätte sagen brauchen: »Helfen Sie mir! Schützen Sie mich vor diesem Schurken!« – Ilona Sebraczety wagte kein Wort zu erwidern. Sie stieg ein. Das Auto rollte davon.


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